Schlaf-Tablet: Süddeutsche verschnarcht ePaper-Chancen

Wenn es Zeitungen in Deutschland gibt, die der gemeine Leser gewohnheitsmäßig mit dem Prädikat „altehrwürdig“ assoziiert, gehört dazu neben der FAZ gewiss auch die SZ. Leser meiner Wortpresse wissen: Die Süddeutsche macht zwar jede Menge Fehler, weit mehr als jene, die sie in der Korrekturecke auf der Leserbriefseite eingesteht. Doch sie gehört zu den Blättern, in denen nicht alles von dpa kommt. Zwischen Fotos, deren XXXL-Format oft in keiner Relation zu ihrer Relevanz steht, und Texte, die man leider „Content“ (wenn nicht gar „Zeilenschund“) nennen muss, packt sie verlässlich so viel Lesenswertes von richtig guten Autoren, dass ich ihr die Hudeleien des modernen Quantitätsjournalismus nachsehe.

Meine Leseleidenschaft führt allerdings zu Papierkonvoluten, die beim Wegschmiss oft verblüffend alt, aber alles andere als ehrwürdig sind. Die SZ-Stapel, die unser Haus zumüllen und meine Frau zur Verzweiflung treiben, sind die tägliche Mahnung, dass die Sottisen der Zeitungshasser über „Totholzmedien“ nicht ganz substanzlos sind. Ich will lesen, aber nicht um der wunderbaren Haptik, des lieblichen Raschelns und des Duftes der Druckerschwärze willen mein Heim immer wieder temporär unbewohnbar machen. Allein: Eine Überformat-Zeitung als PDF am Macbook lesen zu müssen, ist für mich eine noch schlimmere Strafe als die Papierentsorgung, selbst wenn ich durch die Umgehung der Druckerpresse bereits am Vorabend zur Lektüre schreiten kann. Zeitung liest man auf dem Sofa. Punkt.

Also muss ein iPad her. Oder vielleicht doch ein Windows-8-Tablet mit ansteckbarer Tastatur, das Acer Iconia W510? Weiß nicht, irgendwas Mausloses jedenfalls, etwas mit dem gewissen Touch. Ich will per Fingerwisch blättern können.Traumkombi

Meine hassgeliebte Münchner Morgenzeitung lässt mir die Wahl zwischen Apple und Microsoft: Sie hat, wie ich alle paar Tage ganzseitigen Annoncen im hauseigenen Grün entnehme, Apps für beide Systeme. Noch besser: Der Verlag subventioniert die Hardware im Stil der Mobilfunkdrücker. Wer ein „Digitalabo“ auf zwei Jahre  abschließt, zahlt für die Gerätchen nur 150 Euro, und das Monatsentgelt ist ein paar Euro geringer als beim Printabo. Unter dem Strich kostet mich also das Spielzeug, auf dem ich lesen soll, deutlich weniger als einen Hunderter.

Wirklich? Natürlich nicht. Der Verlag bedruckt zwar viel Papier mit der Werbung. Aber er stellt sich dermaßen dusselig dabei an, die Hardware an die Leser zu bringen, dass man meinen könnte, der Werbeleiter heiße Potemkin. Schöne Fassade, nix dahinter. Wer Interesse zeigt, aber eben noch keine rechte Vorstellung davon hat, was so ein Windows-8-Tablet drauf hat, stößt beim Verlag auf Personal, das mit diesbezüglichen Fragen eklatant überfordert ist. Dies könnte freilich damit zusammenhängen, dass die Auslieferung ein externer Fulfillment-Dienstleister erledigt und die armen Vertriebstelefonistinnen so ein Teil daher noch nicht aus der Nähe gesehen haben, sondern es – wie der Leser – lediglich aus der Anzeige kennen. Solche Leute braucht man gar nicht erst zu fragen, ob eventuell auch an einer Android-Ausgabe gearbeitet wird.

In der Praxis läuft das also so: Ich frage mich an der Abo-Hotline zu jemandem durch, der mir sagen kann, wo ich die Geräte denn mal ausprobieren und miteinander vergleichen kann. Im Verlagshauptquartier, dem von Ex-OB Schorsch Kronawitter „Vierkantbolzen“ getauften Hochhaus am östlichen Stadtrand? Dort wäre viel Platz für eine Lounge mit Hunderten Tablets, aber Publikumsverkehr ist nicht vorgesehen. Die Planer waren realistisch genug zu erkennen, dass die Zamdorfer Gewerbesteppe keine IA-Lauflage ist, in die die Kunden strömen.

