SOFTWARE-MONOPOLY: IBM ist am Zug

Der Champion im SOFTWARE-MONOPOLY hat schlecht gewürfelt. Microsoft muß eine Runde aussetzen. Konkurrenten wie IBM nutzen die Zeit, um wenigstens die Schloßallee vor dem Zugriff des Bill Gates zu sichern.

Top Business 3/1995

Wer den Adrenalinspiegel von Christian Wedell in die Höhe jagen will, braucht nur den Namen „Lieven“ zu nennen, und stante pede fährt der Europa-Chef der Microsoft Corp. aus der Haut. Theo Lieven, Chef von Deutschlands führendem Computerdiscounter Vobis und derzeit Microsofts rebellischster Kunde, gilt als Wedells Lieblingsfeind – noch vor Richard Seibt, der bei der deutschen IBM eine Großattacke gegen den Softwareriesen koordiniert.

Aber auch Andreas Zeitler kann sich rühmen, für den Microsoft-Mann ein rotes Tuch zu sein. Der neue Statthalter der US-Softwarefirma Novell in Deutschland läßt nämlich ebenfalls den gebotenen Respekt vor der Führungsmacht der Branche vermissen. Vor einem großem Aufgebot an Fachjournalisten machte sich Netzwerk-Verkäufer Zeitler kürzlich unverblümt über „Microsofts Netzwerk-Vision“ lustig.

Die Fälle von Majestätsbeleidigung häufen sich. Immer öfter riskieren gewöhnliche Sterbliche aus der Branche despektierliche Sprüche über William H. Gates den Dritten, Gründer, Chairman und CEO von Microsoft, den ungekrönten Kaiser im Weltreich der Software. Zwar füllt Bill, als mehrfacher Milliardär eine Inkarnation des American Dream, bei seinen Auftritten in den USA wie eh und je Säle beliebiger Größe mit Verehrern. Der in die Jahre gekommene Wunderknabe ist aber nicht mehr sakrosankt. Allein mit phantasievollen Science-fiction-Visionen wie „Information At Your Fingertips“, denen er seinen Guru-Status verdankt, vermag Gates den Ruf seines Hauses als technologischer Vorreiter nicht aufrechtzuerhalten. Via Internet, Fachpresse und Kollegenplausch spricht sich bei der Kundschaft die Erkenntnis herum, daß in der Entwicklungszentrale im Seattle-Suburb Redmond auch nur mit Wasser gekocht wird.

Pleiten, Pech und Pannen

Inzwischen kommt Microsoft – ein Unternehmen, das 1994 für mehr als fünf Milliarden Dollar Software verkaufte und ein rundes Viertel davon als Nettorendite verbuchen konnte – aus der Defensive kaum noch heraus. Die Angriffspunkte liefert das Management den Kritikern regelmäßig frei Haus. Vor allem bei den Betriebssystemen, denen die Gates-Firma ihre marktbeherrschende Position auf dem Sektor der PC-Software verdankt, hagelt es seit geraumer Zeit Pleiten, Pech und Pannen:
❏ Anfang 1994 platzt die Einführung einer runderneuerten Version des technisch längst überholten Klassikers MS-DOS, weil die darin enthaltene Datenkomprimierungsfunktion die Urheberrechte eines anderen Softwarehauses verletzt. Das peinliche Problem wird schließlich mit dem Scheckbuch gelöst.
❏ Das mit erheblichem Marketinggetöse angekündigte Betriebssystem Windows NT, mit dem Microsoft eine Schlüsselrolle in unternehmensweiten Datennetzen erobern will, erscheint mit gehöriger Verspätung, wirkt im Vergleich zum etablierten Unix-System nicht sehr ausgereift und wird vom Markt nur zögerlich angenommen.
❏ Auch die weiterentwickelte Version Windows NT Server 3.5 ist kein Selbstläufer. Fachleute vermissen noch immer wesentliche Funktionen auf dem Gebiet der Datensicherheit.
❏ Microsoft at work, ein Softwarekonzept für die Einbindung von Büromaschinen aller Art in firmeninterne Computernetze, erzielt im Markt bei weitem nicht die erhoffte Resonanz.
❏ Auf „Chicago“, die überfällige Ablösung des allgegenwärtigen Gespanns aus MS-DOS und der grafischen Oberfläche Windows (und damit Microsofts wichtigste Neuentwicklung des Jahrzehnts), warten die Kunden vorerst vergeblich. Die Einführung des neuen Basis-Betriebssystems für jedermann, das in „Windows 95“ umgetauft wird, muß wegen technischer Probleme immer wieder verschoben werden. Statt von Anfang 1994 ist nach der fünften Vertagung jetzt vom dritten Quartal 1995 die Rede.
❏ Der Aufbau eines konzerneigenen Online-Kommunikationsnetzes nach dem Vorbild von Bildschirmtext oder Compuserve verzögert sich, weil der Zugang zu den geplanten Informationsdiensten an Windows 95 gekoppelt ist. Außerdem wird es immer fraglicher, ob Microsoft den Softwarehersteller Intuit übernehmen darf, dessen populäres Haushaltsbuchführungs- und Homebanking-Programm „Quicken“ das Online-Netz attraktiv machen soll.

