Interaktive Medien sind der Gegentrend zum Zapping. Wer jetzt seinen Führerschein für den digitalen Information Superhighway macht, hat noch Chancen auf Pole-Positionen.
Herbst 1994: In Bremen geht eine „Kabelzeitung“ an den Start – die erste in Deutschland. Die örtlichen Tageszeitungsverleger wappnen sich für die multimediale Zukunft, indem sie einen der letzten freien Kabel-TV-Kanäle zum lokalen Werbeträger umfunktionieren. Schon bald sollen dje Sonderangebote der Supermärkte, Warenhäuser und Fachgeschäfte – garniert mit bunten Fotos der Ware samt redaktionellem Umfeld – über die Bremer Bildschirme flimmern.
Währenddessen sendet Sat1 auf Tafel 807 seines Videotext-Programms juristisches Kauderwelsch: In einer Endlosschleife aus 13 eng beschriebenen Bildschirmseiten zirkulieren die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Deutschlands erstem TV-Kleinanzeigenmarkt. Wer über ein Tastentelefon verfügt, kann sein altes Auto in Sat1-Text feilbieten, die Liebste grüßen oder im ganzen Sendegebiet Brieffreunde suchen: Direct-Response-Fernsehen für jedermann, sechs Zeilen für nur 50 Mark.
Auch RTL, Pro 7 und MTV bringen Response-Werbung auf Videotext – für Lebensversicherungen und Sportswear, Faltencreme und Autos, Programmzeitschriften und zweifelhafte Telefontreffs in Malaysia. Von den Privaten lassen nur Kabelkanal und N-TV die neue Einnahmequelle bisher ungenutzt.
Auch im häuslichen Arbeitszimmer oder Büro landet immer öfter Werbung auf elektronischem Weg: Reiseveranstalter, Autohersteller und Softwarefirmen animieren ihre Zielgruppen zum aktiven Informationsabruf am PC oder Faxgerät – vom Vordringen werblicher Floppy- und Compact Discs ganz zu schweigen. In den USA werden sogar schon Blumen, Kontaktlinsen und Pizzas erfolgreich per Dialog im Datennetz vermarktet.
Die digitalen Botschaften fluten dabei wahlweise aus der Telefonleitung oder der Antennenbuchse. Die Grenze zwischen Fernsehen und EDV verschwimmt, fernsehen am Schreibtisch ist Stand der Technik. Ob diese Medienfusion Zukunft hat, muß der Markt entscheiden: Apple- Chef Michael Spindler macht mit einem Zwittergerät namens Macintosh Perfonna 630 gerade die Probe aufs Exempel. Die ersten Reaktionen der Szene auf das Mac-Glotzophon reichten von heller Begeisterung bis zu ungläubigem Kopfschütteln.
Von einem Konsens über die zukünftige Entwicklung der Medienlandschaft sind die Werber genausoweit entfernt wie die Computerspezialisten. Nur soviel ist klar: Die High-Tech-Fantasien, mit denen Software-Tycoons wie Bill Gates (Microsoft) ihre Klientel bei Laune halten, sind ohne Werbeeinnahmen kaum mehr realisierbar: Für all die ausfallsicheren Video-Rechenzentren, weltumspannenden Satellitennetze und endlosen Glasfaserstrecken reichen zumutbare Teilnehmergebühren nicht mehr aus.
Fragt sich nur, wie die Verbraucher die Fülle neuer Legierungen aus Telekommunikation, Computer und Unterhaltungselektronik annehmen werden. Es gibt derzeit bei Marktforschern und selbsternannten High-Tech-Propheten kaum ein lukrativeres Thema. Einig sind sich die Auguren mit ihren diversen Studien nur in einem Punkt: Die Mediennutzung wird sich ebenso ändern wie die Konsumgewohnheiten. Weil die verfügbaren Geld- und Zeitbudgets begrenzt sind, wird es allerdings nur eine Umverteilung geben. Jede Minute, die ein Rezipient am Display eines interaktiven Mediums verbringt, geht den klassischen Massenmedien verloren. Einzelhandelsmarketiers wiederum brauchen eine Abwehrstrategie für den Fall, daß mit der Einführung des interaktiven Fernsehens ein Homeshopping-Boom ausbricht.