Ein freundlicher junger Service-Mann empfiehlt deshalb mir den SZ-Shop in der Löwenhof-Passage hinter dem Kaufhof am Marienplatz, schräg gegenüber der Baustelle am Färbergraben, wo einst der Schwarze Block des Süddeutschen Verlags stand. Leider schließe der bereits um 18 Uhr, freitags schon am Nachmittag. Mitten in München! Im 21. Jahrhundert!

Was tut der Zeitungssüchtling nicht alles für den Ehefrieden, das aufgeräumte Haus und seine Sucht? Ich hetze mich also am Rande eines Termins in München ab, um mitten im Adventstrubel den SZ-Shop noch vor seinem individuell vorgezogenen Ladenschluss zu erreichen – und finde: nur ein einziges, einsames, altes iPad. Und Damen, die sonst nur Anzeigen, Konzertkarten und Schnickschnack verkaufen, aber auf jeden Fall keine Apple- oder gar Acer-Hardware. Sie wissen nur, dass sie das Windows-Gerät nicht bekommen haben, aber nicht, ob und wenn ja wann sich die altehrwürdige Zentrale im neuehrlosen Vierkantbolzen bequemen wird, ein solches zur Verfügung zu stellen (und vielleicht das aktuelle, tatsächlich angebotene iPad, denn das alte ist so langsam, dass es keine Werbung für die SZ-App ist).

Da die Damen nett sind, denken sie aber für mich mit. Oder sie bemühen sich zumindest darum. Ob ich mir das Tablet denn nicht beim Saturn anschauen wolle? Der ist doch ganz in der Nähe. Ja, aber, entgegne ich: Glauben Sie denn, die installieren mir da Ihre App auf die Ausstellungsware? Die Vorführgeräte in diesen Fachmärkten sind ja nicht einmal online, damit nicht das junge Laufpublikum unsittliche Dinge damit treibt.

Ich bin dann aus reiner Neugier doch noch zum Saturn gehatscht. Besagtes Acer-Modell gab es nicht, immerhin konnte ich die Kombination aus Windows 8 und Touchscreen ausprobieren. Und warum führen die zwar Acer, aber das tolle Modell aus der SZ nicht? Weil es nicht lieferbar ist. Im Internet lese ich später, dass der Hersteller die Interessenten auf Ende Januar vertröstet hat. Die Süddeutsche hat zwar offensichtlich ein attraktives Produkt ausgewählt, aber eben eines, von dem sie bis auf Weiteres exakt Null Exemplare verkaufen kann.

Solange ich nicht das Handling vergleichen kann, bestelle ich aber auch nicht das iPad und kein Digitalabo. Sondern gar nix.

Dafür rufen jetzt besorgte Kundenbetreuer an, die mich mit der SZ versöhnen und wieder glücklich machen wollen, aber nicht können, weil sie nur darauf gedrillt sind, Papier zu verkaufen. Wieso diese Anrufe? Ganz einfach: Meine Frau, auf deren Namen das Printabo lief, hat längst gekündigt, Ende Januar kommt die Zeitung zum letzten Mal, und wehe mir, ich schlösse nun selbst ein Analogabo. Nach fast 35 Jahren endet die Leser-Blatt-Bindung, weil die Vertriebsabteilung den Anschluss an die Netzgegenwart verschnarcht.

Sie sind der oder die 19243. Leser/in dieses Beitrags.

10 Antworten auf „Schlaf-Tablet: Süddeutsche verschnarcht ePaper-Chancen“

  1. Wie ging denn nun der Test von SZ auf iPad vs. Windows 8 tablet aus?
    Auf Android tablet gibt es ja leider nichts von der SZ.
    Muss aber sagen, die App für Android Phone ist sehr gelungen.

    1. iPad läuft runder, aber Windows 8 ist auch gut. Ich hätte dann doch den Acer genommen, weil man ja manchmal doch Windows braucht und Parallels auf dem Macbook nicht der Hit ist. Leider bietet die SZ den Acer nur noch mit 32 GB an, zum gleichen Preis wie vorher den 64er. Hauptgrund ist, dass Microsoft unrealistisch viel Geld von den Hardwareherstellern verlangt.
      Im Handel ist mir das W8-Gerät zu teuer nur für diesen Zweck. Deshalb warte ich erst mal ab, bevor ich mir ein Tablet kaufe. Die Digitalausgabe der SZ für den Webbrowser ist zum Glück auch besser geworden, damit kann man sich eine Weile behelfen. Geht leider nur im Büro am großen Monitor, nicht auf dem Sofa.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert