Wer Nachhaltigkeit und gesellschaftliches Engagement für sozialromantische Nebensächlichkeiten hält, setzt seinen wirtschaftlichen Erfolg aufs Spiel. Unternehmen mit einer Reputation als »Corporate Citizen« mit reiner Weste tun sich leichter bei allen Stakeholdern – nicht nur bei kritischen Kunden, sondern sogar an den Finanzmärkten.
Wäre die Meinung von Peter F. Drucker noch relevant, hätte sich Petra Kinzl längst einen neuen Job suchen müssen. In der WeItsicht des legendären austro-amerikanischen Management-Gurus waren Menschen vom Schlage der Augsburger Biologin pures Gift für ein Unternehmen: »Wenn Sie auf eine Führungskraft treffen, die sich soziale Verantwortung aufhalsen will, feuern Sie sie. Und zwar schnell!«
Dass sich der greise Ökonom in der Abenddärnmerung seines langen Lebens selbst von jenem Image-Sockel stürzte, den die Medien lebenden Denkmälern unterzuschieben pflegen, ist Schuld oder Verdienst von Joel Bakan. Der in Kanada lebende Jura-Professor hatte den ewigen Vordenker Drucker, der Ende 2005 im Alter von fast 96 Jahren starb, für sein Buch »The Corporation« interviewt und zum Kronzeugen seiner These gemacht, Kapitalgesellschaften seien ihrem Wesen nach psychopathische Monster: geldgierig, gewissenlos, gerissen. Nach der Lektüre von Bakans mit Originalzitaten berühmtester Business-Koryphäen gespickter Fleißarbeit – pathetischer Untertitel: »The Pathological Pursuit of Profit and Power« – ist auch dem Gutmütigsten klar, wie die Job Description eines modernen Kommunikationsmanagers aussehen muss: Sprachrohr des Teufels. Der britische Verlag war sich nicht zu schade, das Cover dieser Generalanklage des Kapitalismus mit der Silhouette eines Satans zu dekorieren, der sich in einen Business-Anzug geworfen und einen Heiligenschein aufgesetzt hat.
Die Menschen, die mit Petra Kinzl und ihrem Arbeitgeber, der Arzneimittelfirma betapharm, zu tun haben, wissen es besser als Drucker, besser als Bakan, besser auch als der 93-jährige Nobelpreisträger Milton Friedman, der dem amerikanischen Autor kategorisch beschied, gesellschaftliches Engagement sei wider die Natur von Wirtschaftsunternehmen – es sei denn, es entspringe nicht innerer Überzeugung, sondern diene allein der Verkaufsförderung. Zwar steckt hinter den vielfältigen Non-Profit-Aktivitäten des gemeinnützigen »beta Instituts für angewandtes Gesundheitsmanagement« auch kaufmännische Ratio – nämlich das Bestreben, im grauen Umfeld der Generika-Anbieter mit ihren austauschbaren Produkten ein starkes Markenprofil aufzubauen. Scheinheiligkeit muss sich die Stiftungsbeauftragte der Geschäftsleitung deswegen aber nicht nachsagen lassen, genauso wenig wie betapharms langjähriger Geschäftsführer Peter Walter: Hätte der nicht von Anfang an auf eine Unternehmenskultur gesetzt, nach der Ökonomie nicht alles ist, könnte der Verein »Der Bunte Kreis« weniger für Familien mit Frühchen und chronisch kranken Kindern tun, das »mammaNetz« nicht die Brustkrebs-Patientinnen in Bayerisch-Schwaben betreuen und kein Kindergarten am Gewaltpräventionsprogramm »Papilio« teilnehmen. Auch so mancher fundierte Patienten-Ratgeber wäre ungedruckt geblieben, hätten sich die Bayern nicht vor bald zehn Jahren einer Philosophie verschrieben, die unter dem Namen »Corporate Citizenship« zunehmend Anhänger findet. Danach ist ein Unternehmen nicht einfach nur eine juristische Person, die sich im Rahmen des Unvermeidlichen den Gesetzen beugt, sondern ein guter Bürger, der sich deutlich über die Minimalpflichten hinaus für das Gemeinwesen engagiert, in das er eingebunden ist. Er investiert im Wortsinn in Public Relations; er pflegt seine Beziehungen zum Volk. Er strebt nach Gewinn, weil das seine raison d’etre ist; er lässt andere daran teilhaben und legitimiert auch dadurch wieder seine Existenz. Ein slangsicherer Wirtschaftssoziologe würde sagen: Er affirmiert seine »License to Operate«.
