Womit Portland/Oregon Silicon-Valley-Flüchtlinge anlockte

Viel Holz für Paralleles

highTech 7/1990

Mit vereinten Kräften versuchen Wirtschaft und Politik aus dem dünn besiedelten US-Staat Oregon den Nabel der Welt zu machen – wenigstens für die Zunft der Parallelcomputer-Experten. Aber auch Biotech-Gründer entdecken jetzt die waldreiche Region.

In einer Stadt wie Seattle hätte der Politiker Neil Goldschmidt absolut schlechte Karten. Einen wie ihn, der sich in den Kopf gesetzt hat, Kalifornien im Wettstreit um High-Tech-Firmenansiedlungen herauszufordern, würden sie hier glatt verjagen. Denn den Alteingesessenen sind es schon viel zu viele Zuzügler, die von internationalen Technologiekonzernen wie Boeing oder Microsoft aus dem Süden in diese einstmals ruhige Gegend gelockt worden sind.

Doch Goldschmidt, vormals Manager bei der Sportschuhfirma Nike Inc., hat sich das passende Terrain für die Entfaltung seiner Talente ausgesucht. Nur drei Autostunden weiter südlich, im adretten Portland, ist das politische Klima freundlicher, sind Silicon-Valley-Flüchtlinge gern gesehen. Hier ist Neil Goldschmidt der Star, der sich nur zu gern als »Chief Executive Officer« von Oregon titulieren läßt: als Hauptgeschäftsführer des US-Bundesstaats. Ihm ist jedes kalifornische, japanische oder deutsche Unternehmen lieb und teuer, wenn es nur in Oregon eine Niederlassung eröffnet – und nicht gerade die touristisch wertvolle Umwelt verschmutzt.

»You’re more than welcome – Sie sind hier mehr als willkommen«, heißt denn auch die Parole der Goldschmidt-Administration, und dieser Slogan ist sogar als Trademark registriert. Die Kampagne der Staatsregierung von Oregon ist geradezu maßgeschneidert für Technologieunternehmen und ihre anspruchsvollen Fachkräfte. Klassischen Standortnachteilen wie schlechter Anbindung an das überregionale amerikanische Verkehrsnetz setzen die Promoter aus Portland eine überdurchschnittliche Lebensqualität entgegen. Saubere Luft, klares Wasser, kurze Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, niedrige Grundstückspreise, null Prozent Umsatzsteuer und ein Hinterland mit hohem Freizeitwert – die Selbstdarstellung der Region läßt kein Argument aus. Karl Mautner, Beauftragter des Oregon Economic Development Department (OEDD), ist selber ganz hingerissen von den Sportmöglichkeiten der Umgebung: »Eineinhalb Autostunden von Portland finden Sie den schönsten Tiefschnee, und unsere Stauseen auf dem Columbia River sind ein Paradies für Windsurfer.«

Aller Euphorie über die landschaftlichen Schönheiten Oregons zum Trotz hat der deutschstämmige Wirtschaftsförderer, der speziell ausländische Investoren ködern soll, ein hartes Stück Arbeit vor sich. Denn der Bundesstaat, in dem auf der Fläche der Bundesrepublik nur 2,7 Millionen Einwohner leben, muss sich auf dem Weltmarkt der Industriestandorte die Aufmerksamkeit der Konzerne mühsam erkämpfen.

Da kommt der Niedergang des Ostblock-Kommunismus zeitlich nicht gerade gelegen. »In Europa schauen jetzt alle Richtung Osten«, registriert Mautner enttäuscht, »ein Jahr lang läuft da für uns nichts.« Selbst bei japanischen Elektronik-Goliaths wie Toshiba oder Fujitsu America, die bereits die Fühler in Richtung Oregon ausgestreckt hatten, kommt das OEDD zur Zeit nicht weiter.

Um so mehr reüssiert die Region, in der bis in die sechziger Jahre hinein jeder zweite Arbeitsplatz von der Holzindustrie abhing, bei amerikanischen Ansiedlungswilligen. Die meisten Impulse kommen seit einigen Jahren von Unternehmen der Elektronik- und Computerindustrie. Keimzelle der boomartigen Entwicklung war der Elektronikkonzern Tektronix, der bereits seit seiner Gründung im Jahr 1946 im Portland-Vorort Beaverton sein Hauptquartier unterhält. Die kritische Masse für das Entstehen einer echten Gründerszene erreichte die neue Branche allerdings erst Ende der siebziger Jahre, nachdem sich der kalifornische Halbleitergigant Intel mit einer Tochtergesellschaft in der Nachbargemeinde Hillsboro etabliert hatte.

Bald wagte eine ganze Reihe ehemaliger Tektronix- und Intel-Experten den Schritt ins Unternehmertum. Die Neugründungen wiederum entfalteten eine Sogwirkung, die bis ins Silicon Valley reichte. Das größte der Spin-offs ist die 1981 gegründete Mentor Graphics Inc., die mittlerweile in ihrer Produktnische – Systeme zum automatisierten Entwurf logischer Schaltungen – zum Weltmarktführer avancierte. Der Umsatz des innovativen Newcomers wächst mit jährlichen Steigerungsraten um 30 Prozent. Zu den Kunden von Mentor gehören die namhaftesten Chiphersteller, und selbst in Japan gilt das Unternehmen aus Oregon als marktbeherrschend – mit 70 Prozent Anteil.

