Beherrschen Sie sich!

Wer nichts Böses tut, hat nichts zu befürchten – vom Big Brother in der Nachbarschaft.

Kätzchen sind süß, solange sie klein und die eigenen sind. Nachbars Katzen sind lästige Biester. Dreist erobern sie fremde Gärten, jagen Vögel, erschrecken die Stallhasen, provozieren den braven Hund, verkratzen mit ihren Krallen die Balkonpfosten und hinterlassen auch noch unliebsame Signaturen in den Beeten. Da darf man doch schon mal handgreiflich werden, nicht wahr? Mary Elizabeth B., Bankkassiererin aus Coventry, hat es gewagt. Hat die Gelegenheit in Gestalt der arglosen Nachbarskatze Lola kurzentschlossen am Schopf gepackt und das perplexe Tier in einer am Straßen- rand stehenden Mülltonne versenkt. Soll das blöde Vieh doch auf der Deponie Ratten fangen!

Deckel zu, hastenichgesehn, ein Problem weniger im Viertel? Von wegen. Mary B. handelte sich das Problem ihres Lebens ein, denn sie hatte offenbar keine Ahnung, mit welcher technischen Raffinesse Haustierhalter ihre Lieblinge heute schützen. Kaum hatte Lola durch klägliches Miauen Herrchen und Frauchen herbeigefleht, war die Lady von der Sparkasse einem größeren Fahndungsdruck ausgesetzt, als hätte sie einen Geldtransporter ausgeraubt. Zu dieser Strafverfolgung bedurfte es keiner Anzeige gegen unbekannt, keiner fetten Belohnung für sachdienliche Hinweise, ja nicht einmal eines Anrufs bei der Polizei. Um Mary B. binnen Tagen zu fassen, genügten YouTube und Facebook. Die private Überwachungs- kamera der Katzenbesitzer hatte nämlich den gesamten Tathergang in gestochen scharfen Farbbildern dokumentiert. So brauchten Mr. & Mrs. Mann das digitale Video nur noch hochzuladen, und schon half ihnen die ganze Stadt bei der Jagd auf die Böse. Jeder britische Tierhasser weiß jetzt, was ihm außer Geldbuße, Tierhalteverbot und dem obligatorischen Briefkasten voller Morddrohungen blüht, wenn er sich nicht beherrscht: ätzender Spott, der Rauswurf vom populisierenden Arbeitgeber und lebenslanger digitaler Pranger.

Deutsche Überwachungsfreunde, die den Manns nacheifern wollen, müssen gar nicht viel Geld ausgeben. Die dazu nötige Technik bietet eine hiesige Großmarktkette inzwischen zu Schnäppchenpreisen an. Eine wetterfeste Farbkamera mit Nachtsichtfunktion findet der nette Voyeur von nebenan samt dem Monitor, an den sie ihre Bilder funkt, im Sonderangebot für nur 119 Euro – Mikrofon und Mehrwertsteuer inklusive. Ein abhörsicheres Überwachungsset aus vier Kameras und digitalem Videorecorder mit Internet-Anschluss gibt es für 595 Euro, solange der Vorrat reicht.

Allerdings muss man aufpassen, dass die zu überwachenden Wesen nicht merken, dass sie unter Beobachtung stehen. Die neue Errungenschaft könnte sonst sehr schnell zu Elektronikschrott werden – wie im Fall der Kamera jenes Tierfilmer-Teams der BBC, dessen missglückte Ausspähung einer Eisbärenfamilie seit Kurzem bei YouTube zu besichtigen ist. Die Kameraleute hatten sich alle Mühe gegeben, ihr ferngesteuertes Aufnahmegerät vor Blicken und Tatzen zu schützen. Doch die Bären ließen sich nicht lange foppen. Was übers Eis kriecht, dachten sie, enthält tierisches Eiweiß und leckeres Fett, auch wenn es weiß ist wie ein Schneeklumpen und eine harte Schale hat. Das letzte, was der Kamera-Roboter sendete, war die Nahaufnahme eines enttäuschten Bärengesichts.

Auch die Einkäufer des besagten Großmarkts setzen auf einen plumpen Versuch, sich das Vertrauen der Überwachungsopfer mit Tarnung zu erschleichen. Für weniger als 60 Euro offeriert der Discounter eine Spionagekamera in einem Gehäuse, das einen Rauchmelder darstellen soll. Sollten Sie mal etwas Ungehöriges im Schilde führen und sich nicht sicher sein, ob das graue Ufo unter der Decke wirklich dem Brandschutz dient, dann bleiben Sie besser brav. Halten Sie statt dessen eine brennende Zigarette unter den Apparat. Geht kein Alarm los, wissen Sie, was zu tun ist: bitte recht freundlich!

 

ULF J. FROITZHEIM, Brillenträger, liebäugelt schon lange mit einer Spycam im Bügel seiner Sehhilfe – aber nicht, um damit Eisbären zu filmen.

TECHNOLOGY REVIEW | FEBRUAR 2011

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