Microsoft-Chef Steve Ballmer macht sich nie wichtig. Warum auch? Seit 20 Jahren ist er unersetzlich beim Software-Weltmarktführer.
Connie Ballmer hätte allen Grund zur Eifersucht. Steve, ihr Göttergatte, liebt nicht nur sie und ihre drei Söhne. Er hat noch eine Flamme nebenher. Seit die Kinder auf der Welt sind, verbringt er zwar ein Drittel weniger Zeit bei dieser – so etwa 60 Stunden pro Woche. Aber bis er 50 wird, also 2006, hat Steve Ballmer keinerlei Absicht, an dieser intensiven Liaison etwas zu ändern. Steves Gefühle sind so stark, dass er sie manchmal vor versammelter Mannschaft, sprich: vor seinen Untergebenen bei Microsoft, hinausposaunt: „Ich liebe diese Firma!!!!“ Wobei vier Ausrufezeichen nötig sind, um nur ansatzweise einen Eindruck von der Stimmgewalt zu vermitteln, die diesem massigen Gefühlspaket von einem Mann zu Eigen ist.
Beklagen kann sich Mrs. Ballmer wegen ihrer Konkurrentin nicht. Als frühere PR-Expertin bei Microsoft musste Sie schon von Berufs wegen wissen, worauf sie sich – abgesehen von einer ultimativen finanziellen Sicherheit – einließ, als ihr der Top-Manager und drittgrößte Aktionär des mächtigsten IT-Unternehmens der Welt die Ehe antrug.
Steven Anthony Ballmer, geboren am 24. März 1956 im Detroiter Vorort Farmington Hills, hatte längst Erfahrungen über das Leben in Zweisamkeit gesammelt, bevor er und Connie sich näher kamen. Seit 1980 verbrachte er einen großen Teil seiner wachen Stunden in eheähnlicher Arbeitsgemeinschaft mit seinem besten Freund, dem Microsoft-Gründer William Henry Gates III. Der hatte ihn 1980 zu Hilfe gerufen, als ihm sein auf 30 Angestellte gewachsenes Software-Haus über den Kopf zu wachsen drohte. Das war in der Computersteinzeit: ein Jahr vor MS-DOS und IBM-PC, fünf Jahre vor dem ersten Anlauf mit Windows.
Der Vergleich dieser Männerfreundschaft mit einer langjährigen Ehe ist kein Journalistenschnack. Er stammt von Ballmer selbst. Von Bill Gates ist kein Widerspruch dokumentiert. Für Fans gehören die beiden 45-Jährigen zusammen wie Philemon und Baucis, für ihre zahlreichen Gegner freilich eher wie Scylla und Charybdis. Entgegen der mediengerechten, millionenfach kolportierten Legende vom Ausnahmeunternehmer Gates wäre Microsoft ohne Ballmer nie das geworden, wofür der Konzern heute geliebt und gehasst wird: Das weltweite Synonym für Software, auf die kaum ein PC-Anwender verzichten will oder kann.
Wer sich mit Steve Ballmer näher befasst, kann dessen offiziellem Titel nicht viel Bedeutung beimessen. Seit Januar 2000 nennt sich das Energiebündel Chief Executive Officer. Gründer Gates begnügt sich seither mit den Etiketten Chairman und Chief Software Architect. Schnell entledigte sich der neue CEO des Alltagkrams und delegierte viele Chefaufgaben an Richard (Rick) Belluzzo, einen 47-jährigen Branchenveteranen, der entgegen der Microsoft-Tradition nicht hauseigener Managerzucht entsprang, sondern beim Hardware-Riesen Hewlett-Packard Karriere gemacht hatte. Darum sieht es anderthalb Jahre nach dem pompös angekündigten Stabwechsel nicht mehr so aus, als solle Steve seinen Freund Bill hierdurch im operativen Geschäft entlasten. Vielmehr haben sich zwei Milliardäre einen Dritten geholt, der für ein generöses Salär beiden zur Hand geht.
