Urheberrechtsdebatte: von Gehlen klärt keine Fronten

Konflikt

Der Feuilleton-Aufmacher der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende ist nicht genial, nicht einmal genial daneben, sondern total daneben. Das fängt schon bei der Gestaltung an: „Der Konflikt“ lautet die Headline; darüber prangt ein riesiges rotes C in einem Kreis. Also das Emblem fürs Copyright, die angelsächsische Spielart des Immaterialgüterrechts, die gerade nicht verwechselt werden sollte mit dem deutschen Urheberrecht, um das es in dem Beitrag geht. Wenn das Schule macht, könnte die ARD den Tower of London zum neuen Wahrzeichen ihres „Berichts aus Berlin“ machen.

Der von Dirk von Gehlen (Autor des als Provokation gemeinten Buchs „Mashup – Lob der Kopie“) verfasste Text hält leider nicht mehr, als seine missratene Dekoration verspricht. Das fängt schon beim Vorspann an, der „ein ABC zur Klärung der Fronten“ verheißt. Ich will hier lieber nicht die Frage vertiefen, wie ein Alphabet oder auch nur eine alphabetisch-lexikalische Begriffssammlung Fronten klären kann. Wer die Notwendigkeit sieht, „Fronten zu klären“, hegt jedenfalls meist die Absicht, mit mehr oder minder militanten Mitteln einen Konflikt zu lösen. Im besten Fall handelt es sich um den General einer humanitären Eingreiftruppe (immerhin hat Kollege von Gehlen mal den Begriff des „Kopierfriedens“ geprägt), meist aber um den Feldherrn eines der feindlichen Lager, der den Überblick verloren hat und selber nicht mehr sagen kann, wo der Feind eigentlich steht, den er sich zu unterwerfen trachtet.

Von Gehlens Fünfspalter, der rund zwei Drittel der Seite füllt, klärt (und er-klärt) aber: NICHTS. Er trägt auch nichts bei zu gegenseitigem Verständnis der Konfliktparteien, er ist nicht konstruktiv. Es handelt sich um nichts weiter als einen leicht verspäteten, höchst oberflächlichen und leider alles andere als unparteiischen Jahresrückblick in zwei Dutzend willkürlich gewählten Stichwörtern, darunter „Blackout Day“, „Delay, Jan“, „Heveling, Ansgar“, „Schramm, Julia“, „Megaupload“ oder gar „Qual“.

Herausgreifen aus diesem tendenziösen Traktat möchte ich vor allem den Eintrag „Lobbyist“. Bemerkenswert sind hier nur jene zwei der neun Zeilen, in denen der SZ-Redakteur „den“ Nutzer als schutzlos ausgeliefertes Wesen in einer Welt voller feindseliger Interessenvertreter bemitleidet:

Einzig der Lobbyist für den Nutzer ist bisher noch nicht gefunden.“

Bemerkenswert ist diese so zentrale wie steile These deshalb, weil sie die Realität auf groteske Weise verzerrt und zudem jeder inneren Logik entbehrt. Dies liegt an dem scheinbar harmlosen und verständlichen, in Wirklichkeit unscharfen, irreführenden, anbiedernden, suggestiven und damit letztlich manipulativen Wörtchen „Nutzer“: Es gehört zum Konsens einer freien und marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, dass jedwedem Nutzen immer auch Kosten gegenüber stehen (meist materieller, manchmal auch nur ideeller Natur). Wer etwas nutzen will, weiß genau, dass dafür grundsätzlich eine Gegenleistung erbracht werden muss, zum Beispiel ein Kaufpreis, eine Miete, eine Gebühr, Steuern, Abgaben oder Arbeit. Wer ganz ohne Gegenleistung von etwas profitiert, das über die staatliche Daseinsvorsorge und die Sicherung des Existenzminimums hinausgeht – will sagen: von etwas, das andere erarbeiten – wird nicht Nutzer genannt, sondern Nutznießer. Nutznießer haben es gut, sie brauchen nicht auch noch eine Lobby.

