In Sachen Image gibt es für die EU – nicht nur – in Deutschland noch viel zu tun. Das weiß keiner besser als Harald Händel, Pressesprecher der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Seit drei Jahren bringt er den Journalisten und Bürgern hierzulande nahe, was im fernen Brüssel passiert. Kein einfacher Job, den Händel täglich als Schnittstelle zwischen Brüssel und Deutschland mit ausgefeilten Prozessen und journalistischem Gespür managt.
Anfang September trafen scharfe EU-Geschütze die Kommunikationsbranche. So zumindest las sich im Aufmacher der Fachzeitung „Horizont“, was EU-Kommissar Kyprianou offensichtlich beim Thema Alkoholwerbeverbot plane: „EU-Werbeverbotspläne für Alkohol torpedieren Markt.“ Starke Worte also – für Harald Händel aber täglich Brot. Themen aus Brüssel werden hierzulande in den Medien täglich aufgegriffen, wobei die ein oder andere Redaktion sie in den – aus Händels Sicht – falschen Hals bekommt, nämlich dorthin, wo ohnehin schon all die (Vor-)Urteile über Rat, Parlament und Kommission der EU stecken: Das Europäische Parlament sei eine Quasselbude im allzu fernen Brüssel, die Bürokratie aufgeblasen und teuer, die Verordnungen Symptom einer Regulierungswut, die von der Gurke bis zum Traktorsitz alles gleich machen möchte, statt Lösungen für die wirklichen Probleme im Land zu bieten. „Manchmal reicht schon eine kleine Meldung in der Boulevardpresse, die bei anderen Redaktionen Fragen aufwirft. Hier Rede und Antwort zu stehen, aufzuklären oder zurückzurudern, beschäftigt uns dann den ganzen Tag“, berichtet Händel. Das Reagieren auf brisante Themen sei für ihn und seine sieben Mitarbeiter der Pressestelle an der Tagesordnung.
Abstimmen
Die ersten Stunden des Arbeitstages in den Berliner Büros Unter den Linden stehen daher ganz im Zeichen von strategischer Themenanalyse und Abstimmung. Mit der Zeit hat sich zwischen Brüssel und den 35 Vertretungen in den EU-Mitgliedsstaaten ein Regelprozess etabliert, dessen Pendant bei Händels Kollegen in den Unternehmenspressestellen eher im Arsenal für Krisenzeiten auf Sondereinsatz wartet.
Zentrale Informationsplattform für alle Länder ist ein Onlineportal, in das Observer bis 8 Uhr die in Abstracts zusammengefassten Top News über ein Redaktionssystem direkt einstellt. Zusätzlich mailt das Observer-Team einen redaktionell aufbereiteten Pressespiegel in deutscher und englischer Sprache an Händel, die EU-Kommissare und deren Kabinettsmitglieder – Pflichtlektüre für die Abteilungsleiter und Pressesprecher der drei Vertretungen in Berlin, Bonn und München, die um 9 Uhr in der sogenannten „Kleinen Lage“ Themen identifizieren, die im täglichen Press Briefing in Brüssel oder in den deutschen Medien aufschlagen könnten. Diese „Targeted News“ gehen um 9:30 Uhr noch einmal separat nach Brüssel. „Hilfreich dabei ist, dass Brüssel uns schon jeweils am Vorabend seine geplante Agenda schickt“, erklärt Händel. Solchermaßen tiptop vorbereitet treffen sich schließlich mit gespitzten Ohren und Bleistiften um 10 Uhr zur Videokonferenz: der Chefpressesprecher der EU-Kommission, die 24 Sprecher der Generalkommissionen in Brüssel sowie die 35 Pressesprecher der Vertretungen in den Mitgliedsstaaten – Summa Summarum also 60 Sprecher, die tagtäglich in dieser Runde Europa leben. „Die Sache dauert nie länger als eine halbe Stunde. Das ist eine Frage der Vorbereitung und Disziplin. Wer sich zu Wort meldet muss schon sicher sein, dass sein Thema für alle relevant ist“, bewertet Händel den Prozess. An dessen Ende sind alle Sprecher im Bilde über die Mainstories, die Brüssel am selben Tag verkünden wird, und über eine gemeinsame „Line to take“, kurz LTT, mit Sprachregelungen und Argumentationslinien für die Defenses, also für solche Themen, zu denen die Presse voraussichtlich Statements einfordern wird.
Übersetzen und vermitteln
Um die 50 Anfragen am Tag beantworten Harald Händel und sein Team, viele davon bedeuten erheblichen Rechercheaufwand. „Wir sind Generalisten und müssen uns zur ganzen Themenpalette von Umwelt- und Verbraucherschutz bis zur Außen- und Sicherheitspolitik äußern. Da haben wir natürlich nicht jede Statistik und jede Antwort parat“, gibt Händel zu, der neben Publizistik auch Arabistik studiert hat, „um sich über die journalistisch bedingte Halbbildung zu allem und jedem hinaus wenigsten bei einem Thema wirklich gut auszukennen“.
Insgesamt hält er die Berichterstattung über Europa für fair und ausgeglichen, nur mehr könne es sein. Die deutschen Korrespondenten in Brüssel müssen sich in ihren Redaktionen angesichts des ohnehin knappen Platzes mit ihren komplexen EU-Themen gegen Nahost und Russland, gegen Tsunamis und Erdbeben durchsetzen. „Das ist kaum leistbar“, so Händel. Er muss es wissen. Vor seiner Zeit als Sprecher des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen war er Süd-Asien-Korrespondent für die ARD sowie Chef vom Dienst bei der Nachrichtensendung „mdr-aktuell“, danach Redakteur beim europäischen Nachrichtensender EURONEWS in Lyon. „Für die deutschen Redaktionsstuben ist Brüssel weit weg. Die sind angewiesen auf Korrespondenten oder die Hilfe unserer Pressestelle. Wir haben noch eine Menge Aufklärungsarbeit vor uns.“ Und die beginnt mit einem guten Service für Journalisten. Dann etwa, wenn sein Team am Nachmittag die aus Brüssel eingehenden Pressemitteilungen für die deutsche Presse anpasst, die nationalen Belange highlightet und im Wording die lokalen Befindlichkeiten berücksichtigt, etwa bei einer Meldung zu Importzöllen auf chinesische Textilien, die an die deutsche Skepsis gegenüber Protektionismus rührt und in Deutschland zudem auf einen Markt trifft, auf dem Textilproduktion so gut wie nicht mehr stattfindet. Händels Team informiert darüber hinaus via Website sowie den wöchentlichen „EU-Nachrichten“, organisiert Journalistenseminare und -reisen nach Brüssel oder in die neuen Mitgliedsstaaten. