Singulärer Unsinn, da capo

Sind Computer bald cleverer als Menschen? Wer das glaubt, bestätigt diese These – wenn auch unfreiwillig.

Ray Kurzweil kann sagen und schreiben, was er will, seinen Ruf als Genie von Weltrang wird er einfach nicht los. In seinem ersten Leben als Erfinder hatte der amerikanische Schriftsteller Großes geleistet: Er hat Computern das Lesen, Hören und Sprechen beigebracht – zu einer Zeit, als Jobs und Gates noch No-name-Nerds waren. Später konstruierte der MIT-Absolvent den ersten Synthesizer, der einen Konzertflügel imitieren konnte. Der Ehrenplatz in der National Inventors Hall of Fame, der ihm 2002 angetragen wurde, sei dem inzwischen 60-Jährigen also von Herzen gegönnt.

Leider war mit der Würdigung des jungen Kurzweil kein Schweigegelübde für den alternden verbunden. Denn falls er glaubt, was er sagt, hat Kurzweil den Blick für die Realität lange vor dem Einzug in die Ruhmeshalle verloren. So brüstet er sich damit, unglaubliche Mengen Anti-Aging-Pillen zu schlucken, um den Tag noch zu erleben, an dem eine Melange aus Gentechnik, Nanotechnik und Robotik dem „homo s@piens“ zur Unsterblichkeit verhilft. Kühn verficht er ein „Gesetz“, laut dem das Innovationstempo quer über die Disziplinen exponentiell wachsen wird. Forschern und Entwicklern traut er weitaus mehr zu als diese sich selbst. Wer Einwände dagegen vorbringt, hat nur das Gesetz noch nicht begriffen.

Jetzt dreht der Exzentriker einen halbfiktionalen Film über seine fixe Idee: Die „Singularität“ sei nah, also der Zeitpunkt, ab dem Computer einem nicht nano-getunten Menschenhirn ebenbürtig seien – mit der Konsequenz, dass künftige Rechner ihre Nachfolger selber konstruieren sollten. Um ja nirgends lesen zu müssen „Kurzweil langweilt“, hat er den Motivationsguru Tony Robbins und den O.J.-Simpson-Verteidiger Alan Dershowitz für selbstdarstellerische Auftritte gebucht. Und auch unter Professoren und Medienleuten findet er immer wieder Multiplikatoren, die ihm helfen, seine so steilen wie angestaubten Thesen zu repetieren, und dabei großzügig übersehen, dass Kurzweil die Singularität mal auf 2045 terminiert („FAZ“), mal auf 2029 („Time“).

Ganz unplausibel ist Kurzweils Prophezeiung trotzdem nicht: Die Definition der Singularität verlangt nicht, dass Computer schlauer werden. Es reicht völlig, wenn die mediale Verdummung den Verstand des Menschen auf das Niveau des besten Computers drückt.

Aus der Technology Review 6/2008, Kolumne FROITZELEIEN

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