Energieversorger: Unterirdische Projekte

Versorger. Konzerne wie RWE, Eon und Vattenfall ventilieren große Pläne, das klimaschädliche Kohlendioxid künftig zu vergraben statt in die Luft zu blasen. Doch das ist längst nicht ausgereift – und auch keine Dauerlösung.

Text: Ulf J. Froitzheim

Capital 15/2008

Kohle hat als Energieträger nicht den besten Ruf, aber eine tüchtige Lobby. Auch Christian Ehler macht sich für sie stark, Europaabgeordneter aus dem Braunkohleland Brandenburg. Mit Blick auf seine ostdeutschen Wähler hat er Mitte Oktober in Brüssel einen ambitionierten Antrag durchgebracht: Die EU-Mitgliedsstaaten überlassen danach einen Teil ihrer CO₂-Emissionsrechte kostenlos den Betreibern von zwölf „Demonstrationskraftwerken“, die den Klimakiller CO₂ nicht in die Luft pusten, sondern abtrennen und unterirdisch lagern (siehe „CO₂ – und wie es verschwindet“). Ehler taxiert das Hilfspaket für das drecklose Dutzend auf sechs Milliarden Euro. Größter potenzieller Nutznießer: die deutsche Kohlewirtschaft.

„Carbon Capture & Storage“ (CCS), die Abschöpfung und Lagerung des Karbon-Abgases, steht in den Chefetagen von RWE, Vattenfall und Eon ganz weit oben auf der Themenliste. Die Topmanager dieser Anbieter, die zusammen etwa drei Viertel der deutschen Stromproduktion bestreiten, rechnen offenbar fest damit, einen Teil der EU-Subventionen abzuschöpfen.

Für sich allein ist die CCS-Technik bis auf weiteres sicher kein Geschäft – und technische, rechtliche und finanzielle Bedenken sind längst nicht geklärt. Nur die öffentlichkeitswirksame Vermarktung läuft bereits auf hohen Touren. Stromanbieter RWE Power ließ diesen Sommer wissen, man werde bis 2014 ein ultramodernes Braunkohle-Kraftwerk in die Kölner Bucht stellen, das seine CO₂-Ausscheidungen über eine 500 Kilometer lange Pipeline nach Schleswig-Holstein pumpt. Bernhard Fischer, Vorstandsmitglied der Eon Energie, stellte in Aussicht, sein Unternehmen werde im Energiemix des Jahres 2030 – neben ganz viel regenerativer Energie und Kernkraft – „zehn Prozent aus Steinkohle mit CCS-Technologie“ gewinnen. Und die Eröffnung einer kleinen Pilotanlage von Vattenfall Europe im Lausitz-Nest Schwarze Pumpe machte Anfang September bundesweit Furore, als sei der Einstieg in eine klimakompatible Kraftwerkstechnik nur noch eine Frage des Wann und Wie.

In Wirklichkeit ist nicht einmal das Ob gewiss. Der Zeitplan für die Nordsee-Pipeline, die als derzeit ehrgeizigstes CCS-Projekt weltweit gilt, ist reines Wunschdenken. Bauherr RWE antizipiert nämlich rechtliche Rahmenbedingungen, die das parlamentarische Prozedere noch gar nicht durchlaufen haben. Unternehmen, die daran arbeiteten, ihre Kraftwerke umweltfreundlicher zu machen, müssten „Finanzentscheidungen auf einer nicht existenten Rechtsgrundlage treffen“, beschreibt Europapolitiker Ehler den aus seiner Sicht „grotesken Status quo“. Ein Antrag, das CO₂ in eine Kaverne, also einen unterirdischen Hohlraum, zu pumpen, sei nach geltendem Bergrecht gar nicht genehmigungsfähig. Das hält die RWE freilich nicht davon ab, schon mal auf ein Raumordnungsverfahren zu drängen, das ihr die Trassenplanung für die halbmeterdicke, unterirdische Abgasröhre ermöglichen würde.