Firmen übernehmen Verantwortung
Die Wirtschaftsethik ist auf dem Weg aus der Nische. Was jahrelang fast nur die Zielgruppen von Dritte-WeIt-Initiativen, Kirchentagen und Bioläden zu interessieren schien, tangiert zusehends den Mainstream. In steigender Frequenz sehen sich Marketingleute, Pressesprecher und Investor-Relations-Manager gefordert, Rechenschaft abzulegen: Wo genau kommen die Produkte eigentlich her? Unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt? Wie geht das Unternehmen mit Menschen, Tieren und Umwelt um? Mäste ich als Kunde mit meinem Geld lediglich einen Heuschreckenfonds oder tut die Firma damit auch Gutes? Gleichzeitig bietet das wachsende Interesse der Öffentlichkeit am unternehmerischen Selbstverständnis auch Chancen für einen intensiveren Dialog mit den verschiedenen Stakeholder-Gruppen: ein Trend, der den Spezialisten für Issues Management, PR, Qualitätsmanagement und Unternehmensentwicklung derzeit eine Flut von Konferenzen und Büchern beschert, die sich der »Corporate Social Responsibility« (CSR) oder schlicht »Corporate Responsibility« (CR) widmen. Dass die aktive Mitverantwortung der Unternehmen fürs Gemeinwohl ein von Sozialromantikern zu verantwortender Störfaktor wäre, wagt kaum mehr jemand zu behaupten. Viel mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass sie sich, wie der Titel eines kürzlich erschienenen Fachbuchs suggeriert, geradewegs zum Erfolgsfaktor entwickelt.
Wer etwas auf sich hält, kann zu CSR nicht mehr schweigen. Manager, die um vermeintlich »grüne« und »linke« Themen immer einen großen Bogen machten und lieber Drucker lasen, stellen freiwillig Statements zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten ins Netz, bekennen sich zu Verhaltenskodizes und legen interne Informationen zur Herkunft ihrer Waren offen, die sie früher wie Staatsgeheimnisse hüteten. Konzerne und Mittelständler versuchen, ihre Marken zu veredeln, indem sie einen Teil des Kaufpreises für den Schutz des Regenwaldes abzweigen oder sich in Richtung Fairer Handel vortasten – wobei die eine oder andere Aktivität den dringenden Verdacht nahelegt, ihre Urheber hätten es vor lauter Begeisterung versäumt, sich näher mit den Positionen jener Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auseinanderzusetzen, deren Sympathisanten sie als Zielgruppe ansprechen wollen.
Einzelkampf gegen den kollektiven Ansehensverlust der Wirtschaft
Das neue Interesse an dem gar nicht so neuen Thema kommt jedenfalls nicht von ungefahr. Die Reputation der Wirtschaft in der Bevölkerung ist einer Allensbach-Umfrage zufolge derart katastrophal, dass fast schon der schiere Selbstschutz dazu zu zwingen scheint, das eigene Haus als rühmliche Ausnahme zu positionieren: Hatte noch Mitte der Neunziger Jahre jeder zweite Deutsche eine gute Meinung von der Sozialen Marktwirtschaft und nur knapp jeder Vierte eine explizit schlechte, hat sich das Verhältnis nach dem Niedergang der so genannten New Economy sowie der EU-Osterweiterung umgekehrt. 2005 fanden 47 Prozent der über 16-Jährigen das Wirtschaftssystem ihres Landes (in seinem aktuellen Zustand) schlecht – und nur noch 25 Prozent gut. Geradezu dramatisch ist der Ansehensverlust in den östlichen Ländern: Als Helmut Kohl den DDR-Bürgern 1990 bei der Einführung der D-Mark blühende Landschaften in Aussicht stellte, lag die Zustimmung zur bundesrepublikanischen Version des Kapitalismus bei 70 Prozent; voriges Jahr fiel sie von zuvor 18 auf zehn Prozent.