Zu den Produktproblemen kommen schwere Patzer an der Verkaufsfront. So trieb Gates-Adlatus Wedell seinen Großkunden Theo Lieven mitten im Vorweihnachtsgeschäft der Konkurrenz direkt in die Arme: Der deutsche Stückzahl-Primus wollte seinen Kunden nicht mehr ungefragt das übliche Microsoft-Bündel MS-DOS/Windows aufs Auge drücken, sondern ihnen wahlweise „OS/2 Warp“ aus dem Hause IBM anbieten – ein modernes und komfortables 32-Bit-Betriebssystem wie Windows 95, aber mit dem Vorzug, lieferbar zu sein. Als der Aachener Billiganbieter trotz dieses Affronts auf Vorzugskonditionen bei Microsoft beharrte, schaltete Wedell auf stur.

Affront aus Aachen

Auf diese Chance hatten Richard Seibt, Boß der IBM-Division Personal Software Marketing (PSM), und seine Unterhändler nur gewartet. Zur Verblüffung der Herren Wedell und Gates wechselte der risikofreudige Lieven Ende November komplett die Fronten und kündigte an, seine „Highscreen“-Rechnermodelle serienmäßig nur noch mit Warp zu bestücken.

Künstlerpech für Microsoft: Erst der vom Vobis-Chef gekonnt inszenierte Eklat gab IBMs Einführungskampagne für das neue Produkt den richtigen Schub. In Interviews schlüpfte Lieven – dessen auf Windows gepolte Verkäufer quasi über Nacht umlernen mußten – sogar in die Rolle eines David, der dem Branchengoliath mutig die Stirn bietet. „Vielleicht werden wir am Ende die weiße Fahne hissen müssen“, kokettierte der Angreifer mit seiner vermeintlichen Unterlegenheit.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist OS/2 Warp ein ernstes Problem für die deutsche Microsoft-Zentrale in Unterschleißheim bei München. Denn vor dem Vobis-Coup hatte Seibts PSM-Truppe ihr Schlüsselprodukt schon recht erfolgreich in der zweiten Reihe plaziert. Zeitweise bestückte auch der Lieven-Rivale Manfred Schmitt seine Escom-Rechner serien mäßig mit Warp. Hersteller wie Actebis und Peacock, deren Geräte unter diversen Marken im Handel sind, fahren immerhin zweigleisig. „Wir haben alle unsere Planzahlen übertroffen“, strahlt IBM-Mann Seibt, „wir konnten gar nicht so schnell alles ausliefern, was unsere Vertriebspartner bestellt haben.“

Ob nun Lieven zu hoch gepokert hat oder Wedell, der immerhin mit Escom-Schmitt die Nummer zwei zur Rückkehr ins Windows-Lager überreden konnte, wird sich erst während der kommenden Monate zeigen. Noch hält der Microsoft-Mann einen Trumpf in der Hand: So gut wie alle wichtigen Anwendungsprogramme sind als Windows-Version erhältlich, nur wenige hingegen auch als OS/2-Version. Heutige Windows-Software läuft zwar ebensogut auf OS/2-bestückten Geräten.

