BGE-Freunde können nicht rechnen

„Weltgrößter BGE-Versuch in Kenia“, titelt das Social-Business-Magazin Enorm, „26.000 Menschen, 300 Dörfer, 12 Jahre, 0,75 Dollar am Tag – das sind die Eckpunkte des größten Experiments, das bislang zum bedingungslosen Grundeinkommen stattfinden soll.“ Tja, das stimmt schon mal nicht, denn das Budget des Experiments beträgt nur 30 Millionen Dollar. Wenn 26.000 Menschen je 75 Cent pro Tag erhielten, wären das 19.500 Dollar am Tag, binnen 12 Jahren oder 4383 Tagen also 85.468.500 Dollar.

Liest man weiter, erfährt man, dass weder 300 Dörfer Geld bekommen noch 26.000 Menschen 12 Jahre lang. Das fängt damit an, dass 100 Dörfer als Kontrollgruppe definiert sind; dort bekommt niemand auch nur einen Cent dafür, dass er sich der Neugier amerikanischer Möchtegern-Sozialwissenschaftler stellt, die sich damit brüsten, das größte Experiment der Weltgeschichte zu veranstalten

We’re running the largest experiment in history.“

Bleiben 200 Dörfer. In 160 von ihnen, also 80 Prozent, ist nicht nach zwölf, sondern schon nach zwei Jahren Schluss. Diese Gruppe mit 20.000 Teilnehmern wird noch einmal geteilt. Eine Hälfte bekommt monatlich ein Pro-Kopf-Grundeinkommen von 22,81 Dollar ausbezahlt, die andere Hälfte einen Einmalbetrag von 547,50 Euro. Nur die restlichen 40 Dörfer mit zusammen 6000 Bürgern nehmen an der Langzeitstudie teil. Bedingungslos, wie die enorm-Redaktion ausweislich ihrer Headline glaubt, ist das Grundeinkommen übrigens selbst dann nicht, wenn man die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dorfgemeinschaft alternative-facts-technisch zur Nichtbedingung schönredet: Man muss erwachsen sein. Kinder gehen leer aus, und die Eltern bekommen das Grundeinkommen auch nicht als Kindergeld anvertraut.

Noch mal nachgerechnet:

20.000 mal 547,50 sind knapp elf Millionen Dollar. Die 6.000 Langzeitprobanden erhalten zusammen knapp 20 Millionen Dollar. Wenn die nötigen 31 Millionen zusammenkommen, wird man etwa anno 2030 einen Abschlussbericht erwarten können. Solange hat das Experiment also schon einmal keinen wissenschaftlichen Nutzen.

Ob es ihn je haben wird? Die Dörfer haben – zuzüglich Kinder und Jugendliche – eine durchschnittliche Einwohnerzahl von 125 (Zwei-Jahres-Probanden) beziehungsweise 150 (Zwölf-Jahres-Gruppe), also geschätzt 300 Einwohner. Ich kenne die Siedlungsstruktur nicht, aber die Spreizung dürfte so ausfallen, dass 1000 Einwohner schon den oberen Rand bilden. Das heißt: Das gesamte Experiment beschränkt sich auf Gemeinden, in denen jeder jeden kennt. Das dörfliche Sozialverhalten auf dem Land dürfte sich von dem in einer Großstadt wie Nairobi signifikant unterscheiden.

Welche Rückschlüsse man aus den Daten dann erst auf die Auswirkungen eines Grundeinkommens in, sagen wir, New York City oder dem Freistaat Bayern ziehen können soll, bleibt das Geheimnis der Empirie-Genies aus Amerika – und der deutschen Redaktionen, die unkritisch über solche „Studien“ berichten, bei denen Menschen in fernen Ländern in neokolonialer Manier zu Studienobjekten degradiert und für ihre Teilnahme mit einem Almosen abgespeist werden, das nicht einmal alle erhalten.

 

 

 

Vergesst das BGE – endlich!

