Ehrenamt ist, wenn man’s trotzdem macht

Der vorige Samstag war einer dieser Tage, an denen man ins Grübeln kommt, warum man sich ein Ehrenamt ans Bein bindet, das aus der Perspektive eines Freiberuflers ein herbes Verlustgeschäft ist. Während meine Frau den wunderbaren Spätsommertag mit einer befreundeten Familie am Ammersee genoss, hockte ich im großen Saal des Münchner Hofbräukellers und ließ die außerordentliche Mitgliederversammlung der Verwertungsgesellschaft Wort über mich ergehen. Falls es jemand nicht wissen sollte: An solchen Sitzungen nehmen wir Mitglieder des Verwaltungsrats als ganz normale Vereinsmitglieder teil. Wir erhalten keinen Cent Sitzungsgeld und die Reisekosten erstattet uns die VG Wort auch nicht. An diesem 10. September hätten wir uns Schmerzensgeld verdient. Es war ein Treffen, auf dem sich einige Neumitglieder in einer Weise gebärdeten, dass sich Tischnachbarn von mir an Auftritte der K-Gruppen in politischen Seminaren in den Siebzigern erinnert fühlten. Am Ende war es ein vertaner Tag. Wir haben nichts Falsches beschlossen, sondern gar nichts. Der Verein ist gelähmt, er kann Millionen nicht eintreiben und nicht verteilen. Seinen Geschäftsführern wurden einstweilen die Hände gebunden.

Früher verliefen solche Treffen in einer kollegialen Atmosphäre. Sie waren eher ermüdend als strapaziös, weil bei solchen Vereinen viele Entscheidungen eines formellen Beschlusses durch den Souverän bedürfen, aber selten größeren Konfliktstoff bergen. Das hat sich bekanntlich geändert, seit der Jurist Martin Vogel vor nunmehr fünf Jahren die VG Wort auf Auszahlung des seiner Rechtsauffassung nach unrechtmäßig an Deutschlands führenden Jura-Fachverlag C.H. Beck ausgeschütteten Verlegeranteils an seinen Tantiemen verklagte. Schon während des laufenden Verfahrens trat Vogel immer wieder auf Mitgliederversammlungen ans Mikrofon und erklärte dem Vorstand und dem Verwaltungsrat sinngemäß, jede andere Rechtsauffassung als die seine sei falsch und wir allesamt persönlich haftbar, wenn wir diese (vermeintlich) klare Rechtslage ignorierten. Allein sein messerscharfer, keinen Widerspruch duldender Ton, der einem Oberstaatsanwalt in einem Mordprozess zur Ehre gereichen würde, genügt schon, um in den Angeklagten körperliches Unbehagen auszulösen.

Nun hatte die VG Wort stets gute Argumente für ihre Gegenposition, und der Rechtsweg über drei Instanzen steht Beklagten ja nicht grundlos offen. Seit der BGH im April Vogel in wesentlichen Punkten Recht gab, werden wir dafür gescholten, dass wir erstens dem Vorstand genehmigt hatten, diesen Rechtsweg überhaupt auszuschöpfen, und zweitens, dass wir nichts dagegen unternommen haben, dass der Vorstand Geld für Gutachten ausgab, auf die wir angewiesen waren, um uns nicht dem Vorwurf der Fahrlässigkeit und damit tatsächlich einem persönlichen Haftungsrisiko auszusetzen. Hätten wir nach der ersten (LG) oder zweiten Instanz (OLG) beschlossen, der Vorstand müsse klein beigeben, hätten uns wiederum die (Buch-) Verleger dafür grillen können. Sie sind bis dato rechtmäßige Mitglieder der VG Wort und hätten uns ihrerseits grobe Fahrlässigkeit angelastet. Vogels Verleger Beck ist der Ansicht, dass das BGH-Urteil zu Gunsten seines Autors seine Grundrechte verletzt, und hofft jetzt aufs BVerfG.

Vorgestern im Hofbräukeller hatte also nun eine neue Fraktion innerhalb meiner Berufsgruppe ihren ersten Auftritt, und der ging fürchterlich in die Hose – und zwar deshalb, weil es einigen Berufskollegen von mir gefällt, die VG Wort für alles verantwortlich zu machen, was am Verhältnis zwischen Autoren und Verlegern nicht stimmt. Also für jede Menge subjektive Ärgernisse und objektive Missstände, auf die eine für Zweitrechte zuständige Verwertungsgesellschaft keinerlei Einfluss hat. Berechtigte Kritik, die diskutiert gehört, vermischt sich da mit Vorurteilen und haltlosen Unterstellungen bis zu übler Nachrede; vieles wird unrecherchiert behauptet, ohne die Gegenseite zu fragen. Es ist eine absurde, traurige Situation: Während rechte Abendlandschützer uns Mainstream-Medien-Journalisten als Lügenpresse diffamieren, eskaliert das Misstrauen von Journalisten untereinander. Kollegen glauben lieber Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien, als sich mit uns Insidern an einen Tisch zu setzen und gepflegt zu streiten. Verbündete suchen sie sich ausgerechnet unter denen, die Urheberrechte für ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert halten, das nur der freien Netznutzung im Weg steht.

Genau das war bei der gescheiterten Mehrheitsfindung das Problem. Das BGH-Urteil macht eine Rückabwicklung von Ausschüttungen bis ins Jahr 2012 zurück notwendig; das ist wegen der unterschiedlichen Einnahmetöpfe und Verteilregeln eine komplexe Aufgabe. Die Beschlussvorlage, die die Teilnehmer vor vier Wochen mit der Einladung erhalten hatten, war sehr detailliert, enthielt aber dennoch nicht zu allen potentiell strittigen Punkten befriedigende Lösungen. Deshalb formulierten ein paar Neumitglieder aus der Journalisten-Berufsgruppe Ende August fünf Anträge. Aber auch der VG-Wort-Vorstand besserte nach und legte dem Verwaltungsrat am Freitag eine Neufassung vor, die am Samstag mit leichten Überarbeitungen als Tischvorlage ausgeteilt wurde. Wichtigste Neuerungen: Die zunächst ausgeklammerte Rückforderung der Ausschüttung an die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage (BDZV und VDZ) war nun mit drin. Vor allem gab es nun eine clevere Lösung für das Problem, dass der BGH die nachträgliche Abtretung der Tantiemen von Autoren an Verleger für rechtens erklärt hatte, und zwar in beliebiger Höhe: Wenn hier die VG Wort außen vor bliebe, würde Vertragsfreiheit gelten und Verlage könnten im Extremfall versuchen, Autoren zur Abtretung der gesamten Ausschüttung zu drängen. Laut Tischvorlage sollten Autoren hingegen ausschließlich gegenüber der VG Wort erklären, ob sie zugunsten ihres Verlegers auf ihre Rückzahlungsansprüche ganz oder teilweise verzichten. Der Verlag sollte nicht erfahren, um welche Autoren es sich handelt. Und: Mehr als den bisherigen Anteil (abzüglich zehn Prozent Verwaltungspauschale) bekommen die Verlage auf keinen Fall. Weniger schon, wenn der Autor es so will. (Ich weiß, dass sich viele Autoren nicht vorstellen können, dass einer ihrer Kollegen freiwillig auf den Nachschlag verzichtet und seinem Verleger das Geld lässt. Aber es gibt diese Fälle, und diese Autoren sind weder geistesgestört noch zu reich, wie quer durchs Netz gespottet wird. Es ist ihre Entscheidung, und die ist zu respektieren.)

Mit den vorgeschlagenen Änderungen wären die Bauchschmerzen der Autoren jedenfalls wohl kuriert gewesen. Mehr kann die VG Wort nicht tun, und dank ihrer guten Kontakte in die Verlagsbranche weiß sie auch, dass zumindest die großen Player gar nicht beabsichtigen, die Situation für sich auszunutzen. Banaler Grund: Der zusätzliche Verwaltungsaufwand rechnet sich nicht.