Während die meisten etablierten Agenturen lieber die Ergebnisse der geplanten Multimedia-Pilotprojekte im In- und Ausland abwarten, nutzen beherzte Newcomer und Außenseiter bereits ihre Chancen. Ihrem Experimentierdrang entgeht nichts, was eines Tages Anschluß an den I-Way, den digitalen lnformation Superhighway, bekommen könnte. Ausnahmslos geht es ihnen darum, den Kunden nicht mehr mit Reklame zu berieseln, sondern mit interessanter Werbung aus der Reserve zu locken.
Im Vorfeld des Direktmarketingkongresses Dima ’94, der kommende Woche in Wiesbaden das „Future Marketing“ thematisiert,versucht w&v auf den folgenden Seiten eine Einordnung der innovativen Ansätze. Denn eines steht fest: In der Werbewelt wird es in Zukunft sehr unübersichtlich. Aber auch sehr spannend.
Gefesselt vom Netz
Online-Dienste wie Datex-J, Compuserve und Internet werden komfortabel. Nach langer Anlaufzeit verlassen sie das Ghetto der Computerfreaks.
Spät, sehr spät erst hat Eric Danke recht bekommen. Doch der Banner Ministerialrat läßt sich keine Verbitterung anmerken ob der vielen Jahre, die er beinahe für die Katz‘ gearbeitet hätte. Danke, heute Fachbereichsleiter Informationsdienste in der Generaldirektion Telekom, hatte als „Mr. Btx“ das deutsche Online-Informalionssystem Bildschirmtext aufgebaut. Doch 1992 hätte ein ungeduldiger Telekom-Vorstand um ein Haar die Aus-Taste gedrückt. Nach acht defizitären Jahren sollte Schluß sein mit Btx – just in dem Moment, da der heutige US-Vizepräsident Al Gore jr. den „Information Superhighway“ zu seinem Wahlkampfschlager machte.
Heute ist von einer Stillegung der deutschen Infobahn keine Rede mehr – im Gegenteil. Unter seinem neuen Namen Datex-J (wie Jedermann) boomt der Dienst. Allein 1993 kamen 160.000 Teilnehmer hinzu, in den ersten neun Monaten dieses Jahres weitere 140.000. lnzwischen sind stattliche 640.000 Endgeräte angeschlossen, die zum Teil von mehreren Personen genutzt werden. Insider schätzen die Datex-J-Fangemeinde auf gut eine Million Menschen.
Den Löwenanteil der Zuwächse verdankt die Telekom ihrem Agenturpartner 1&1 aus Montabaur, der mit billigen Modems, leicht bedienbarer Gratissoftware und unbürokratischer Anmeldung PC-Besitzer zu Zehntausenden ins Netz lockte. Die Marketiers aus dem Westerwald hatten erkannt, daß vor allem die komplizierte Installation und das postalische Formularunwesen die Interessenten abgeschreckt hatten.
Für den Nutzer hat das heutige Datex-J mit dem Ur-Btx kaum mehr Ähnlichkeit. Dabei ist seine innere Struktur immer noch dieselbe, die einst im Bildschirmtext-Staatsvertrag festgelegt worden war. Der Fortschritt liegt direkt an der Oberfläche: Wie beim PC-Betriebssystem MS-DOS, das erst durch Zusätze wie Norton Commander oder Windows anwenderfreundlich wurde, befreit ein komfortabler Softwarezusatz den Anwender auch bei Datex-J von umständlichen Eingabeprozeduren.
Einen Fehler darf man allerdings auch heute noch nicht machen: einen Informationsanbieter im offiziellen Schlagwortregister oder der alphabetischen Firmenliste suchen. Die Wahrscheinlichkeit, in ein ebenso kostenträchtiges wie schlüpfriges Freizeitprogramm zu geraten, liegt bei deutlich über 50 Prozent. Selbst wenn sich der Anbieter harmlos als „Auto Rütter“ , „Aktuelle Information“, „Infonet“ oder „Market Research Werbeagentur“ vorstellt, führt der Weg doch unweigerlich zu einer der 192 Offerten, die auch beim Schlagwort „Sexualwissenschaft“ erscheinen.
Machtlos gegen Mißbrauch
Die Telekom ist machtlos gegen den Mißbrauch: Laut Staatsvertrag darf sie sich um Inhalte nicht kümmen – genau wie die Post, die auch jeden Brief befördern muß. Um sich das Geschäft von dem Umfeld halb widerlicher, halb lächerlicher Einträge nicht vermasseln zu lassen, greifen seriöse Btx-Werber inzwischen zu Selbsthilfe. In „Containern“ mit Namen wie Infoplus, Com, PC oder Reise bündeln sie die Online-Angebote von Markenartiklern, Banken, Verlagen, Computerfirmen und Reiseveranstaltern. „solange die Rechtslage so bleibt, kann ich jedem neuen Anbieter nur raten, sich an einen der guten Container zu wenden“, warnt Heiko Falk, Inhaber der Düsseldorfer Agentur BTT und Vorsitzender der Btx-Anbietervereinigung.
