Mann im Spiegel

11.631 Zeichen, einschließlich reichlich Zitaten, widmete Stefan Niggemeier der Titelgeschichte des Spiegel über Dominique Strauss-Kahn. Fast die sechsfache Zeichenmenge schund daraufhin Niggemeiers Kommentarvolk, einschließlich Konstantin Neven-Dumont.

Auf diesen rund 80.000 Zeichen oder 2.222 Standard-Druckzeilen fehlt leider jeder Hinweis darauf, dass vor dem Spiegel bereits „Time“ aus der Frage, was mächtige Männer zu Schweinen macht, eine Titelstory gestrickt hatte. Am 19. Mai 2011, dem Donnerstag vor dem Hamburger Redaktionsschluss, machte dieses Stück schon Furore.  Wer Time gelesen hatte, dem kam so manches im Spiegel bekannt vor (besonders die Beispiele für triebgesteuerte Prominente). Den Trüffel-Burger, dem im Niggemeierblog eine zentrale Rolle zukommt, erwähnt Autorin Nancy Gibbs mit keinem Wort.

Dass diese dekadente Fast-Food-Kreation den Text würzen durfte, hat offensichtlich nichts mit den kulinarischen Vorlieben des nackten Franzosen zu tun, sondern damit, dass der Spiegel seine Redakteure zu gut bezahlt:

106. Lieber Herr Niggemeier,

Polemiken müssen nicht stimmen, aber zünden, insofern hat Ihre wütende Abrechnung sogar mich amüsiert, obwohl ich der Autor des Stückes bin. Hätten Sie Recht, und wären Sie konsequent, dann müssten Sie die Abschaffung des erzählenden Journalismus fordern, die Einstellung aller Magazine, das Ende der Wochenend-Beilagen, den Tod der Reportage.
Vor der Kritik, wie Sie sie vortragen, hätte am Ende nur ein Telegramm Bestand. Oder eine dpa-Eil-Meldung. Kann man haben, diese Haltung. Muss man aber nicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Ullrich Fichtner
PS: Wenn Sie mal in New York sind, lade ich Sie gerne zu einem Trüffel-Hamburger ins „db Bistro Moderne” ein, wo ich erst kürzlich gegessen habe. Auch als kleines Dankeschön für unser Gespräch über die „Bild”-Zeitung, das leider so unergiebig war, dass wir es für die spätere Titelgeschichte nicht gebrauchen konnten.

Ullrich Fichtner — 25. Mai 2011, 18:30

 

Bisschen spät, Herr Bissinger!

Schade, dass Manfred Bissinger in seiner aktiven Zeit keine Zeit hatte, über die Dinge nachzudenken, von denen er heute schreibt:

„Und noch etwas dämmerte den Managern zu spät: Dass das Internet ein genialer Marktplatz sein könnte, genialer als alle Rubriken es in ihren Objekten je waren. Warum ist Ebay keinem Verlag eingefallen?“

Manfred Bissinger 2011

Ja, warum eigentlich nicht? Chefredakteure wie Bissinger (dessen Gehalt freilich nicht an Rubrikanzeigen hing) hätten ihre Arbeitgeber vielleicht warnen können – wenn sie denn selbst eine Ahnung gehabt und die 21.-Jahrhundert-Zukunftsstories ihrer Mitarbeiter nicht als Science-fiction abgetan hätten. Eigentlich hätten die Verlagshierarchen aber auch nur die Print-Fachmedien für die IT- oder die Werbebranche zu lesen brauchen. Ohne schlaumeiern zu wollen: Für meine Kollegen bei diesen Magazinen (auch für mich) waren diese Entwicklungen schon im vorigen Jahrhundert ein Thema. Aber den Zeitungsverlegern ging es so gut, dass sie davon nichts wissen wollten. „Bisschen spät, Herr Bissinger!“ weiterlesen

Pfister ist kein Verräter

Es ist schon seltsam, mit welch pathetischem Furor sich Stephanie Nannen über den „Henri“ alias Egon-Erwin-Kisch-Preis für René Pfister ereifert. Die Enkelin, die nach eigenem Bekunden mit ihrem Opa kaum über dessen Arbeit gesprochen hat, schreibt im Hamburger Abendblatt über den „Skandal“:

„Pfisters Text ist ein Betrug an der Wahrheit, ist Verrat dessen, woran Journalisten mindestens zu glauben vorgeben.“

Laut Kress-Autor Christian Meier sehen das die Juroren Kurt Kister, Peter-Matthias Gaede, Frank Schirrmacher und Mathias Müller von Blumencron nicht so eng. Wenn man es nüchtern betrachtet, geht es eigentlich nicht um ein Fehlverhalten des Kollegen Pfister, sondern um die grundsätzliche Frage, ob die klassische Reportage nicht längst den heutigen Arbeitsmethoden und -bedingungen zum Opfer gefallen ist. „Pfister ist kein Verräter“ weiterlesen

dieredaktion.de? Welche Redaktion?

Als „Journalismus-Börse“ stellt sich neuerdings ein Web-Portal der Deutschen Post dar, das unter der Marke „Die Redaktion“ firmiert.

Vergleichbare Textportale hat es schon viele gegeben, viele sind verschwunden, ein paar fristen ein Dasein in der Nähe der Bedeutungslosigkeit.

Neu an diesem Angebot ist, dass ein Konzern der Betreiber ist und als Partner ein Großverlag (Axel Springer AG) sowie ein Berufsverband (DJV) mit im Boot sitzen.

Viele Kollegen fragen schon lange, warum es keine vernünftige Textvermarktungsplattform gibt. Manche glauben, das Post-Portal könnte das endlich sein. Im Jonet habe ich mal aufgedröselt, warum ich gar nicht so begeistert bin. „dieredaktion.de? Welche Redaktion?“ weiterlesen

Öko-Billig-Label

Mensch, bin ich naiv. Ich habe immer geglaubt, das Öko-Test-Magazin des SPD-Verlags DDVG befasse sich mit der ökologischen Korrektheit von Waren.

Nein, Öko steht ganz offensichtlich für Ökonomie. Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich mal diese Werbung an. Sie stammt aus dem hauseigenen Anzeigenblatt “Tip der Woche” vom Kaufland, einem Unternehmen des Lidl-Konzerns Schwarz. Die roten Tester testen Billigwaren darauf, ob man sich an ihnen den Magen verdirbt. Sind sie gut genug, dass das Gewerbeaufsichtsamt keinen Grund hätte einzuschreiten, gibt es eine tolle Note, mit der das Unternehmen irreführend werben darf.

Na gut, das „irreführend“ nehme ich lieber zurück. Nicht mal der allerdümmste Konsument kann annehmen, dass frisches Hackfleisch für 2,58 Euro pro Kilo wirklich von einem umwelt- und tierschutzgerecht geführten Hof kommt. Dafür gäbe es ja nur eine Erklärung: Der Bauer arbeitet ehrenamtlich und schießt noch Geld zu. Oder verkaufen die Lidls jetzt etwa unter Einkaufspreis, damit sich die armen Verbraucher mit gesundem, umweltfreundlichem Fleisch verantwortungsvoll den Wanst vollschlagen können?