Statt die Bemühungen der Gremien um einen konsensfähigen und wasserdichten Beschluss anzuerkennen, waren die neu eingetretenen Kollegen vom rechten Tisch jedoch hellauf empört, dass ihnen zugemutet wurde, spontan eine Neufassung des Antragspakets zu lesen und ohne Konsultation eines Rechtsanwalts zu verstehen. Ihre Wortmeldungen waren geprägt von Argwohn und Misstrauen. Sie blieben bei ihren eigenen, sehr unspezifischen Anträgen. In einem hieß es, die Rückforderung der Gelder von den Verlagen solle „unverzüglich“ erfolgen (der Vorstand hatte einen konkreten Zeitplan genannt, der auf Drängen des Verwaltungsrats noch beschleunigt worden war).

Gegen Mittag schlug ein Teilnehmer vor, die Sitzung für 20 Minuten zu unterbrechen, damit sich die Antragsteller mit dem Vorstand sowie Martin Vogel, der seinerseits zwei Anträge vorgelegt hatte, auf eine für alle Beteiligten akzeptable Formulierung einigen können. Den Versuch wäre es wert gewesen, doch eine deutliche Mehrheit der Anwesenden stimmte gegen die Pause, deshalb gab es keinen Deal. In der Abstimmung scheiterte Vogel, der zuerst drankam, erwartungsgemäß mit beiden Anträgen. Auch der Antrag der Neumitglieder auf unverzügliche Rückforderung kam nicht in die Nähe der nötigen Zweidrittelmehrheit, denn er wurde allgemein als Unterstellung verstanden, Vorstand und Verwaltung wollten ohne handfesten Grund Rückzahlungen vorsätzlich verzögern.

Für Irritationen hatte auch ein angesichts der Mehrheitsverhältnisse aussichtsloser Versuch derselben Kollegen gesorgt, die Vorlage des Vorstands durch eine Vertagung auf die nächste Versammlung Ende November aus der Agenda zu werfen. In dem Moment war freilich klar, dass es sich nur um eine Testabstimmung handelte. Die Auszählung ergab, dass die Neuen in der Berufsgruppe 2 (Journalisten und Sachbuchautoren) eine Sperrminorität hatten. Mit dieser erzwangen sie später die Vertagung, die außer ihnen fast niemand im Saal richtig fand. Sähen die Regularien der VG Wort nicht die Abstimmung nach Berufsgruppen und ein faktisches Vetorecht jeder Gruppe vor, hätten wir vorgestern das Go für die Rückabwicklung erhalten. Es hätte eine klare Zweidrittelmehrheit gegeben, die mit größtem Misstrauen beäugten Verleger waren sogar einstimmig für den Antrag, aus dem sie selbst keinen Nutzen hätten ziehen können außer ihre Bücher vom Posten „Rückstellungen wg. Vogel“ zu bereinigen.

Es hilft niemandem, Ross und Reiter nicht zu nennen. Verantwortlich für das Abstimmungsdesaster ist der Hamburger Verein Freischreiber e.V., ein mit hohem Anspruch und viel Idealismus angetretener Berufsverband, dessen Mitglieder sich von den etablierten Journalistengewerkschaften nicht gut vertreten fühlten (ein Gefühl, das ich sehr gut nachvollziehen kann, weil damals nur wenige Freie in Führungspositionen saßen), den mühsamen Marsch durch die Institutionen scheuten und deshalb den scheinbar leichteren Weg einer Neugründung wählten.

