Kreutzer irrt. Oder ist das Absicht?

Bernd Graff von der Süddeutschen hat den irights.informanten Till Kreutzer interviewt. Dieser liegt allerdings in wesentlichen Punkten falsch. Ich zitiere mal – und gebe meinen Senf dazu.

Kreutzer: „Es sagt keiner, dass die geltenden Gesetze obsolet sind und dass Rechtsbruch plötzlich legitim ist.“

Es gibt durchaus Leute, die das sagen. Einfach mal googlen oder in Foren schauen, dann findet man welche.

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Kreutzer: „Der Umstand, dass massenhaft gegen das Gesetz verstoßen wird, auch von „normalen“, rechtschaffenen Bürgern, weist darauf hin, dass es an gesellschaftlichen Normen vorbeigeht. Sollte das Recht nicht besser an die gesellschaftliche Norm angepasst werden oder sollte die Gesellschaft gezwungen werden, sich an das Recht anzupassen?“

Was heißt das hier: gesellschaftliche Norm? Das Faktische kraft seiner Kraft? Die angebliche Rechtschaffenheit normaler Bürger ist doch ein populistisches Anwanzen, ein Popanz. Die Deutschen fahren zu schnell, insbesondere in Tempo-30-Zonen (ich nehme mich selbst da nicht aus). Sie schummeln bei der Steuer, bescheißen Versicherungen. Sollte sich das Recht (StGB, StVO) diesen weit verbreiteten Usancen etwa anpassen?

Kreutzer: Privates Leben findet zunehmend im Netz statt – auf einmal ist das urheberrechtsrelevant.

Nicht auf einmal. Das ist systemimmanent.

Kreutzer: „Die Menschen tun das, was sie immer getan haben – sie kommunizieren, sie verständigen sich. Es ist darum ein Mythos, dass sich heute eine so genannte Gratismentalität eingeschlichen hat.“

Diese Kausalität gibt es nicht. Die Menschen kommunizieren zwar nach wie vor, aber die Kommunikation hat sich qualitativ gewandelt. Die Gratismentalität ist Fakt, und da sie sich peu à peu entwickelt hat, nachdem Medienunternehmen sich aus gebührenpflichtigen Onlinediensten wie Btx, Compuserve, AOL und Europe Online zurückgezogen hatten, kann man sehr wohl von Einschleichen sprechen. Mythen sehen anders aus.

Kreutzer: „Klar, die Beschaffungsmöglichkeiten sind dank der neuen Medien größer. Aber deswegen ist das Verhalten heute nicht anders und nicht mehr zu verurteilen als damals. Uns hat auch niemand Verbrecher gescholten, wenn wir aus dem Radio aufgenommen haben.“

Das könnte daran liegen, dass der Sender brav seine Gema-Gebühren entrichtet hat und wir sowohl beim Kauf des Kassettenrekorders als auch der Kassetten die Musiker via Gema-Abgabe für diese Privatkopien entschädigt haben.

Kreutzer: „Es ist menschlich verständlich, dass sich die Autoren solcher Aufrufe echauffieren. Doch sollten sie sich klar machen, wen sie unter Gier-Verdacht stellen: ihre Fans, ihre Leser, Hörer, Kunden. Das sind doch keine Kriminellen.“

Das ist pure Demagogie, eine vor Scheinheiligkeit triefende Argumentation. Ich sehe förmlich die Krokodile flennen. Kunden sind nur Menschen, die bezahlen und die deshalb auch kein Künstler unter irgendeinen Verdacht stellt. Von einem Fan, sei er Hörer oder Leser, kann man erwarten, dass er Kunde sein will. Streiten kann man eigentlich nur darüber, was ein angemessener Preis ist.

