Zu dumm zum Abschreiben

Schlechtes Gewissen: Ich habe meine Blog-Rubrik „Ja, liest denn keiner mehr gegen?“ lange vernachlässigt. Kürzlich gab es wieder mal einen Fall, der dermaßen peinlich für ein großes deutsches Medium ist, dass ich nicht anders kann, als die Rubrik wieder aufleben zu lassen. Da kupfert der „stern“ – der in der Zeit, als Dominik Wichmann Chefredakteur war, wieder so lesenswert geworden war, dass ich ihn abonnierte – einen Beitrag mehr schlecht als recht beim Guardian ab, verschlimmbessert ihn aber durch selbst Hinzugefügtes. An dieser Stelle schon mal ein Spoiler: Es geht wieder mal um das Ammenmärchen vom Kühlschrank, der Milch bestellt.

Als ich gestern nach Ablieferung der fünften Folge meiner brandeins-Serie über Chancen und Herausforderungen des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft – diesmal geht es um Wegwerfgesellschaft und Kreislaufwirtschaft – den Computer aufräumte, sprang mich eine „stern“-Fundsache aus dem Juni an. „Zu dumm zum Abschreiben“ weiterlesen

Mehr Offenheit bitte, lieber BJV-Vorstand!

Aktueller Nachtrag vom Dienstagabend: An diesem Mittwoch stellt der BJV seinen Mitgliedern jetzt doch den Etat bereit. Das Passwort kommt per Mail.

Aus gegebenem Anlass muss ich heute dem Vorstand meines Berufsverbandes ins Gewissen reden, in dem ich mich in den vergangenen 36 Jahren in verschiedensten Funktion engagiert habe. Ja, es geht um den Bayerischen Journalisten-Verband, der mir sehr am Herzen liegt und der leider schwere Zeiten durchmacht. Da unser Berufsstand bekanntermaßen schrumpft, ist es eine logische Folge, dass sich auch der BJV – so wohlgenährt er angesichts eines erzsoliden, über die Jahrzehnte angesparten finanziellen Fettpolsters auch sein mag – einem Downsizing stellen muss.

Das Wie ist allerdings eine Herausforderung, und zwar eine, der man mit der in unseren Funktionärsreihen noch immer zu oft gepflegten Attitüde „Ehrenamt macht Spaß“ nicht gerecht werden kann, wenn nicht eine ordentliche Portion an Willen hinzukommt, immer wieder auch Dinge zu tun, die niemandem Spaß machen. Wir haben aufgrund der Tatsache, dass man sich seine Funktionäre meist nicht aussuchen kann – es sei denn, man rafft sich selbst zu einer Kandidatur auf und lässt sich wählen – beide Spezies in unseren Reihen. Es gibt immer ein paar idealistische Workoholics, die was stemmen und die ich echt cool finde, aber nie genug von ihnen für alle zu besetzenden Ämter. Dafür gibt es viel zu viele Absagen von klugen Leuten, die alle supergute Ausreden Gründe dafür finden, dass sie leider keine „Zeit“ haben. Denn sie ahnen, dass sie am Ende die Dummen wären, wenn sie anderen die gemeinwohlige Arbeit abnähmen. Solange es eine oder einen gibt, der freiwillig den Job übernimmt, lässt man gerne Fünfe gerade sein. In diesem Umfeld kommen Vertreter der Spaßfraktion erstaunlich weit, und wenn es gut geht, werden die Hedonisten bei Bedarf von der Workoholic-Fraktion zum Jagen getragen.

Erster Etat nach der Beitragserhöhung

In dieser Situation begibt es sich also jetzt, dass sich unser ehrenamtlicher, seit Ende Mai 2019 amtierender Landesvorstand im Vorfeld der anstehenden Mitgliederversammlung in Geheimniskrämerei ergeht. Am Samstag muss sich die Crew im Pullacher Bürgerhaus – erstmals in der jetzigen Formation – der vereinsrechtlichen Entlastung stellen, und sie wird den ersten Jahresetat zur Abstimmung stellen, in dem sich die voriges Jahr im Hauruckverfahren durchgezogene Beitragserhöhung voll auswirkt.
Kein Witz: Über was genau wir da entscheiden sollen, wissen wir nicht. Der Geschäftsführende Vorstand und sein angestellter Geschäftsführer haben nicht etwa vergessen, uns zu informieren, sondern lassen uns bewusst bis zum letzten Moment  im Ungewissen:
Screenshot von der Seite https://www.bjv.de/bjv20
Ich würde jetzt gerne behaupten können, das sei ja bestimmt nett gemeint und die Führungsfrauschaft mit dem Alpha-Hahn im Korb spanne uns nur auf die Folter, damit es eine gelungene Überraschung für uns wird, um uns dann in unsere entzückten Gesichter zu blicken ob all der tollen Ideen, die sie nun mit unserem schönen Geld realisieren können. 

