Wie sich „Mr. Chip“ Erich Lejeune selbst öffentlich bloßstellte

Der folgende Text entstand vor über 20 Jahren, im Herbst 1990. Aufhänger war das Buch »Mr. Chip«, das sich Erich J. Lejeune gerade hatte geistschreiben lassen. Wer wissen möchte, was aus dem Mann geworden ist, kann das in einem Portrait nachlesen, das am am 28. Februar 2012 in der Süddeutschen Zeitung erschien – weil der Unternehmer einen Philosophie-Lehrstuhl sponsert. Der SZ-Redakteur verlegt darin allerdings irrtümlich den Erscheinungstermin des Buchs in die Zeit des Börsengangs seiner CE Consumer Electronic AG, also ins Jahr 1998. Da hatte »Mr. Chip« längst die Remissions- und Wühltischphase hinter sich. In Amazon-Shops kann man das Werk noch antiquarisch erstehen – als Taschenbuchausgabe von 2001, für einen Cent plus unverschämtes Porto. 

Lust am eigenen ICH

aus highTech 10/1990

Er ist der bunte Hund der Elektronikbranche. Mit missionarischem Eifer wettert er gegen die Schlafmützigkeit deutscher Technokraten, gegen die wirklich Großen seiner Branche und den Technologieminister in Bonn. Jetzt macht sich Chip-Großhändler Erich J. Lejeune selbst unmöglich – als Autor eines egozentrischen Buches.

TV-Talkmaster Geert Müller-Gerbes buddelt ellbogentief in der Komplimentenkiste. Ein Vergleich mit dem internationalen Bestseller des Chrysler-Bosses Lee »lacocca wäre sicherlich nicht zu hoch gegriffen«, schwärmt der Publikumsliebling der RTL-plus-Zuschauer von dem neuen Buch »Mr. Chip – eine deutsche Karriere«. Dabei sei der so gepriesene Starautor »ein Mann, den man noch nicht kennt«.

Damit dieser ungeheuerliche Missstand möglichst rasch behoben wird, hat der Bergisch Gladbacher Verleger Gustav Lübbe (»Jerry Cotton«) keinen Geringeren als eben Müller-Gerbes engagiert – zwecks Moderation eines Videoclips, der auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober für die spektakuläre Neuerscheinung werben soll. In einer flankierenden Maßnahme führt das »Goldene Blatt«, der Herz-und-Kronen-Titel aus Lübbes Zeitschriftenverlag Bastei, den Noch-Nobody bei seinen Leser(inne)n als Topmanager ein – zwischen Prominenten wie Willy Millowitsch, Konsul Weyer, Roberto Blanco und Helmut Kohl: Erich J. Lejeune aus München alias »Mr. Chip« kommentiert den WM-Erfolg der deutschen Fußball-Nationalelf.

So unbekannt, wie ihn Müller-Gerbes in dem Filmchen hinstellt, ist Erich J. Lejeune allerdings wohl nur bei der Leserschaft der Regenbogenpresse. In Industriekreisen dagegen hat der 46jährige Nachwuchsliterat bereits zur Genüge auf sich und sein Talent aufmerksam gemacht und mehr als einmal die Lachmuskeln seiner selbsternannten Gegner strapaziert: als Enfant terrible, als schillerndste Figur der Elektronikbranche – und als begnadeter Selbstdarsteller, der sich auch nie scheute, für ein kurzes Gespräch über sein Lieblingsthema Politikern wie weiland Franz Josef Strauß oder Spitzenmanagern wie Max Grundig, Eberhard von Brauchitsch und Alfred Herrhausen nachzulaufen.

Lejeunes in vielfältigsten Variationen bis zum Gähnen immer wieder strapazierte Botschaft lautet: Die Deutschen haben in der Mikroelektronik den Anschluss verschlafen, weil nur die bürokratische Großindustrie aus Steuergeldern subventioniert wird und nicht der viel leistungsfähigere Mittelstand. Immerhin, die Penetranz diente stets dem Geschäft: Der quirlige Unternehmer beschafft über eigene Einkäufer in Tokio und im Silicon Valley kurzfristig elektronische Bauteile, wenn offizielle Vertriebskanäle verstopft sind – er selbst bezeichnet sich gerne als Feuerwehrmann, als den Red Adair der Elektronik.

Allerdings fühlt sich der geschäftsführende Gesellschafter der Firmen Consumer Electronic Handelshaus GmbH und ce Consumer Electronic GmbH in seinem Hauptberuf als Chip-Makler nicht ganz ausgelastet. Zwar läßt Lejeune schon 1986 als zusätzlichen Geschäftszweck der ce das »Consulting jeglicher Art in USA, Japan und Europa« ins Handelsregister eintragen. Doch auch auf diesem Weg kann er seinen schier unerschöpflichen Mitteilungsdrang nicht befriedigen. So zieht es Lejeune bald zu den privaten Münchner Funkmedien: Er posiert als freier Mitarbeiter von Radio Charivari, kauft sich für 60 000 Mark bei einer privaten Fernsehstation kostbare Sendeminuten, um sich selbst als Moderator von Gesprächsrunden mit anderen Unternehmern in Szene zu setzen. Schließlich stellt »Chip-Erich« (Spitzname im Sender) gar einen Aufnahmeantrag beim Bayerischen Journalistenverband, um an einen offiziellen Presseausweis zu gelangen. Dass er jetzt seine Autobiographie vorlegt, ist insofern keine besondere Überraschung.

