Künstliche Intelligenz: Demontage der Mystiker

Top Business 3/1992

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Die Diskussion um die Künstliche Intelligenz (KI) – ein Reizthema der 80er Jahre – belebt sich neu. Von ihrem hohen Anspruch, Computern das Denken beizubringen, müssen die Hardliner der KI allerdings vorerst Abschied nehmen.

Juristen kann der Guru nicht ausstehen. Mit ihrem spitzfindigen Argumenten, die sie am liebsten in die Form von Gesetzen gießen, behindern die Advokaten seiner Ansicht nach bloß den wissenschaftlichen Fortschritt.

So poltert Marvin Minsky, prominentester Prophet der Künstlichen Intelligenz (KI), denn auch schonmal ungeniert los. „Vielleicht“, provozierte der Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) beispielsweise auf einem Softwarekongress in München, „sollten wir einfach alle Rechtsanwälte umbringen.“

Mit derlei fragwürdigen Feindbildern lenkt Minsky publikumswirksam vom eigentlichen Dilemma ab, indem die KI-Forschung derzeit steckt. Nicht Gesetze verhindern nämlich den Durchbruch auf dem Weg zur Technischen Reproduzierbarkeit menschlicher Intelligenz. Die Wissenschaft selbst hat sich noch nicht auf eine einheitliche Lehrmeinung darüber einigen können, was Intelligenz überhaupt ist – wie sie entsteht, welcher Anteil genetisch festgelegt ist und welcher sich erst im Zuge der Sozialisation herausbildet.

Neben seinem Kollegen Hans P. Moravec von der Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh gilt Minsky als radikalster Verfechter einer These, die für ihre zahlreichen Gegner eher ins Reich der Science-fiction gehört denn an eine Hochschule. So besagt eine zentrale Theorie dieser Schule von Informatikern, dass sich im Prinzip der Inhalt des menschlichen Gehirns in einen elektronischen Speicher kopieren lasse.

Eines nicht allzu fernen Tages könne ein Mensch – befreit von seinem vergänglichen Körper – in einer Maschine bis in alle Ewigkeit weiterleben und -denken. Leider seien Experimente auf diesem Gebiet nicht ohne neurochirurgische Eingriffe durchführbar, welche wiederum, so Minsky, von den verständnislosen Juristen mit Sicherheit nicht genehmigt würden.

De facto aber hapert es den Protagonisten der KI am ganz profanen Handwerkszeug. Ihnen fehlt die nötige Hardware für die Simulation: Ein künstliches Gehirn müsste aus 100 Milliarden Schaltelementen bestehen – so viele Nervenzellen (Neuronen) hat das natürliche Vorbild. Solche Dimensionen jedoch sind mit heute bekannten Technologien nicht realisierbar.

Deshalb werden die Apologeten der „harten“ Künstlichen Intelligenz, wie diese Schule der Informatik auch genannt wird, immer öfter zur Zielscheibe herber Kritik. In „erheblicher Selbstüberschätzung“, wettert der deutsche Kommunikationswissenschaftler Professor Claus Eurich, Autor des Buchs „Die Megamaschine“, habe eine wissenschaftliche Gemeinde begonnen, „an ihren eigenen Etikettenschwindel zu glauben“.

Chips ohne Grips

Im amerikanischen Hochschulsystem freilich gehört zur Schau getragenes Selbstbewusstsein von jeher zum Handwerksgeklapper: Ohne ein Quäntchen Hochstapelei täten sich auch die KI-Institute schwer, Fördermittel für ihre Forschung zu ergattern.

Zieht man einen Übertreibungsrabatt von der Selbstdarstellung der Informatiker ab, kommt ein halbwegs realistisches Bild dessen zum Vorschein, was Computer in einiger Zeit wirklich zu leisten imstande sein werden. Ohne viel Aufhebens darum zu machen, haben KI-Forscher der „weichen“ Richtung beispielsweise den „rule-based systems“, die ursprünglich einzelne Denkvorgänge in Form maschinenlesbarer Regeln simulieren sollten, eine neue, eine realistischere Rolle zugewiesen.

So wird die Technologie nur noch auf theoretisch gut fundierte Wissensgebiete angewandt, in denen es halbwegs allgemeingültige Lehrsätze gibt. Ein medizinisches „Expertensystem“ beispielsweise wird nicht mehr mit dem Anspruch entwickelt, den praktischen Arzt zu ersetzen, sondern ihm ein interaktives Nachschlagewerk zu Verfügung zu stellen. Und gar kommerzielle Erwägungen waren ein wesentlicher Grund dafür, warum die von Marvin Minsky mitbegründete Firma mit dem reißerischen Namen Thinking Machines Corp. (TM) in der MIT-Heimatstadt Cambridge/Massachusetts von dem Plan abgekommen ist, wirklich „Denkende Maschinen“ zu konstruieren. Funktionierende, aber „dumme“ Computer zu bauen, zahlt sich aus: Mit einem Jahresumsatz von rund 90 Millionen Dollar (1991) ist TM unangefochtener Weltmarktführer auf dem noch jungen Gebiet massiv-paralleler Rechner.