Die Partnerschaft zwischen Ballmer und dem fünf Monate älteren Gates begann im Studentenwohnheim der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Nach einem gemeinsamen Besuch von Stanley Kubricks düsterem Film „A Clockwork Orange“ stellten die bei den Mathematik-Freaks fest, dass sie trotz ihres unterschiedlichen Naturells viele gemeinsame Interessen haben. Der kontaktfreudige Steve schleppte seinen Buddy Bill überall mit hin, wo etwas los war, sogar in einen vornehmen Club, in dem befrackte Herren Zigarren rauchten. Doch der im Umgang mit anderen Menschen unsichere Gates – das Spektrum seiner Gefühlsäußerungen reichte von Schüchternheit bis Jähzorn – hielt es im elitären Milieu der Ostküsten-Uni nicht lange aus. In der Wüstenstadt Albuquerque, New Mexiko, versuchte sich der Studienabbrecher als Unternehmer – mit einer Programmierklitsche namens Microsoft, die er gemeinsam mit seinem Schulfreund Paul G. Allen gründete. Ballmer blieb brav in Cambridge, leitete ein Sportteam, baute seinen Bachelor in Mathematik und Betriebswirtschaft, arbeitete zwei Jahre beim Konsumgüterkonzern Procter & Gamble in Cincinnati, schrieb sich an der Stanford Business School im kalifornischen Palo Alto für ein Aufbaustudium ein. Und ahnte nicht im geringsten, dass Gates und ein weiterer Kommilitone bald zu Idolen der Gründerszene werden sollten: Der rotzfreche Typ, der ihm in Harvard und Stanford immer wieder über den Weg lief und der – wie er – aus dem neureichen Detroiter Automanager-Söhne-Milieu stammte, war niemand anderes als Scott McNealy, Mitbegründer des Hardware-Giganten Sun Microsystems.
Im Jahr 2001 sind Ballmer und McNealy die allerbesten Feinde. McNealy, der als Meister des rhetorischen Tiefschlags einen Ruf zu verteidigen hat, spielt mit seinem alten Bekannten gern Punching-Ballmer: Scott haut dem Ober-Microsoftie einen Spruch um die Ohren (von der Sorte, er und Gates könnten bei MTV als „Ballmer und Butthead“ auftreten),und Steve lässt sich zu einer Replik provozieren, die meistens weniger lustig ausfällt. Die Attacken verdankt Ballmer dem Umstand, dass er sich vor über 20 Jahren unverzeihlicherweise entschieden hat, in eine Firma einzusteigen, die sich daraufhin (oder nur deshalb) zur „Bestie von Redmond“ entwickelte oder zum „Reich des Bösen“ – jedenfalls aus Sicht des im von Sun repräsentierten Silicon Valley.
Aus jenen fernen Tagen ist überliefert, dass die Microsoft-Gründer heillos überfordert waren mit dem Management ihrer Software-Bude. Als Gates den disziplinierteren und kommunikativeren Ballmer fragte, ob er Lust hätte, für 50.000 Dollar Jahresgehalt und ein paar Prozent Firmenanteile bei ihnen mitzumachen, sagte dieser ja. Zum Entsetzen der Altgesellschafter produzierte der Neue erst einmal Fixkosten, indem er Mitarbeiter einstellte. Die Entscheidung erwies sich jedoch als goldrichtig. Übrigens auch für Kompagnon Paul Allen, der bald aus gesundheitlichen Gründen ausstieg und während seiner Genesung zusehen konnte, wie sein Microsoft-Aktienpaket unter der Führung des sich symbiotisch ergänzenden Duos – Gates als Stratege, Ballmer als kongenialer Vollstrecker seines Willens – von Tag zu Tag wertvoller wurde. So erwarb sich Steve Ballmer den Ruf, er sei Gates‘ Mann fürs Grobe: Bei allen wichtigen Entscheidungen schickte Gates seinen Vertrauten in die Verhandlungen oder nahm ihn mit. Wie ein Libero spielte Ballmer auf allen wichtigen Positionen im Unternehmen. Spötter sagen ihm nach, er sei für jeden Job gut, weil er alles glaube, was er sage, man müsse ihm nur sagen, was er sagen soll.
Das ist übertrieben. Aber als Gates‘ getreuer Ekkehard hat Ballmer bewiesen, dass nicht die Gier ihn antreibt. Geld hat der Genügsame mehr als genug: In der Milliardärsrangliste der Zeitschrift „Forbes“ hält er Platz 13 – noch vor Ikea-Chef Ingvar Kamprad oder Hongkong-Tycoon Li Ka-shing.
Erschienen in BIZZ 9/2001.
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