Grüne PR auf dem ICE-Trittbrett

Die Grünen waren auch schon mal kritischer gegenüber der Deutschen Bahn. Heute fand ich in meiner Mailbox eine Presseinfo, in der Valerie Wilms, Sprecherin für Bahnpolitik der Bundestagsfraktion, die neuen „Ökostrom-Tarife“ der DB, die ab April in Kraft treten, hochjubelt:

„Jetzt endlich bietet die Deutsche Bahn etwas, was sich viele wünschen. Alle können endlich ohne Mehrkosten mit 100 Prozent erneuerbaren Energien fahren. Darüber freuen wir uns und dafür hat die DB auch ein Lob verdient.“

Sorry, aber das ist PR-Gewäsch. Wenn ich bei Flaute durch die abendliche Finsternis reise, kommt der Strom für „meinen“ ICE nach wie vor nicht aus Akkus, Pump- oder Druckluftspeichern. Es ist der klassische Mix, erzeugt von fossil befeuerten Kraftwerken, Atommeilern und Laufwasserturbinen, die im Dauerbetrieb laufen. „Grüne PR auf dem ICE-Trittbrett“ weiterlesen

Haarspaltende Pirokraten hassen „kostenlos“

Sebastian Heiser, Kollege bei der taz, hat sich unbeliebt gemacht, indem er das offizielle Wording der Piratenpartei vom „fahrscheinlosen Nahverkehr“ missachtet und statt dessen im Klartext „kostenlos“ geschrieben hat. Auf die Proteste reagierte er – wie der Freischreiber-Newsletter meldet – mit der Gegenüberstellung eines von ihm verfassten „falschen“ (also normalen) Textes mit einem „richtigen“, der von vorne bis hinten aus formal korrekten Juristizismen und offiziellen Lesarten zusammengesetzt ist.

Der Schuss ging allerdings nach hinten los. Die Kommentarspalte ist voll von Leserpostings, in denen das bürokratendeutsche Geschwalle als besser bezeichnet wird. (Das kann zweierlei heißen: Freunde des Amtsdeutschen sind in der Mehrheit – oder sie sind nur fleißigere Leserbriefschreiber.) Auffällig oft verteidigen die bürokratischen Besserwisser das Piratendeutsch. „Haarspaltende Pirokraten hassen „kostenlos““ weiterlesen

Die Sanftmut DB-reisender Wutbürger

Wer am Sonntag von Nordrhein-Westfalen mit der Bahn in den Süden wollte, brauchte Nehmerqualitäten. Es war ja nicht ein Fernschnellzug, bei dem die DB Chaos veranstaltete, sondern derer mindestens drei. Einer davon war ein Intercity, der von Hamburg über Münster, Köln, Mainz und Hanau nach Nürnberg zockelt und dafür neun Stunden braucht. Dieser Zug musste nicht nur an einer spontan eingerichteten Baustelle im Norden Westfalens vorbeischleichen, nein, er litt auch unter Personal mit schwerer Dyskalkulie. So erfuhren die wartenden Fahrgäste an rheinischen Bahnsteigen, dass die DB-Mitarbeiter im hohen Norden am Versuch gescheitert waren, das rollende Material korrekt durchzunummerieren:

 „Der Wagen 5 befindet sich zwischen Wagen 6 und Wagen 7. Die Platzreservierungen aus Wagen 5 finden Sie in Wagen 7.“

In meiner Jugend, also in der analogen Bahnsteinzeit vor Erfindung des Reisendeninformationssystems RIS, hätte man einfach ein paar Blechtäfelchen an Waggontüren umgesteckt. „Die Sanftmut DB-reisender Wutbürger“ weiterlesen

Neulich im Tragikomödienstadl

Es ist einfach nur traurig, was Hass aus Menschen macht: Die einen erfinden und streuen bösartige Gerüchte über ihre Feinde. Die anderen denken sich Verbalinjurien aus. Dritte entwickeln sich zu Prozesshanseln, die wegen jeder Petitesse vor Gericht ziehen — zum Beispiel um sich von dem Verdacht reinzuwaschen, sie hätten ihre Gedanken auf mädchenhaft roséfarbenem Papier ausgedruckt, obwohl nachweislich andere schuldig waren an dem für jeden aufrechten Macho unerträglichen Fauxpas. Manchen Typen reicht eines dieser drei Werkzeuge nicht: Sie wechseln nach gusto zwischen Ehrabschneiderei, Mobbing und Hanseltum. Andere niederzumachen, wird ihnen zum Lebensinhalt, das Internet zum Lebensraum, die Camouflage zur Lebensart. Gegen ihre so miesen wie billigen Tricks hilft kein Reputation Defender.

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Klingelnde Tickets

Wieder einmal sollen unmoderne Dinge wie Fahrkarten und Schlüssel verschwinden – jetzt im Handy.

In Hongkong und Tokio kann man viele beobachten, in Hanau ein paar, demnächst auch welche in Potsdam und Berlin: Menschen, die mit ihrem Handy herumfuchteln, bevor sie ein öffentliches Verkehrsmittel entern. Was ihre Mobiltelefone von normalen Modellen unterscheidet, ist Technik, die nicht nur Skifahrer bislang für Schnee von gestern hielten: In die Rückwand ist eine kontaktlose Smartcard integriert. Dank NFC (Near Field Communication) mutiert der Quasselquader zum E-Geldbeutel mit Fächern für virtuelle Fahrscheine, Mitgliedsausweise, Eintrittskarten, eines Tages vielleicht sogar Hausschlüssel. Zumindest stellen sich Nokia, Vodafone, die Bahn und einige andere so die Zukunft vor.

Schöne neue Reisewelt: Das mobile Telefon macht seinen Besitzer mobil. Der steigt spontan ein, ohne Tarifgegrübel und Automatengefummel. Hält er das Teil vors Terminal am Bahnsteig („Touchpoint“), checkt ihn der Computer ein für den Zug nach Irgendwo. Abgerechnet wird am Ziel. Klingt praktisch, ist tückisch. Wer steigt in den Zug, ohne zu ahnen, was die Reise kostet? Okay, er könnte sich via Mobilfunk informieren. Wer das schafft, bestellt aber auch gleich das Ticket per MMS. Wer am Ziel das Aus-checken vergisst, weil just in dem Moment die Freundin auf seinem Fahrschein anruft, hat auch keinen Spaß: Er zahlt bis zum Beweis des Gegenteils für die Strecke bis zur Endstation. Lustig aber wird das Hauen und Stechen an den Touchpoints werden, wenn eine verspätete S-Bahn in 30 Sekunden 300 eilige Pendler auf den überfüllten Bahnsteig spuckt, die alle auschecken müssen.

Zum Glück plant die Bahn vorerst keinen NFC-Zwang nach dem Vorbild asiatischer Metropolen, wo Drehkreuze den Menschenstrom kanalisieren. Dass Menschen am Durchlass ihr Handy zücken, ist allerdings auch in Fernost nicht normal. Noch halten die meisten Leute hier eine ordinäre Chipkarte an den Touchpoint – die gibt es am Schalter zu kaufen, ganz anonym. Und selbst in personalisierten Varianten kommt NFC nicht immer als Telefon daher: In den USA verkauft Mastercard einen Schlüsselanhänger als Kleingeldersatz, in Hongkong öffnen Armbanduhren das Drehkreuz der U-Bahn.

Neu ist auch das nicht: Stammgäste österreichischer Skilifte trugen schon vor 15 Jahren die Uhr-Form dieser Technik am Arm.

Aus der Technology Review 5/2007, Kolumne FROITZELEIEN