Diese Computerarchitektur ist zwar in einem Punkt der Funktionsweise des Gehirns nachempfunden: Dank der Vielzahl von Prozessorchips können viele Teilaufgaben gleichzeitig erledigt werden, so wie beim Menschen auch vegetative Funktionen simultan mit dem Denken vonstatten gehen. Die spektakulärste Fähigkeit solcher „Connection Machines“ ist das blitzschnelle Durchsuchen von gigantischen Datenbanken. Mit Künstlicher Intelligenz aber hat das noch nichts zu tun.

Chancen für Neuro-Netze

Die Einsicht, dass die Informatik mehr bewegen kann, wenn sie mit ihren Versprechungen einen Gang herunterschaltet und sich von filmreifen Horrorszenarien distanziert, bestimmt auch die Bemühungen vieler Entwickler von künstlichen neuronalen Netzen und Fuzzy Logic. Beide Softwaretechnologien fußen auf dein Prinzip der Bionik, also dem Abschauen von der Natur – nicht aber ihrer Substitution.

Vorbild der neuronalen Netze ist die Art, wie das Nervengeflecht im menschlichen Gehirn Informationen verarbeitet. Die Netze ermöglichen heute bereits die Konstruktion einfacher selbstlernender Systeme. Fuzzy-Steuerungen hingegen sind auf die Verarbeitung von vagen Daten geeicht. Ein Fuzzy-Programm funktioniert mit Eingaben wie „ungefähr“, „ein bisschen mehr“, „etwas weniger“ – Kategorien also, mit denen der Mensch oft sehr viel mehr anfangen kann als mit absoluten Größen. Geschickte Kombinationen von Fuzzy Logic oder massiv-paralleler Computerhardware mit neuronalen Netzen gelten inzwischen als die aussichtsreichsten Forschungsgebiete der nächsten Jahre.

Ob sie aber, wie der Düsseldorfer Informatikexperte Professor Rolf Eckmiller hofft, tatsächlich den Schlüssel zu den Informationen liefern, die sich in den unüberschaubaren Datenmengen beispielsweise der Wettersatelliten verbergen? Von ihrem Prinzip her erlauben neuronale Netze jedenfalls, auch ohne konkret formulierte Theorie, Zusammenhänge aus einer Vielzahl gemessener Parameter herauszufiltern. Sollte es gelingen, auf diesem Weg die chaotischen Abläufe in der Atmosphäre zu durchschauen, die zu Dürren, Unwettern und dem Abschmelzen der Pol-Kappen führen, wären Umweltforschung und Computerwissenschaft einen enormen Schritt weiter.

Roboter für den Alltag

Vielleicht wird von diesen Erkenntnissen auch Professor Hans Moravec in Pittsburgh profitieren, das wissenschaftliche Alter ego von Marvin Minsky. Als Leiter des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellon University, eines bestens ausgestatteten Abenteuerspielplatzes für Computerwissenschaftler, entwickelt der gebürtige Österreicher derzeit für die Weltraumbehörde Nasa einen neunbeinigen Roboter für die geplante unbemannte Mission zum Mars.

Doch Moravec, ein typischer Vertreter der „harten“ KI, will in seinem Forscherdrang weit höher hinaus. Sein Wunschtraum ist nichts geringeres als der „intelligente“ Roboter, von dem uns – ihm zufolge – nur noch wenige Jahrzehnte trennen. Dann sollen clevere und vielseitige Roboter unseren Enkeln alle Dreckarbeit abnehmen, während sie sich voll und ganz dem intellektuellen Müßiggang hingeben dürfen.

Kleine Haushaltsroboter machen derweil daheim die Betten, brutzeln das Steak und erledigen den Abwasch. In einem Interview verstieg sich der Amerikaner unlängst zu einer Prophezeiung kultivierter Langeweile: „Wir sitzen auf der Erde frei von Umwelt- und Kommunikationsproblemen – im großen globalen Park und sind den ganzen Tag über nur noch kreativ.“

Doch auch das ist für den Robotiker nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum perfekten Kunstwesen. Wie er sich das Ziel vorstellt, hat Moravec detailliert in seinem 1988 erschienenen Roboterbuch „Mind Children“ zu Papier gebracht, einem Werk, dessen verwegene Aussagen dem prominenten KI-Kritiker Professor Joseph Weizenbaum (MIT) schier angst und bange werden lassen. Denn in Moravecs „Visionen von der reinen Intelligenz“ lebt der Mensch eines Tages nur noch als „Geist ohne Körper“ weiter, als unsterbliches elektronisches Abziehbild seiner Intelligenz. Der unzulängliche Homo sapiens hat sich überlebt und kann getrost durch überlegene, immer klüger werdende Roboter ersetzt werden, gerade so wie in Stanley Kubricks bitterbösem Science-fiction-Schocker „2001“, in dem der Bordcomputer „Hal“ die ganze Besatzung seines Raumschiffs umbringt.