Daneben gibt es Nutzer, die sich empören, weil sie gerne Nutznießer wären, aber so genannten Zwangsabgaben nicht entgehen. Sie hören zum Beispiel Musik, kaufen natürlich keine CDs mehr, hassen aber die Gema, da sie Musik für ein Geschenk der Komponisten und Interpreten halten. Sie legen Bücher oder Zeitungsausschnitte auf den Scanner ihres Multifunktionsdruckers, lassen sich aber von der Hardwareindustrie einreden, sie könnten sich die Geräte wegen der fiesen Urheberabgaben bald nicht mehr leisten. Mit diesen Menschen kann man so viel Mitleid haben wie mit einem Lohn- oder Mehrwertsteuerzahler, der jammert, weil ihm die Steuerschlupflöcher der Großverdiener nicht offen stehen. Wer einen Bedarf für eine Lobby sieht, die sich für solche Leute engagiert, sollte womöglich besser in die USA auswandern und einen Aufnahmeantrag bei der Tea Party stellen.

Wer hingegen Zwangsabgaben zahlt, obwohl er nichts nutzt und auch nicht nutzen will – etwa der sprichwörtliche Fernsehhasser, der jetzt die Haushaltsabgabe berappen muss – hat vielleicht tatsächlich keine Lobby, ist aber naturgemäß auch kein Nutzer, kann ergo hier gar nicht gemeint sein.

Eine Definition, wen er mit „Nutzer“ meint, bleibt uns von Gehlen schuldig. Dass er eine Lanze brechen wollte für brave Abonnenten, Tonträgerkäufer und Rundfunkgebührenzahler, die mit ihren Zahlungen bewusst zum Lebensunterhalt der Kreativen beitragen, lässt sich getrost ausschließen. Wozu bedürfen legitime Nutzer, die sich ihren Nutzen freiwillig etwas kosten lassen, einer Lobby? Bleiben also nur diejenigen, die die Idee des geistigen Eigentums negieren. Leute, die mit von Gehlen ins Lob der Kopie einstimmen, ohne sich für einen Interessenausgleich mit dem Urheber ernsthaft zu interessieren. Leute, die gerne nehmen und ungern geben, weil ihnen jemand eingeredet hat, im Internetzeitalter dürften zwar die Telekommunikationsfirmen Geld verdienen, nicht aber die Erzeuger dessen, womit das Netz gefüllt ist.

Diese Nutznießer haben aber eine Lobby – nämlich notorisch urheberabgabenscheue Firmen wie Google, Facebook und fast die gesamt IT-Industrie samt ihren großen Händlern. Letztere spannen gerne die Nutznießer vor ihren Karren, denn sie wissen genau: Jeder Euro, der bei den Urhebern landet, geht von ihrem Reingewinn weg. Schließlich ist es unrealistisch, die Abgaben einfach auf den Verkaufspreis aufzuschlagen. Dies liegt an den Schwellenpreisen: Ein Gerät, das im Laden ohne Abgabe 99 Euro bringt, kann man nicht beispielweise um 12 Euro verteuern. Die nächste Preisschwelle liegt bei 129 Euro, und eine Erhöhung um 30 Euro lässt sich nun mal nicht mit Mehrkosten von 12 Euro begründen. Bei Geräten zu 199 Euro beträgt die Mindestpreiserhöhung sogar 50 Euro. Preise wie 209, 219, 229 oder 239 Euro gelten im Handel als Dummheit. Bei Google & Facebook spielt das keine Rolle, sie feilschen um Bruchteile von Cents pro Stream, die sich bei ihnen zu mehrstelligen Millionenbeträge summieren könnten. Der Effekt ist aber ähnlich: Sie suchen die Nutznießer, die von Gehlen als Nutzer hofiert, als Verbündete und sind deshalb deren Lobby (die ergo eben doch gefunden ist).

Wer den titelgebenden Konflikt beenden will, ohne die Urheber in eine Kapitulation zu zwingen, könnte sich dafür einsetzen, dass Fotografen und Komponisten von Facebook und Google/Youtube pauschal in angemessener Höhe dafür entschädigt werden, dass ihre Werke „geteilt“ werden. Er könnte die Abwehrhaltung der Industrie gegen die aus gutem Grund im Gesetz vorgesehenen Urheberabgaben einmal sachlich beschreiben oder – wie andere Kollegen von SZ vor ein paar Monaten – die gezinkten Karten beleuchten, mit denen manche Großgastronomen in der Kampagne gegen die GEMA-Tarifreform für Klubs und Discos spielen.

Dirk von Gehlen schafft es aber, über die „Fronten“ in diesem Konflikt zu schreiben, ohne dass die Stichworte „Youtube“, „Facebook“, „Bitkom/BCH/Zitco“ oder „Dehoga“ vorkommen. So ein Slalom um die entscheidenden Akteure herum ist durchaus eine Leistung. Aber keine, auf die man stolz sein könnte.

 

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