Die Einfädler

einfaedlerWenn Unternehmen rasch wachsen, brauchen sie oft viel IT-Unterstützung. Die Folge: Bei den Informatikern droht ein Projektstau. Bentley hat das Problem beseitigt. Hier entscheiden jetzt Fachabteilungen und IT-Experten gemeinsam, was wann durchs Nadelöhr geschoben wird.

Bentley Motors steuert auf Erfolgskurs. 2012 verkaufte die britische Luxusmarke 22 Prozent mehr Limousinen, Coupés und Cabriolets als 2011 – insgesamt 8510 Fahrzeuge. Als Volltreffer bei den Kunden in den wichtigsten Wachstumsmärkten USA und China erwies sich die offene Ausführung des Continental GT. Fast jeder dritte Käufer entschied sich 2012 für die Neuauflage des Convertible, die in der stärksten Ausführung „Speed“ mit 12-Zylinder-Twinturbo 625 PS auf die Straße bringt. Weil die Top-Versionen besonders gut ankamen, legte der Umsatz sogar um fast 30 Prozent zu.

Sportliches Wachstum bleibt auch für die kommenden Jahre angesagt in Crewe, dem Städtchen im Dreieck zwischen Manchester, Liverpool und Birmingham, in dem die Lieblingskarossen der Familie Windsor seit 1946 gefertigt werden. Dabei will das Management keine Kompromisse machen. Regelmäßig misst die Volkswagen-Tochter nicht nur die Zufriedenheit ihrer Kunden, sondern auch die ihrer Belegschaft. So wurde Bentley unlängst als einer von Britain’s Top Employers ausgezeichnet, also als vorbildlicher Arbeitgeber, bei dem das Betriebsklima stimmt.

Das sensible Nervensystem

Damit die unternehmerische Strategie aufgeht, muss Bentley aber nicht nur luxuriöse Limousinen, Sportcoupés, Cabrios und vielleicht schon bald SUVs bauen, die den Geschmack der Zielgruppe in so unterschiedlichen Märkten wie China, Russland, den USA und den Öl-Emiraten treffen. Zu ihrer Umsetzung bedarf es auch jeder Menge Software. „Die IT ist nun einmal das Nervensystem des Unternehmens“, sagt Dr. Roy Sauer, Chief Information Officer (CIO) des Headquarters, „sie schafft die technischen Voraussetzungen für die wertschöpfenden Geschäftsprozesse.“ Entgegen den Versprechungen mancher Anbieter kann man die benötigten Applikationen aber nur sehr selten gebrauchsfertig von der Stange kaufen. Für die meisten Aufgaben bedeutet dies, dass die Applikationen für den größtmöglichen Nutzen in den Geschäftsprozessen anzupassen sind.

Je dynamischer sich ein Unternehmen entwickelt, desto größer ist der Bedarf an solchen maßgeschneiderten lösungen. Dann können sich die IT-Experten kaum retten vor Anforderungen, die aus subjektiver Sicht der jeweiligen Fachabteilungen alle sehr wichtig und natürlich auch sehr dringend sind. Darunter sind oft große Vorhaben, die aus Kapazitätsgründen mehrfach aufgeschoben werden mussten, und kleine mit großem Effekt, die schnell erledigt wären, wenn der zuständige Entwickler nur gerade nicht in ein größeres Projekt eingebunden wäre. Es gibt „Must do“-Projekte, wenn beispielsweise eine Gesetzesänderung umzusetzen ist, und „Can do“-Projekte, die etwa einen unrund laufenden Geschäftsprozess glätten. Was in der Praxis jedoch oft fehlt, ist ein verbindlicher, klar geregelter Entscheidungsprozess, der sicherstellt, dass nicht versehentlich die Wünsche einer einzelnen Abteilung über das Wohl des gesamten Unternehmens gestellt werden.

Fokus auf den Geschäftsprozess

Mit dieser Herausforderung kämpfte auch Bentley – und suchte Rat bei Porsche Consulting: Wie muss ein Prozess aussehen, mit dem sich die Weiterentwicklung der IT-Systeme optimal planen lässt? Und was bedeutet das für die Beschäftigten und die Art, wie sie arbeiten? „Vor dem Start des Projekts waren sowohl die Fachbereiche als auch die IT-Experten nicht wirklich glücklich“, erinnert sich Roy Sauer, promovierter Maschinenbauingenieur und Qualitätsexperte, an den Beginn seiner Tätigkeit in Crewe. Dies sei bei einer Befragung der IT-Experten und ihrer wichtigen internen „Kunden“ bezüglich der Rolle der IT-Abteilung deutlich geworden: „Die einen erwarteten von ihr vor allem technische Vorgaben, andere eher eine vorausschauende Unterstützung bei der Definition von Geschäftsprozessen.“ Die IT-Experten wiederum fragten sich, wo auf der Skala zwischen Auftragsprogrammierung und Betriebswirtschaft denn nun ihr Platz sein sollte. Zudem wechselten die Prioritäten häufig. „Manchmal wurden Projekte mittendrin gestoppt, weil sich herausstellte, dass sie doch nicht so wichtig oder dringend waren“, erzählt Sauer, „so etwas ist natürlich für alle beteiligten unerfreulich.“

Das Fazit der Bestandsaufnahme wies deutliche Potenziale für das 4000-Mitarbeiter-Unternehmen auf: Die IT-Organisation arbeitete pragmatisch, aber insgesamt zu techniklastig und noch nicht systematisch und proaktiv genug. Sie war vor allem darauf fokussiert, den laufenden IT-Betrieb sicherzustellen. Die Mitarbeiter scheuten sich, auch einmal nein zu sagen, wenn eine Fachabteilung etwas auf den Wunschzettel schrieb, das den Entwicklungsaufwand bei nüchterner Betrachtung nicht wert war.

Die Porsche-Berater um Geschäftsbereichsleiter Kashif Ansari und Projektmanager Dr. Stephen Hellhammer entwickelten deshalb gemeinsam mit Sauers Team und dessen Bentley-internen Kunden einen IT-Governance-Prozess: eine strukturierte, systematische und vor allem langfristig ausgerichtete Vorgehensweise für die Aufteilung der begrenzten Personalkapazitäten auf große und kleinere IT-Projekte. „Das Ziel war explizit, die Effektivität der bestehenden IT-Mannschaft zu steigern – und dabei strikt zu beachten, dass die Mitarbeiterzufriedenheit zu den strategischen Unternehmenszielen zählt“, sagt Ansari. Zunächst wurden die Leitlinien für die neue IT-Organisation definiert. Nach Anpassung des erprobten Prozessmodells an die IT-Landschaft von Bentley wurden die Aufgaben neu verteilt. Die neue Organisationsstruktur ist flacher, eine von bisher drei Hierarchiestufen entfällt. nun gibt es Teams mit bis zu zwölf Mitgliedern, deren Leiter unmittelbar an CIO Sauer berichten.

Nur für ein Viertel der IT-Mitarbeiter änderte sich bei dem Umbau nichts: Sie arbeiten immer noch im selben Team für denselben Chef an den gleichen Themen. Alle anderen haben entweder einen neuen Vorgesetzten bekommen, gehören zu einer anderen Arbeitsgruppe oder beides. 15 Prozent der Mitarbeiter machen auch inhaltlich einen anderen Job als früher. Die Umstrukturierung zeigt bereits spürbare Verbesserungen für die Mitarbeiter: „Die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen hat sich deutlich verbessert“, so Sauer.

Vordrängeln war gestern

Die andere große Neuerung ist die Einführung eines „IT-Boards“. An diesem Runden Tisch legen die Führungskräfte von IT- und „Kunden“-Seite in regelmäßigen Meetings gemeinschaftlich fest, mit welcher Priorität die anstehenden oder beantragten Projekte abgearbeitet werden. Damit niemand übergangen wird, sind alle Fachbereiche in den Entscheidungsprozess eingebunden. Um das Prozedere so objektiv wie möglich zu gestalten, muss jeder Manager nach einem festgelegten Kriterienkatalog schriftlich begründen, wie sein Projekt dem Unternehmen nützen würde. Die endgültige Rangfolge der Projekte richtet sich nach einem Punktsystem. Den höchsten Stellenwert haben „Must do“-Projekte, die neue Gesetze oder strategische Vorstandsbeschlüsse umsetzen. Bei „Can do“-Projekten richtet sich das Ranking primär nach dem Business Case, sprich: nach dem zu erwartenden Beitrag zu den strategischen Firmenzielen. Damit ist sichergestellt, dass beim Verteilungskampf um die IT-Ressourcen nicht mehr der das größte Kuchenstück abbekommt, der die lauteste Stimme hat. Auch das traditionelle Fifo-Schema („first in, first out“), bei dem es allein nach der Reihenfolge der Anmeldung ging, gehört damit der Geschichte an.

