Griff zum Wegwerfen

Die Nasa fängt endlich an, hinter sich aufzuräumen. Ausgerechnet Hubble soll es als Erstes treffen.

Zu einer Zeit, als Raumfahrt noch richtig populär war, Werbesprüche eine beeindruckende Halbwertszeit hatten und die Deutschen sich unter einem Energieriegel einen Karamelzuckermampf im Vollmilchschokolademantel vorstellten, kursierte im Lande eine Scherzfrage: „Warum schießen wir unseren Atommüll nicht einfach auf den Mars?“ Die korrekte Antwort: „Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück.“

Über Orbit hat nie jemand solche Witze gerissen – was wohl weniger daran liegt, dass es sich dabei um den ersten Markenkaugummi handelte, der „ohne Zucker“ angeboten wurde, sondern eher daran, dass es keiner milliardenteuren Missionen bedurfte, die Menschheit davon zu überzeugen, dass der Orbit so schnell nichts wieder hergibt von dem Schrott, den Nasa, Esa, Roskosmos & Co. in ihm deponiert haben.

Wer wieder etwas herunterholen will von all der Hightech früherer Dekaden, die unseren Astro- und Kosmonauten bei ihren Außenbordeinsätzen um die Ohren fliegt – wie zuletzt Bruchstücke eines chinesischen Satelliten während der jüngsten Atlantis-Mission -, kann kaum darauf hoffen, dass Captain Kirks guter alter Bordingenieur Scotty noch einmal auf Zeitreise geht und das Zeugs aus der Umlaufbahn beamt. Und es wird sich auch kein schwarzes Loch auftun, in dem wir den Kram geregelt entsorgen können. Wobei ich zugeben muss: So ein schwarzer Staubsauger, der den Orbit putzt, wäre schon faszinierend. Schließlich kreisen über unseren Köpfen nicht nur 18.500 künstliche Himmelskörper herum, sondern auch noch Hunderttausende zentimetergroßer Fragmente. Und ganz entgegen unserem in vielen TV-Stunden erworbenen Raumfahrtwissen haben die Satelliten, die unsere geliebten Fernsehkanäle mit Programm füllen, bislang keine Schilde, die man im Müllgürtel des blauen Planeten hochfahren könnte. Die um den Erdball zirkulierenden Geschosse, die früher mal Teile wertvoller Gerätschaften waren, reißen im Zweifelsfall fiese Löcher in unsere Eutelsats und Astras.

Damit sich nicht noch mehr gefährliche Brösel in Bewegung setzen, kümmern sich Houston und Cape Canaveral jetzt selbst ums Aufräumen. Als das 19 Jahre alte Weltraumteleskop
Hubble kürzlich eine modernere Kamera, frische Batterien und einen neuen Hitzeschutz bekam, montierten ihm die Orbitaltechniker John Grunsfeld und Drew Feustel gleich auch einen „Soft Capture Mechanism“ (SCM) ans Heck. Das ist ein wichtig klingender Name für einen der teuersten Griffe zum Wegwerfen, die die Welt je gesehen hat. In fünf bis zehn Jahren wird ein unbemannter Astroschlepper Hubble an den Haken nehmen und das gute Stück mit einem wohldosierten Schubs so in den Pazifik befördern, dass es niemandem auf den Kopf fällt.

So schade es auch ist um das berühmte „Auge der Menschheit ins Universum“: Die Idee entspricht dem guten alten Verursacherprinzip und ist daher zu loben. Eigentlich müsste man nur ein magnetisches SCM erfinden, das man nicht mehr festzuschrauben braucht, und es in Großserie herstellen. Und dann nix wie abwärts mit Kopernikus, Iridium, Globalstar. Warum sollen die alten Schätzchen im „Friedhofsorbit“ herumgeistern? Im Meer sterben die Korallen, da können die Fische künstliche Riffe gut gebrauchen.

ULF J. FROITZHEIM ist freier Journalist und wartet sehnlichst auf außerirdische Technik, die ihm mal seinen Schreibtisch entrümpelt.

Aus der Technology Review 7/2009, Kolumne FROITZELEIEN

Der Ratte langer Schwanz

Die Probleme mit Internet-Fernsehen lehren: Nicht jede globale Minderheit wird gemeinsam stark.

Die Sonnenseite der Globalisierung trägt einen Namen, der nicht so appetitlich klingt: „Long Tail“, der Lange Schwanz. Gemeint sind die flachen Seitenausläufer der Gauß’schen Normalverteilung. In der kompakten Mitte ballen sich billige Futtersäcke für Milliarden Fliegen, die nicht irren können, also Welthits, Blockbuster, Bestseller. Am Rand geht es scheinbar endlos weiter mit Raritäten, die sich kein kluger Offline-Kaufmann ins Lager legen würde. Dank Ebay und Google aber finden Kleinstproduzenten weltweit Kunden, und Leute mit obskurem Geschmack passende Ware.