Die Menschen, über die sich die Autoren solcher Aufrufe erregen, sind aber keine Kunden, sondern Leute, die den geforderten Preis für ein Musikstück, einen Film oder ein Ebook nicht akzeptieren, und sei dieser noch so niedrig. Wenn diese Leute sich die Datei eigenmächtig ohne Bezahlung beschaffen, verstoßen sie gegen Gesetze – und angesichts der breiten Diskussion über das Thema (und der allgegenwärtigen Rechtfertigungsrhetorik) darf man mittlerweile unterstellen, dass ihnen dies anno 2012 sehr wohl bewusst ist. (Beim Foto auf der Facebook-Seite und dem Leistungsschutzrecht ist das sicherlich anders.)

Um Strafgesetze, die man kennt, zu übertreten, ist aber – sofern man kein bekennender Anarchist ist, der aus tiefster Gesinnung heraus den demokratischen Rechtsstaat abschaffen möchte – kriminelle Energie eine Grundvoraussetzung. Dass die Leute tatsächlich kriminell werden – es handelt sich anders als bei der Geschwindigkeitsübertretung nicht um eine Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat – hängt natürlich damit zusammen, dass das Risiko des Erwischtwerdens geringer erscheint als etwa beim Ladendiebstahl oder gar bei der Beförderungserschleichung im Fernverkehr. Die Hemmschwelle sinkt, und mit ihr das Ausmaß an krimineller Energie, das zu ihrer Überwindung erforderlich ist.

Völlig klar: Das sind alles keine Schwerverbrecher, sondern Kleinstkriminelle. Ladendiebe, die eine Dose Deo entwenden, sind das aber auch.

Kreutzer: „Sie hätten sagen können: Bitte ladet keine Bücher, Filme, Musik aus Tauschbörsen herunter. Wir leben davon, dass ihr dafür bezahlt. So etwas schafft Verständnis.“

Ich schlage Rewe und Edeka vor, das Schild „Jeder Ladendiebstahl wird angezeigt“ durch diesen Spruch zu ersetzen: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Sie vor Verlassen unserer Filiale zur Kasse bitten müssen. Wir tun das nicht gern und zeigen auch niemanden an, der unserer Bitte nicht folgt, würden uns aber unheimlich freuen, wenn Sie uns Gelegenheit gäben, unsere Mitarbeiter und Lieferanten zu bezahlen.“

Kreutzer: „Aber der eigenen Klientel generell Geiz und Gier zu unterstellen, ist ein großer Fehler. Man will die Leute ja dazu bringen, freiwillig zu bezahlen. Freiwillig sage ich, weil heute annähernd jedes Werk auch kostenlos im Netz verfügbar ist.“

Ich wäre froh, der Herr Jurist hätte den Mut, mit dieser Argumentation die Abschaffung der Fahrscheinkontrollen  und das Abhängen der Schwarzfahrer-Mahnungen aus all den Bussen und Bahnen verlangen, die ja sowieso fahren. Ich fühle mich als ehrlicher Fahrscheinkäufer nämlich davon beleidigt, dass man mir unterstellt, ich könnte ein blinder Passagier sein.

Wir Autoren hätten dann erst mal unseren Frieden.

Kreutzer: „Wenn man dafür sorgen würde, dass die Menschen gern bezahlen, weil sie guten Service schätzen und es für unethisch erachten, sich umsonst zu bedienen, wäre viel gewonnen.“

Und: Wie soll das gehen? Diplsozpäds einstellen, die Ethik-Kurse halten?

Kreutzer: „iTunes kam fünf Jahre, nachdem die Musiklobby das erste große Internetmusikportal juristisch zerschlagen hatte: Napster. Es hat also fünf Jahre gedauert, bis es ein bedeutendes legales Downloadangebot für Musik gab.“

Nicht fünf Jahre nach der Zerschlagung, sondern nach der Gründung. Napster wurde 1998 gegründet und 2001 zerschlagen, der iTunes Store 2003 eröffnet.

