Bisschen spät, Herr Bissinger!

Schade, dass Manfred Bissinger in seiner aktiven Zeit keine Zeit hatte, über die Dinge nachzudenken, von denen er heute schreibt:

„Und noch etwas dämmerte den Managern zu spät: Dass das Internet ein genialer Marktplatz sein könnte, genialer als alle Rubriken es in ihren Objekten je waren. Warum ist Ebay keinem Verlag eingefallen?“

Manfred Bissinger 2011

Ja, warum eigentlich nicht? Chefredakteure wie Bissinger (dessen Gehalt freilich nicht an Rubrikanzeigen hing) hätten ihre Arbeitgeber vielleicht warnen können – wenn sie denn selbst eine Ahnung gehabt und die 21.-Jahrhundert-Zukunftsstories ihrer Mitarbeiter nicht als Science-fiction abgetan hätten. Eigentlich hätten die Verlagshierarchen aber auch nur die Print-Fachmedien für die IT- oder die Werbebranche zu lesen brauchen. Ohne schlaumeiern zu wollen: Für meine Kollegen bei diesen Magazinen (auch für mich) waren diese Entwicklungen schon im vorigen Jahrhundert ein Thema. Aber den Zeitungsverlegern ging es so gut, dass sie davon nichts wissen wollten. Das ist keine Polemik, sondern bittere Erfahrung. Wollte man 1997 einen verständnislosen Blick auf das Gesicht von Rainer Gohlke zaubern, damals Geschäftsführer der Süddeutschen Zeitung, brauchte man ihn nur zu fragen, warum die Autoanzeigen immer noch so unübersichtlich sortiert seien: -zig VW-Passat, aufgeteilt nur nach Spritsorte (Benzin oder Diesel), aber Kombis und Limousinen bunt gemischt.

Der Verleger begriff gar nicht, dass ein Familienvater, der einen Kombi sucht, nicht mit Scannerblick Dutzende von Anzeigen mit Stufenheck-Autos durchstöbern will. Den USP der damals aufkommenden Web-Konkurrenz erkannte der Mann ebensowenig wie die Chance, das Geschäft mit Rubrikinseraten durch klare, leserfreundliche Strukturen zu modernisieren und zu rationalisieren. Aufgeräumte, standardisierte Anzeigen, aufgepeppt mit kleinen Fotos, hätten die Kunden vielleicht bei der Stange gehalten. Doch es blieb bei Bleiwüsten voller abkürzungsgespickter Freitext-Anzeigen, die aus Lesersicht eine arge Zumutung waren.

Es kam, wie es kommen musste: Die Inserenten und die Leser begriffen sehr schnell den Vorteil des neuen Mediums, das Informationen auf nützliche Weise verarbeitete statt sie aufzutürmen. Die Zeitungsverleger jedoch dösten weiter auf ihren Geldsäcken, denn sie konnten sich nicht vorstellen, dass die Telekom je über Btx und ISDN hinauskäme. Mangels bezahlbarer Bandbreite konnte das Internet für sie gar kein Massenphänomen werden. Und warum hätten sie eBay schon ernst nehmen und sich näher anschauen sollen? Verleger versteigern ja nix.

Und die Zeitschriftenverleger? Die waren durchaus aufgeschlossen und investitionsfreudig, aber grenzenlos naiv. Ihr Problem war eher ein Überoptimismus. Burda und Bertelsmann (G+J) haben viele Millionen versenkt, in Europe Online, Fireball, BOL und ähnliches. Aber sie haben zumindest erkannt, dass das Medium Zukunft hat.

Was sie falsch gemacht haben, wäre auch mal eine bissige Festrede wert.

Sie sind der oder die 2748. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert