Fair-Irrung: Die Kultur-Flatrate

Blogwerker Marcel Weiß hat sich die Mühe gemacht, die Pros und Cons des Konzepts „Kultur-Flatrate“ aufzudröseln, das als fairer Kompromiss zwischen Kulturschaffenden und Kulturnutzern im Internet-Zeitalter gehandelt wird.

In einem Kommentar trage ich im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten dazu bei, die gut gemeinte Utopie als Fair-Irrung zu entlarven:

Als einer der Vertreter der Journalisten im Verwaltungsrat der VG Wort habe ich in den vergangenen Jahren viel darüber gelernt, wie vertrackt die Verteilung von Tantiemen aus Pauschalabgaben an die Urheber tatsächlich ist – und wie wenig das Machbare mit echter Gerechtigkeit zu tun hat.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen kann ich nur warnen vor der Illusion, das utopische Konstrukt einer Kulturflatrate könnte mehr sein als ein Alibi oder eine Gewissensberuhigung für diejenigen, die den Kreativen nicht schaden wollen.

Beispiel Verteilungspläne: Derzeit  haben wir verschiedene Einnahmetöpfe, die aus eigenen Quellen gespeist werden. Beim Kabelfernsehen sind es andere als bei den Bibliotheken, bei Schulbüchern andere als bei Pressespiegeln, und die Geräteabgaben sind noch ein ganz eigenes Thema. Schon innerhalb der einzelnen Sparten gibt es immer das Gefühl der Ungerechtigkeit, etwa wenn Dokumentarfilmer mit ihren anspruchsvollen und arbeitsaufwändigen, aber quotenschwachen Produktionen sich benachteiligt fühlen gegenüber den Synchron-Autoren, die am Fließband billige, quotenstarke und x-mal wiederholte Import-Telenovelas eindeutschen.
Bei den Pressespiegeln kassiert der Kollege, der die Bilanzpressekonferenz des DAX-Konzerns schnell runterhackt, übers Jahr viel mehr als der investigative Reporter, der so lange recherchiert, dass er nur ein, zwei Texte im Monat veröffentlicht.

Nur: Verwertungsgesellschaften haben nach bisherigem Urheberrecht allein das Recht und die Pflicht, sich um ZWEITverwertungen zu kümmern. Das kommt daher, dass die Ursprünge ja beim Fotokopierer und beim Tonbandgerät liegen – Vervielfältigungsinstrumenten aus der Zeit analoger Originale.

Die Kulturflatrate würde die Verwertungsgesellschaften mit der Vergütung für Erstnutzungen betrauen. Das ist etwas grundlegend anderes, denn es geht nicht mehr um ein Zubrot für die Künstler (zu denen der Gesetzgeber auch uns Journalisten zählt), sondern um ihren Broterwerb.

Da es um eine Pauschale für alle digitalisiert angebotenen Kunstrichtungen geht, müsste also zunächst über die Aufteilung der Einnahme auf Autoren, Fotografen, Komponisten, Texter, Sänger, Musiker, Dirigenten (Leistungsschutzrecht, nicht Urheberrecht) etc. ein Konsens gefunden werden. Auf Deutsch: ein Verteilungskampf zwischen Florian Silbereisens Personal, Symphonieorchestern, Filmregisseuren, Fotografen, Reportern, Kritikern, Lyrikern, wissenschaftlichen Fachautoren und und und.

Schon die heutige Aufteilung der Einnahmen aus der CD-Brenner-Abgabe zwischen Gema, VG Wort und VG Bild-Kunst ist alles andere als gerecht, denn sie beruht auf rein quantitativen Nutzungsbefragungen bezüglich der Kopierhäufigkeit.

Selbst wenn es bei der Flatrate gelänge, die Nutzung mit 100-prozentiger Zuverlässigkeit anonym zu erfassen, gäbe es noch Streit ohne Ende um die angemessene Vergütung. Zudem würde – was hier schon angeschnitten wurde – die Größe des Kuchens von der tatsächlichen Nachfrage und Kulturproduktion abgekoppelt. Die Teilnehmer hätten ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, Rivalen aus dem Markt zu verdrängen. Nicht der bessere, beliebtere Künstler würde belohnt. Statt dessen gälte das Recht des Stärkeren. Gleichzeitig würde sich jeder halbwegs geldgierige Blogger und Pornofilmer darauf berufen, Ansprüche zu haben. Da es keine objektiven Kriterien für das Mindestmaß an Qualität geben kann, das “Kultur” ausmacht, müsste jeder bedacht werden, der kein offensichtlicher Volldepp ist.

Es gäbe also Klagen über Klagen – nicht Wehklagen, sondern richtige Klagen über alle Instanzen bis zum BVerfG. Und wie man das aus unseren Streitigkeiten mit den Geräteherstellern kennt, gäbe es Geld erst dann, wenn wenigstens der BGH entschieden hat. Das ist hinnehmbar, wenn es nur um Zusatzeinkünfte geht, mit denen der Gesetzgeber dem Künstler eine angemessene Entschädigung für die ihm abverlangte Duldung von Privatkopien gewährt. Wenn es aber um den Lebensunterhalt geht, bleibt Autoren – anders als Sängern – nur noch der Hartz-IV-Antrag oder der Berufswechsel, um die Prozessdauer zu überleben.

Wie man es auch anfasst, eine Kulturflatrate ist nicht nur unpraktikabel, sie würde auch zu Grundrechtsverletzungen führen. Allein schon das Recht auf freie Berufswahl und Berufsausübung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn Künstler und Journalisten nicht mehr frei am Markt auftreten könnten.

Quintessenz: Eine gut gemeinte Idee mit fatalen Folgen für Kultur und Demokratie in diesem Land. Und dabei bin ich noch gar nicht mal darauf eingegangen, wieviel von dem Geld abfließen würde an amerikanische Copyright-Inhaber für all den aus den USA importierten Content, den wir so konsumieren.

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2 Antworten auf „Fair-Irrung: Die Kultur-Flatrate“

  1. @alreech:

    „Vergütet wird nur Kunst – beispielsweise die Lindenstraße und die Volksmusik- kein Schund – wie amerikanische Serie, Filme und Musik – so das ein auch ein abfließen von Geld nicht zu befürchten ist.“

    Hoho, kleiner Witzbold, und wer bestimmt, was Schmutz und Schund ist? Die Reichsschrifttumskammer? Ein Gremium von Piraten und Grünen, falls die mal zusammen über 50 Prozent kommen? Die Lehrergewerkschaft? Der Papst? Oder glaubst du im Ernst, die gleichen Rundfunkräte, die jetzt amerikanische Serien einkaufen, würden hinterher dafür nichts mehr bezahlen? Also, ich zahle lieber für The Wire als für Hansi Hintermosers Blasmusik.

  2. ich sehe da überhaupt kein Problem 😉

    Die Verteilung könnte ein Gremium übernehmen das mit allen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen besetzt ist, wie es schon jetzt in den Rundfunkräten der Fall ist.
    Also Parteien, Glaubensgemeinschaften, Sozialverbände.

    Vergütet wird nur Kunst – beispielsweise die Lindenstraße und die Volksmusik- kein Schund – wie amerikanische Serie, Filme und Musik – so das ein auch ein abfließen von Geld nicht zu befürchten ist.

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