Kreutzer: „Für die Musikindustrie hätte sich die Möglichkeit geboten, am Erfolg von Napster wirtschaftlich zu partizipieren und hierauf ein Geschäftsmodell für die digitale Welt aufzubauen. Napster hatte einen identifizierbaren Betreiber, mit dem man hätte zusammenarbeiten können. Stattdessen hat man Napster erledigt. Und das, ohne eine legale Alternative zu bieten.“

Genau das, was die Musikbranche angeblich versäumt hat, haben der (zu Recht) viel gescholtene Thomas Middelhoff und sein Mitarbeiter Andreas Schmidt bereits im Oktober 2000 versucht.

Kreutzer: „In dem folgenden Vakuum haben sich dezentrale Filesharingsysteme entwickelt, die keinen Betreiber haben, wie BitTorrent, Gnutella, eDonkey.

Nicht zu vergessen: Kazaa, ein von geschäftstüchtigen Skandinaviern aufgebautes Musiktauschnetz, das sich später als Spamschleuder mit dubiosen Hinterleuten in Australien und den USA erwies.

Kreutzer: „Es geht nicht darum, das Urheberrecht zu retten, sondern darum, das Einkommen der Urheber und ihre ideellen Interessen am Werk zu sichern…“

Was denn nun? Das ist ja gerade der Sinn des Urheberrechts.

Kreutzer: „Allem voran müssen sich die Angebote von Urhebern und Verwertern dem Nutzungsverhalten anpassen.“

Schwarzer Peter an die Urheber. Da macht es sich einer einfach. Glaubwürdiger wird es aber nicht, wenn es so weitergeht:

Kreutzer: „Wenn es keine Bezahldienste gibt, die von den Lesern, Musik- und Filmliebhabern angenommen werden, wird sich die Situation weiter zuspitzen.“

Bei Musik gibt es Bezahldienste – und sogar konkurrierende. Ich kann bei Apple, Amazon, Musicload und anderen legal Musik kaufen. Wenn man die Zahlen so auslegt, dass diese Dienste „nicht angenommen“ würden – was ich nicht so sehe – dann muss man zu dem Schluss kommen, dass sie deshalb nicht angenommen werden, weil es illegale Angebote gibt, die noch weniger als 99 Cent kosten, nämlich nix.

Kreutzer: „Das herkömmliche Urheberrecht ist kein Ausgleichsinstrument von Interessen, sondern verleiht ein Monopolrecht, das dem Inhaber dieses Rechts die Kontrolle über jegliche Art der Nutzung seines Werks zuerkennt.“

Für einen Juristen ist das eine bemerkenswerte Verkennung des Urheberrechts. Für einen der Initiatoren von irights.info ist es nur noch peinlich. Das Urheberrecht ist durchsetzt von Schrankenregelungen, die dem Interessenausgleich zwischen den Stakeholdern dienen. Till Kreutzer weiß das natürlich. Es so in Abrede zu stellen, offenbart eine erhebliche Chuzpe.

Kreutzer: „Statt an diesem Kontrollgedanken festzuhalten, sollte mehr Gewicht auf effiziente Vergütungsmechanismen gelegt werden.“

So ineffizient sind die Vergütungsmechanismen nicht. Den Leuten sind die Abgaben zu hoch. Das ist was anderes.

Kreutzer: „Im Jahr 1965 hat man die Privatkopierfreiheit und die pauschalen Geräte- und Leermedienvergütungen eingeführt. Die Idee: Der private Raum wird nicht kontrolliert, sondern die Nutzungen werden über Systeme vergütet, die der Nutzer nicht umgehen kann.“

Hat früher immer funktioniert, wird aber heute massiv attackiert.

Kreutzer: „Solche Regelungsinstrumente werden derzeit unter dem Stichwort Kulturflatrate diskutiert. Ein meines Erachtens noch nicht ausgereiftes Konzept…“

In der Tat.

Kreutzer: „…aber die Idee geht in die richtige Richtung. Ziel solcher Konzepte ist es, Einnahmen zu garantieren und gleichzeitig die Komplexität des Urheberrechts aus dem alltäglichen Verhalten der Bevölkerung herauszuhalten.“

Da, wo es spannend würde, endet das Interview natürlich.

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