Für Joseph Weizenbaum steht fest, dass Moravec keine wissenschaftliche Literatur verbreitet, sondern gefährliches faschistoides Gedankengut. In „Mind Children“ werde die „Endlösung der Menschheitsfrage“ beschworen, schüttelt es Weizenbaum vor Entsetzen. „Das Buch“, warnt er, „ist eine Art ‚Mein Kampf‘ der KI-Bewegung.“

Gefährliches Gedankengut

Derzeit spricht allerdings nur sehr wenig dafür, dass sich Weizenbaums Befürchtungen eines Tages wirklich bewahrheiten könnten – und sehr viel dafür, dass Moravec einem grundlegenden Missverständnis über die Natur des Denkens unterliegt. Ausgehend von einem mechanistischen Weltbild, dessen Wurzeln bis weit ins Zeitalter der Aufklärung zurückreichen, unterstellen die Verfechter der „harten“ KI, dass der Mensch nichts weiter als eine lebendige Maschine sei.

Dem Gehirn fiele in dieser Analogie die Rolle eines digitalen Steuerungscomputers zu, der komplex genug ist, gleichzeitig eine aufwendige Motorik in Gang zu halten, visuelle, akustische, taktile und sensorische Signale zu verarbeiten sowie Texte auszugeben – etwa wenn wir beim Wandern stöhnen: „Wie weit ist es denn noch bis zum nächsten Wirtshaus? Mir tun schon die Füße weh.“ In einer Zeit, in der weite Teile der Wissenschaft sich immer mehr mit Chaos-Theorien befassen, sucht die harte KI die exakten Regeln im unberechenbaren Denken des Menschen und – so ein neuerer Terminus – „genetische Algorithmen“, in denen die Programme für das vegetative Nervensystem und den Instinkt codiert sind.

Die Crux des Willens

Diese Analogie kommt spätestens ins Stocken, wenn das Stichwort „Bewusstsein“ fällt: Das individuelle Bewusstsein versetzt den Menschen in die Lage, einen eigenen Willen zu formulieren. Da dieser Wille aber nicht einer metaphysischen Ebene zugeschrieben werden kann (etwa einer materielosen Seele), ohne das ganze theoretische Gerüst zum Einsturz zu bringen, müssten auch Bewusstsein, Wille, Phantasie und sogar der „gesunde Menschenverstand“ auf schiere Rechenfunktionen reduzierbar sein, die sich überdies sogar von selbst einstellen. Ein Beweis für diese Behauptung jedoch, glauben seriöse Wissenschaftler wie der britische Physiker Roger Penrose, kann nicht geführt werden.

Zudem müsste der Begriff „Evolution“, der bisher eindeutig der Biologie zugeordnet war, völlig neu definiert werden, wenn physikalische Systeme wie Computerchips plötzlich etwas zuwege brächten, wofür der Mensch in seiner Entwicklungsgeschichte Jahrmillionen gebraucht hat.

Zweifel an der Machbarkeit

Oder wird der Computer der Zukunft etwa auf gentechnologischem Substrat wachsen? Dies ist keine gänzlich utopische Annahme mehr, seit Mitarbeiter der Playfair Neuroscience Unit der Universität Toronto Nervenzellen auf Chips wuchern lassen. Handelte es sich dann aber nicht um eine Art Lebewesen, ergo keine Maschine?

Je mehr die Wissenschaftler nach Wegen zur Denkmaschine forschen, um so mehr Zweifel an ihrer Machbarkeit fördern sie offenbar zutage.

Selbst KI-Veteran Marvin Minsky befasst sich in jüngster Zeit intensiv mit einer Technologie, die mit seiner Idee, Maschinen dem Menschen ähnlicher zu machen, kaum mehr etwas zu tun hat – eher schon mit dem Gegenteil. Unter dem Namen „Cyberspace“ (kybernetischer Raum) designen Minsky und seine Kollegen vom Media Lab des MIT computergesteuerte Scheinrealitäten. Wem die wirkliche Welt nicht mehr gefällt, kann sich damit nach seinem Gusto eine künstliche Wirklichkeit zimmern, in der man mittels allerlei neuartigem Gerät – wie Projektionsbrillen und Tasthandschuhen – sogar umherlaufen kann.

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