Sobald aber Windows 95 auf den Markt kommt, kann IBM eine Kompatibilität nicht mehr so ohne weiteres gewährleisten. Dann müßten die Softwarehäuser mindestens zwei Varianten parallel entwickeln und pflegen: eine für Windows 95, eine für OS/2 und vielleicht sogar eine für das Apple-Betriebssystem MacOS. Solcher Aufwand lohnt sich freilich nur bei Softwareplattformen, die einen nennenswerten Marktanteil erreicht haben.

Hinzu kommt, daß der absatzstärkste Produzent von PC-Programmen niemand anders ist als Microsoft selbst. Mithin ist praktisch ausgeschlossen, daß es jemals eine Warp-Variante der Software-Bestseller Word (Textverarbeitung) und Excel (Tabellenkalkulation) geben wird. Selbst falls IBM einen Softwareadapter programmiert, der Word 95 oder Excel 95 an OS/2 Warp anpaßt, wäre dies noch lange kein Argument für einen Microsoft-Kunden, seinen Betriebssystemlieferanten zu wechseln.

Kundenfang für Warp

Deshalb versuchen die IBM-Marketiers mit ihrer Werbung („OS/2: Wer’s drin hat, hat mehr drauf“) speziell Computernovizen anzusprechen, die nicht durch den Umgang mit einem bestimmten Softwareprodukt vorbelastet sind – zumal die Heimanwender inzwischen als das wachstumsstärkste Marktsegment gelten. Infolge des Preisverfalls bei der Hardware sind die Hobbyisten sogar oft besser ausgestattet als die Profis.

Um das Argument zu entkräften, ein Betriebssystem allein nütze dem Kunden nichts, hat IBM zudem ein Bündel einfacher Anwendungsprogramme geschnürt, das Warp als kostenloses „Bonus Pack“ beigelegt wird – haarscharf an der Grenze dessen, was die Zugabenverordnung des deutschen Wettbewerbsrechts erlaubt.

Der deutsche Markt gilt in der Branche als IBMs bevorzugtes Testgelände für das neue OS/2. Intensiver als in den meisten anderen Ländern hatten sich unabhängige Softwareentwickler hier bereits mit den Vorläuferversionen von Warp beschäftigt, und die meisten Großunternehmen sind traditionell sehr stark IBM-orientiert. „Wenn sie es hier nicht schaffen“, glaubt Wolfgang Martin, Deutschland-Chef des amerikanischen Datenbanksoftware-Produzenten Sybase Inc., „schaffen sie es nirgendwo.“

Allerdings bemühen sich auch die amerikanischen IBM-Softwerker, möglichst viele Partner um sich zu scharen. So arbeitet beispielsweise Martins Arbeitgeber Sybase, ehemals wichtiger Zulieferer von Microsoft, inzwischen verstärkt mit IBM zusammen. Auf dem wachstumsträchtigen Sektor der objektorientierten Datenverarbeitung, in deren Mittelpunkt wiederverwendbare Programmbausteine stehen, macht der Konzern ebenfalls Punkte.

Bisher mußten sich unabhängige Programmautoren zwischen der „Opendoc“-Technik, die IBM gemeinsam mit Apple und dem Softwarekoloß Novell („Netware“, „Wordperfect“) entwickelt hat, und dem Microsoft-Standard „Object Linking and Embedding“ (OLE) entscheiden. Wer Opendoc einsetzte, bekam von Microsoft zur Strafe keine Vorabversionen von Windows 95 – konnte also keine Programme für das MS-DOS-Nachfolgesystem schreiben. Doch Opendoc kam so gut an, daß Microsoft kleinlaut auf Kompromißkurs gehen mußte.

Fatale Verspätung

Überhaupt macht die Zunft der Softwerker derzeit die schmerzliche Erfahrung, daß eine allzu enge Bindung an einen einzigen Betriebssystem-Hersteller sehr schlecht fürs Geschäft sein kann. Aufgrund der frühen Ankündigung von Windows 95 gelten Programmversionen für das alte Windows längst als Auslaufmodelle; erste Einnahmen aus dem Aufrüstgeschäft sind jedoch frühestens im September zu erwarten.