Damit spricht Falk freilich pro domo. Gemeinsam mit der ebenfalls in Düsseldorf ansässigen BBDO/Telecom vermarktet er Infoplus. Wer in diesem sehr professionell gestalteten Container das Suchwort „Versandhandel“ eintippt, bekommt einen Moment später ein Computer-Menü mit Versandhäusern wie Otto, Quelle, Neckermann, Wenz und Klingel zur Auswahl. Am Fuß der Seite lockt ein Teaser mit Kurztext und farbigem Firmenlogo zu einem weiteren Datex-J-Angebot, beispielsweise zur Bestellseite für ein kostenloses „Focus“-Probeabonnement.
Das intelligente Suchsystem von Infoplus zählt sämtliche Anfragen präzise mit – auch die nach nicht vorhandenen Firmen und Produkten. So mussten Falk und sein BBDO-Partner Robert Köster kürzlich feststellen, daß allein im August über 400 Teilnehmer vergeblich nach Mercedes-lnfos gesucht hatten – ein vortreffliches Argument für die Akquise in Stuttgart. Freunde der Marke Volkswagen werden hingegen immer fündig. Die Wolfsburger geben via Datex-J und Container nicht nur Online-Auskunft über alle Modelle, sondern schicken auf Wunsch auch Broschüren ins Haus, wenn sie über die „lnfo-Order“-Funktion dazu aufgerufen werden.
Dabei entfällt künftig sogar das Eintippen der Adresse: Der Computer trägt dann automatisch den Namen des Teilnehmers ein. Für ganz Eilige gibt es eine dritte Option: Sie können auf einer Antwortseite ihre Faxnummer angeben: Minuten später tickern die technischen Daten aus dem Düsseldorfer Fax-Rechner.
Trotz etlicher positiver Beispiele schöpfen erst wenige Unternehmen die Möglichkeiten wirklich aus, die ihnen Datex-J für den Direktkontakt zu ihren Kunden bietet. Auch die großen Agenturen lassen das Thema – von BBDO und Young & Rubicam einmal abgesehen – meist links liegen. Für Eric Danke ist dies nicht verwunderlich: „Fürjemanden, der aus der Welt der herkömmlichen Werbung kommt, ist ein Online- Dienst schwierig zu handhaben. Er ist kein Werbemedium sui generis. Man muß die Leute sogar mit herkömmlicher Werbung auf den Mehrwert hinweisen, den man ihnen online bietet.“
Tatsächlich stießen viele der heutigen Nutzer über den kräftig beworbenen Homebanking-Service ihrer Bank oder Sparkasse auf Datex-J. Inzwischen gibt es bereits 800.000 Telekonten – mehr als Teilnehmeranschlüsse.
Wer erst einmal im Netz hängt, entdeckt bald auch die anderen Einsatzmöglichkeiten. So verzeichnet die Telekom jeden Monat über zehn Millionen Anrufe – ein enormes Potential auch für die Werbung. Das Problem: Telekom und Btx-Anbieter wissen nur sehr wenig über ihre Zielgruppe. Drei Viertel sind Männer, und zwar meist junge, gutverdienende mit PC-Kenntnissen. Die eine Hälfte nutzt das System nur privat, die andere teilweise oder ausschließlich im Geschäft. Dennoch bleiben die meisten Teilnehmer anonym, eignen sich also nicht für differenzierte Online-Mailings.
Diesem Manko wollen die Infoplus-Betreiber jetzt mit einem „Profilservice“ abhelfen. Dazu wird der Kunde gebeten, seine Nutzungspräferenzen anzugeben. Je nachdem, was er ankreuzt, wird seine private Willkommen-im-Netz-Seite aufgebaut. Eine spezielle Software, ein sogenannter intelligenter Agent, präsentiert ihm stets zuerst die aktuellen Infos, die seinem vorprogrammierten Interessenprofil entsprechen.