Diesen Text schreibe ich zum Verlinken – wenn mal wieder auf Twitter fürs Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) getrommelt wird.

1. Die große Lebenslüge der GE-Freunde ist das B am Anfang. Ein Grundeinkommen kann niemals bedigungslos ausgezahlt werden. Sobald es an eine Staatsbürgerschaft, Herkunft oder auch nur den Aufenthalt in einem Land gekoppelt wird, ist es nicht mehr bedingungslos. Ein BGE muss unbürokratisch an mehr als sieben Milliarden Menschen ausgeschüttet werden, sonst ist der Name unwahr und verlogen. Die utopische Voraussetzung wäre demnach, dass alle Staaten der Erde mitmachen und ungeachtet aller Unterschiede in Kaufkraft und volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit allen die gleiche Summe bezahlen.

2. Über ein bedingtes Grundeinkommen (praktischerweise hätte es die gleiche Abkürzung) kann man reden. Dann muss man aber auch darüber reden, wie man einen gesellschaftlichen Konsens darüber herstellen will. Ein solches BGE wäre damit verbunden, dass so gut wie alle anderen Sozial- und Transferleistungen ersetzt oder in einem Instrument konsolidiert, de facto also abgeschafft würden.

3. Ein Grundeinkommen wäre schon dann nicht mehr bedingungslos, wenn es für Kinder nicht gleich hoch wäre wie für Jugendliche, für Singles nicht gleich hoch wie für Paare oder Familien. Es einheitliches GE wäre ein sozialpolitisches Steuerungsinstrument, das einen Anreiz böte, viele Kinder zu bekommen. Das gilt zwar angesichts der Überalterung der Bevölkerung als wünschenswert, aber eben nur solange die Sozialkassen damit Einzahler gewinnen und keine zusätzlichen Leistungsbezieher.

4. Die Erfahrung aus den letzten Jahren lehrt, dass ein GE vor allem von denen gefordert wird, die für sich möglichst viel für lau herausschlagen wollen: Künstler und Kreative wie Komponisten, Fotografen, Journalisten, Filmschaffende und Schriftsteller sollen gefälligst von der Grundsicherung leben, sich also mit dem Existenzminimum begnügen, damit die Mehrheit der Bevölkerung ihre Werke kostenlos genießen und mit der Welt teilen kann. Dahinter steckt eine Hybris, eine sehr unsympathische Arroganz von Leuten, die sich für die Oberklasse einer Zweiklassengesellschaft halten. Sie selbst wollen natürlich weiter arbeiten, um zusätzlich zum Grundeinkommen ein Gehalt zu beziehen (das natürlich etwas niedriger ausfiele als heute), während sie den Künstlern das Zusatzeinkommen nicht zugestehen, es sei denn, diese ackerten wie blöde in ihrer Freizeit dafür. Künstler müssten auf jeden Fall mehr arbeiten für – unter dem Strich – weniger Geld.

5. Da sich die Bessergestellten, die zusätzlich zum GE einen gut bezahlten Job hätten, keine Gedanken mehr um die vermeintlich gut abgesicherten Nicht-Erwerbstätigen machen müssten, würde die Gesellschaft nicht etwa solidarischer. In Wirklichkeit würde sie weiter gespalten. Die Ghettoisierung würde sich fortsetzen oder steigern: Hier die billigen Quartiere für GE-Bezieher, die ja keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr mehr bräuchten, weil sie nicht zum Arbeitsplatz pendeln müssten, dort die gentrifizierten Luxusquartiere für den privilegierten Teil der Gesellschaft. Durchbrochen würde diese Zweiteilung allenfalls durch kinderreiche Familien, die sich durch die Kumulierung von GEs bessere Wohnungen auch ohne Arbeit leisten könnten, damit aber den Hass derer auf sich zögen, die sich nur durch (nicht-künstlerische) Arbeit die bessere Wohngegend leisten können.

Kurz gesagt: Selbst wenn ein bedingtes GE finanzierbar wäre, würde es nicht zum sozialen Frieden beitragen.