Schon kommt aus Connecticut die nächste Hiobsbotschaft: Die Unternehmensberatung Gartner Group warnt die Anwender, „daß die erste Ausgabe von Windows 95 wahrscheinlich für den Produktionsbetrieb nicht stabil genug sein wird“. Was im Jargon der Datenverarbeiter nichts anderes heißt, als daß Anwendungen wie Textverarbeitung oder Kalkulation aus heiterem Himmel abstürzen. Zudem melden die Gartner-Experten Zweifel an, ob die Auslieferung tatsächlich im August beginnen wird: „Wenn Microsoft im Markt überhaupt Vertrauen bezüglich Auslieferungsterminen genoß, hat das Unternehmen dieses jetzt verloren.“

Je später Windows 95 kommt, desto schlimmer wird die Situation für die Computerbranche. „All das nimmt Dimensionen an, die langsam unheimlich sind“, kommentiert Susanne Müller-Zantop, professionelle Marktbeobachterin aus München, „daß ein einzelnes Softwareprodukt derartige Auswirkungen haben kann, ist ein Novum in der Computerhistorie.“

Ulf J. Froitzheim

 

Chronik der Betriebssysteme

Von DOS zu Warp und Windows 95

Die Geschichte der PC-Betriebssysteme – also der Basissoftware, ohne die kein Programm laufen kann – ist die Geschichte der gescheiterten Partnerschaft zwischen IBM und Microsoft.

1981 Der IBM-PC kommt auf den Markt. Das Betriebssystem liefert der 25jährige Jungunternehmer Bill Gates aus Redmond bei Seattle zu: MS-DOS (Microsoft Disc Operating System).

1984 Apple stellt den Macintosh vor, einen Computer mit einer grafischen Benutzeroberfläche, die per Maus bedient wird. Microsoft reagiert mit der Ankündigung des DOS-Zusatzes Windows.

1987/88 Windows hat sich nicht durchgesetzt. Gemeinsam mit IBM entwickelt Microsoft einen Nachfolger für MS-DOS, das Operating System/2. Doch das hoch komplexe OS/2 benötigt soviel Speicherplatz, daß es sich für den Massenmarkt nicht eignet. IBM und Microsoft zerstreiten sich über die Betriebssystemstrategie.

1990 Microsoft fährt IBM mit der weiterentwickelten Windows-Version 3.0 in die Parade. Die Partnerschaft ist endgültig kaputt. Windows 3.0 (heute 3.1) wird zum Verkaufsschlager, obwohl es nur eine Ergänzung des veralteten MS-DOS ist, das mit einem maximalen Hauptspeicherplatz von 640 Kilobyte die Möglichkeiten moderner PC bei weitem nicht ausschöpfen kann. Windows kann zwar über die 640-KB-Grenze hinausgreifen, was in der Praxis aber nicht immer funktioniert.

1991 Microsoft kündigt Windows NT an, ein 32-Bit-Betriebssystem. Unterschied zu 16-Bit-Systemen wie MS-DOS: Statt 2 hoch 16 können 2 hoch 32 sogenannte Adressen – also Speicherplätze – direkt angesprochen werden. Damit können wesentlich komplexere Programme, etwa auf den Gebieten Multimedia- und Spracherkennungssoftware, verwirklicht werden. Unterhalb von NT, das auf zentralen „Server“-Rechnern installiert werden soll, positioniert Microsoft den MS-DOS-Nachfolger „Chicago“.

1994 Windows NT ist da, Chicago nicht. NT erweist sich wie OS/2 als wahrer Speicherfresser. IBM stellt nach Jahren interner Richtungskämpfe eine neue Version von OS/2 fertig und nennt sie Warp. Sie kommt mit den inzwischen selbst bei preiswerten Geräten üblichen vier Megabyte Hauptspeicher aus, obwohl Computerexperten zu acht Megabyte raten.

1995 Microsoft verspricht in der fünften Verspätungsmeldung, Chicago alias Windows 95 im August auszuliefern. Ein neuer Wettbewerber im Betriebssystem-Markt tritt auf den Plan, als Windows-Vorreiter Apple Lizenzen für sein MacOS (Macintosh Operating System) an die zwei ersten Fremdhersteller vergibt. IBM hat Schwierigkeiten, sein OS/2 Warp an den eigenentwickelten PowerPC-Chip anzupassen, auf dem das MacOS problemlos läuft. Auf Rechnern mit den populären Intel-Prozessoren, für die auch die Windows-Versionen entwickelt wurden, funktioniert OS/2 hingegen tadellos.

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