Ob sich das RWE-Gaslager eignet, wird erst geprüft

Mit ihrem Bau anzufangen hätte eh keinen Sinn, denn noch ist nicht zweifelsfrei erwiesen, dass der Plan überhaupt technisch machbar ist. Auf Nachfrage gibt ein Sprecher der zuständigen RWE-Tochter Dea in Hamburg an, dass bisher nicht einmal die seismologischen Tests terminiert seien, mit denen der Konzern erst ausloten kann, ob die ins Auge gefassten Gesteinsformationen unter Nordfriesland und Ostholstein tatsächlich die Beschaffenheit und Größe aufweisen, um die Gasmenge aufzunehmen, die bei jahrzehntelangem Kraftwerksbetrieb anfallen würde. Die Erkundungsbohrungen, die letzte Klarheit geben werden, können wohl nicht vor 2010 erfolgen.

Auch der Rummel von Vattenfall Europe um das CCS-getunte Kraft-Wärme-Werklein Schwarze Pumpe war verfrüht. Die Lagerung des Gases unter der sächsischanhaltinischen Altmark kann bestensfalls 2009 beginnen. Ob die Betreiber überhaupt starten können, müssen Ergebnisse von Versuchen erst noch zeigen, die das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam durchführt.

Obwohl mehrere Methoden zur CO₂-Abscheidung technisch erprobt sind und der norwegische Statoil-Konzern seit 1996 Abfallgas ins Gestein unter seiner Bohrplattform Sleipner West presst – und erfolgreich lagert –, haben die CCS-Befürworter keinen leichten Stand. Umweltschützer vom BUND wittern „Greenwashing“, also Alibi-Veranstaltungen zwecks Imagepolitur. Die NRW-Grüne Bärbel Höhn – einst als Umweltministerin gescholten, weil sie beim Tagebau Garzweiler II Wolfgang Clement nachgab – unterstellt RWE-Chef Jürgen Großmann, er wolle sich „einen Freifahrtschein in eine fossile Zukunft“ sichern.

Ihr Fraktionskollege Reiner Priggen rechnete medienwirksam vor, wenn die Technik etwas bewirken solle, brauche man im Braunkohlerevier 90 Pipelines. Vorerst geht es nur um eine einzige, um die erste Röhre – und ums Geld. Das CCS-Kraftwerk Hürth samt Pipeline könnte laut Schätzungen bis zu zwei Milliarden Euro kosten, RWE-Chef Jürgen Großmann will aber nur eine Milliarde selbst tragen. Den Rest, so weit er nicht durch öffentliche Zuschüsse gedeckt wird, sollen Partner einbringen. Die vom Europaparlament avisierten Subventionen würden also helfen.

Doch die Richtlinie, Grundlage für das in Deutschland geplante nationale Gesetz zur Förderung der Abscheidung und Lagerung von industriellen CO₂-Emissionen (kurz: CCS-Gesetz), ist noch nicht durch. Zunächst müssen in einem „Trilog“ zwischen Parlament, Kommission und Rat noch Geldfragen geklärt werden. Nicht alle Staaten sind erfreut darüber, dass sie auf bereits in ihren Budgets verplante Einnahmen aus der CO₂-Abgabe verzichten sollen.

Dass aber ohne Aussicht auf Subventionen so schnell niemand aus der Energiewirtschaft große Summen in CCS investieren wird, ist spätestens klar, seit McKinsey für Energie-Kommissar Andris Piebalgs die Wirtschaftlichkeit der zur Debatte stehenden Techniken durchgerechnet hat. Die Consultants veranschlagen Zusatzkosten von 60 bis 90 Euro pro Tonne CO₂, die abgespalten und eingegraben wird. Erst in gut 20 Jahren wäre CCS-Strom nach ihrer Rechnung konkurrenzfähig.

Konsens herrscht in der Branche, dass es sich auf keinen Fall rechnet, veraltete Kraftwerke mit den voluminösen CO₂-Abscheidern nachzurüsten – so das überhaupt technisch möglich und Platz dafür vorhanden wäre. Denn allen Techniken zur Abspaltung ist gemeinsam, dass sie die Effizienz der Kraftwerke verringern. „Der durchschnittliche Wirkungsgrad von Steinkohlekraftwerken beträgt weltweit rund 30 Prozent“, erklärt der Münchner Eon-Manager Bernhard Fischer, „in Europa 36 und in Deutschland 38 Prozent.“

Da CCS mindestens acht, wenn nicht sogar zwölf Prozentpunkte schluckt, sieht Fischer nur bei den modernsten Kraftwerken einen Sinn in der Sequestrierung, wie CCS unter Fachleuten heißt.