Das vom IT-board praktizierte System, die sogenannte rollierende Portfolioplanung, ist dabei so flexibel, dass auch Freiräume, die sich unverhofft auftun, für kleinere Vorhaben genutzt werden können: Die Punktwerte gelten nicht für die Ewigkeit, das Board kann jederzeit auf veränderte Bedingungen reagieren. Da im Zuge der Festlegung der Prioritätenfolge auch ermittelt wird, wie viele Personentage und welche besonderen Fertigkeiten zu veranschlagen sind, sinkt zugleich das Risiko von Projektabbrüchen auf ein Minimum.

Nach einem Probelauf mit dem Ressort Sales & Marketing als Pilotkunde ist Roy Sauer zufrieden. Nicht zuletzt fördere die kollegiale Zusammenarbeit am Runden Tisch das Verständnis bei den Bereichsleitern dafür, wie die IT-Experten arbeiten, was sie leisten können und was nicht: „Jetzt wächst das Verständnis dafür, dass unsere Ressourcen endlich sind“, sagt der Bentley-IT-Chef. In einer Zeit, in der man sich scheinbar für alles eine billige App aus dem Internet herunterladen kann, vergessen manche Menschen diese Tatsache allzu leicht.

Erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin“, Ausgabe 13 (Oktober 2013)

Datenautobahn über den Wolken

tesatSo rasant wie die Datenflut im Orbit wächst auch Tesat-Spacecom: Mit Perfektion, Präzision und Innovationen zum Weltmarktführer

Wer bisher allenfalls das Tiefkühllager einer Eiscremefirma von innen gesehen hat, macht sich garantiert übertriebene Vorstellungen von dem Ambiente, in dem ein führendes Unternehmen der deutschen Raumfahrtindustrie die eisige Kälte des Weltalls simuliert. Immerhin leistet sich die Tesat-Spacecom GmbH & Co. KG in Backnang, die zur EADS-Satellitentochter Astrium gehört, eine der größten Ansammlungen von Thermo-Vakuum-Kammern weltweit: 54 Stück. In der Garderobe an der Zugangsschleuse hängen aber keine Daunenanoraks, nur federleichte Antistatik-Kittel. Hinter der Tür lässt nicht einmal ein kühler Lufthauch die Mitarbeiter frösteln. Allerdings warnen schwarz-gelbe Aufkleber vor der Kälte – und siehe da: Dort, wo die dick isolierten Flüssigstickstoff-Schläuche an die Aggregate angeflanscht sind, kondensiert die Luftfeuchte zu massiven Eiskrusten.

Die Tiefkühlkammern, die sich bei Bedarf in Brutöfen verwandeln, könnte auch in Schutzkleidung kein Mensch betreten – dafür sind sie viel zu klein. In einem einzigen Reinraum liegen 34 dieser blitzsauberen Edelstahlzylinder in zwei langen Reihen auf Podesten. Ihr Innenraum böte zwei Party-Pizza-Blechen Platz. Mehr ist nicht nötig, die Produkte sind sehr kompakt: Tesats Klassiker, der Wanderfeldröhren-Verstärker für Kommunikationssatelliten, ist kaum größer als eine Fahrradpumpe. Seine 10-Kilovolt-Hochspannungsquelle passt in einen Schuhkarton.