Direct-Response auch im B-to-B-Bereich
Auch im Business-to-business-Bereich kommt das Direct-Response-Medium Datex-J inzwischen in die Gänge. Handelsunternehmen wie Foto Porst oder Interfunk kommunizieren in geschlossenen Benutzergruppen mit den angeschlossenen Läden. Ist das Netz erst einmal aufgebaut – etwa um Lager- oder Reparaturnachfragen zu automatisieren – können auch Mailings an die Händler auf diesem Weg verschickt werden. Bei einer Gebühr von durchschnittlich 40 Pfennig pro Adresse erreicht die Nachricht am selben Tag den Empfanger; die Antwort (Bestellung) wird leicht gemacht, indem der Computer automatisch die Adresse einfügt.
Gegen diesen Komfort wirkt das amerikanische Compuserve Information System (CIS), das seit 1991 in Deutschland vertreten ist, geradezu altbacken. Viele der Angebote kommen schlicht als weißer Text auf schwarzem Grund durch die Telefonleitung – kurz und bündig zwar, aber eben in EDV-Steinzeit.
In den USA, wo der Anschluß an CIS oder eines der Konkurrenzsysteme America Online oder Prodigy für PC-Besitzer fast obligatorisch ist, tummelt sich dennoch alles im Netz, was in der Geschäftswelt Rang und Namen hat: General Motors, Ford und Chrysler. Sears, Air France oder die Bertelsmann Music Group (BMG). Wer unter welchem Kürzel zu finden ist, entnehmen die Teilnehmer der opulent bebilderten Rubrik „Electronic Mall – a Guide to Shopping in the Compuserve Information Service“ im monatlich erscheinenden Kundenmagazin.
Um das Manko an schöner Optik auszugleichen, offeriert Compuserve seit neuestem ein monatliches Magazin auf CD-Rom, das die dürren Online-Dienste in ein gefälligeres Ambiente hüllt. Diese Idee gab es in Deutschland schon früher: Der Otto-Versand brachte im Sommer 100.000 Stück seines Katalogs als CD unter die Leute, mit automatischer Bestellfunktion via Datex-J.
In den USA gilt denn auch nicht mehr CIS oder der von IBM und Sears gegründete Prodigy-Dienst als führend, sondern America Online aus Vienna/Virginia. Nach einer Studie der Gartner Group schoß dessen Teilnehmerzahl von 245.000 Teilnehmern im März 1993 auf 712.000 im März 1994. America Online bietet schon bisher das beste Layout; die Verknüpfung mit CD-Rom soll die Akzeptanz weiter verbessern.
Die Computerbranche unterstützt den Trend durch immer mehr Multimedia-PCs. Spätestens in drei Jahren, behauptet Gartner-Expertin Diane Tunick, werden alle neuen PCs serienmäßig mit CD-Rom und Full-Motion-Video-Funktion ausgeliefert. Bis zum Jahr 2000 sollen allein in Amerika über 40 Millionen CD-Rom-Geräte stehen. Auch die Software für den bequemen Zugriff auf Datennetze – selbst auf das unhandliche Ex-Militär- und Hochschulnetz Internet, liefern diverse Computerhersteller seit neuestem serienmäßig mit. So ist beispielsweise im neuen IBM-Betriebssystem „OS/2 Warp“ ein Internet-Modul enthalten, mit dem sich deutsche PC-Benutzer vom kommenden Winter an für wenig Geld ins „World Wide Web“ einwählen können.
Auch europäische Verlage entdecken das Potential der Online-Dienste. Zwar ließ der neue Springer-Vorstand aus Kostengründen das deutsche Joint-venture Videotel platzen, das mit dem Dienst VIA 1996 eine Alternative zu Datex-J bieten wollte. Stattdessen investiert nun Hubert Burda in ein neues Unternehmen namens Europe Online, zu dessen Vätern auch die Gründer von America Online zählen. Schon im nächsten Sommer, so Burda-Projektmanager Oskar Prinz von Preußen, soll der Dienst stehen.
Angesichts der neuen Konkurrenz macht Telekom jetzt Tempo. War das Datex-J-Netz bisher mit 2400 Bit pro Sekunde eine verkehrsberuhigte Zone, sollen die Daten schon Anfang 1995 mit der sechsfachen Geschwindigkeit rasen. Hinzu kommt eine neue Bedienoberfläche namens KIT (Kernsoftware Intelligentes Terminal).
Damit wird es leichter, das Medium für den Softwarevertrieb und die Übertragung von komprimierten Bildern zu nutzen. Während im Hintergrund die Datenübertragung läuft, kann der Anwender mit einer anderen Software arbeiten. Für 1996 ist schließlich noch einmal eine Verdoppelung des Tempos geplant – auf dann 28,8 Kilobyte pro Sekunde.
Trotz allem trauen selbst Befürworter den Online-Diensten keine Wunder zu. Es gibt Zielgruppen, die über diese Medien niemals ansprechbar sein werden“, unkt Monika Beumers, Mitinhaberin der Münchener Direktmarketingagentur b.a. s. GmbH und Btx-Expertin der ersten Stunde, denn: „50 Prozent der Zuschauer können nicht einmal ihre Fernbedienung richtig handhaben.“
Killer der Kennziffern
Fax-Abrufsysteme sind schwer im Kommen. Als Direct-Response-Medium sparen sie Druck- und Personalkosten.
Sie brauchen am Sonntagabend unbedingt Mediadaten von der „Computerwoche“? Montag früh reicht nicht? Kein Problem, wenn Sie ein Telefon und ein Faxgerät haben.Sie wählen die Nummer 089/334775 und sprechen dem freundlichen Computer auf der Gegenseite langsam und sehr deutlich ins digitale Gehör: „Eins-null-null-null-acht-eins.“ Nach dem Pfeifton legen Sie auf. Fünf Minuten später liegen die Mediaunterlagen in Ihrem Fernkopierer.
Diese Szene ist keine Science-fiction. Die Technik funktioniert heute schon, auch wenn die Mediadaten eher der Vollständigkeit halber im Sortiment sind. Call-a-Fax nennt sich der Dienst, den der Münchener Telekommunikationsspezialist Tom Niedermeier für die CW-Anzeigenabteilung eingerichtet hat. Zielgruppe sind die Inserenten. Ihnen bietet die „Computerwoche“, die nie eine Kennzifferzeitschrift war, ein neuartiges Response-Element. Gespeichert sind bisher technische Daten von Canon, das Schulungsprogramm von Novell, alle Bücher und CDs von Data Becker sowie das Verlagsprogramm des Weka-Fachverlags.
Tatsächlich hat der Faxabruf (Fax-on-Demand, FoD) gegenüber dem traditionellen Verfahren mit Antwortpostkarten und Broschürenversand klare Vorteile. Der Kunde erhält im Handumdrehen die gewünschte Information. Für den Betreiber fallen das Handling der Karten, das Kuvertieren der Prospekte und die Portokosten weg. Gleichzeitig registriert der Computer, wann und wie oft bestimmte Informationen angefordert werden. Der größte Nachteil: Weil handelsübliche Gruppe-3-Faxe nur schwarz auf weiß drucken, eignen sich die ohnehin produzierten Vierfarbhochglanzhefte nicht als Vorlage.
Der Verzicht auf Farbe ist jedoch nach Ansicht der FoD-Anbieter das kleinste Übel. Nach der Devise „Es kommt auf die Informationen an“ läßt Tom Niedermeier beispielsweise bei den Canon-Druckern einfach die großformatige Abbildung weg: das Datenblatt kommt „nackt“.
Der Hamburger Diplomingenieur Gunter Tombers, respektierter Pionier unter den deutschen FoD-Speziaiisten, empfiehlt seinen Kunden ein Layout, das auf die Eigenheiten der Faxtechnik Rücksicht nimmt. Produktfotos sollten wie ein schwarzweißes Zeitungsbild gerastert werden, damit sie gestochen scharf aus dem Empfangerfax kommen.
Über die ideale Abfragemethode hat sich die junge Branche noch nicht verständigt. Bei der Tombers-Eigenentwicklung FIS (Fax-Informationssystem), die unter anderem bei Microsoft in Unterschleißheim für die Fernabfrage technischer Tips genutzt wird, braucht der Kunde nicht wie bei Call-a-Fax auf ein Computerohr einzureden. Jedes „Dokument“ hat seine eigene Telefonnummer. Bei der sogenannten Polling-Funktion, mit der heute jedes bessere Faxgerät ausgestattet ist, wird diese Nummer direkt über die Tastatur des Faxgeräts eingetippt.
Weil FIS bis zu 5000 Dokumentennummern unterscheiden kann, kommen auch Fans von Couponanzeigen auf ihre Kosten. Dasselbe Dokument kann unter verschiedenen mediaspezifischen Faxnummern abgerufen werden. Aber auch, wer erst einmal Adreß-Mining betreibt, kommt auf seine Kosten. In der Identifikationszeile überträgt jedes ordnungsgemäß eingestellte Faxgerät Namen, Vorwahl und Rufnummer des Anrufers.
