Wie zwei Bayern mit Solarzellen gegen Bootslärm antraten

Die Sunnyboys vom Starnberger See

aus highTech 9/1991

Jahrelang widmeten zwei oberbayerische Unternehmer fast ihre gesamte Freizeit einem ausgefallenen Hobby: dem Bau von Solarzellenbooten. Heute fahren sie mit ihrer Sonnenyacht klammheimlich allen davon.

Wenn der Computergroßhändler Karl-Heinz Mirwald von den möglichen Absatzmärkten seines Lieblingsprodukts spricht, hat das etwas regelrecht Romantisches. Die Postboten von Venedig würde er gern damit ausrüsten, ja, das wäre ein Auftrag nach seinem Geschmack. Die Idee ist tatsächlich nicht dumm: In der Lagunenstadt scheint ziemlich oft die Sonne, und weniger Lärm und Abgase täten den geplagten Anwohnern der engen Kanäle auch recht gut. Nur den venezianischen Fremdenverkehrsdirettore hat der Münchner noch nicht konsultiert: Welche Folgen könnte es für das touristische Image der Città Vecchia haben, wenn plötzlich Scharen von Briefzustellern mit ihren schnittigen Solarbooten den Gondolieri die Schau stählen?

Derlei Vertriebskonzepte existieren freilich erst als Planspiele – in den Köpfen von Mirwald und seinem Partner Paul Springer, der in Aying im Landkreis München ein gutgehendes Architekturbüro betreibt. Nur die umweltfreundlichen Wasserfahrzeuge sind absolut real. Und am Starnberger See hat schon so mancher Surfer, Segler oder Spaziergänger einen Blick auf die „Solar-Yacht“ oder das „Solar-Boot-Sport“ erhaschen können, wenn die bajuwarischen Hobby-Konstrukteure wieder mal zwecks Probefahrt aus dem Hafen des Segelclubs Würmtal e.V. ausliefen.

Die Sommersonne brennt vom knallblauen oberbayerischen Himmel, nur ein paar weiße Wölkchen dekorieren die Szene. Karl-Heinz Mirwald hat sich wieder einmal in seiner Firma abgemeldet – glücklich, wer so zuverlässige Mitarbeiter hat, dass der Laden auch ohne den Chef läuft. Auch Paul Springer ist an diesem Mittwochnachmittag zum Bootskran der Rambeck-Werft gekommen, das photovoltaisch betriebene Sportboot auf dem Anhänger seines Mercedes.

Vorsichtig hievt der Kranführer das kostbare Stück ins Wasser. „Bei dem Wetter können wir praktisch unbegrenzt fahren“, freut sich Mirwald, „selbst nach Sonnenuntergang reicht die Energie noch für bis zu 80 Kilometer.“ Sichtlich stolz auf das weiße Prachtexemplar mit dem schwarzglänzenden Vorderdeck sticht der Inhaber der Unterhachinger Mirwald Electronic GmbH in den See, um die beeindruckende Beschleunigung der beiden Zwei-Kilowatt-Außenborder zu demonstrieren. Bei Vollgas, pardon: Vollstrom, schafft der Aluminium-Knickspanter bis zu 7,5 Knoten oder 13,5 Stundenkilometer – über eine Distanz von maximal 54 Kilometern. Die komfortablere Yacht ist nicht ganz so wendig, steht der kleinen Schwester aber in Tempo und Reichweite nicht nach.

Diese technische Ausstattung macht die bayerischen ­Boote absolut regattatauglich. Das musste unter anderem der Zürcher Roland Spitteler schmerzlich feststellen, ein anerkannter Champion der Solarbootszene. Obwohl dessen ultraleichter Einsitzer aussieht, als bestehe er praktisch nur aus photovoltaischen Zellen, musste sich der Schweizer bei den Einzelwettbewerben der internationalen Meisterschaft „A Tutto… Sole 1990“ mehrmals von Mirwald überholen lassen, der sich wiederum scharfe Konkurrenzkämpfe mit dem Konstanzer Professor Christian Schaffrin auf dem Prototyp „Korona“ lieferte.