Auf vielen Kommunikationsverantwortlichen lastet nun ein erheblicher Erwartungsdruck. Sie sollen der Öffentlichkeit vermitteln, dass ihr Haus nicht zu den Bösen gehört, sondern im Gegenteil viel Gutes tut. Wenn sie Pech haben, ist vielleicht gerade in der Zeitung zu lesen, dass beim Chef, der es schafft, in einem Atemzug steigende Renditen und betriebsbedingte Entlassungen zu verkünden, eine zweistellige Millionensumme auf dem Gehaltszettel steht – weil das für die Journalisten ein sehr viel ergiebigeres, weil volksnäheres Thema ist als all die karitativen und kulturellen Wohltaten, die es ja in jedem besseren Unternehmen auch gibt. Früher hätte man gesagt, es sei an der Zeit, das Image aufzupolieren.
An gefälligen Claims mangelt es nicht, wohl aber – darin sind sich die Experten einig – an schlüssigen Konzepten für ein Zeitgemäßes, umfassendes Reputationsmanagement, das die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens in den Mittelpunkt nicht bloß schöner Reden, sondern vor allem des Handelns rückt. Sonst könne es leicht passieren, dass man vorschnell Dinge hinausposaunt, auf die man stolz ist, und so misstrauische NGOs und Journalisten geradezu herausfordert, nach Schwachstellen zu suchen. »Es gibt in Deutschland erst ganz wenige Ansätze, CSR als strategisches Thema zu behandeln«, bedauert der Hamburger Unternehmensberater Klaus Rainer Kirchhoff, der als einer der führenden deutschen Experten für Corporate Responsibility gilt. Das Ziel müsse sein, mit den CSR-bezogenen Aktivitäten – die er als Beiträge zur Wertschöpfung begreift – das gesamte Unternehmen zu durchdringen und sie fest in der strategischen Unternehmenskommunikation zu verankern.
Letzteres ist für Kirchhoff freilich die letzte Stufe in einem komplexen Prozess: Zuerst müsse eine CSR-Mannschaft aufgebaut werden, die eine Roadmap aufstellt, ein glaubwürdiges Leitbild fürs Unternehmen entwickelt und die langfristigen Ziele festlegt, die mittels CSR angestrebt werden. Das Kommunikationskonzept ist in diesem Modell der krönende Abschluss: Man redet nicht schon, wenn man erst beschlossen hat, Gutes zu tun. Dass die Kommunikationsabteilung aber von Anfang an eingebunden werden sollte, ist Konsens bei Beratern und Praktikern: Hier ist in der Regel bereits einschlägige Kompetenz vorhanden, sowohl in Sachen Issues Management als auch in sensiblen Fragen wie der, wie unterschiedliche Werte gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen austariert werden können. Gleichwohl ist Kirchhoff mit den bisherigen Leistungen der Öffentlichkeitsarbeiter nicht glücklich: »Die kommunikativen Potenziale werden nicht ausgeschöpft.«
Chefs mit vagen Vorstellungen
Wie Kirchhoff sieht auch André Habisch die deutschen Top-Manager in der Pflicht, sich selbst in die Thematik einzuarbeiten. »Das ist ganz klar eine Führungsaufgabe«, erklärt der Professor für Christliche Sozialethik und Gesellschaftspolitik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Gründungsdirektor des Center for Corporate Citizenship, »leider sind die Sensibilität und das Verständnis für die Thematik in den Chefetagen noch nicht sehr ausgeprägt.« Dass sie persönlich gefordert sind, scheint den Führungskräften immerhin bewusst zu sein. Bei einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung gaben im vorigen Jahr 82 Prozent der Unternehmen zu Protokoll, CSR sei bei ihnen Chefsache – was aber wenig darüber aussagt, an wen die praktische Arbeit delegiert ist und mit welcher Vorgabe. Eigene CSR-Teams unterhalten nur vier Prozent der Befragten, zum Teil sind die PR-Stäbe zuständig, zum Teil aber auch die Rechts- oder Personalabteilung. Dass unter dem Begriff auch noch jeder etwas Eigenes versteht, macht die Sache nicht eben leichter: Die Bandbreite reicht von banalen Selbstverständlichkeiten – mancher Firmenchef hält es schon für lobenswert, dass sein Betrieb die Steuern noch in Deutschland anfallen lässt – bis zu aufwändigsten Sponsoring-Aktivitäten, deren Beitrag zum Gemeinwohl sich Außenstehenden nicht immer erschließt.
Ideen, wie Unternehmen »Corporate Social Responsibility professionell managen« können (so der Untertitel des Buchs »Erfolgsfaktor Verantwortung«), liegen ebenso auf dem Tisch wie Warnungen, was sie besser bleiben lassen sollten. Diverse NGOs – natürlich nicht alle – warten geradezu auf kooperationswillige Firmen, die sich aktiv engagieren möchten. Hier bieten sich viele Optionen für eine Kür. Was die Pflicht angeht, haben zum Beispiel die Vereinten Nationen unter dem Titel »Global Compact« zehn Gebote aufgestellt, an die sich global tätige Unternehmen als gute Weltbürger halten sollen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, als verantwortungslos an den Pranger gestellt zu werden. Die Europäische Kommission wiederum hat ein »Grünbuch« vorgelegt, das Handlungsoptionen aufzeigt. Zudem machen spezielle Börsenindizes für nachhaltig wirtschaftende Aktiengesellschaften denen Vorgaben, die an das Kapital ethisch anspruchsvoller Anleger heranwollen. Nicht zuletzt hat sich die eine oder andere Unternehmensberatung in die Thematik vertieft. Mittlerweile sind sogar etliche Best-Practice-Studien auf dem Markt, die allerdings eher als Inspiration denn als Blaupause für Nachahmer taugen: Kürprogramme wie die sozialmedizinischen Dienste des beta Instituts leben nun einmal davon, dass sie individuell sind, sich also harmonisch in die jeweilige Unternehmenskultur einfügen.
Ist der Ruf erst ramponiert, hätt‚ man lieber früher sich geniert
Mittelfristig, da sind sich die Experten einig, wird es zumindest bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne verbindliche Regeln abgehen – als Vorsorge gegenüber Risiken jener Sorte, die im Ernstfall die Reputation nachhaltig schädigt. Hier sind die Grenzen zum anderen großen Thema der Wirtschaftsethik, der »Corporate Governance«, durchaus fließend: Aufsichtsräten und Fondsmanagern steckt noch der Enron-Schock in den Knochen. Sie sind den Aktionären gegenüber verpflichtet, wirtschaftlichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden, und haben deshalb ein handfestes Interesse, absehbare und vermeidbare Gefahren von vornherein auszuschließen. So stünde ein amerikanisches oder europäisches Unternehmen, das sich heute noch als wissender Proflteur von Kinderarbeit erwischen ließe, am nächsten Tag weltweit am Pranger. Noch bevor der erste Verbraucherboykott einer NGO online wäre, hätte die Börse seine Folgen vorweggenommen: Mit dem Stakeholder Value, dem ideellen Wert der Marke, bräche auch der Shareholder Value zusammen.
Langfristig, meint deshalb Joachim Schlange, Managing Director bei Systain, einer Unternehmensberatung für nachhaltige Wirtschaft in Hamburg, müsse das ethische Management nach CSR-Prinzipien als Teil »Guter Unternehmensführung« betrachtet werden. Große Pensionsfonds wie Calpers aus den USA seien heute schon bei jeder Geldanlage ihren eigenen strengen Corporate-Govemance-Richtlinien unterworfen. Auch für deutsche Investmentfonds werde das Thema wichtiger. Schlange, dessen Beratungshaus zur Otto Group gehört, verweist noch auf ein weiteres Argument: »Durch gutes CSR-Management werden höhere Finanzierungskosten vermieden.« Wer vermeidbare Risiken ausschließt, kann sich nun mal billiger Kapital beschaffen als ein unsicherer Kantonist – egal, ob er börsennotiert ist oder nicht.
Ein weiterer Vorteil von CSR: Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen – oder vielmehr solche, die durch Mitgliedschaft in einem einschlägigen Aktienindex diesen Stempel tragen dürfen – stehen bei einer zunehmenden Zahl von Investoren hoch im Kurs. Die Logik der zu Grunde gelegten Kriterien ist zwar durchaus angreifbar; so sind Betreiber von Atomkraftwerken vom FTSE4Good-Index für ethisch korrekte Wertpapiere ausgeschlossen, während Ölkonzerne und Autohersteller ungeachtet der CO2-Problematik dabei sein dürfen. Es gibt aber genug Anleger, die das nicht stört, solange als ethisch-ökologisch angepriesene SRI-Fonds (Socially Responsible Investment) eine bessere Performance hinlegen als solche, die sich an den konventionellen Börsenindizes orientieren. Es ist also vor allem eine Frage der Unternehmenskultur, ob man seine Kommunikationsaktivitäten auf institutionelle Investoren fokussiert, denen vielleicht eine Unbedenklichkeitsbescheinigung genügt, auf die sie sich hinausreden können, falls es schiefgeht – dann ist das Pflichtprogramm womöglich genug – oder ob man langfristige Anleger will, die es mit der Nachhaltigkeit sehr genau nehmen. Letztere werden ihr Geld denjenigen anvertrauen, die Themen wie Nachhaltigkeit oder Verantwortung am glaubwürdigsten kommunizieren – einschließlich aller Interessenkonflikte. Ob zum Beispiel der Mobilfunk der Menschheit mehr nützt (schnellere Hilfe für Unfallopfer, weniger Benzinverbrauch dank Telematik) oder mehr schadet (angebliche Gesundheitsgefahren durch Sendemasten), kann mangels objektiver und unstrittiger Kriterien nur kraft eigener Willkür entschieden werden. Hier könnten gut kommunizierte CSR-Commitments durchaus nützlich sein.
Unternehmen als vertrauenswürdige Persönlichkeiten
Die Zusammenarbeit mit NGOs ist indes nicht immer unproblematisch. Deren Mitglieder erwarten von ihren Funktionären eine kompromisslose Haltung gegenüber Wirtschaftsunternehmen – das Spiel hieß schon immer »David gegen Goliath«. Neu ist, dass Goliath den Frieden mit David sucht und der sich entscheiden muss, ob ihn hier einer der hinterhältigen Business-Teufel aus Joel Bakans Buch einzulullen versucht oder ob er es mit einer vertrauenswürdigen Firmenpersönlichkeit zu tun hat. Gibt es beispielsweise Anlass zu Argwohn, wenn ein Zigarettenproduzent wie British Arnerican Tobacco (BAT) dem Forschungsinstitut International Centre for Corporate Social Responsibility (ICCSR) in Nottingham mit einem Millionenbetrag auf den Weg hilft? Steckt nur schlechtes Gewissen dahinter? Ist es Lobbyarbeit in der Hoffnung auf eine Vorzugsbehandlung? Oder handelt es sich um einen ganz normalen Vorgang: Ein Unternehmen, das zufällig mit einem etwas emotionsbeladenen Genussmittel handelt, will Gutes anschieben? Für Greenpeace-Pressesprecherin Svenja Koch stellen sich solche Fragen erst gar nicht. Ihre Organisation lässt sich nicht vor den Karren der Industrie spannen, basta. »CSR-Projekte sind oft ein Feigenblatt«, skizziert Koch im Fachmagazin »kommunikationsmanager« die Haltung von Greenpeace, »die breite Öffentlichkeit kann kaum unterscheiden zwischen echten Schritten zur Problemlösung und vorgeschobenem Engagement.« Freiwillige Zusagen ließen sich jederzeit zurückziehen, »denn CSR-Projekte sind Projekte guter Zeiten.« Die Greenpeacerin lässt denn auch kein gutes Haar an Aktionen, bei denen Cent-Beträge aus dem Erlös bestimmter Produkte in einen guten Zweck fließen, der nichts init dem Metier des Unternehmens zu tun hat: unglaubwürdig, ein potenzieller »Image-Bumerang«.
Greenpeace gehört allerdings eher zu den Ausnahmen in der internationalen NGO-Szene. Speziell in Großbritannien, so die Einschätzung von André Habisch, interagieren die Organisationen bereits sehr professionell mit den CSR-Profis aus der Industrie. »Die Politik hat dort eine wichtige Multiplikatorfunktion«, lobt der Theologe und Volkswirt, der am ICCSR in Nottingham den Status eines Visiting Professors innehat. So gibt es im Handelsministerium einen eigenen Staatssekretär für CSR, außerdem schiebt Prince Charles über die Prince of Wales Foundation das Thema an. Möglichst bald will Habisch auch hierzulande zur Professionalisierung der Szene beitragen: »Wir planen in Eichstätt den ersten Master-Studiengang in CSR-Management.« Zielgruppe des zweijährigen Vollzeit-Aufbaustudiums sind Betriebswirte, Kommunikationswissenschaftler, Soziologen oder Pädagogen, die auf einer der beiden Seiten – sei es Unternehmen oder Wohlfahrtsverband – solche Kooperationen vorantreiben wollen.
»Igitt, Profiteure des Gesundheitswesens!«
Bislang ist es in Deutschland meist ein vorsichtiges Herantasten, wenn NGOs und Firmen miteinander ins Gespräch kommen. Als sich der damalige betapharm-Chef Peter Walter beim »Bunten Kreis« engagieren wollte, erzählt Petra Kinzl, seien in dem kleinen Verein nicht alle glücklich gewesen: »Igitt, Pharma, Profiteure des Gesundheitswesens!« Er hat es geschafft. »Wir sind den Vorbehalten mit kolossaler Offenheit und Transparenz begegnet«, so CSR-Vorreiterin Kinzl. So wuchs Vertrauen; inzwischen gibt es dank beta Institut 20 Bunte Kreise in Deutschland. Das Engagement hier und bei Initiativen wie dem »marnmaNetz« verlieh dem Unternehmen wiederum die nötige Glaubwürdigkeit für andere Projekte im sozialmedizinischen Umfeld, die mehr auf das Handwerkszeug der Öffentlichkeitsarbeit setzen, etwa das Nachschlagewerk »betaliste«, die Suchmaschine»betanet« oder die Experten-Hotline »betafon«.
Bei einer NGO wie amnesty international liegen die Berührungsängste eher auf der Gegenseite. Wenn seine Organisation Unternehmen anspreche – etwa um Managern bewusst zu machen, worauf sie sich einlassen, wenn sie in Ländern wie China investieren – seien die Reaktionen oft von einer Abwehrhaltung geprägt, sagt Markus N. Beeko, Sprecher der deutschen Sektion in Berlin: »Menschenrechtsstandards spielen in den Unternehmen noch nicht die Rolle, die sie spielen sollten. Tiere sind einfacher zu kommunizieren.« Es gebe aber auch Unternehmen, die offen das Gespräch suchen. So wendeten sich Mitarbeiter von einschlägigen Abteilungen wie Public Affairs oder, falls vorhanden, CSR oder Nachhaltigkeit, an amnesty, aber auch Leute aus dem Vertrieb. Sie erfahren dann, worauf es der Menschenrechtsorganisation ankommt: dass Unternehmen zu ihrer Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette stehen, bis hin zum kleinsten Zulieferer irgendwo in Asien.
Ein Unternehmen, das diese Maxime versucht zu erfüllen und schon jetzt so aufgestellt ist, wie es Professor Habisch vorschwebt, ist Otto in Hamburg. Der im Farnilienbesitz befindliche Handelskonzern leistet sich – auch als Ausdruck seiner vielzitierten Unternehmenskultur – neben der Presseabteilung eine eigene Stabsstelle für Umwelt- und Gesellschaftspolitik, die sich um die CSR-Strategie kümmert. Deren Direktor Johannes Merck, zugleich Geschäftsführer der Michael-Otto-Stiftung für Umweltschutz, kommt selbst aus der Unternehmenskommunikation. Er hat in den 90er Jahren eine hauseigene Beratungsmannschaft für nachhaltige Unternehmensführung aufgebaut, die heute als Systain Consulting GmbH externe Kunden wie Vodafone, RWE und Bertelsmann berät. »CSR ist bei Otto kein PR-Tool«, sagt Kommunikationschef Thomas Voigt, »sondern eine unternehmerische Grundhaltung.« In der Außendarstellung des ökologischen und sozialen Engagements gibt sich die Otto Group unaufdringlich, doch das Thema ist im Rahmen des Issues Managements ständig präsent: Die Öffentlichkeitsarbeiter verfolgen sehr genau, was sich bei einschlägigen NGOs wie Clean Clothes tut.
CSR vom Verbraucher noch nicht honoriert
Kaevan Gazdar von der Hypovereinsbank in München, Co-Autor von Klaus Kirchhoff und André Habisch, sieht Otto als »leuchtendes Beispiel« in einer noch sehr ausbaufähigen CSR-Szene in Deutschland. Motor des Ganzen ist freilich kein angestellter Manager, sondern ein Unternehmer: Vorstandschef Michael Otto. Schon Anfang der 90er Jahre, so Voigt, habe der über seine Branche hinaus als Öko-Pionier bekannte Sohn des Gründers Werner Otto sozialverantwortlichen Handel auf die Tagesordnung gesetzt, sich die Lieferkette angeschaut und dafür gesorgt, dass die Textilfabriken faire Mindestlöhne bezahlen, keine Kinder mehr arbeiten lassen, schadstofffreie Produkte liefern und den Energieverbrauch senken. Inzwischen sei Otto so weit, dass 98 Prozent des 200.000 Artikel umfassenden Sortiments den hauseigenen Standards genügten, die strenger seien als die gesetzlichen Vorschriften. Voigt macht freilich kein Geheimnis daraus, dass diese Anstrengungen von den Verbrauchern nicht unbedingt honoriert werden. Der Preis sei immer noch das Hauptkriterium für die meisten; das Qualitätsbewusstsein steige zwar wieder, aber nur langsam. Nach Peter Druckers Doktrin müsste sich Michael Otto also quasi selbst entlassen. Statt dessen versucht das Team von Johannes Merck mit wachsendem Erfolg, Mitbewerber mit ins Boot zu holen. »Wenn einer das alleine macht, wird er unterboten«, weiß Firmensprecher Voigt.
Solche Sorgen muss sich Petra Kinzl nicht machen, der Generika-Markt funktioniert nach anderen Regeln. Obwohl betapharm in den vergangenen Jahren der Private-Equity-Gesellschaft 3i gehörte, gibt es kein umfassendes Controlling der Corporate-Citizenship-Aktivitäten. »Wir wissen, dass es uns sehr viel kostet«, gesteht Kinzl, »aber wir haben auch sehr viel davon.« Über die direkten Kosten von etwa zwei Millionen Euro im Jahr hinaus investierten viele Mitarbeiter einen Teil ihrer Arbeitszeit in die diversen Projekte. Wer die Pharmarfima besucht, begreift schnell: Es wäre kontraproduktiv, würde die Geschäftsleitung mit der Stoppuhr danebenstehen. CSR kann nämlich auch ein erfolgreiches Motivationsprojekt sein – eine Erfahrung, die übrigens auch schon die Unternehmensberatung Accenture und der Kosmetikhersteller Weleda gemacht haben. »Heute werden wir schon im Bewerbungsgespräch gefragt, was wir denn da machen«, sagt David Kossen, Vorstand der Accenture-Stiftung. Die angehenden Unternehmensberater seien sehr angetan, wenn sie erfahren, dass ihr neuer Arbeitgeber ehrenamtliche Tätigkeiten seiner Mitarbeiter zum Beispiel im Rahmen der Entwicklungshilfe fördert.
Trotz solcher Beispiele ist betapharm wegen seines ganzheitlichen Ansatzes immer noch eine große Ausnahme in der deutschen Firmenlandschaft. Wo immer über CSR gesprochen wird, fallt der Name der Augsburger Firma. Alle wollen von Kinzl erfahren, wie man es macht, neulich hatte sie sogar ein koreanisches Fernsehteam zu Gast. Auch auf dem Deutschen PR-Tag im Mai 2006 in Halle sitzt sie auf dem Podium, denn das Motto der Veranstaltung heißt »Verantwortung und Glaubwürdigkeit«; die neue Arbeitsgruppe CSR der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) hat damit ihren ersten großen Auftritt. Sollte da tatsächlich noch jemand Petra Kinzl nach der Bottom Line fragen, hat sie ein nicht zu schlagendes Argument parat: Vor ein paar Wochen hat Investor 3i die betapharm mit sattem Gewinn verkauft – an Dr. Reddy’s, einen aufstrebenden indischen Pharmakonzern. Dessen Gründer Anji Reddy hätte billiger in den deutschen Markt einsteigen können, doch betapharm war ihm das Geld wert: Er ist seit Jahren selbst überzeugter Verfechter von CSR.
Aus „Profile“, dem Kundenmagazin von Observer Argus Media (heute Cision); Ausgabe 3 • 1/2006
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