Die Lagertechnik lohnt sich nur für neue Kraftwerke

Stand der modernen Technik seien heute 45 Prozent Wirkungsgrad, das Ziel von Eon heiße „50 plus“. Das erste Demonstrationskraftwerk dieser Generation, die mit neuen Materialien höhere Verbrennungstemperaturen erreicht, soll 2014 in Wilhelmshaven ans Netz gehen. Wie praktisch alles, was in diesen Jahren in die Planung geht, wird es natürlich „capture ready“ sein, also fit für die carbonreduzierte Zukunft mit unterirdischen Gas-Lagern. Das hat seinen Preis: Eon investiert mehr als eine Milliarde Euro in das Projekt.

Wie stark sich die CO₂-Entsorgung auf den Verbraucherpreis auswirken würde, ist noch Spekulation. Laut Berechnungen des Mathematikers Jürgen-Friedrich Hake vom Forschungszentrum Jülich sind es mindestens drei Cent pro Kilowattstunde, denn die Herstellungskosten würden sich von drei auf sechs Cent verdoppeln, selbst Optimisten gehen von fünf Cent aus. Auch Johannes Ewers, als Leiter Neue Technologien bei der RWE Power für Hürth zuständig, räumt ein, nach derzeitigem Stand der Technik steige der Kohleverbrauch um 30 Prozent.

Ein heftiger Preisaufschlag käme den Gegnern der fossilen Rohstoffe wiederum ganz recht, denn er würde die Konkurrenzfähigkeit der erneuerbaren Energien steigern und zum Energiesparen motivieren. So sind Umweltorganisationen wie Greenpeace und BUND vor allem die geplanten Subventionen für die Sequestrierung ein Dorn im Auge. Sie sähen die Fördermilliarden lieber in die Forschung an regenerativen Energiequellen investiert.

Selbst wenn sie im großen Stil kommen würde, wäre die unterirdische Lösung kein Persilschein für die Kohle. So will sogar CSS-Förderer Ehler mit seinem EU-Vorstoß für diese „Brückentechnologie“ vor allem „Zeit gewinnen“. Am anderen Ufer sieht er nicht Kohlestrom, sondern einen Mix aus erneuerbaren Energien – die erst gar kein CO₂ mehr verursachen, das man teuer vergraben müsste.

Wird das klimaschädliche Gas bei der Stromproduktion abgespalten und verbuddelt, zehrt das an der mühsam erhöhten Effizienz der Kraftwerke.

CO₂ – und wie es verschwindet

❏ Deutsche Kohlekraftwerk erzeugen jährlich 300 Milliarden Kilowattstunden Strom und mehr als 250 Millionen Tonnen CO₂. Pro Kilowattstunde stoßen sie bis zu 1200 Gramm Kohlendioxid aus – mit moderner Technik sind unter 400 Gramm möglich.

❏ Würden sämtliche Altanlagen durch hocheffiziente neue ersetzt, wären die Klimaziele schon übertroffen. Als eher finanzierbar gilt aber die Abspaltung und unterirdische Lagerung von CO₂ – etwa in leergepumpten Erdöl- und Erdgaslagerstätten, salzhaltigen Grundwasserleitungen oder Kohleflözen. Kernproblem ist der Nachweis, dass die Lager auf Dauer dicht halten. Als kritisch gilt auch der Abtransport.

❏ Alle Techniken, das CO₂ abzuspalten, verschlechtern den Wirkungsgrad von Kraftwerken. Der liegt im Branchenschnitt bei 38 Prozent – das heißt 38 Prozent der eingesetzten Primärenergie wird zu Strom. Moderne Anlagen bringen es auf 45 Prozent. Durch CO₂-Abspaltung sinkt die Quote um bis zu 12 Prozentpunkte.

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