Leuchtzeichen in der Nacht

Bei Kinderklamotten geht Sicherheit über alles. Aber wehe dem Papa, wenn der auch Reflektorstreifen will!

Wir wohnen in einer beschaulichen Nebenstraße ohne Bürgersteig. Fußgänger, Radler, spielende Kinder und Motorisierte sind gleichberechtigt; jedenfalls bilden wir uns das ein. Ein paar superschlaue Autofahrer sehen das anders. Da entlang aller breiten Vorfahrtsstraßen unter jedem zweiten Baum ein rotes 30-Schild steht, brettern sie lieber bei uns durch, wo nichts als das Rechts-vor-links-Prinzip ihren Vorwärtsdrang dämpft. Will man diese Getriebenen ausbremsen, gibt es ein probates Mittel – nämlich mitten in der Rushhour ostentativ in der Straßenmitte zu schlendern.

Für Freunde derartiger Umerziehungsmaßnahmen ist der Herbst jetzt der Beginn der Hauptsaison: Die Tage werden kürzer. Biegt der Schleichweg-Raser bei Dunkelheit schwungvoll in die Nebenstraße ein, schockt man ihn mit nichts nachhaltiger als mit einem grellen Reflektorstreifen, der plötzlich knapp vor dem Bug seines Wagens aus totaler Finsternis auftaucht. Doch leider muss ich auf dieses subversive Wintervergnügen verzichten, weil es zu gefährlich wird: Den Spaß, durch optische Maximalreize aufzufallen, gönnen die Modebosse erwachsenen Männern nicht mehr. Im Gegenteil – ihre Winterjacken-Kollektionen lassen uns derzeit die Wahl zwischen exakt den Tarnfarben, die wir uns bei Autos aus gutem Grund abgewöhnt haben – Schwarz, Anthrazit und Schlammbraun.

Das wäre zu verschmerzen, würden sie ihren Schneiderinnen wenigstens noch erlauben, irgendeine unauffällige Naht am Rücken oder Ärmel mit einem schmalen Streifen reflektierender Mikrofaser zu paspelieren. Nicht im Sortiment, sagt die mütterliche Fachverkäuferin und erteilt mir modisch Nachhilfe in Warenkunde: „Das ist doch nicht elegant.“ Ach so, wieder was gelernt. Die Errungenschaften der modernen Textilwissenschaft sind nur erlaubt, wenn man sie von außen nicht sieht. Da trotzen die Joppen arktischen Stürmen, sie lassen selbst Starkregen abperlen und bieten dem Schnee keinen Halt, und obwohl alle Nähte wasserfest verschweißt sind, verhindern Klimamembranen den Dampftod in der überheizten Straßenbahn. Doch der Reflektorstreifen, dieses praktische Hightech-Accessoire der Achtziger, gilt als peinlicher Kinderkram. Soll der Familienvater doch selber zusehen, dass ihn die Besoffenen nicht totfahren, wenn er vom abendlichen Geschäftsessen brav zu Fuß heimtrottet.

Und was macht meine hilflos hilfsbereite Verkäuferin? Schickt mich in die Kurzwarenabteilung. Zwischen kitschigen Katzenköpfchen und -pfötchen hängt tatsächlich dezentes Reflektorband als Meterware. Nun habe ich die Wahl, wie ich meine Garantieansprüche gegen den Jackenhersteller verwirken will: Bügle ich den Streifen auf, verschrumpeln die Polymerfasern der Luxusklamotte, mache ich’s mit der Nähmaschine, perforiere ich den Stoff und konterkariere alle Bemühungen der Textilingenieure, mich vor der Unbill nasskalten Wetters abzuschotten.

Vielleicht greife ich besser zu einer anderen Innovation. Der Tierfuttersupermarkt bewirbt gerade neongelbe Hundehalsbänder mit roten LEDs. So richtig elegant sind die zwar auch nicht. Aber was meinen Sie, wie die Autofahrer aufdie Bremse steigen, wenn sie plötzlich ein 1,84 Meter großer Köter grimmig anfunkelt?

 

ULF J. FROITZHEIM, überzeugter Modemuffel, liegt gerade zufällig im Trend: Sein Auto ist weiß, die Lieblingskleidung schwarz.

Aus der Technology Review 11/2010, Kolumne FROITZELEIEN

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