Was war noch mal Wissenschaft, liebe Politiker?

Anlässlich der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen habe ich mir wieder einmal ein paar Gedanken darüber gemacht, warum so viele Menschen Verständnisprobleme mit den Naturwissenschaften haben oder warum sie Wissenschaftlern weniger trauen als ihrer trügerischen Intuition. Auslöser war ein Tweet des guten Lars Fischer, dem eigentlich jeder „folgen“ sollte, der sich für Fakten interessiert, für welche die Wissenschaft im weitesten Sinne zuständig ist. Weil ich Twitter-Threads mit Dutzenden von Häppchen hasse, schreibe ich das hier auf und setze auf Twitter nur den Link.

Unlängst berichtete die SZ über einen Beschluss des Bayerischen Landtags, der mit schwarzen und grünen Stimmen gefasst wurde, aber geeignet ist, Zweifel an der Rationalität der Mandatsträger zu wecken, welche mit Ja gestimmt haben:

„Mit einer medizinischen Studie soll die Staatsregierung klären, ob durch homöopathische Mittel der Einsatz von Antibiotika reduziert werden kann.“

Bei der Einführung der Masern-Impfpflicht konnten sich die Bundestags-Grünen nicht durchringen, Jens Spahn zuzustimmen, und vor ihrem Parteitag am Wochenende hat die Parteispitze der Grünen nun auch noch einen Antrag gegen die Kostenerstattung für homöopathische Behandlungen durch die Krankenkassen ausgebremst. Interne Kritiker beklagen sich schon länger über Parteifreunde, die bei der Wissenschaft Rosinenpickerei betrieben: Sind nur Erkenntnisse willkommen, die mit den eigenen Glaubenssätzen kompatibel sind? Eine Kommission soll sich nun damit befassen, was Wissenschaft eigentlich ist und soll.

Eines vorab: Es gibt keinen Grund zum Grünen-Bashing, weil jede Partei in diesem Land befürchten muss, nicht wenige Wähler zu verlieren, wenn sie sich offensiv für eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik einsetzt. Die SPD-Fraktion im Maximilianeum hatte tapfer geschlossen gegen den Antrag votiert, „Was war noch mal Wissenschaft, liebe Politiker?“ weiterlesen

Social Media oder: Die Demokratie im TL;DR-Zeitalter

Es ist Zeit, grundsätzlich zu werden. Unsere Demokratie ist in Gefahr. Damit meine ich nicht die Gefahr durch die Leute, die einem Björn Höcke nachrennen oder meinen, sie fänden seriöse Informationen auf Websites oder in YouTube-Kanälen, deren Hausgeist oder Sponsor der als KGB-Mann sozialisierte russische Präsident ist. Ich meine die Gefahr durch Verkürzung, durch das Eindampfen der politischen Kommunikation auf Twitter-Format. Wir erleben gerade den Ersatz von Information und Reflektion durch kampagnentaugliche Kampfbegriffe wie „Zensur“ und „Uploadfilter“, die den Diskurs töten und durch einen hektischen Schlagabtausch ohne Fakten und Argumente ersetzen. Aber „Too Long, Didn’t Read“ darf nicht unser Motto sein. Dann geht der Journalismus vor die Hunde – noch vor der Demokratie.

Als der Twitterer, Nationalist und Immobilienmogul @realDonaldTrump ins Weiße Haus einzog, hätte ich nicht gedacht, mir nur zwei Jahre später Sorgen um die Demokratie in Deutschland und Europa machen zu müssen. Das hat nichts mit selbsternannten Konservativen zu tun, die sich in Wirklichkeit einen autoritären Staat wünschen und Programme russischer Sender gucken. Die Gefahr besteht weder darin, dass eine Minderheit von 15 oder 20 Prozent der Bevölkerung erschreckend unmenschliche Ansichten hat, noch darin, dass manche Gutmeinenden so bevormundend auftreten, dass es die Fiesen provoziert, noch fieser zu werden. Sie lauert eine Etage tiefer: in den sich wandelnden Strukturen der elektronischen Kommunikation, die es den Höckes und Putins erleichtern, Menschen zu beeinflussen und zu instrumentalisieren (und in der Tatsache, dass die Schulen bis heute unzureichend erklären, wie Meinungsbildung im Internet abläuft). Dies hat nämlich nichts mit den von Freiheitssehnsüchten getragenen Idealen zu tun, die in den Anfängen unserer kulturgeschichtlichen Epoche – so vor 25, 30 Jahren – populär wurden. Es erinnert vielmehr an Edward Bernays, den Vater der modernen PR und Autor des berühmt-berüchtigten Buchs „Propaganda“. „Social Media oder: Die Demokratie im TL;DR-Zeitalter“ weiterlesen