Was an Selbstbespiegelung durch jede Zeile des Lejeune-Buches trieft, scheint durchaus auch als Lehrstoff für angehende Psychologen geeignet. In hemmungsloser Offenheit – ganz nach dem Hollywood-Raster »vom Tellerwäscher zum Multimillionär« packt der Meister ohne Rücksicht auf sich selbst und andere aus: Wie er als naiver Halbstarker wegen Hehlerei zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt wird, nur weil er seinem » Lieferanten « nichts Übles zugetraut hat; wie Großvater Lejeune nachts in Damenbegleitung nach Hause kommt und die Oma frech bittet: »Agnes, mach uns doch noch eine Tasse Kaffee«; wie Vater Lejeune regelmäßig freitags den gesamten Wochenlohn vertrinkt und schließlich im Obdachlosenasyl landet; wie er selbst als junger Antennen- und Radioverkäufer dahinter kommt, dass seine Flamme »Bambi« als Animiermädchen jobbt; wie er sich vom hungrigen Hinterhofkind zum 500-SL-Fahrer mit Penthouse am Englischen Garten hochkämpft; wie er in New York Opfer eines Beischlafdiebstahls wird; und wie er nach einem Misserfolg und dein Tod seiner über alles geliebten Großmutter schon von der Großhesseloher Brücke in die Isar springen will, dann aber doch lieber weiterlebt.

Auch Lesern aus Wirtschaft und Industrie, denen intime Details über die familiären Probleme des kleinen und des erwachsenen Erich eher gleichgültig sind, haben Memoirenschreiber Lejeune (CSU-Mitglied) und sein Ghostwriter Julian Gyger (Pressesprecher der bayerischen SPD-Landtagsfraktion) Schmökerstoff zu bieten. Etwa über die interessante Frage, wie sehr sich Emotionen bisweilen aufs Geschäft auswirken: Kapitelweise verbreitet sich der selbsternannte »Mr. Chip« in bester Dallas-Manier über das Verhältnis zu seinem Ex-Chef, dem Antennengroßhändler Hans-Michael S. aus M. Dieser Mann, Lejeunes Idol in jenen Jahren, protegiert seinen »Sunny«, nutzt ihn bei nächster Gelegenheit aus und macht ihm wieder teure Geschenke, um seinen Liebling schließlich – bedrängt von der offenbar eifersüchtigen, am Geschäft beteiligten Ehefrau – fallen zu lassen. Gefühle und persönliche Erlebnisse sind der rote Faden des Buches. Anleitungen zur Karriereplanung oder gar konkrete Enthüllungen über die Zustände in der Elektronikindustrie sucht der Leser in »Mr. Chip« vergeblich. Für den Autor steht die Elektronik im Mittelpunkt der Welt, und im Zentrum der Elektronikwelt steht Erich J. Lejeune. So blitzt in dieser autobiographischen Anekdotensammlung immer wieder der beinahe kindliche Stolz des Autors auf: der Stolz über errungene Statussymbole oder geschäftliche Erfolge, angefangen beim weißen Kittel im Antennenladen über den Mercedes-Stern und eine hübsche Freundin bis hin zum ersten dicken Auftrag von der Nixdorf AG. »Ich fühlte mich so unbändig stark«, beschreibt der Hobby-Schriftsteller seine Empfindungen etwa nach dem Nixdorf-Coup, »dass ich das Gefühl hatte, das Flugzeug fliege allein durch meine Kraft.« Eher beiläufig erfährt der Leser, wie sich ein Wettbewerbsverbot dadurch umgehen läßt, dass eine Sekretärin brav fürs Gericht die Geschäftsführerin spielt, so geschehen bei der Gründung des Unternehmens im Jahr 1976.

Aber hatten Lejeunes hoch dotierte PR-Berater das Buch nicht auch seit Monaten als »scharfe Abrechnung mit der verfehlten Industriepolitik in Deutschland und Europa« angepriesen? Deswegen schließlich hatte sich ja Professor Wolfgang Rienecker, der Unternehmer und Hochschullehrer, gerne bereitgefunden, als wissenschaftlicher Berater an dem Buch mitzuwirken. Die Bevölkerung müsse endlich wachgerüttelt werden, auch auf diesem ungewöhnlichen Wege: »Solange die Schöpfkelle ins Volle geht«, philosophiert Rienecker über die Gleichgültigkeit in Wirtschaft und Politik, »macht man sich keine Gedanken darüber, wie weit es noch bis zum Boden ist.«

Das ist Wasser auf die Mühlen von Mr. Chip. Wer sich durch seine Memoiren durchkämpft, findet – als neuen Aufguss altbekannter Weisheiten – flammende Plädoyers für ein radikales Umdenken in Industrie- und Regierungskreisen. Weltbürger Lejeune gibt Ratschläge für den Umgang mit japanischen Managern und deutschen Untergebenen, enthüllt die Rolle des anwenderspezifischen Schaltkreises (Asic) als trojanisches Pferd in der japanischen Industriespionage, doziert über die Gründe der Chip-Abhängigkeit deutscher Unternehmen und beklagt den jammervollen Niedergang der bayerischen Wirtschaftspolitik mit dem Ableben von Franz Josef Strauß.

Der Verlag hat für dieses bemerkenswerte Puzzle der Eitelkeiten auch schon ein maßgeschneidertes Marketing entwickelt: Dieser »Knaller, der uns aufhorchen macht« (Müller-Gerbes) sei eine »Absage an Pessimismus, Miesmacherei und Selbstmitleid« und ein »ziemlich eindrucksvolles Plädoyer für Zukunftsoptimismus, für positives Denken und die Lust am eigenen Land«. Oder, im Jargon des Meisters: »Lieber reich und gesund als arm und krank.«

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5 Antworten auf „Wie sich „Mr. Chip“ Erich Lejeune selbst öffentlich bloßstellte“

  1. Gestern am 14.06.2014 kam etwa 20h15 auf muenchen.tv eine Sendung zum „70-sten Geburtstag“ von Erich Lejeune. Laut Lejeune wurde sein Vater in Stalingrad (das war Anfang 1943) gefangengenommen und war bis 1951 in Kriegsgefangenschaft.
    Wenn Erich Lejeune im Juni 1944 geboren wurde, …………..?

    Sollte Chip-Erich seine Laudatoren auch hinters Licht geführt haben? (MP a.D. Beckstein CSU, Siemens Chef a.D. Pierer und und und.)

    1. Sein Vater war bestimmt ein Pionier der Samenspende und Erich der erste in vitro fertilisierte Embryo der Welt. 😉

      Im Ernst: Sie bestätigen, was „Herr Hirnbeiß“ schon geschrieben hat. Der Mann hat Probleme damit, sein wahres Alter zuzugeben.

  2. Lieber Herr Hirnbeiß, Sie sind aber auch nicht von dieser Welt. Franziska Bilek hat Sie für Werner Friedmanns Abendzeitung erfunden. Sie sind mitsamt Ihrem reizenden Herrn Dackel erst 1961 auf die Welt gekommen – wenn auch sofort als reifes Mannsbild um die Sechzge – können folglich nicht schon 1959 auf einem Geburtstag eingeladen gewesen sein. Heute müssten Sie um die 111 sein, aber Sie sind ja mit Ihrer Schöpferin schon vor 22 Jahren von uns gegangen. In dem Sinne: Herzlichen Dank für den Gruß aus dem Jenseits. Ihnen verzeiht Herr Lejeune sicherlich die Verbalinjurie mit dem Spinner. Und was sein Alter angeht: Da steht Aussage gegen Aussage. Als ich ihn kennenlernte, sah er bei weitem nicht wie 56 aus, so dass ich keinen Anlass hatte, auch noch an seinem Geburtsdatum zu zweifeln. Aber vielleicht pflegt er seinen Teint ja tatsächlich so gut.

    P.S.:
    Ich hab’s: Er ist bestimmt Jahrgang 1939. Mit 20 hat er sich älter gemacht, um als erwachsen zu gelten. Mit 34 hat er dann seinen ersten 39. gefeiert und das dann zehn mal wiederholt, weil’s so schön war. Gratulieren Sie ihm 2014 zum 75. und schauen Sie, wie er reagiert. Ihnen als Geistwesen kann er ja nix mehr tun.

    😉

  3. Dieser Erich Lejeune ist ein hochkarätiger Wichtigtuer.
    Er schreibt ein Buch lebe ehrlich und werde reich
    von der Basic sehr viel (abgekupfert im Style von Dale Carnegie)
    Name seines Buches -Lebe ehrlich und werde reich- Die erste Auflage hat direkt selbst gekauft und kaufen lassen.

    Er gibt vor er ist 1944 in Dorfen Bayern geboren stimmt nicht
    er ist 1934 geboren – denn ich war 1959 zu seinem 25. Geburtstag eingeladen.

    Ich habe mit seiner Ex Ehefrau lange in Muenchen in der Sonnenstr. bei Holzinger gearbeitet – sein damals schon extremes Auftreten – keiner konnte ihn ab.

    Ein Spinner vor dem Herren – nächstes Jahr im Sommer wird er 80 Jahre alt – vielleicht werde ich wieder eingeladen – aber ich werde nicht hingehen – ich bin eigentlich noch einer der Letzten aus der damiligen Muenchner Clique.

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