Rezo, der DJV und die lieben Kollegen

Ein ganz normaler Sommertag im Netz. Ein verdammter normaler Sommertag der späten Zehnerjahre, sollte ich dazusagen, denn ich kenne das Netz noch anders, aus den Zeiten, als die Modem-Verbindung 20 Pfennig pro Minute kostete und man die wertvolle Onlinezeit nicht damit verplemperte, anderen vorzuwerfen, sie benähmen sich daneben, während man sich gerade selbst danebenbenimmt. Als teilnehmendem Beobachter in den sozialschwachen Medien fällt mir nur noch ein Dreierpack rhetorischer Fragen ein, den man nicht schreiben kann, ohne sich als hoffnungslos altmodisch zu outen: „Wie reden Sie mit mir? Was glauben Sie, wen Sie vor sich haben? Was bilden Sie sich eigentlich ein?“ Womit ich übrigens einem Twitterer bereits wieder Anlass zum Hassen gegeben habe. „Boar, wie ich Leute hasse, die im Internet das Sie nutzen“, schrieb irgendein Christian. (Ich hasse Leute, die solche Tweets in die Welt setzen.)

Aus meiner Twitter-Timeline

Ursprünglicher Auslöser der absurden Wortfechtereien, in deren Verlauf ein junger DJV-Kollege sich zu der Äußerung verstieg, seinetwegen könne man den Vorsitzenden seiner eigenen Gewerkschaft gerne „schlachten“, war Rezo. Der blauhaarige Jugendlichendarsteller Influenzer aus meiner Geburtsstadt Aachen hatte sich zu den „Space Frogs“ begeben, zwei in ihrer Generation recht beliebten Video-Komikern, die vorgaben, ihn „BILDen“ zu wollen. Es handelte sich bis kurz vor Schluss nicht um „Real Talk“, sondern um eine Show, eine Inszenierung mit einer Reihe von Schnitten, in der Rezo lustvoll so tat, als hätte er noch nie eine Zeitung in der Hand gehabt, verachte aber jeden, der sich noch eine kauft. Mimik, Gestik, Betonung und Lautstärke waren so übertrieben, dass ihn wohl selbst die heuteShow-Redaktion gebeten hätte, nicht so dick aufzutragen.

Ich lese keine Zeitung.
Ich lese das einfach nicht.
Ich lese einfach keine Zeitungen.

(Mit theatralischer Ironie in der Stimme:) Es ist schon wichtig, Zeitungen zu lesen. … Du kannst doch nicht informiert werden, wenn Du nicht Print in der Hand hast. Das ist so wichtig.

Wer tut das denn noch?

Wer sich das Video antut, sieht keinen originellen Verriss eines durchaus kritikwürdigen Printprodukts aus dem Springer-Verlag, sondern einen billigen und ziemlich abgeschmackten Versuch, auf Kosten der verbliebenen Zeitungsleser und der für sie schreibenden Redaktionen Applaus von jenen zu bekommen, die sich allein aufgrund der Tatsache, dass sie ausschließlich online lesen, automatisch für die klügeren und besseren Menschen halten. Online Supremacy, so to say. Rezo und sein Stichwortgeber Rick Garrido halten es für lustig, die Gewohnheit älterer Rezipienten, Zeitung zu lesen, wie eine unvermeidliche Macke im Kopf erscheinen zu lassen:

Wir werden auch irgendwann alt sein und diese psychologischen Fehler haben.

Zu den Höhepunkten der Show gehörten neben der unausgesprochenen Andeutung, Zeitungsleser hätten doch alle Honig im Kopf, ein paar Sätze, mit denen Rezo, der sich von Journalisten „getriggert“ fühlt, seinerseits Journalisten triggerte, nämlich DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner und den DJV-Vorsitzenden Frank Überall. Hier zunächst O-Ton Rezo:

Ohne Scheiß: Journalisten sind teilweise so dumm. 

Letztlich ist es total geil, wenn so Kackzeitungen irgendwas Dummes schreiben, weil: Sobald die „Rezo“ schreiben, pushen die mich einfach nur. 