Jedes Werkstück wird in der luftleeren Klimatrommel individuell gemartert. Denn Tesat fertigt keine Fließbandware, sondern die Herzstücke von Satelliten, die per Mikrowelle Fernsehsignale, zivile oder militärische Daten zur Erde senden. Der Härtetest dauert Wochen. Tesat ist zwar weltweit der größte Ausrüster für Satelliten, von einer Massenfertigung ist das 1200-Mitarbeiter-Unternehmen aber weit entfernt. Das Werk ist eine Manufaktur für Präzisionsgeräte, Perfektion ist Pflicht: 15 Jahre lang müssen die Bauteile im Low Earth Orbit (kurz: LEO) Hitze, Kälte und Weltraumstrahlung trotzen. Versagen sie, steht mehr auf dem Spiel als ihr Anschaffungspreis. Dieser liegt zwischen dem eines Porsche 911 und dem eines Einfamilienhauses, macht aber nur einen Bruchteil der Gesamtkosten eines Satellitenprojekts aus. „Wir brauchen höchste Zuverlässigkeit“, sagt Peter Schlote, Vorsitzender der Geschäftsführung, „wenn ein Satellit erst einmal in 32000 Kilometer höhe am Himmel steht, kann nichts mehr repariert werden.“ Noch dazu ändern sich auch die Anforderungen der Nutzer rasant: Hoch aufgelöste Bilder und Musik in Top-Qualität sind heute Standard.

Die jüngste Innovation von Tesat ist das Laser Communication Terminal (LCT). Gegenüber einem klassischen Mikrowellentransponder bringt das LCT einen Leistungssprung wie einst am Erdboden die Glasfaser gegenüber dem Kupferdraht. Sein phasenmodulierter Infrarot-Laserstrahl beamt Daten mit 5,6 Gigabit pro Sekunde an beliebige Ziele. Das entspricht 200 000 DIN-A4-seiten – pro Sekunde, wohlgemerkt. Zum Vergleich: Während der Anfangszeiten des Sputniks waren es noch einzelne Bits, die übertragen wurden. Der Clou: Das LCT schickt die riesigen Datenmengen an andere Satelliten, selbst wenn diese mit 28000 km/h durch den erdnahen Orbit flitzen. Zukünftig sollen die Daten auch an bewegliche Gegenstellen wie Flugzeuge gesendet werden können.

Erste Prototypen kamen schon in den 90er Jahren aus dem Labor. Damals sollten LCTs im US-Projekt Teledesic 840 Satelliten untereinander vernetzen und so die Erde flächendeckend mit schnellem Internet versorgen. Nach dem finanziellen Aus von Teledesic im Jahr 2002 galt LCT erst einmal als Lösung, die ein Problem sucht. Niemand schien im Orbit so hohe Übertragungsraten zu benötigen. Inzwischen zeichnet sich aber ein zukunftsträchtiger Markt ab – bei Erdbeobachtungssatelliten.

Diese sind – wie alles, was im LEO fliegt – eigentlich die meiste Zeit offline. Innerhalb des kurzen Zeitfensters, das den Blick auf die Basisstation freigibt, müssen sie die gesammelten Bilder zu Boden schicken. LCT erlaubt nun unterbrechungsfreie Echtzeit-Übertragungen mit extrem hoher Datenrate. Der Trick ist ein Umweg über eine höhere Sphäre: Der LEO-Satellit richtet seinen Datenstrahl auf einen geostationären Satelliten, der in Dauerkontakt mit der Bodenstation steht. Die Weltraumagentur ESA will so ihr europäisches Datenrelaissystem (eDRS) realisieren. „Damit sehen Katastrophenhelfer nach einer Naturkatastrophe sofort, welche Zufahrtswege noch intakt sind und wo sich die Menschen sammeln“, erklärt Peter Schlote.

Profitieren würden letztlich alle Nutzer von Erdbeobachtungssatelliten – kommerzielle wie militärische. Die Infrarotlaser sind immun gegen Ortung und unbemerkte Lauschangriffe: Sollte jemand den Strahl abfangen, käme beim Empfänger nichts mehr an.

 

 

„Motivation muss wachsen.“

 

Als Tesat Spacecom Anfang 2010 den großen Reinraum für die Klimatests einrichtete, befand sich der Traditionsbetrieb – hervorgegangen aus einem 1951 gegründeten, später an Bosch verkauften Nachrichtentechnik-Standort der AEG Telefunken – in einer starken Wachstumsphase. Seit Jahren boomte der Markt für Satellitenkommunikation, doch ausgerechnet der Weltmarktführer arbeitete weiter wie ein Mittelständler. „Wir hatten eine konstruktionsgetriebene Werkstattfertigung“, beschreibt Chief Operating Officer Matthias Spinnler die Arbeitsweise, „wir haben nicht in Produkten gedacht, sondern in Projekten.“ Die Stückzahlen hatten damals längst das Niveau einer kleineren industriellen Serienfertigung erreicht; der Ausbau der Klimatest-Kapazitäten war eine Konsequenz daraus. Eine systematische Produktionsplanung fehlte hingegen. „Lean Production“ war nur ein Schlagwort – eines, das zu den gewachsenen Strukturen dieses „Hidden Champions“ nicht zu passen schien.