Das funktioniert prima bei allem, was einen googlebaren Namen hat: bei Sammlerstücken, Büchern, Musik, Videos. Bei all den Projekten aber, die nach diesem Prinzip jetzt das Fernsehen umkrempeln wollen, beißt sich die Katze in den langen Schwanz. Dass Joost, Zattoo, Babelgum & Co. irgendwann 50.000 Internet-TV-Kanäle anbieten, mag ja technisch möglich sein. Diese Kanäle voll zu kriegen, nicht. Nicht einmal der Groß-Spartensender DSF sendet rund um die Uhr Sport – denn gutes Material ist teuer. Und gäbe es auch nur die 500 Programme, die uns die Everythingon-Demand-Euphoriker einst in Aussicht stellten, würden 90 Prozent davon im (sub-)promillären Einschaltquoten-Orkus dahinvegetieren. Hinter der Kanal-Inflation verbirgt sich deshalb ein Etikettenschwindel: Ein „Channel“ bei Joost ist nichts weiter als eine Endlosschleife, in die man an beliebiger Stelle einsteigen kann. Bis man auf Stop klickt, plätschern Serienfolgen und andere Konserven aus der DSL-Strippe.

Auch die Bildqualität ist bisher grenzwertig, weil Peer-to-Peer-Technik und Streaming nur zusammen gehen, wenn der Nächste, der gerade das Gleiche sehen will, nicht fern ist. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Long Tail – und der Grund dafür, dass die Server von Joost und Zattoo im Widerspruch zur reinen P2P-Lehre doch viel Arbeit haben. Noch kniffliger als die technischen Fragen aber sind die nach den Senderechten: Die Möchtegern-TV-Revolutionäre müssen für jedes Land Verträge mit den Lizenzgebern schließen – oder dessen Einwohner anhand der IP-Adresse aussperren.

Die IT-Cracks, die Fernsehen neu erfinden wollten, haben wohl nicht geahnt, was da für ein Rattenschwanz dran hängt.

Aus der Technology Review 9/2007, Kolumne FROITZELEIEN

Untiefen im Flach-TV

Selbst die faszinierendste 3D-Technik verpufft, wenn es den Inhalten an Tiefgang mangelt.

Sie haben ja so recht, die Medientheoretiker: Das Fernsehen manipuliert unsere Wahrnehmung der Welt, indem es nur Ausschnitte der Wirklichkeit zeigt. Darüber kann auch der Trend zum cinemascopischen Ultraquerformat nicht hinwegtäuschen. Dank 16:9 sehen wir links und rechts mehr Nebensächliches. Hinter die Dinge schauen wir aber auch damit nicht: Unsere Bildschirme werden immer flacher, die Tiefe des Raums lassen sie höchstens erahnen.

So kann das nicht bleiben. Von M. C. Escher – dem Erfinder der endlos aufsteigenden Treppe und des sich selbst speisenden Wasserfalls – haben wir ja gelernt, was herauskommt, wenn man die Interpretation zweidimensionaler Bilder dem Gehirn überlässt. Am liebsten würde man in seine Bilder einsteigen und die unglaublichen Bauwerke von allen Seiten inspizieren. Doch nimmt man für bare Münze, was derzeit alles so geschrieben wird, könnte eine andere Lösung des Problems nahe sein: Von der Sehnsucht nach tiefen Einsichten beflügelte Techniker propagieren die Dreidimensionalisierung der visuellen Kommunikation – man könnte direkt meinen, das Holodeck sei bald serienreif.

Ganz so umwerfend ist der Stand der Technik allerdings nicht: Virtual-Reality-Projektionen sind kaum lebensechter als Second Life in Stereo. Dennoch sollen Autokäufer den digitalen Prototypen ihres persönlichen Traumwagens bald selbst zusammenbasteln. Nur die 3D-Monsterbrille sollte tunlichst noch verschwinden. Dies könnte mit einer neuen Entwicklung gelingen, die dem Auge auf einem handelsüblichen Monitor Hologramme vorspiegelt. Leider funktioniert das nur aus einem engen Blickwinkel – und nur in Rot. Doch selbst wenn es 65536 Farbtöne wären: Würden Sie ein 40000-EuroProdukt aus dem Simulator kaufen?

Aus Oldenburg kommt derweil eine Meldung der Kategorie „Illusionistentricks für technophile Bestverdiener“: Ein TV-Spezialist liefert Kunden, die ihren Highend-Plasmafernseher noch mal um 8000 Euro verteuern wollen, eine „Master Unit“, die auf Grundlage des normalen PAL- Signals räumliche Tiefe vorgaukelt. Ein solchermaßen schöngerechnetes Bild allerdings macht das real existierende Kerner-Bohlen-Silbereisen-Niveau kein Jota erträglicher – wer Qualitätsfernsehen mit inhaltlicher Tiefe verlangt, überfordert eben selbst den besten Ingenieur.

