Apples Schandtaten wichtiger als die Assads

Die mildernden Umstände zuerst: Der Mantelteil der Osterausgabe der Süddeutschen Zeitung mit Triple-Datum „23./24./25. April 2011“ wurde von der am Karfreitag diensthabenden Stallwache produziert. Der Großteil der Redaktion dürfte frei gehabt haben, denn die Feiertagszuschläge zahlt ein Verleger nicht an mehr Mitarbeiter als unbedingt nötig.

Diejenigen, die Dienst schoben, fanden die bereits am Gründonnerstag eingelaufene Nachricht, dass das iPhone die für Location-based Marketing benötigten GPS-Daten auf fragwürdige Weise speichert, noch aktuell und wichtig genug, um sie den Abonnenten am Karsamstag als Seite-1-Aufmacher vorzusetzen:

„Apple entsetzt weltweit seine Kunden“

Kühne Behauptung auf S. 1 der Oster-SZ. War denn am Karfreitag nichts Empörenderes passiert auf der Welt?

Die vom Freitag stammende Nachricht, dass der syrische Diktator Baschar al-Assad Demonstranten hat massakrieren lassen, schoben sie unter den Bruch (das ist die Stelle, an der die Zeitung gefaltet ist). „Apples Schandtaten wichtiger als die Assads“ weiterlesen

VG Springer vs. VG Wort

Christoph Keese war mal Journalist, jetzt ist er Manager. Beim Springer-Konzern. Als solcher will er von gewerblichen Lesern des Springerschen Onlinecontents Gebühren kassieren; sein Traum ist eine Verwertungsgesellschaft der Verlage, die ein bislang nicht bestehendes Leistungsschutzrecht der Medienunternehmen monetarisieren soll. Diese neue VG Onlineverlage unterschiede sich aber, wenn sie denn zustande kommen sollte, von einer klassischen VG wie Wort oder Bild-Kunst dadurch, dass sie keine Autorenrechte, sondern ausschließlich Verwerteransprüche im Blick hätte.

Hierüber berichtet mein Jonet-Kollege Torsten Kleinz bei Heise. Dies kommentieren Heise-Foren-typisch viele Zeitgenossen, die mit mehr Häme als Sachverstand ausgestattet sind und es deshalb für nötig halten, Journalisten mit Springermanagern in einen Topf zu werfen. Hier habe ich mir erlaubt, dagegenzuhalten.

Milch im Fluss

Der Leimener Kommunikationsberater Markus Collalti beschreibt im Rheinischen Merkur das Verbreiten wertvoller Texte via Internet mit dem Bild der Milch, die ein Bauer in den Fluss schüttet*. So wie sich der Kuhsaft irreversibel mit dem Brackwasser vermischt, wird auch der Qualitätscontent unweigerlich zum Teil des nun einmal kostenlosen Informationsflusses im Web. Nicht mal der Landwirt mit den dicksten Kartoffeln würde annehmen, dass er damit Geld verdienen kann.

Interessanter Gedanke zu den Reizthemen "Paid Content" und "Leistungsschutzrecht für Verleger". Allerdings gebe ich Collalti nur bedingt recht. Sicher, auf die bisherigen Versuche der Zeitschriften- und Zeitungsverleger passt das Bild. Aber wer sich in den Foren und Kommentarspalten umtut, wird auch Leser entdecken, denen schlichtweg eine komfortable und nicht zu teure Möglichkeit fehlt, gute journalistische Lektüre im Netz einzukaufen. „Milch im Fluss“ weiterlesen

Freemium, Doepfnerium oder das 5. Element

Mathias Döpfner ist bekanntlich ein gebildeter Mensch und hat schon als Journalist gearbeitet. Daher darf man von ihm Kreativität, Originalität und Aufgeschlossenheit für naturwissenschaftsnahe Neuerungen erwarten. Diese Erwartungshaltung hat er soeben befriedigt, indem er die Wortschöpfung „Freemium“ in die Diskurs-Arena warf.