Letztlich waren es aber gerade die alten Strukturen und das Abteilungsdenken, die das Wachstum bremsten und Fehler begünstigten. „Sehr viel Know-how und Können steckte in den Köpfen Einzelner“, umreißt CEO Peter Schlote ein Kernproblem. Den vielen neuen Mitarbeitern sei es schwer gefallen, dieses Können rasch „aufzusaugen“: „Wissen heißt nicht können.“ Als Folge dieser Unwucht konnte Tesat seinen Kunden keine präzisen Liefertermine mehr nennen, es klemmte hier und hakte dort.

Auf der Berlin Air Show (ILA) im Juni 2010 kamen Schlote und Spinnler ins Gespräch mit Stephen Harrison, dem Aerospace-Experten von Porsche Consulting: Was könnte man tun, um das individuelle Können der Spezialisten in schlanken Produktionsprozessen fest zu verankern? Im November saß die gesamte Geschäftsführung der Satellitenfirma samt Entwicklungs- und Vertriebschef im Lean-Workshop in Zuffenhausen. Schon in der ersten Spielrunde in der Porsche-Modellfabrik kamen Spinnler die Schwachstellen vertraut vor: „Die Logistik funktionierte nicht richtig, der eine hatte Berge von Vorräten, der andere hatte nichts zu tun.“ Dieser „Initialzündung“ folgten Lektionen, die zeigten, wie das Lean-Prinzip außer Takt geratene Abläufe harmonisiert, indem es das Produkt und seinen Weg entlang der Wertschöpfungskette in den Mittelpunkt rückt. Im März 2011 machte Tesat die Probe aufs Exempel – mit Pilotprojekten in der Fertigung von Bauteilen wie elektromagnetischen Schaltern und in der Spulenwickelei.

Nach wenigen Monaten hatten die Mitarbeiter unter Anleitung der Porsche-Berater um Claus Lintz und Stephen Harrison ihre Arbeitsabläufe so umorganisiert, dass Spinnler fand: „Es passt einfach alles: Die Leute sind aufmerksam, nicht hektisch. Das ist ein ruhiger Fluss. Das tut der Qualität gut, das tut den Menschen gut und natürlich dem Geschäft.“ Die wertstromorientierte Organisation führte binnen weniger Monate zu einer Verkürzung der Durchlaufzeiten zwischen 48 Prozent bei elektromagnetischen Schaltern und 70 Prozent in der Wickelei. Diese hatte unter den ärgsten Reibungsverlusten gelitten. Zudem bekam Tesat die Überproduktion einzelner Komponenten in den Griff: Der Umlaufbestand sank um 68 Prozent. Die Mitarbeiter konnten Überstundenkonten und alten Resturlaub abbauen, auch die ungeliebte Samstagsarbeit entfiel.

Ein halbes Jahr nach Beginn des „Leuchtturmprojekts“ fanden sich die Mitarbeiter auf großer Bühne wieder: Vor versammelter Belegschaft durften sie ihren Kollegen erzählen, wie es für sie war, als die Chefs sie beim Change Management nicht vor vollendete Tatsachen stellten, sondern ihnen die Hauptrolle überließen. Nach und nach wurden auch die anderen Abteilungen für die wertstromorientierte Philosophie begeistert. Schlote weiß: „Motivation kann man nicht verordnen, die muss wachsen.“

Mit Hilfe von Porsche hat Tesat Spacecom inzwischen eine interne Modellfabrik eingerichtet. Hier machen sichMitarbeiter unter Anleitung eigener „Lean Coaches“ mit den Prinzipien der schlanken Produktion vertraut – und zwar bevor diese in ihrem Bereich eingeführt werden. Da das Unternehmen vom Projektgeschäft lebt, steht Tesat nun vor der nächsten herausforderung: Das Lean-Konzept, das sich aus „Produktionssicht“ bewährt habe, soll nun auch nachhaltig auf die „Projektsicht“ übertragen werden.