In der Computerindustrie ist Fax-on-Demand bereits gang und gäbe. Die Siemens Nixdorf Informationssysteme AG informiert auf diesem Weg über die lieferbaren Restposten ihrer Werksverkaufsläden. Computer 2000 hält für seine Händlerschaft rund um die Uhr eingescannte Prospekte und Datenblätter parat. Kunden von Intel, Lotus und Hewlett-Packard lassen sich ebenfalls per Fax informieren.
Auch in anderen Branchen setzt sich das neue Werbemedium durch. So steht in Wolfsburg ein FIS-Exemplar, von dem jedermann das aktuelle Angebot an VW-Jahreswagen abrufen kann. Der lngolstädter Dienstleister Ralf Meister pflegt die Fax-Datenbanken des Bundes der Steuerzahler (Steuertips) und der „Forbes“-Redaktion. Von der Pressline in Weiden/Oberpfalz bekommen Journalisten Industrie-Pressemitteilungen.
In München arbeitet Tom Niedermeier derzeit für die M&H-Agentur, Lohhof, am Ausbau des neuen Dienstes Reise-Fax. In Kürze können sich Individualreisende per Faxtelefonat vom Computer Literaturlisten abrufen, in denen alle lie- ferbaren Karten, Reiseführer, Bildbände oder Videos über ihr Urlaubsziel verzeichnet sind. In Zusammenarbeit mit der Münchener Bertelsmann-Tochter Geo Center Verlagsvertrieb GmbH sollen 10.000 Titel aus 50 Verlagen gespeichert werden. Als Service kommt ein Branchenbuch mit Adressen von Reiseveranstaltern und Fremdenverkehrsverbänden hinzu. Damit nicht genug: Reise-Fax soll zum Vertriebsweg für Last-minute-Reisen werden.
Niedermeier, der mit zwei Jahren Anlaufzeit rechnet, träumt bereits vom nächsten Schritt: Er will den Interessenten eines Tages Fragebögen schicken, die sie nur noch handschriftlich ausgefüllt zurückfaxen müssen. Den Rest erledigt Kollege Computer: Eine spezielle Software liest den Wunsch, wertet ihn aus und faxt vollautomatisch die gewünschten Seiten an den Kunden. Nach der vorläufigen Planung soll sich der gesamte Dienst allein durch Zahlungen der Anbieter tragen.
Für den Fall, daß diese Rechnung nicht aufgeht, können sich Niedermeier & Co. aber auch am Fax-Abrufdienst Satellifax orientieren. Der ist nur über eine – allerdings gebührenpflichtige – 0l90er-Nummer zu erreichen.
Kanal noch nicht voll
Nächstes Jahr beginnen die Pilotprojekte für interaktives TV. Wie Homeshopping angeboten werden soll, ist noch unklar.
„Wir sind nur einer von vielen Playern“, rückt Patrick Palombo bescheiden das Bild zurecht, das die Medien seit einiger Zeit vom geplanten Pilotprojekt „Media-Center Bayern in Franken“ zeichnen. Der Quelle-Manager für interaktive Medien hält es zwar für selbstverständlich, daß sich sein Haus bei einem solchen Vorhaben in der eigenen Region engagiert. Dies täten jedoch auch Grundig, die Sebaldus-Gruppe, Franken Funk & Fernsehen, die Philips Kommunikationsindustrie und andere.
Daß sich die Aufmerksamkeit dennoch auf das Schickedanz-Versandhaus konzentriert, geht auf Äußerungen von Marketingvorstand Sigmund Kiener und Vorstandschef Klaus Mangold zurück. Zur Jahrtausendwende, lautete sinngemäß deren Parole, solle das interaktive Fernsehen einen „erheblichen Anteil“ zum Quelle- Umsatz beitragen. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin „Top Business“ präzisierte Kiener, daß damit etwa zehn Prozent des Umsatzes gemeint seien – immer noch ein ehrgeiziges Ziel, wenn man bedenkt, daß die flächendeckende Einführung erst nach Abschluß der Pilotphase im Sommer 1997 beginnen kann. In der offiziellen Verlautbarung lassen sich die Fürther alle Türen offen: „Sowohl der elektronische Katalog, der das Aussuchen, Bestellen und Bezahlen mittels Fernbedienung vom Fernsehsessel aus Realität werden läßt, als auch ein eigener Quelle-TV-Kanal mit umfassendem Produkt-, Dienstleistungs- und Unterhaltungsangebot sind denkbar.“ Keine Rede davon, daß das hauseigene Fernsehprogramm schon beschlossene Sache wäre.