Höchste Priorität bei Gouverneur Goldschmidt und seinem Oregon Economic Development Department (OEDD) genießt indes eine andere Technologiesparte. Ohne falsche Bescheidenheit proklamierte der geschäftsführende Politiker sein Ziel: »Oregon muss das nationale Zentrum für Parallel Computing werden.« Diese neuartige Form der Datenverarbeitung, bei der mehrere Mikroprozessoren gleichzeitig verschiedene Teile der Aufgabe lösen – und so den Computer viel schneller machen -, gilt unter Softwareentwicklern als das heißeste Thema der neunziger Jahre. Goldschmidt erhob daher das ehrgeizige Vorhaben gar in den Rang des US-Raumfahrtprogramms Apollo: »Das ist Oregons Vorstoß zum Mond.«

Basis für den Höhenflug der Oregonians ist das Know-how von fünf Computerherstellern aus der Umgebung von Portland, in erster Linie Intels Systems Group und dem 1983 von den Intel-Managern Scott Gibson und K.C. (»Casey«) Powell gegründeten Spin-off Sequent Computer Systems Inc. Gemeinsam mit den Produzenten Cogent Research, FPS Computing und N-Cube gelten die Hersteller als größte Ansammlung von industriellem Parallelrechner-Know-how.

In Zusammenarbeit mit fünf über den Staat Oregon verstreuten Hochschulen, so der Plan, sollen hochkarätige Informatikspezialisten dieser Firmen gemeinsam eine Softwarebasis für parallele Datenverarbeitung entwickeln. Organisatorisch laufen dabei alle Fäden im Oregon Advanced Computing Institute (Oacis) in Beaverton zusammen, einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Stiftung.

Ausgestattet mit einem Fünfjahresbudget von 25 Millionen Dollar, soll Oacis aus einer der abgelegensten Regionen der USA bis Mitte der neunziger Jahre den Nabel der Computerwelt machen. Um diese Summe zusammenzubringen, griff Goldschmidt tief in den Säckel der staatlichen Lotterieverwaltung – und überwies fünf Millionen Dollar aus deren Überschüssen an das Computerinstitut. Weitere fünf Millionen spendierte die Wehrforschungsbehörde Darpa.

Den Löwenanteil allerdings müssen Sponsoren aus der Industrie tragen. Marktnähe ist folgerichtig einer der Eckpfeiler des angestrebten Technologietransfers zwischen Hochschulen, Instituten und Industrie. »Was wir machen«, doziert Oacis-Geschäftsführer und Ex-Intel-Manager Sudhir Bhagwan, »ist Forschung für Produkte, die man verkaufen kann.«

Doch das technische Problem, das im sogenannten Parallel Valley von Beaverton gelöst werden soll, ist eine so harte Nuss, dass noch längst nicht alle Beteiligten von einem Erfolg überzeugt sind. Schließlich war bisher jeder Hersteller mit dieser Aufgabe überfordert – zumal es nach den Erfolgen der Pionierphase nun gilt, die grundsätzlich verschiedenen technischen Ansätze unter einen Hut zu bringen. Warnt Sequent-Gründer Casey Powell, der ehrenamtlich im Oacis-Präsidium sitzt: »Kein Anbieter kann sich leisten, diese Durchbrüche auf eigene Faust zu suchen.«

Waren die Voraussetzungen seitens der Industrie schon ungünstig genug, musst das Oacis-Team unter Sudhir Bhagwan auch noch mit massiven universitären Startschwierigkeiten fertig werden: Plötzlich sollten fünf Hochschulen und Fachhochschulen Hand in Hand arbeiten, die bisher immer unabhängig nebeneinanderher geforscht hatten. Nicht die Zusammenarbeit mehrerer Prozessoren sei das Problem, witzelten Insider, sondern die mehrerer Professoren. »Der Unterschied zwischen dem Oregon-Modell und bestehenden Einrichtungen dieser Art liegt im Mangel an nahe gelegenen Universitäten von nationalem Rang«, bilanzierte das regionale Wirtschaftsblatt »Oregon Business« nach der Gründung von Oacis nüchtern, und Vorstandsmitglied Powell gestand offen ein: »Forschung ist das fehlende Glied in Oregon.«

Computerexperten außerhalb Oregons mögen die Zuversicht der Bhagwan-Jünger nicht uneingeschränkt teilen. Sie fürchten, dass der parallele Zug den Informatikern aus Beaverton trotz aller Stärken der industriellen Partner langsam davonfährt. Denn einen Vorzeige-Wissenschaftler, der quasi als akademische Lokomotive die besten Studenten hinter sich herzieht, hat das Oacis bisher nirgendwo abwerben können – auch nicht von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, die unter Spezialisten dieses Fachs einen exzellenten Ruf genießt. Skeptisch über die Zukunft der Parallelrechner-Hochburg gibt sich auch der Portland-erfahrene Friedrich Lücking, Leiter der Softwareentwicklung bei der Aachener Parsytec/Paracom Parallele Computer Systeme GmbH: »Oregon hat kein Monopol mehr auf Parallelprocessing.«

Sollte die Bhagwan anvertraute Mondrakete allerdings wirklich in der Umlaufbahn stecken bleiben, kann Neil Goldschmidt immer noch stolz auf die Region Bend im Hinterland von Oregon verweisen. In diesem vom Tourismus geprägten Landstrich im Windschatten des Küstengebirges blühen nämlich auch schon die ersten High-Tech-Pflänzchen. Dutzende von Firmenansiedlungen hatte die Region in den vergangenen Jahren zu verzeichnen, überwiegend gegründet von Leuten, die das erste Mal als Urlauber dort gewesen waren. »Auffällig viele Betriebe der Biotechnologie zeigen Interesse«, freut sich Karl Mautner, »Bend wächst wie verrückt.«

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