Velaro, oh weh!

Oldie-Fans kennen das Lied „Nel blu dipinto di blu“ im Original von Domenico Modugno oder zumindest in den Cover-Versionen von Dean Martin oder Al Martino. Die erste Zeile des Refrains „Vooo-laaaa-re, oho!“ geht jedenfalls ins Ohr und kommt so leicht nicht wieder raus aus dem Hirn. Volare ist italienisch und heißt „fliegen“. Wie toll ist doch das Fliegen durch das Blau eines Himmels, der aussieht wie gemalt! Oder im Idiom meiner alten Heimat, des Kohlenpotts: „Dat fühlt sich an, als wennze fliechs!“

Ich bin den Ohrwurm jetzt losgeworden. Nun gut, nicht die Melodie, nur die erste Zeile. Diese habe ich aus gegebenem Anlass umgetextet: „Velaro, oh weh!“ Velaro ist, wie Sie richtig erkannt haben, ein Anagramm von Volare, aber nicht etwa eines, das ich mir selbst ausgedacht hätte, sondern der Name eines ganz besonderen Produkts. Dieser verdankt sich wohl der Tatsache, dass Marketingleute die Angewohnheit haben, Bachstuben drucheinnader zu wülfern, wenn ihnen gerade kein gescheiter Markenname einfällt. Das besondere Produkt wiederum stammt von einem berühmten süddeutschen Elektrokonzern, der 15 Exemplare davon einem mindestens genauso bekannten deutschen Eisenbahnunternehmen verkauft hat. Dieses verpasste dem Velaro die dröge Dienstbezeichnung „ICE-Triebzug der Baureihe 407“, obwohl das vom Versmaß her überhaupt nicht ins Lied passt.

Und warum „oh weh“ und nicht „oho“? Nun, neulich hatte ich die seltene Ehre, in einem der ersten Velaro D (nein, D steht nicht für Diesel, sondern angeblich für Deutschland) von Bayern ins Ruhrgebiet zu fliegen, pardon: zu fahren. Bis zum prähistorischen Wendebahnhof Stuttgart 20 ging das auch wunderbar, sieht man denn von kleineren Verwirrungen um reservierte Plätze ab, infolgederen eine Familie mit Kleinkind, Sack & Pack vom hinteren in den vorderen Zugteil wechseln musste. Dummerweise verlässt der ICE die Schwabenmetropole vorerst noch in anderer Richtung, als er sie geentert hat. So stellte der Lokführer den Antrieb ab und trabte von der zum Heck gewordenen Zugspitze zum entgegengesetzten Führerstand. Und was sage ich? Der Velaro sprang nicht an. „Aufgrund eines technischen Problems“, verkündete der Zugchef, „verzögert sich die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit.“ Eine gute Viertelstunde später ging es doch los, und siehe da: Volare im Velaro ist möglich. Die Bordanzeige strebte der 250-km/h-Marke entgegen und über sie hinaus. So macht Bahnfahren Spaß.

Leider blieb das technische Problem nicht das einzige. Irgendwo im Rheinland ging es nach einem Stopp an einem Rotsignal nicht weiter. Bei der Ankunft in Essen war der neue Super-ICE eine gute halbe Stunde hinter Plan – ganz ohne Fremdeinwirkung. So hatte ich immerhin genug Zeit, die möglichen Fehlerquellen zu analysieren. Es blieb nur eine logische Erklärung: Wenn die Triebwerke einmal abgestellt waren, muss der Zug neu gebootet werden. Und wer die Geschichte des Velaro D kennt, der weiß, dass er schon zu Zeiten von Windows XP bestellt wurde, die bösen Bürokraten im Eisenbahnbundesamt (EBA) aber die Indienststellung lange behindert haben. Heute gibt es für besagtes betagtes Betriebssystem keinen Support mehr; der Lokführer kann also nicht die Microsoft-Hotline anrufen. Die Bord-IT per Software-Upgrade flott zu machen, ist sicher keine Option. Ich wette, dann erlischt die Betriebserlaubnis des EBA. Warum sonst fahren wohl noch Alt-ICEs herum, deren Reservierungssystem mit Disketten gefüttert wird?

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