Solche Pläne kämen allerdings auch reichlich verfrüht. Selbst wenn das künftige Kabel-TV mit 500 Kanälen reichlich Raum für neue Anbieter läßt, gilt es rein rechtlich doch noch immer als Rundfunk. Nach der derzeitigen Gesetzeslage hätte ein lnfomercial-Vollprogramm keine Chance, von den Landesmedienanstalten überhaupt genehmigt zu werden.
In Fürth gilt das Hauptaugenmerk deshalb vorerst der anderen Variante, dem elektronischen Online-Katalog fürs Wohnzimmer. Zielgruppe für dieses Angebot sind Kunden, die zu Hause keinen Computer haben, und somit nicht über Bildschirmtext/Datex-J bei Quelle bestellen können.
Das interaktive Homeshopping am Fernseher setzt auf dieselbe Technik wie die Video-on-Demand- Systeme, freilich erweitert um eine Bestellfunktion: Der Zuschauer wählt per Fernbedienung aus einem Bildschirmmenü den Punkt, der ihn interessiert. Über einen Steuerkanal, beispielsweise die Telefonleitung, geht der Wunsch an einen großen Datenbankcomputer, von dessen Festplattenspeichern Texte, Bilder und Videos ruckzuck und in dividuell durchs Kabelnetz ins Haus geliefert werden. Das alles soll so simpel wie möglich funktionieren. Mit einer klobigen alphanumerischen Tastatur als Bildschirmtext-Fernbedienung war vor Jahren schon die Bundespost auf die Nase gefallen.
Damit liegt der Schwarze Peter bei den Software-Entwicklern. Sie müssen nun Auswahlseiten komponieren, die allein über Cursor-Bewegungen oder Ziffern zu steuern sind und gleichzeitig ohne endlose Baumstrukturen auskommen.
Interaktives Fernsehen ist aber nicht nur für den Versandhandel interessant. Den Löwenanteil der Bandbreite künftiger Kabelnetze dürften Spartenprogramme für die verschiedensten Zielgruppen ausfüllen. „Der Markt ist erkennbar“, konstatiert Hans Lauber, Sprecher der MGM MediaGruppe München GmbH, „aber es wird noch zwei bis drei Jahre dauern, bis man tatsächlich weiß, wo genau die Segmente liegen und welche Preise der Markt akzeptiert.“
Die Werbung, über die sich diese Programme zumindest teilweise werden finanzieren müssen, wird sich nach Laubers Ansicht deutlich von klassischen Spots unterscheiden. Denn auch das Umfeld wird neuartig sein. So sind demnächst neben klassischen linearen Sendeformen auch On-Demand-Programme möglich, bei denen der Anbieter den Grad an Interaktivität selbst bestimmen kann: „Es wird eine hybride Form der Informationsvermittlung entstehen.“
Anbieter und Agenturen stehen damit vor der heiklen Aufgabe, Werbekonzepte zu entwickeln, die der Rezipient nicht einfach interaktiv umgeht. Eine marktwirtschaftliche Lösung, die bisweilen genannt wird: Die Programme könnten zu verschiedenen Tarifen angeboten werden – wer den softwaregesteuerten Umweg über Werbeeinblendungen duldet, zahlt weniger als der, der das Programm werbefrei abruft.
Geballte Werbeladung
Der Kunde steht schon im Kaufhaus, da erwischt ihn das ultimative Werbefernsehen: ein Blickfang auf 100 Monitoren.
Die Fernsehgeräteabteilung bei Hertie ist auch nicht mehr das, was sie mal war: eine Mini-Funkausstellung, in der ARD, ZDF, RTL, Sat1, Pro7 & Co. simultan ihre Programme präsentieren durften. Seit Juni sind in 71Warenhäusern sämtliche Bildschirme gleichgeschaltet. Kein Erdbeben, Vulkanausbruch oder Fußballspiel kann die Verkäufer von der Arbeit ablenken. Alles, was sie sehen, ist deja vu. Denn wie im Kinohit „Und täglich grüßt das Murmeltier“ wiederholt sich in Herties Glotzkisten immer wieder derselbe Ablauf. Alle 70 Minuten aufs neue, Tag für Tag, einen ganzen Monat lang. Hundertfach neben-, unter-, übereinander: Reklame, nichts als Reklame.