Die Kraft der Marke

Erfolgreiche Unternehmen erkennt man daran, dass man ihren Namen gerne mitbezahlt – wie beim Einkauf, so auf dem Parkett.

Hand aufs Herz: Können Sie sich ein wertbeständigeres Aushängeschild der Marktwirtschaft vorstellen als den guten Stern auf allen Straßen? Welches Symbol erfolgreichen kapitalistischen Wirkens kann schon mit dem Mercedes-Logo konkurrieren? Taxifahrer und Trucker waren immer stolz wie Kanzlerchauffeure, das schlichte Emblem auf ihrem Lenkrad zu haben, stand es doch in der ganzen Welt für eine beneidenswerte Art der Fortbewegung: Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz?

„Die Kraft der Marke“ weiterlesen

Ein Selbstverteidigungskurs

Beim Kampf gegen die Rezession muss sich jeder Einzelne bewegen.

Kollegenschelte kann verdienstvoll sein und Erbsenzählerei erhellend. Der BerlinerJournalist Oliver Gehrs, Erfinder eines Magazins mit dem ironisch-tiefstaplerischen Titel „Dummy“, hat sich den morbiden Spaß gemacht, in Deutschlands Intelligenzblättern die Referenzen auf den bevorstehenden wirtschaftlichen Untergang zu zählen. „Von Mitte Juli bis Mitte November“, zog Gehrs im Medium-Magazin seine Zwischenbilanz eines publizistischen Höllenritts, „erschien das Wort Rezession allein in der Süddeutschen Zeitung in 399 (verschiedenen!) Artikeln, bei der Welt sah es mit rund 300-maliger Nennung des Wortes Rezession ähnlich schlimm aus, den Vogel schoss die FAZ mit über 500 Rezessionen ab.“ Des leidenschaftlichen Nestbeschmutzers genüsslich ausgewalzte Diagnose lässt sich zu einem Satz komprimieren: Im Glauben, beim Löschen zu helfen, gossen die Kollegen aller Ressorts barrelweise Öl ins Feuer.

 

„Ein Selbstverteidigungskurs“ weiterlesen

Casino Morale

EINIGE GIERIGE, SKRUPELLOSE MANAGER HABEN DAS GESAMTE WIRTSCHAFTSSYSTEM IN MISSKREDIT GEBRACHT. „VERTRAUEN“ IST DAS WORT DES JAHRES. ES STEHT FÜR EIN GUT, DESSEN WAHREN WERT DER MENSCH ERST ERKENNT, WENN ER ES VERLIERT.

Um aus allen Wolken fallen zu können, muss man (noch) auf einer schweben. Insofern war Ulli in einer privilegierten Position, als im September der große Sturm aufbrauste und der Besatzung von Wolke 7 unsanften Bodenkontakt verschaffte. Ulli ist ein cooler Typ, ein Leistungsträger, dessen Profil als Mustervorlage für Stellenanzeigen dienen könnte: gut ausgebildet, so pflicht- wie selbstbewusst, aber kein Jasager. Als aktiver Triathlet ist er körperlich in Bestform, flexibel, mobil, engagiert. Jung genug, um dynamisch zu sein, und alt genug, um souverän seine Erfahrung ausspielen zu können. Als Automationsspezialist trägt Ulli sein Scherflein zu den Produktivitätssreigerungen bei, die den Industriestandort Deutschland lebendig halten. Sein Verstand sagt ihm auch, dass er wohl eher zu den Letzten gehören wird, bei denen die Krise ankommt. Locker und entspannt von seiner Arbeit zu reden, gelingt ihm dennoch schon lange nicht mehr. Der Techniker brauchte weder Lehman Brothers noch Kaupthing Edge noch irgendeine deutsche Bank für seine ganz persönliche Fehlerdiagnose: „Das Urvertrauen ist weg.“

Die Entscheidung, die Ullis Urvertrauen ausradierte, lange bevor der Subprime-Tornado mit den Milliardenzockern aus dem Wall-Street-Casino „Domino Day“ spielte, fiel in der Chefetage eines Dax-Konzerns, dem seine damalige Firma zuarbeitete. Sein Arbeitgeber hatte voll und ganz vertraut auf diesen langjährigen Großkunden. Dessen neuer Vorstand „Casino Morale“ weiterlesen