Dieser Verein steuert seit dem Frühjahr einen harten Konfrontationskurs wider die Gremien der VG Wort. Noch bevor der BGH geurteilt hatte, attackierte der Münchner Freischreiber Tom Hillenbrand uns mit einem polemischen, fehlerstrotzenden Offenen Brief an Justizminister Heiko Maas. Die digitale Unterschriftenliste dazu signierten nicht nur namhafte Freischreiber-Mitglieder als Person, sondern auch der Vorstand im Namen des Vereins. Auf ihren Jahrestagung, die unmittelbar nach dem Urteil stattfand, verkündeten die Freischreiber, ihr eigentlich für Freien-freundliche Redaktionen ausgelobter „Himmel-Preis“ gehe dieses Jahr an Martin Vogel – womit sie implizit auch jene Verlage vor den Kopf stießen, die fair mit ihren Autoren umgehen. Die Vereinsmitglieder waren vorher nicht gefragt worden, ob sie mit der Umwidmung des Himmel-Preises einverstanden sind. Die Entscheidung muss recht spontan gefallen sein, denn Vogel konnte den Preis nicht persönlich in Hamburg entgegennehmen – ein Auftritt, den er sich sicherlich nicht hätte entgehen lassen, wenn er mit dem üblichen Vorlauf eingeladen worden wäre.

Dieser Freien-Verein hat in den Wochen danach eigentlich eines ganz richtig gemacht: Er hat bei seinen Mitgliedern dafür getrommelt, in die VG Wort einzutreten. Gemessen an der Größe der Organisation war er sehr erfolgreich, denn in absoluten Zahlen war die Resonanz ähnlich hoch wie bei meiner Trommel-Aktion im viel größeren DJV, die nur in Bayern größeren Widerhall hatte. Leider haben sie in der Euphorie über diesen Erfolg vergessen, sich zu überlegen, was sie mit den Stimmen im Interesse der Journalisten, Schriftsteller und Übersetzer bewegen können. So kam es, dass der eifrigste Redner aus dem Kreis der Freischreiber weder ihr Vorsitzender noch sonst ein „normaler“ Journalist war, sondern ein aggressiver Provokateur mit Wurzeln in der Berliner Netzaktivisten-Szene, der seine für die Mitgliedschaft in der VG Wort nötigen Tantiemen zu einem nicht unerheblichen Teil mit Übersetzungen von Texten verdient hat, deren Autoren unser Urheberrecht für Schnee von gestern halten.

Wie schön wäre es, wenn wir, die wir uns in Urheber-Organisationen engagieren, uns jetzt mal zusammenraufen würden! Es nützt nichts, auf den schnellen Euro zu schauen. Worum es geht, ist eine langfristige, also nachhaltige Urheberrechtspolitik. Die VG Wort ist dabei nur ein Schauplatz, aber natürlich ein sehr wichtiger. Wer ihre Existenz aufs Spiel setzt, weil ihm eine sortenreine Autoren-VG lieber wäre, ist in der Erklärpflicht: Wie soll das konkret funktionieren, ohne dass wir am Ende weniger Geld bekommen? Ich sehe das nicht, aber ich könnte ja betriebsblind sein.

Und jetzt bitte keine Fantasievorstellungen, halbgaren Dreizeiler und ideologischen Schwärmereien, sondern realistische, umsetzbare Konzepte.

 

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2 Antworten auf „Ehrenamt ist, wenn man’s trotzdem macht“

  1. Hier ist ein realistischer Vorschlag:
    Der Vorstand der VG Wort freut sich, dass niemand zu laut darüber nachdenkt, wegen Untreue zu klagen.
    Im Gegenzug tritt er geschlossen zurück und entgiftet damit die Atmosphäre, die momentan jede Arbeit unmöglich macht und die VG Wort im ganzen in Frage stellt.

    1. Wenn man Ihren kabarettistischen Einwurf zu Ende denkt, soll wohl am besten Herr Dr. Vogel geschäftsführender Vorstand Recht werden, Ilja Braun sein fürs Kaufmännische zuständiger Partner, und die Ehrenämter gehen an drei weitere Freischreiber? Sollte denn nicht auch der Verwaltungsrat zurücktreten, die Verleger, DJV- und Verdi-Mitglieder sowie Drehbuchautoren austreten? Solange wir da sind, hört die allgemeine Schnappatmung beim friedfertigen Rest ja nicht auf. 😉
      Schöne Grüße ins Studentenwohnheim der Ruhr-Uni Bochum, was auch immer ein Autor da zu suchen hat.

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