„Soziale“ Blackberrynetze

„Die Londoner Polizei beklagte, dass die Lage auch deshalb außer Kontrolle geraten sei, weil sich viele Randalierer in sozialen Netzwerken abgesprochen hätten, vor allem mit Hilfe des sogenannten Black Berry Messengers.“

Süddeutsche Zeitung, 10.8.2011, Seite 1

Wie war das noch? Journalisten sind Leute, die anderen einleuchtend Dinge erklären, die sie selber nicht verstanden haben? Zum Glück gibt es die zweite Seite, und dort wurde dann zumindest halbwegs klar, was wirklich los war: Der „Messenger“ alias BBM ist keine Zugangsplattform für Facebook, Myspace oder Google Plus. Der Kurznachrichtenservice BBM ist das „soziale Netzwerk“, das hier gemeint ist. Tatsächlich sind die Blackberry-Smartphones, die bei uns als Manager-Spielzeuge gelten, bei britischen Jugendlichen äußerst populär, weil der BBM günstiger ist als SMS und ganze Gruppen von Empfängern auf einmal erreicht.

Der britische Mobilfunkmarkt unterscheidet sich also erheblich vom deutschen. Wenn man das nicht richtig erklärt, führt man insbesondere die Leser, die sich unter einem „Blackberry“ etwas vorstellen können, in die Irre.

Nabu hilft E-Plus beim Greenwashing

Der Naturschutzbund Nabu promotet neuerdings Handy-Verträge, aus denen der Kunde zwei Jahre lang nicht mehr herauskommt – offiziell handelt es sich um den „einzigen Mobilfunktarif für nachhaltigen Umweltschutz in Deutschland“. Bei diesem Angebot spendet der Provider E-Plus mindestens 1,25 Euro pro Kunde und Monat für den Naturschutz. Der gute Lohase halst sich damit aber eine Grundgebühr auf, die sich nur dann ein bisschen rentiert, wenn er „Nabu hilft E-Plus beim Greenwashing“ weiterlesen

Datenhamster in der Servicewüste

Der Staat will alle Kommunikationsdaten speichern. Sein Pech ist, dass er dazu die Telefonfirmen braucht.

Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wird mehr informationelle Mosaiksteinehen anhäufen als das MfS dies je vermochte. Im Zeitalter der Petabyte-Plattencluster braucht kein Bürger mehr auffällig zu werden, um sich für vorsorgliche Überwachung zu qualifizieren. Es genügt, per Funk oder Draht Informationen und Meinungen auszutauschen, Tratsch und hohles Geschwätz. Bald dürfen wir uns im Zweifelsfall für jeden unbedachten Mausklick rechtfertigen, der uns vor einem halben Jahr unterlaufen ist, für jede SMS und E-Mail vom und an den falschen Adressaten, für jedes Telefonat. Wehe dem Angerufenen, wenn sich ein böser Bube verwählt: Da leider nicht alles abgehört werden kann, greift bis zum Beweis des Gegenteils die Schuldsvermutung.

So weit die Theorie. In Wahrheit ist die VDS kein Grund zu verzagen. Denn beim Datenhamstern ist die Staatsgewalt abhängig von Firmen, die Grandioses versprechen (wie das „Fernsehen der Zukunft“ per Telefonkabel), aber konsequent das Motto leben: „Wo wir sind, klappt nichts. Darum sind wir überall für Sie da.“ Droht ein Kunde etwa mit einem Auftrag für ein All-you-can-eat-Kommunikationspaket, bekommt er eindrücklich demonstriert, wie gut Geschäftsprozesse an Murphy’s Law ausgerichtet sein können. Die Bestellung via Web versickert ebenso im IT-Nirwana wie ein erneuter Auftrag per Telefon. Nervt er die outgesourcten Hotliner beharrlich mit Nachfragen, bringt ihm der Briefträger eines Tages Zugangsdaten, die das System nicht kennt, sowie eine Auftragsbestätigung für den falschen Tarif. Wählt der Kunde im Callcenter-Dialog „Beschwerde“, hört er 126 Minuten lang, der nächste Berater sei für ihn reserviert. Erreicht er anderntags die Störungsstelle, schalten die Experten nicht etwa um auf Web-TV-Speed, sondern auf das Ur-DSL-Tempo von 1999.

Wer schon als ausdrücklich „willkommen“ geheißener, zahlender Kunde solch systematischen Murks erlebt, bekommt eine Idee davon, welche Servicequalität erst staatliche „Bedarfsträger“ zu gewärtigen haben, die aufgezwungene Geheimdienstleistungen kostenlos verlangen. So erscheint der miserabelste Kundendienst plötzlich im mildesten Licht: Wahrhaft beängstigend sind die Telefonfirmen, bei denen alles klappt wie am Schnürchen. Aber gibt es die überhaupt?

Aus der Technology Review 2/2008, Kolumne FROITZELEIEN

Klingelnde Tickets

Wieder einmal sollen unmoderne Dinge wie Fahrkarten und Schlüssel verschwinden – jetzt im Handy.