Verantwortlich für den werblichen Frontalangriff am Point of Sale, bei dem bis zu 200 Farbfernseher synchron dieselben Werbespots zeigen, sind die beiden Münchener Firmen Cine Partners und Inter/Aktion. Mit ihrer „Trailer Disc“ , die auf der Compact Disc Interactive (CD-I) von Philips basiert, packen sie den Kunden in einer geradezu idealen Situation: Er ist ohnehin in Kauflaune und kann die Werbung auch nicht wegzappen.
Hertie kommt bei dem neuen Werbeträger günstig weg: Das Eigenlob des Handelshauses („Gut ist uns nicht gut genug“) ist geschickt über die Disc verteilt und belegt nur zehn Minuten. Die restlichen 60 Minuten verkauft Cine Partners an Hertie-Lieferanten wie Sony, Toshiba, Grundig, Kodak, Polaroid, Rowenta oder Braun. Sie zahlen im Monat pro CD-Minute – mit etwa 170 Wiederholungen in allen Filialen – zwischen 3000 und 4500 Mark.
Wieviele Kunden das Kaufhaus-Fernsehen erreicht, wissen die Betreiber selbst noch nicht genau; die Hochrechnungen liegen zwischen 400.000 Kontakten proTag und zehn Millionen pro Woche. Genauen Aufschluß soll eine GfK-Studie bringen, für die im Dezember und Januar Kunden gezählt und befragt werden.
Mit der heutigen Form des Hertie-TV sind die Münchener Macher selbst noch nicht zufrieden. Das Problem ist die Software. „Wir müssen von dem leben, was die Agenturen uns liefern“, seufzt Bernd Heilmeier, der als Marketingchef der Münchner Cine Partners GmbH für die Vermarktung zuständig ist. In der Regel sind das gewöhnliche TV-Spots.
Diese möchte Uwe von Schumann, Multimedia-Experte bei der Partnrfirma Inter/Aktion, so schnell wie möglich durch „bewegte Plakate“ ersetzen, bei denen die hundert Fernseher zusammen als Fläche wirken. Dafür bedürfe es einer neuen Bildsprache: „Wir müssen viel Info in kurzer Zeit plakativ ‚rüberbringen.“
Der Kreative will dabei mehr das Auge reizen als das Ohr. Damit sind die Werbetreibenden auch gefeit gegen Abwehrreaktionen des Personals, wie sie kü zlich im Hertie-Haus am Münchener Hauptbahnhof zu beobachten waren: Die Apparate flimmerten stumm vor sich hin.
Der elektronische Verkäufer
Für die nächsten Jahre haben Heilmeier und von Schumann große Pläne. So soll das Kaufhaus-TV nicht auf die Unterhaltungselektronik-Abteilungen beschränkt bleiben. Zunächst in der Foto- und Tonträgerabteilung, später auch in Bereichen wie Sport und Kosmetik könnten verkaufsfördernde Spots in unmittelbarer Nachbarschaft zum Point of Sale gezeigt werden.
Als „freundlicher, immer gutgelaunter Kundenberater“ (Heilmeier) soll der elektronische Verkäufer auch für Umweltschutz und Dienstleistungen werben oder den Kunden nützliche Tips vermitteln. Mit der neuen Gerätegeneration „Tele-CDi“ kann Hertie künftig sogar tagesaktuelle Angebote per Telefonnetz auf die Bildschirme der Filialen übertragen.
Wenn die Kunden das Medium annehmen, wird bald womöglich auch die interaktive Komponente der CDi-Technik eingesetzt. Damit könnte der Kunde in Selbstbedienung zusätzliche Produktinformationen abfragen und sich sein eigenes Infoprogramm zusammenstellen.
Von der Resonanz auf das Hertie-Projekt ist Bernd Heilmeier sehr angetan. Die neue Hertie-Mutter Karstadt hat sich das System bereits vorführen lassen, Anfragen gab es auch von Kaufhof und Mediamarkt. In Australien läuft bereits ein Projekt. In Italien, Frankreich, Benelux und Großbritannien sucht Cine Partners Franchisenehmer. Aber auch in Deutschland ist der Markt noch lange nicht gesättigt: In den Regalen des Einzelhandels stehen um die 100.000 Fernsehgeräte,von denen die meisten immer noch nicht als Werbefläche erschlossen sind.
Titelthema der w&v werben & verkaufen 44/1994 (Response Marketing/Below the line)
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