Wer liest das? Wer kauft das? Wer unterstützt das finanziell? So ein moralisch degenerierter… (Darauf folgende Wort überdeckten die lustigen Weltfraumfrösche auf der Tonspur mit dem Muhen eines Rindviechs, so dass man sich denken darf, was Rezo sagte – „Haufen“ vielleicht, könnte kurz eine Lippenleserin aushelfen? – und offen blieb, wen er in diese Bewertung einschloss, also: Journalisten, Leser, Inserenten?)

Ich bin so froh, dass das kein Teil von meinem Leben ist, dass diese ganze Printwelt ganz fern von mir ist.

Soso. Wenn ich behaupten würde, ich wäre froh, wenn dies ganze Youtube-Welt ganz fern von mir wäre … ach, lassen wir das, ich würde ja lügen. Denkt Euch Euren Teil, liebe Leser.

Wenn man die freakige Frösche-Show in ganzer Länge anschaut (und noch mehr, wenn man sie transkribiert und liest), kann man jedenfalls nur zu einem Schluss kommen: dass Rezo den Sack BILD schlägt und (bis vielleicht auf einige wenige rühmliche Ausnahmen) die ganze Journaille meint. Denn seine vermeintliche Auseinandersetzung mit dem heutigen Print-Journalismus basiert ausschließlich auf einer Betrachtung des auch unter Journalisten umstrittenen Boulevardblatts und seines Anhängsels B.Z. sowie einer persönlichen Erfahrung mit einer FAZnet-Kollegin, die er dumm und nervig fand. Dann versteigt sich der 27-Jährige, der laut eigener Einlassung überhaupt gar keine Zeitungen liest, zu einem Urteil über die Menschen, die bei diesen arbeiten:

Es gibt auch gute Journalisten. Wie bei Youtube. Es gibt so viel Billoshit-Unterhaltung, und das machen halt auch die meisten Zeitungen, die meisten Print-Leute. Das ist Billoshit-Unterhaltung. Und das ist okay, das ist cool.

Wundert es irgendwen ernsthaft, dass der Sprecher und der Chef des DJV getriggert waren? Kann man solche zutiefst unqualifizierten und unfairen Generalattacken eines Netzpromis mit Followership in der Größenordnung der ADAC-Motorwelt-Auflage unkommentiert stehen lassen? Vielleicht ja. Denn Zörner und Überall schossen, wie Letzterer inzwischen einräumte, übers Ziel hinaus. Die bereits nach kurzer Zeit wieder zurückgezogene Pressemitteilung war ein grober Klotz auf den groben Keil und ließ Angriffsflächen für formale Kritik, denn sie verdichtete das Gehörte und höchstwahrscheinlich auch Gemeinte dergestalt, dass sie das, was beim Empfänger ankam (und darauf kommt es bei jeder Kommunikation bekanntlich an), als tatsächlich so Gesagtes beschrieb.

Wer schon mal mit Block und Stift über einen „Es-gilt-das-gesprochene-Wort“-Vortrag berichten musste, wird da gnädig sein. Nur kann man bei einem Internet-Video halt beliebig oft noch mal genau hinhören, und das hat Kollege Zörner leider wohl versäumt. Gerade bei einem Rezo, dessen Fangemeinde groß genug ist, dass sich statistisch gesehen auch reichlich Wortklauber darunter befinden dürften, sollte man provokative Soundbites besser in keiner Weise redaktionell optimieren, selbst wenn man die beabsichtigte Botschaft damit gar nicht verfälscht, sondern auf den Punkt bringt. Ja, wirklich: Die Nummer mit der BILD bei den Weltraumfröschen hebt sich nicht sonderlich heraus aus dem, was Rezo scheinheilig an der Masse der Printmedien und Youtube-Filmchen kritisiert: Billoshit-Unterhaltung. (Ob „Billoshit“ für „Bullshit“ oder für „billiger Scheiß“ steht, sei dahingestellt; das Wort kannte ich noch nicht.) Ja, Space Frogs ist ein Comedy-Format, und da wären die Zuschauer enttäuscht, ginge es nicht deftig zur Sache. Das Video gibt den Affen Zucker, die Macher wollen uns Printenheinis abwatschen, eine links und eine rechts.