Aus der Technology Review 8/2007, Kolumne FROITZELEIEN

WWW-TV: Lieber Computer als Settop-Boxen

WIRTSCHAFTSWOCHE 10/1997

Da staunte die Branche: 93 Prozent der unterhaltungsfreudigen US-Bürger, eruierten die Marktforscher von Dataquest, lehnen Internetfernseher und Zusatzboxen ab, die das World Wide Web (WWW) per Fernbedienung auf ihren TV-Schirm holen. „Das Internet-TV hat – zumindest in seiner jetzigen Form – kein nennenswertes Marktpotential“, verkündete Van Baker, Dataquest-Chefanalyst für digitale Konsumgüter.

Hat er recht, stehen Gerätehersteller wie Philips und Sony vor einem neuen Flop. Das holländisch-japanische Duo, das einst den CD-Spieler im Markt durchgesetzt hat, versucht seit Oktober mit massiver Werbung, träge Fernsehkonsumenten in den USA mit ihrer Internet-Erweiterungsbox WebTV vom Reiz des Web zu überzeugen. Allein die Philips-Tochter Magnavox, einer der großen US-Fernseherhersteller, investierte 50 Millionen Dollar in das Projekt. Bislang erfolglos: Nur gut 30.000 von 100.000 ausgelieferten Geräten, schätzt das „Wall Street Journal“, wurden für 329 Dollar pro Stück verkauft.

Der müde Absatz macht auch Steve Perlman zu schaffen. Der frühere Apple-Manager hatte zusammen mit seinen Exkollegen Bruce Leak und Phil Goldman Konzept und Software für das WebTV entwickelt. Sie spekulierten auf ein lukratives Folgegeschäft: Wer eines der Geräte von Philips oder Sony nutzen will, muß vorab für 20 Dollar monatlich den Online-Dienst des Trios abonnieren. Denn im häuslichen TV-Gerät sind nur solche Web-Texte lesbar, die WebTV Networks zuvor typographisch aufbereitet hat. Jetzt muß Perlman mit monatlichen Einnahmen von deutlich unter einer Million Dollar wirtschaften.

Doch ans Aufgeben denkt vorerst niemand. WebTV-Protagonisten wie Philips-Bereichsvorstand Ed Volkwein glauben an ihr Produkt und suchen die Fehler im Marketing. WebTV-Chef Perlman geht sogar in die Offensive und kritisiert öffentlich die Methodik von Dataquest. Die Attacke fällt ihm um so leichter, als die Gartner-Group-Tochter traditionell der Computerindustrie verbunden ist, die Internetneulingen lieber PCs als Settop-Boxen verkaufen möchte.

UJF

SES Astra: Himmlischer Krach

Auch nach dem Abdanken ihres absoluten Herrschers Pierre Meyrat bleibt die LUXEMBURGER SATELLITENFIRMA SES auf Expansionskurs. Doch hinter den Kulissen bahnt sich Streit um Macht und Einfluß an.

Top/Business 1/1995

Seit dem 20. Oktober ist im Chateau de Betzdorf nichts, wie es einmal war. An diesem Tag erhielt Pierre Meyrat, bis dato Generaldirektor des Luxemburger Satellitenkonsortiums Société Européenne des Satellites (SES), völlig überraschend den Laufpaß – der Verwaltungsrat hatte fristlos den Mann gefeuert, der mit seinen cleveren Schachzügen die SES zur Großmacht in Europas Fernsehlandschaft gemacht hatte.

Meyrat tauchte nach dem Eklat mit den Konzernaufsehern spurlos unter. Langjährige Weggefährten schworen noch Wochen nach seinem Abgang, nicht zu wissen, wo der von den Medien früher nur „Mister Astra“ genannte Topmanager steckt. Und die Verwaltungsräte rotierten, um für Meyrat einen geeigneten Nachfolger zu finden, der die Gewinnquelle SES sprudeln lassen kann wie bisher gewohnt. Denn für den Betreiber der Astra-Satelliten stehen astronomische Renditen auf dem Spiel: 1993 wies das Unternehmen bei 326 Millionen Mark Umsatz ein Betriebsergebnis von 141 Millionen Mark aus. Der Grund: Fast alle deutschen und viele internationale TV-Programme werden über die Luxemburger Himmelskörper Astra 1A bis Astra 1C ausgestrahlt, die Vergabe der Sendeplätze für Astra 1D läuft gerade. „SES Astra: Himmlischer Krach“ weiterlesen