Was die Gamerszene mit der NRA gemeinsam hat

Eine Woche nach „Halle“ eine kleine Frage in die Runde: Erinnert sich noch jemand, wie das war mit „Winnenden“? In der Stadt im schwäbischen Rems-Murr-Kreis sowie im nahen Wendlingen ermordete ein psychisch gestörter 17-Jähriger vor zehn Jahren 15 Menschen und verletzte elf weitere. Die Schusswaffen hatte Tim K. seinem Vater gestohlen, einem Sportschützen, der ein ganzes Arsenal davon zu Hause gelagert und nicht sicher weggesperrt hatte. Weil der Sohn die im Kleiderschrank notdürftig versteckte Beretta gefunden hatte, wurde der Vater später wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen verurteilt. Er kam mit einer anderthalbjährigen Bewährungstrafe und einer halben Million Euro zugunsten der Opfer davon.

Völlig zu Recht mussten Deutschlands Sportschützen damals ertragen, in die – pardon, die Floskel passt einfach zu gut – Schusslinie der Kritik zu geraten. Da sich der oberste Schützenfunktionär in NRA-Manier mehr darum sorgte, man könne seinen Mitgliedern großkalibrige Schießeisen wegnehmen, als um die Innere Sicherheit in diesem unserem Lande, und da ihm in Sandra Maischbergers Talkrunde nichts Dämlicheres einfiel als die Forderung, schon Grundschülern Knarren in die Hand zu drücken, „Was die Gamerszene mit der NRA gemeinsam hat“ weiterlesen

Kids vor Schützen schützen

Es wird Zeit dass Hobby-Ballermänner in den Cyberspace umziehen. Sicher ist sicher.

In grauer Vorzeit, als private Feuerwaffen noch als amerikanisches Problem galten, waren meine Frau und ich eingeladen zur Besichtigung eines Babys. Bevor wir eintreten konnten, musste der junge Papa einen mächtigen Stahlriegel aufsperren, der festungsartig die Tür verbarrikadierte. Er sei Sportschütze, erklärte unser Bekannter mit verantwortungsschwerer Miene, darum müsse er sein Waffenarsenal vor Einbrechern sichern. Ich fand das löblich, und wir hakten das Thema ab. Alles, was uns interessierte, war sein Söhnchen.

Heute muss, wer sich zum Vergnügen tödliche Waffen zulegt, hochnotpeinliche Fragen aushalten. Ob er etwa auch so drauf sei wie der Ambacher Sepp vom Deutschen Schützenbund (DSB). Der gewählte Repräsentant von anderthalb Millionen Deutschen, die das Lochen von Zielscheiben als Sport sehen, würde gern schon Drittklässler zur Waffe rufen – weil sie dabei so schön lernen, sich zu konzentrieren. Tabu sind für DSB-Mitglieder indes realitätsnahe Ballerspiele auf dem PC.

Es stimmt ja, Egoshooter und Online-Kriegsspiele sind zum Kotzen. Aber sicherer wäre es, wir verlegten all unsere Schießereien in den Cyberspace. Gemeingefährlich wird es erst, wenn die realen Vorbilder des virtuellen Killerspielzeugs in Griffweite hormonell instabiler Halbstarker geraten. Mal ehrlich: Die großkalibrige Aufrüstung, die manche sogenannten Sportschützen unter dem Deckmantel ihrer Vereinszugehörigkeit betreiben, ist weit beängstigender als „World ofWarcraft“. Und, fast hätte ich es vergessen, ohne scharfe Waffe tun sich auch eifersüchtige Ehemänner und durchgeknallte Väter schwerer, jene Familiendramen anzurichten, die mehr Menschen das Leben kosten als Amokläufe.

Das sportliche Vereinsleben muss unter dem Munitionsentzug nicht einmal leiden. Biathleten trainieren längst mit zielgenauen Lasergewehren. Die haben nichts mehr mit den lausigen Elektroflinten gemein, die sich aufJahrmärkten nie durchgesetzt haben. Natürlich müsste es in der virtuellen Schützenrealität auch anständig böllern. Aber wenn es möglich ist, mit Geräten wie der „Wii“ Golf zu spielen und das iPhone zum Bierglas zu machen, lässt sich bestimmt auch ein Schießgewehr konstruieren, das sich anhört und anfühlt wie echt – selbst wenn aus seiner Mündung nur friedliche Photonen auf die Zielscheibe prallen.

ULF J. FROITZHEIM, freier Journalist, ist Schütze, aber nur vom Sternzeichen her. An Oktoberfest-Schießbuden versagt er regelmäßig.

Aus der Technology Review 5/2009, Kolumne FROITZELEIEN

Anmerkung: falsch geschriebener Name korrigiert.