Im Prinzip hätte Hendrik Zörner seinen Chef also wohl besser zitieren lassen: „So ein moralisch degenerierter (Muhhh).“ Das druckt dann zwar keine Zeitung ab, aber als Video-Podcast-Pressemitteilung mit eingeblendetem O-Ton könnte es funktionieren. Die Aufregung findet ja eh ausschließlich im Netz statt.

A propos gedruckte Zeitung und online: Im Verlauf der Viertelstunde erweist sich auch Print nur als Metapher für Verlagsjournalismus, denn alles an der BILD, worüber sich Rezo so berechtigt wie gekünstelt echauffiert, hätte er auch in der Online-Ausgabe gefunden. Dass Rezos Kritik nicht das Mindeste mit dem vermeintlich entscheidenden Antagonismus „Papier versus Bildschirm“ zu tun hat, kommt ans Licht, als er im abschließenden „Real Talk“, also dem ernst gemeinten Nachwort, Übermedien und Bildblog als positive Beispiele für medienkritischen Zeitungsjournalismus lobt:

Übermedien macht das, Bildblog. Aber warum machen das nicht alle Zeitungen?
Spätestens da ist klar, dass jemandem, der keine Zeitungen liest, die nötige Medienkompetenz fehlt, um bei dem Thema mitzureden. Richtig peinlich wird das Echtgerede an dem Punkt, an dem Rezo sich die Youtube-Szene schönredet, um anspruchsvolle Printmedien mit der BILD in einem Atemzug nennen und kleinreden zu können:

Das Ding ist, Eure Printszene ist halt so wie die Youtube-Szene. Es gibt ganz viele Sachen. Das meiste ist Unterhaltung, es gibt auch ein paar Leute, die was Gutes machen. Das ist bei Print so, das ist bei Youtube so. Versteh ich. Bei uns in der Youtube-Szene ist es so: Wir haben auch son paar Leute, die Sachen machen, wo man sagen kann, das ist eigentlich nicht gut, dass es das gibt. Das ist eigentlich… die haben ne Auswirkung, die nicht gut ist. Und was machen wir? Wir zeigen mit dem Finger drauf und distanzieren uns klar davon und wir analysieren das und sagen: Das ist nicht cool.

Also merkt Euch: Filme über Nazi-Flugscheiben, die hohle oder flache Erde, Chemtrails, die Nichtexistenz von Viren, esoterisches Geschwurbel, Sektengedöns und Reichsbürger-Propaganda – das ist alles nicht cool, so wie BILD nicht cool ist.

Ich nehme Rezo jetzt beim Wort und warte gespannt auf seinen Zeigefinger und auf coole neue Zerstörungsvideos:

– Die Zerstörung der Impfgegner

– Die Zerstörung der Identitären

– Die Zerstörung der Reichsbürger

– Die Zerstörung von kla.tv

– Die Zerstörung des Elsässer-Kubitschek-Komplexes

Übrigens: Ich teile keineswegs die Ansicht einiger meiner Kollegen, die sich gestern mit der Forderung hervorgetan haben, Frank Überall müsse sich bei Rezo auf der Stelle entschuldigen. Er hat es übrigens getan. Aber genausogut können wir alle, die BILD genauso kritisch sehen wie Rezo, von diesem eine Entschuldigung dafür verlangen, dass er, der bekennende Nicht-Zeitungsleser, BILD als Normalfall darstellt und uns wie eine quantité négligeable. Jeder Nicht-Journalist darf hohe Maßstäbe an unsere Arbeit anlegen, aber dann sollte er sich selbst erwachsen benehmen und nicht durch maßlose Arroganz und unüberlegt-emotionale Verunglimpfungen Überreaktionen wie die von vorgestern provozieren. Wir Journalisten sollten uns nicht triggern lassen, die Youtuber auch nicht, und dann versuchen wir zur Abwechslung vielleicht mal, uns gemeinsam den echten Problemen dieser Welt zuzuwenden. Von denen gibt es ja nun wahrlich genug. 

 

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