Neu in diesem Theater: Herrschaftswissen

In meiner Eigenschaft als notorischer „Querdenker“ vom Dienst (der Titel wurde mir vor Jahren von unserem Chefhedonisten verliehen) gehöre ich allerdings zu denen, die gerne selbst denken und Zahlen auch mal nachrechnen, vor allem wenn ich dabei mitbezahle. Das war in den ersten dreieinhalb Jahrzehnten meiner BJV-Mitgliedschaft auch nie ein Problem. Immer stellten Schatzmeister und Geschäftsführer die Jahresabrechnung und den Finanzplan beizeiten zur Lektüre bereit, so dass man sich gewissenhaft und ganz in Ruhe auf die Haushaltsberatung vorbereiten konnte. Seit vorigem Jahr werden die Finanzen von den gewählten Primi und Primae inter pares wie Herrschaftswissen behandelt – wobei dieser Anspruch auf dem Missverständnis beruht, dass ein Berufsverband wie wir, der sich schon immer zugleich als Gewerkschaft verstand, keine Herrschaft von Funktionären kennt. Der Souverän ist die Mitgliederversammlung, zu der jedes Mitglied Zutritt und auf der es volles Stimmrecht hat. 

Unangebrachte Zurückhaltung

Jedenfalls kann man die Chose vergleichen mit der Etatdebatte im Bundestag, bei der ein neuer Finanzminister den Abgeordneten erklären muss, zu welchen Wohltaten die 15-prozentige Steuererhöhung denn nun führen wird. Ein Olaf Scholz kann den Parlamentariern den Bundeshaushalt nicht erst beim Betreten des Plenarsaals aushändigen lassen. 
Deshalb möchte ich, und nicht nur ich, hier und jetzt und sofort den Etat 2020 einsehen können. Ich weiß ja, dass er inhaltlich fertig ist, das kann schon aus logistischen Gründen gar nicht anders sein, weil er in fünf Tagen gedruckt vorliegen muss und sich der Postversand von der Druckerei manchmal ein bisschen hinzieht. Ich schätze, spätestens am Mittwoch werden die zum Einleger gefalzten A-3-Bögen in der Geschäftsstelle liegen. Und dann würde ich gerne hören, was die MitarbeiterInnen einem Mitglied sagen, das persönlich vorbeikommt und um ein Exemplar bittet.

Bitte sagt mir: Warum?

Warum mein Verband mir und anderen die Informationen vorenthält, die ich für eine qualifizierte Einschätzung unserer Einnahmen und Ausgaben benötige, konnte mir noch niemand erklären. Zuerst war es noch nicht soweit. Vorige Woche habe ich Mitglieder des Landesvorstands, dem ich selbst lange genug angehörte, gefragt, ob denn wenigstens ihnen aufgrund ihrer Funktion der Haushalt vorliege. Denn so kenne ich das von früher: Bevor die Zahlen veröffentlicht wurden, präsentierte sie der Schatzmeister uns Vorständlern zur wohlwollenden Prüfung.
Aber Fehlanzeige. Selbst wer im BJV einer Fachgruppe oder einem Bezirksverband vorsteht, kennt die Zahlen, über die wir alle am Samstag beraten und abstimmen sollen, offenbar bis heute nicht. Auf die für diesen Montag avisierte Antwort eines Mitglieds des Geschäftsführenden Vorstands warte ich noch. Und aus herrschaftswissenstechnischer Hinsicht bin ich nicht irgendwer: Formal bin ich immer noch stellvertretendes Vorstandsmitglied dieses Vereins. Doch auch ich musste mich mit der Vorab-Auskunft begnügen: „Wir haben beschlossen, dass der Etat VOR der Mitgliederversammlung bekanntgemacht wird.“ Streng genommen steht die Geheimniskrämerei nicht im Widerspruch dazu: Fünf Minuten vor der MV ist immer noch davor und nicht danach.
Aber der Haare sind genug gespalten. Als Wirtschaftsjournalist kenne ich solches Mauern, Abblocken und Zeitschinden von Pressestellen von Konzernen, die unangenehme Wahrheiten vor der Öffentlichkeit verbergen wollen. Ich hoffe sehr, dass dem Geschäftsführenden Vorstand eine gute Erklärung dafür einfällt, weshalb wir Beitragszahler nicht einmal über einen passwortgeschützten Zugang in Ruhe anschauen können, wofür unser Geld verplant ist.

Avanti! Dilettanti?

Dass Silke Burmester wütend ist, haben inzwischen viele Menschen mitbekommen. Die Kollegin, die einst die „Freischreiber“ mitbegründet hat, ist auch keineswegs grundlos wütend, wenn sie sich echauffiert über Billiglöhnerei im Journalismus. Eher ist die Frage: Warum erst jetzt?

