Der Troll von der Bundesbank

Soll ich zum Umgang der Medien mit Thilo S. was posten? Diese Frage habe ich mir schon vor ein paar Tagen gestellt — und erst mal nix getan. Dann kam im Jonet, einer Mailingliste meiner Zunft, die Debatte auf, ich gab meinen Senf dazu, und eine Kollegin meinte, ich solle das doch auch öffentlich machen. Die Frage war: Was ist von der Diskussion im Leserforum der taz zu halten? Und: Ist das rassistisch, was der Mann schreibt?

Hier also mein Senf:

Mir fällt es schwer, mich überhaupt mit jemandem auseinanderzusetzen, der die These vertritt, dass Menschen aus überwiegend islamisch geprägten Ländern wie der Türkei grundsätzlich, nun ja, ökonomisch nutzlos für Deutschland seien, christliche Südeuropäer aber natürlich wertvoll. Abgesehen davon, dass nun wirklich nicht alle Türken fromme Muslime sind, atmet solch eine Pauschaleinschätzung den gleichen „Geist“, der auch rassistische Äußerungen prägt.
Mir ist es ehrlich gesagt wurscht, ob jemand ein rassistisches Scheusal ist oder ein pseudoreligiös motiviertes.

Für mich ist das, was dieser Herr von der Bundesbank mit breiter Unterstützung der Medien (schön böse dazu: die V.i.S.d.P. vom Freitag) betreibt, intellektuelles Kreuzrittertum übelster Sorte. Irrationales, das im Gewand der Ratio auftritt, trifft Unchristliches, das auf die Reflexe von Menschen setzt, die sich für Christen halten. (Wer das christliche Abendland glorifiziert und Andersgläubige so pauschal abqualifiziert, sollte vielleicht mal darüber nachdenken, welche Worte ein Jesus des 21. Jahrhunderts wohl für ihn fände, träfe er bei Frank Plasberg auf ihn.)

Der Witz ist, dass Allah (ohne jetzt auf die verschiedenen Flügel des Islam eingehen zu wollen) nichts anderes, nichts Schlimmeres ist als die Art Gott, die in Mitteleuropa – insbesondere von Katholiken – auch lange verehrt wurde und teilweise noch wird: Insch Allah, Gott wird es richten, der Mensch ist nur sein Werkzeug, was geschieht ist Gottes Wille. Das ist alttestamentarisches Gedankengut (also per se nicht christlich). Vor allem ist es ein brandgefährlicher Glaube, denn damit lässt sich alles rechtfertigen. Nicht der Mensch ist schuldig, sondern der Allmächtige. Der Al-Qaida-Selbstmordattentäter bewahrt so sein reines Gewissen, und aus demselben Grund verehren Menschen Joseph Ratzinger, wenn sie denken, beim Konklave geschehe nicht wirklich der Wille der Mehrheit der Kardinäle, sondern letztlich doch nur der Wille des Herrn im Himmel. Aber was soll’s, wenn WIR Papst sind? Journalistische Distanz zum Religiösen fällt Massenmedien schwer, wenn der Chefredakteur weiß, was sein Publikum glaubt. Wenn Glaubenskrieger Auflage und Quote bringen, sind sie willkommen.

Leider hat die Menschheit auch nach 2000 Jahren nicht begriffen, was dieser Querkopf aus Nazareth, dieser friedliche Revoluzzer und Gesellschaftskritiker damals eigentlich wollte. Lässt man das Brimborium weg, das die Kirchen um ihren Heiland herum veranstalten, bleibt als Botschaft etwas übrig, das auch als kompakter Pressekodex taugen würde:
a) dass Menschen einander ohne Vorurteile oder Berührungsängste begegnen und einander respektieren sollen und
b) dass jeder für sich selbst verantwortlich ist.

Der Missionar Sarrazin begnügt sich mit einer eigenwilligen Auslegung von b), schafft es damit aber in die Schlagzeilen, als wäre er jemand, der eine neue (Volks-?) Bibel geschrieben hat.

Er ist der Troll, den „wir“ füttern.

Sie sind der oder die 2016. Leser/in dieses Beitrags.

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