Das denglisch-neulateinische Kunstwort, das trefflich ein neues Element aus dem Reich der Transurane kennzeichnen könnte, ist komponiert aus Versatzstücken, die Döpfner dem Wortbaukasten einer ihm bildungsmäßig eher unterlegenen Zunft entnommen hat, nämlich derjenigen, die journalistische Werke aus der Perspektive der Verpackungsindustrie sehen: Free Content (der Inhalt hat keinen Wert, Hauptsache irgendein Dummer bezahlt das Drumherum) und Premium Content (der Inhalt ist dem Verbraucher eine kleine Prämie wert). Der Guteste bedient sich also bei Leuten, die Journalismus mit Mineralwasser vergleichen, bei welchem sich der Preis bekanntlich auch nicht nach Qualität, Geschmack oder gar Nährwert bemisst (sondern neben der Quantität allein nach der Bekanntheit des Markennamens).

Freemium heißt beim Ober-Springer Döpfner, dass die Zielgruppe das meiste für lau kriegt und für Besonderes zur Kasse gebeten wird. Die Leute, die mehr wollen, sollen also den Übrigen die Grundversorgung mit Banalitäten subventionieren. Das könnte man sich so vorstellen, als würden die Fernsehgebühren umgelegt auf die Leute, die Arte, Phoenix und Dreisat schauen.

Aber halt, Kinders, so hat Onkel Mathias das nicht gemeint! Nur noch gegen Prämie herausrücken will der multiregionale Lokalzeitungsverleger „das Archiv, den Staumelder oder die Exklusivgeschichte aus der Stadtverordneten-Sitzung“.

Das Archiv als Cashcow? Das wäre schön, wenn die Autoren davon etwas abbekämen. Aber ist es nicht auch etwas abenteuerlich, die virtuelle Variante des Fischeinwickelpapiers (nichts ist älter als der Content von vor zwei Stunden) für geldwert zu halten, nicht aber die frische Nachricht? Bei brand eins ist es zum Beispiel genau umgekehrt: Wer meine druckfrischen Geschichten sofort lesen möchte, muss wohl oder übel das Heft kaufen, aus dessen Erlösen mein Honorar bezahlt wird. Wenn mit dem Erscheinen der nächsten Nummer die vorige zum Altpapier wird (rein theoretisch natürlich, denn brand eins archiviert man selbstverständlich), rutschen die Texte ins kostenlos zugängliche Online-Archiv. Ich will nicht arrogant sein, aber ist ein vergilbter 30-Zeilen-Terminbericht aus dem Lokalteil des Abendblatts von anno schnuff mehr wert als eine große Wirtschaftsreportage, in der viel Rechercheaufwand, Zeit, Knoffhoff steckt?

Ob es Springerische Lokalzeitungen gibt, die das Melden von Staus zu ihren Kernkompetenzen zählt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass ich derartige Informationen woanders gratis bekomme.

Das Lustigste an Döpfners kreativem Anfall ist denn auch die Exklusivgeschichte aus der Stadtverordneten-Sitzung. Erstens sind diese Sitzungen normalerweise öffentlich, dann sitzen auch Exklusivreporter anderer Medien drin. Zweitens sind sie meistens ödestes Routinegeschäft. Drittens handelt es sich bei den wenigen nicht-öffentlichen Sitzungen (die allein wegen der Geheimhaltung das Potenzial haben, interessanter zu sein), um einen der möglichen Rohstoffe für Scoops. Wenn ich aber einen Scoop lande, hänge ich den an die große Glocke, gebe die Vorabnachricht über DPA, sorge dafür, dass alle mich zitieren. Auf keinen Fall aber stecke ich diese Katze in den Sack, dessen Bund ich nur gegen Gebühr öffne. Wenigstens der Kopf und die Vorderpfoten müssen herausschauen.

Das Geschäftsmodell, das Döpfner hier entdeckt hat, ist also ein völlig neues Element im Periodensystem des Journalismus. Er hat sich verdient, dass es nach ihm benannt wird. Wie wäre es mit Doepfnerium?

Die Enteigner der Enteigneten…

…werden enteignet, bloggt die Redaktion der DJV-Freienseiten. Sehr treffender Kommentar zur Bigotterie der Rechteverwerter.