Über den Newsletter ihres Berufsverbandes habe ich heute erfahren, dass Burmester im Deutschlandfunk noch mal eine Schippe draufgelegt hat – und sich offenbar schon als Markenzeichen eines Kampfs begreift, für den sie Mitstreiter sucht. Sie ruft nämlich eine „BurAGENDA-2017“ aus, dank derer man künftig vom Journalismus leben können soll, wenn man seinen Beruf ernst nimmt. Ich würde es ja so ausdrücken, dass man GUT davon leben können sollte, so gut wie andere qualifizierte Berufstätige, und vielleicht sogar besser als andere unterbezahlte qualifizierte Berufstätige wie Erzieherinnen oder Altenpfleger.

Aber schauen wir uns Burmesters Rant mal näher an, in dem sie nach allen Regeln der Polemik eine Zukunft an die Wand malt, in der unseren Beruf „ausschließlich Erben und Lottogewinner ausüben können“. Natürlich bekommen die Verlegerfunktionäre Mathias Döpfner und Rudolf Thiemann als Übliche Verdächtige ihre Ladung Fett weg, aber die ihnen zur Last gelegte „Schrottifizierung der Branche“, die „der vierten Macht im Staat“ zusetze, ist und bleibt ein anderes Thema als die miesen Zeilengelder bei vielen Zeitungen. Es sind zwei Phänomene. Springer zahlt vergleichsweise anständig, „Avanti! Dilettanti?“ weiterlesen

NZZ liegt bei Blockchain daneben

Über eine ganz besondere „Revolution des Denkens“ lässt sich der Autor Milosz Matuschek in der heutigen „Neuen Zürcher Zeitung“ aus. Auslöser dieses Umsturzes sollen jene „Vordenker, Programmierer und Unternehmer“ sein, die uns „die“ Blockchain beschert haben, also die Datenbank-Technik der Bitcoin-Welt. Leider offenbart der Verfasser – als studierter Jurist nicht vom Fach – ein nicht allzu tiefes Verständnis der Materie.

So inspirierte ihn die von den Propagandisten vorgeblicher Krypto-„Währungen“ in die Medien gepresste Informationsflut zu der rhetorischen Frage:

Kann das, was für die Technologie gilt, nicht auch für soziale Systeme gelten, für die politische Teilhabe, das Wirtschafts- und Geldsystem und letztlich die Funktionsweise von Gesellschaften insgesamt?

Sprich: Matuschek traut „der“ Blockchain-Technik eine disruptive gesellschaftliche Kraft zu. Ihren Charme sieht er in der „weitgehenden Neutralisierung von Mittelsmännern und Gatekeepern“. Das liest sich so, als seien Vermittler etwas Unnützes und Hinderliches – „NZZ liegt bei Blockchain daneben“ weiterlesen

Energiespar-Ente

Ich schätze eigentlich die Süddeutsche Zeitung sehr, aber gelegentlich rutscht der Redaktion ein kapitales Federvieh durch. So war es am Dienstag dieser Woche, also bei der Produktion der Mittwochsausgabe, genauer: Es war der Aufmacher auf Seite 1. „Geräte-Tests schönen Stromverbrauch“, lautete die Schlagzeile, und im Text ging es um eine „aktuelle Studie mehrerer europäischer Umweltschutzorganisationen, die der Süddeutschen Zeitung vorlag“. Dazu ist zunächst anzumerken, dass 1.) besagte Studie jedem vorliegt, der auf diesen Link klickt, weshalb es verwundert, dass der Autor die Vergangenheitsform wählte und uns irgendeine Exklusivität vorraunt, und dass 2.) die vier Urheber der Studie mit „europäische Umweltschutzorganisationen“ – freundlich gesagt – unkorrekt beschrieben sind (s.u.*).

Aber zur Sache: Richtig stutzig wurde ich in der zweiten Spalte, wo es reißerisch heißt, „jeder Haushalt könne jährlich fast 500 Euro“ an Energiekosten sparen, wenn strengere Effizienzregeln gälten – und das bereits bis 2020. Nanu? Hieß es nicht gerade, es gehe darum, „den Energieverbrauch in Europa um fast ein Zehntel zu senken“? Verbraucht ein Durchschnittshaushalt denn etwa Strom im Wert von 5000 Euro? Schließlich dreht sich die Studie ausschließlich um Elektrogeräte.

Natürlich ist die Zahl so eklatant neben der Kappe, dass es jedem auffallen müsste, der seine Stromrechnung nicht vom Hausverwalter seiner 20-Zimmer-Villa überweisen lässt. „Energiespar-Ente“ weiterlesen