BJV vs. Staatskanzlei: Besser nie als so spät

Ja, natürlich ist es eine Instinktlosigkeit sondergleichen von Staatsminister Thomas Kreuzer, dass er einen „Runden Tisch mit Vertretern führender deutscher Medien- und Internetunternehmen sowie Vertretern der Netz- und der Medienpolitik aus Land und Bund“ einberufen hat, ohne dass Journalistenvertreter mit dabei saßen. Es wäre auch okay gewesen, wenn der Bayerische Journalisten-Verband (BJV) die Stimme derer gewesen wäre, ohne deren Arbeit die beteiligten Unternehmen gar keine Inhalte hätten, über die sie mit Kreuzer palavern können.

Nicht okay ist, dass der BJV eine ganze Arbeitswoche braucht, um gegen diese Frechheit zu protestieren. Vorigen Montag ging die Pressemitteilung der Staatskanzlei raus, die BJV-Reaktion am Freitag. Allerdings erwarte ich vom Vorstand meines Berufsverbandes eigentlich, dass er sich gar nicht erst zu empören braucht, weil er gute Kontakte zum „Medienminister“ pflegt. Für Kreuzer müsste der BJV so relevant sein, dass er ihn gar nicht vergessen kann. Wenn aber passiert, was passiert ist, hält man wohl besser die Klappe – und nimmt sich den Büroleiter des Staatsministers so zur Brust, dass er einen kein zweites Mal vergisst.

Nicht okay ist aber wohl auch, dass der BJV nichts von den Vorbereitungen mitbekommen hat, obwohl der Entschluss, dieses Treffen abzuhalten, bereits auf den Medientagen 2012 gefallen war. Was ist das denn für eine Lobbyarbeit?

Haarspaltende Pirokraten hassen „kostenlos“

Sebastian Heiser, Kollege bei der taz, hat sich unbeliebt gemacht, indem er das offizielle Wording der Piratenpartei vom „fahrscheinlosen Nahverkehr“ missachtet und statt dessen im Klartext „kostenlos“ geschrieben hat. Auf die Proteste reagierte er – wie der Freischreiber-Newsletter meldet – mit der Gegenüberstellung eines von ihm verfassten „falschen“ (also normalen) Textes mit einem „richtigen“, der von vorne bis hinten aus formal korrekten Juristizismen und offiziellen Lesarten zusammengesetzt ist.

Der Schuss ging allerdings nach hinten los. Die Kommentarspalte ist voll von Leserpostings, in denen das bürokratendeutsche Geschwalle als besser bezeichnet wird. (Das kann zweierlei heißen: Freunde des Amtsdeutschen sind in der Mehrheit – oder sie sind nur fleißigere Leserbriefschreiber.) Auffällig oft verteidigen die bürokratischen Besserwisser das Piratendeutsch. „Haarspaltende Pirokraten hassen „kostenlos““ weiterlesen

Wer kennt, nein, beeinflusst wen?

Annik Rubens hat sich ihre Gedanken über Klout gemacht. Daraufhin habe ich mal nachgesehen, was Klout so alles behauptet, wer wen beeinflusst. Hochinteressant ist, dass Klout zu einem gewissen Herrn Beckedahl gar keinen Treffer bringt. Aber auch sonst sind die Ergebnisse, nun ja, ernüchternd. Wenn ein Personalchef sich wirklich an Klout-Scores orientiert, sollte er sich selbst die Papiere geben.

Oder glaubt zum Beispiel irgendein Lobbyist, dass man über eine nette Ex-Piratenbraut, einen Kalauerkönig und einen Karikaturisten an den Bundesumweltminister herankommt?

Marina, Marina, Marina, Du bist die Größte für mich. Dein Peter.