In Hongkong und Tokio kann man viele beobachten, in Hanau ein paar, demnächst auch welche in Potsdam und Berlin: Menschen, die mit ihrem Handy herumfuchteln, bevor sie ein öffentliches Verkehrsmittel entern. Was ihre Mobiltelefone von normalen Modellen unterscheidet, ist Technik, die nicht nur Skifahrer bislang für Schnee von gestern hielten: In die Rückwand ist eine kontaktlose Smartcard integriert. Dank NFC (Near Field Communication) mutiert der Quasselquader zum E-Geldbeutel mit Fächern für virtuelle Fahrscheine, Mitgliedsausweise, Eintrittskarten, eines Tages vielleicht sogar Hausschlüssel. Zumindest stellen sich Nokia, Vodafone, die Bahn und einige andere so die Zukunft vor.

Schöne neue Reisewelt: Das mobile Telefon macht seinen Besitzer mobil. Der steigt spontan ein, ohne Tarifgegrübel und Automatengefummel. Hält er das Teil vors Terminal am Bahnsteig („Touchpoint“), checkt ihn der Computer ein für den Zug nach Irgendwo. Abgerechnet wird am Ziel. Klingt praktisch, ist tückisch. Wer steigt in den Zug, ohne zu ahnen, was die Reise kostet? Okay, er könnte sich via Mobilfunk informieren. Wer das schafft, bestellt aber auch gleich das Ticket per MMS. Wer am Ziel das Aus-checken vergisst, weil just in dem Moment die Freundin auf seinem Fahrschein anruft, hat auch keinen Spaß: Er zahlt bis zum Beweis des Gegenteils für die Strecke bis zur Endstation. Lustig aber wird das Hauen und Stechen an den Touchpoints werden, wenn eine verspätete S-Bahn in 30 Sekunden 300 eilige Pendler auf den überfüllten Bahnsteig spuckt, die alle auschecken müssen.

Zum Glück plant die Bahn vorerst keinen NFC-Zwang nach dem Vorbild asiatischer Metropolen, wo Drehkreuze den Menschenstrom kanalisieren. Dass Menschen am Durchlass ihr Handy zücken, ist allerdings auch in Fernost nicht normal. Noch halten die meisten Leute hier eine ordinäre Chipkarte an den Touchpoint – die gibt es am Schalter zu kaufen, ganz anonym. Und selbst in personalisierten Varianten kommt NFC nicht immer als Telefon daher: In den USA verkauft Mastercard einen Schlüsselanhänger als Kleingeldersatz, in Hongkong öffnen Armbanduhren das Drehkreuz der U-Bahn.

Neu ist auch das nicht: Stammgäste österreichischer Skilifte trugen schon vor 15 Jahren die Uhr-Form dieser Technik am Arm.

Aus der Technology Review 5/2007, Kolumne FROITZELEIEN

Die Drittelwissensgesellschaft

Nie konnte man so viel wissen wie heute, doch zu viele Menschen scheuen die Mühe der Recherche.

Man muss Sarah Kuttner nicht gleich zur Philosophin adeln, aber mit ihrer Formel vom „oblatendünnen Eis des halben Zweidrittelwissens“ charakterisiert die TV-Aussteigerin treffend das Bildungsniveau, das einem erklecklichen Teil der Gesellschaft genügt, um sich eine Meinung zu bilden und danach zu handeln. Selbstbewusst drängen die Ahnungslosen aufs Glatteis und übertönen mit ihrem Geplapper das Knirschen unter ihren Kufen. Beim Schlittern über seichte Gewässer riskieren sie ja höchstens kalte Füße.

Wer das für arrogante Polemik hält, braucht sich nur in die Dauerdebatte um die Gesundheitsgefahr namens Mobilfunk zu vertiefen. Dieses beliebte Aufregerthema verlangt dem, der ernsthaft mitreden will, die Bereitschaft ab, sich eingehend mit Forschung und Technik zu befassen – und in Betracht zu ziehen, dass der Experte, der einem mit imposantem Vokabular einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt, ein Scharlatan sein könnte. Diese Skepsis geht jedoch vielen Bürgern und leider auch Medienmenschen ab: Der Gegner einer Technik – zumal wenn er sich mit Approbation oder gar Professortitel schmücken kann – genießt einen Vertrauensbonus gegenüber seinem Widersacher aus der Wirtschaft, der natürlich nur die Risiken herunterspielt. Wer da zu behaupten wagt, dass die Gurus der Anti-Mobilfunk-Szene mit dem Anschein wissenschaftlicher Autorität so manchen Humbug von sich geben, riskiert die Exkommunikation.

So kam der Münchner Franz T. unlängst in einem Schweizer Anti-Sendemasten-Forum nicht zu Wort – die Betreiber machten klar, dass sie Beiträge von Nestbeschmutzern nicht hinnehmen. Anderswo beharken Selbstgewisse und Zweifler einander in Flame Wars. Manche Mitglieder der „Bewegung“ (!) halten sich mit verbaler Gewalt gar nicht erst auf: In ihrem blindwütigen Hass auf alles, was funkt, legten Saboteure neben diversen Mobilfunk-Basisstationen kürzlich sogar eine Sendeanlage des Roten Kreuzes lahm.

Vielleicht haben wir ja einfach zu idealistische Vorstellungen von der Wissensgesellschaft: Sich im Internet wirklich schlau zu machen ist mühsam und anstrengend. Wer nur seine Vorurteile bestätigt haben möchte, ist schneller fertig – und hat noch Zeit, nach Sabotageanleitungen zu stöbern.

Aus der Technology Review 2/2007, Kolumne FROITZELEIEN