Anders als Spitteler, der seinen Sonnenkraft-Flitzer eigens für Wettrennen konstruierte, legte das bayerische Amateurduo ursprünglich gar keinen Wert auf Siegestrophäen. Mirwald und sein Freund Springer, seit Jahren Amateursegler, wollten lediglich auf Motorboote umsteigen. Doch der Plan ließ sich zumindest kurzfristig nicht verwirklichen – aus Umweltschutzgründen handhaben die Behörden die Vergabe von Lizenzen sehr restriktiv. „Mir fiel da halt nur der Ausweg ein, doss mer elektrisch fährt“, verfällt Mirwald in seinen heimischen Dialekt, „und da i irgendwo a fauler Mensch bin, hob i gedacht, des is aa nix, wann i des Ding jedn Dog an mein Ladegerät oschteckn muass.“

In den bescheidenen Anfängen rüsteten die zwei ein serienmäßiges Elektroboot mit Solarzellen um – so wie die meisten Bastler, die bei Europas Sonnenenergieregatten mehr spielerisch ihre Kilowattkräfte messen. Doch schon bald wuchsen die Ansprüche, und mit dem Spaß am neuen Zeitvertreib kam der sportliche Ehrgeiz hinzu. In Springers Garage entstand die erste Eigenkonstruktion in Arbeitsteilung: Für Energieversorgung und Antrieb war der studierte Elektrotechniker Mirwald zuständig, beim Rumpf stellte Architekt Springer unter Beweis, dass er nicht nur Häuser bauen kann.

Das schnörkellose, futuristische Design der Ayinger Schiffe – die aktuellen Versionen sind bereits Nummer vier und fünf aus der Garagenproduktion – trägt eine unverwechselbare Handschrift. Neben optischer Originalität beweisen Sportboot und Yacht viel Liebe zum Detail, vor allem wohl deshalb, weil sie in exzessiver Handarbeit für den Eigengebrauch maßgeschneidert wurden.

Sind die beiden Perfektionisten? „Leider“, gesteht Springer, „das zwingt natürlich immer wieder zu höheren Einsätzen an Zeit und Geld.“ Wie viel Kapital sie schon in die Entwicklung und den Bau gesteckt haben, wissen Mirwald und sein Spezl selbst nicht genau, jedenfalls kaum weniger als eine Million. Dabei bleiben die vielen tausend Stunden Arbeitszeit noch außen vor.

Heute sind die nicht mehr ganz jugendlichen Sunnyboys vom Starnberger See an dem Punkt angelangt, wo sie sich entscheiden müssen, ob das lieb gewonnene Hobby tatsächlich zum ernsthaften Geschäft werden soll. Denn seit der Caravan + Boot 1990 in München, wo sie die Solar-Yacht versuchsweise für 229000 Mark anboten (mit einer Lieferzeit von acht Monaten) und kein Stück verkauften, haben Mirwald und Springer einen Konkurrenten bekommen. Und so etwas belebt ja oft das Geschäft.

Aus den Erfahrungen des Konstanzer Solartechnik-Professors Schaffrin mit seiner „Korona“ entwickelte die Schottel-Werft in Koblenz-Spay den Prototyp eines Serien-Solarboots namens „Solist“. Diese leicht hausbacken wirkende, BMFT-subventionierte Yacht ist zwar ein wenig kürzer und langsamer als das schnieke Bayernboot, hat dafür aber eine aufwendigere Leistungselektronik sowie eine neuentwickelte Schiffsschraube, soll damit bei Dunkelheit und trübem Wetter länger weiterfahren – und kaum mehr als die Hälfte des Rivalen kosten. Vom potentiellen Markt jedoch haben die Koblenzer ähnliche Vorstellungen wie die Bayern: Lärmarme, öl- und abgasfreie Antriebe liegen im Trend, immer mehr Umweltbehörden setzen Boote mit Benzinmotoren auf den Index.

Wenn Bundesumweltminister Klaus Töpfer Ende August die Schottel-Innovation feierlich auf den Namen „Solist“ tauft, verleihen Mirwald und Springer schon ihrem neuesten Flaggschiff den letzten Schliff: einer luxuriösen 12-Meter-Yacht mit 48 statt bisher 24 Sonnenzellen und einer Dusche, deren Wasser mit der Abwärme der Solarflächen erhitzt wird. Für den Fall, dass der Superkreuzer auf der Interboot- und Intersurf-Messe im September in Friedrichshafen beim Publikum einschlägt, hat Springer vorgesorgt und einen Hersteller aufgetrieben. Dass er jetzt auch noch eigenhändig Boote für andere Leute zusammenbauen würde, so weit geht die Liebe zum Hobby denn doch wieder nicht.

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