Avanti! Dilettanti?

Dass Silke Burmester wütend ist, haben inzwischen viele Menschen mitbekommen. Die Kollegin, die einst die „Freischreiber“ mitbegründet hat, ist auch keineswegs grundlos wütend, wenn sie sich echauffiert über Billiglöhnerei im Journalismus. Eher ist die Frage: Warum erst jetzt?

Über den Newsletter ihres Berufsverbandes habe ich heute erfahren, dass Burmester im Deutschlandfunk noch mal eine Schippe draufgelegt hat – und sich offenbar schon als Markenzeichen eines Kampfs begreift, für den sie Mitstreiter sucht. Sie ruft nämlich eine „BurAGENDA-2017“ aus, dank derer man künftig vom Journalismus leben können soll, wenn man seinen Beruf ernst nimmt. Ich würde es ja so ausdrücken, dass man GUT davon leben können sollte, so gut wie andere qualifizierte Berufstätige, und vielleicht sogar besser als andere unterbezahlte qualifizierte Berufstätige wie Erzieherinnen oder Altenpfleger.

Aber schauen wir uns Burmesters Rant mal näher an, in dem sie nach allen Regeln der Polemik eine Zukunft an die Wand malt, in der unseren Beruf „ausschließlich Erben und Lottogewinner ausüben können“. Natürlich bekommen die Verlegerfunktionäre Mathias Döpfner und Rudolf Thiemann als Übliche Verdächtige ihre Ladung Fett weg, aber die ihnen zur Last gelegte „Schrottifizierung der Branche“, die „der vierten Macht im Staat“ zusetze, ist und bleibt ein anderes Thema als die miesen Zeilengelder bei vielen Zeitungen. Es sind zwei Phänomene. Springer zahlt vergleichsweise anständig, verlegt aber Blätter quer über das Qualitätsspektrum, darunter leider auch solche, mit denen man als anständiger Journalist nicht in Verbindung gebracht werden mag. Dafür betreiben manche Verlage, die unter jeglicher Würde bezahlen, einen ehrenwerten (wenngleich manchmal drögen) Journalismus, weil es ihnen gelingt, ehrenwerte Autoren auszubeuten.

Also schreibt Burmester:

„Die Idee dahinter ist einfach: All jene, die den Beruf nicht ernst nehmen und/oder auf das Geld, das sie mit ihrer Tätigkeit verdienen, nicht angewiesen sind, machen bitte etwas anderes.“

Dass alle, die den Beruf nicht ernst nehmen, etwas anderes machen, wünsche ich mir auch. Nicht zuletzt würden dann einige Chefredakteursposten frei, und manche Blätter könnten mangels Personal gar nicht mehr erscheinen, so dass sich die Inserenten andere (bessere) Blätter suchen müssten, um ihr Geld loszuwerden.

Auf Autorinnen und Redakteure jederlei Geschlechts, die auf das Honorar oder Gehalt nicht angewiesen sind, möchte ich aber nicht verzichten. Soll eine gute und faire Chefredakteurin kündigen, weil ihr Gemahl Chefarzt ist? Soll ein guter Reporter das Reportieren einstellen, weil er ein Mietshaus geerbt hat? Würde die Verteilung von Jobs nach dem Bedürftigkeitsprinzip die Qualität des Journalismus steigern? Man könnte meinen, dass Burmester so ähnlich denkt:

„Ich rede auch von den Frauen, die mit ihren Klein-Mädchen-Träumen von Erdbeerkuchen und Glückshormonen für einen Witzlohn die Stellen der Yellow-Press- und Feel-Good-Verlage besetzen, vor dem Hintergrund, dass sie als Teil des Systems „Ehe“ auf das Geld nicht angewiesen sind.“

Auhauhau, was wäre los, wenn das ein Mann geschrieben hätte? Alter Schwede! Ich gebe zu, dass ich beim Lesen schadenfroh lachen musste, aber nur bis zu dem Sekundenbruchteil, als sich die Ratio zuschaltete. Denn selbst wenn es irgendwo im oberen Rheintal, an der Alster oder am Arabellapark (oder in den Weiten des Netzes) Unterhaltungstexterinnen gibt, die sich diese Kritik verdient haben, würde die Qualität des politischen Journalismus oder ganz allgemein der Tageszeitungen um kein Nanoquäntchen besser, wenn sie ihre Tätigkeit einstellten. Die Bezahlung freier Mitarbeiter bei Provinzzeitungen würde nicht steigen.

„Ich rede an dieser Stelle über die Rentner und anderen Tageszeit-Flaneure, die als Beschäftigungstherapie für 13, 19 oder 21 Cent die Zeile Texte für die Regionalzeitungen schreiben, und damit das System der großen Verlagsgruppen stützen, die Lokalredaktionen unterbesetzt halten und sich auf die Ergüsse der Freizeitjournalisten verlassen.“

Rentner (und Lehrer) als Autoren gab es bei der Tagespresse schon immer. Aber wer es sich antut, für die paar lumpigen Cent zu schreiben, hat vielleicht einen Grund: Er/sie bekommt womöglich so wenig Rente, durchaus nach einem Leben als freiberuflicher journalistischer Profi, dass er/sie auf ein Zubrot angewiesen ist. Schreiben und Fotografieren geht noch einem Alter, in dem man für manch anderen Job nicht mehr genommen wird. Andere schreiben nur aus Mitleid mit den Lesern. Sie können es sich leisten, zu schreiben, und wollen, dass das Publikum nicht nur PR-Gesülze zu lesen bekommt.

Aber nicht genug, Silke Furiosa drischt auch noch auf unseren Berufsnachwuchs ein, den wir brauchen, damit die Kluft zwischen Autoren und Publikum nicht generationenbedingt zum Grand Canyon wird:

„Und ich rede von den Berufsanfängern, von denen zu befürchten ist, dass sie bereits bereit sind, Geld mitzubringen, um zu veröffentlichen.“

Sorry, liebe Kollegin, was ist daran neu? Ich stand 1979 als Journalistikstudent vor der Frage, wie ich mein von den Eltern überwiesenes Grundeinkommen aufbessere – mit lächerlichem Zeilengeld oder mit einem Job, der vernünftig bezahlt wird? Also habe ich mich lieber hinter Ladentheken gestellt und – je nach Saison – Fotoapparate und Eishörnchen verkauft. Oder auch mal im Ford Transit Teig für amerikanische Cookies in Px-Läden der U.S. Army geliefert. In den Neunzigern habe ich im BJV den Jüngeren gepredigt, dass man mit Schreiben für Hungerlöhne nur eines erreicht: dass man sich einen Namen macht als jemand, der es nötig hat, für Hungerlöhne zu schreiben.

Aber Silke B. gefällt sich lieber in Schuldzuweisungen:

„Es sind diese drei Gruppen, die mit dafür verantwortlich sind, dass immer mehr derer, die sehr gern professionell arbeiten würden, zusehends unter Druck geraten und für Löhne und Honorare tätig sind, die erst die Würde fressen und dann den Anstand und Ethos, die den Journalismus von der Dienstleistung trennen.“

Nein, verantwortlich sind Verlagsmanager, die ihr Geschäftsmodell auf Ausbeutung aufbauen. Ob jemand gern professionell arbeiten würde, spielt keine Rolle, wenn das zu viele andere auch wollen. Der Denkfehler besteht darin, dass es immer die anderen sind, die einem die Preise verderben. Dabei trägt jeder, der das Scheißspiel mitmacht, gleichermaßen dazu bei. Die Teilnehmer in Mittäter- und Opfer-Schubladen zu unterteilen, spielt denen in die Hände, die davon profitieren. Divide et impera nannten das die alten Römer: Herrsche, indem Du die Leute spaltest! (Nachzulesen bei Uderzo und Goscinny in „Der große Graben“.)

„All diese Leute sollen bitte etwas anderes machen. Etwas mit Start-Up vielleicht. Oder mit Latte Macchiato.“

Ja, klar, weiß schon, ist eine Polemik. Aber was, wenn jemand den Spieß umdreht und sagt: Wenn es Frau Burmester nicht mehr passt im Journalismus, soll sie doch eine Kaffeebude aufmachen!? Wäre sie da nicht kreuzbeleidigt?

Und was steht nun außer Gebrüll an der Klagemauer auf der Bur-Agenda 2017? Dass wir „in den Kampf ziehen“ und uns „nicht länger auf die angebotenen Schundsätze und Verträge jenseits von Anstand und Sitte einlassen“. Dann wird alles wieder gut, weil die Redaktionen ja Texte brauchen. Wissen Sie, wie lange ich das schon predige, im Guten? Und Sie glauben, wenn Sie die Kollegen beleidigen…

„Die Lokalredakteure verplempern ihre Zeit nicht länger mit den Grützentexten der Opa-Reporter, die Frauen finden mehr Zeit für ihr Erdbeerkuchen-Blog und die Jungjournalisten werfen nicht bereits mit dem Berufseinstieg ihre Selbstachtung über Bord.“

…machen sie eher mit? Solange der Opa nicht senil oder dement ist, stört mich das Alter nicht. Journalismus ist keine Fähigkeit, die mit 30 den Gipfel erreicht und ab da in den Sinkflug übergeht. Ebenso ist es Unfug, Jungjournalistinnen (die Mehrheit sind Frauen, denen Erdbeerkuchen am Allerwertesten vorbeigeht) zu unterstellen, sie hätten heute alle keine Selbstachtung mehr, weil ihnen die bösen Rentner die Jobs wegnehmen. Im Gegenteil: Es gibt altväterliche Lokalzeitungen, für die keine jungen Leute mehr schreiben wollen. Die brauchen ihre alten Autoren.

„Natürlich mache ich mich mit diesem Vorstoß unbeliebt. Macht nichts. Es geht um die Sache. Um den Journalismus. Es ist schlicht unverständlich, warum ausgerechnet dieser für unsere Demokratie so essentielle Berufsstand ein Auffangbecken für Dilettanten sein soll.“

Wenn eines dilettantisch ist, dann dieser Versuch, mit einer Mixtur aus Stoßseufzern, Verunglimpfungen und frommen Wünschen den Journalismus zu retten. Das Beste, was ich über die Burmesterschen Tiraden beim DLF sagen kann: Sie waren gut gemeint.

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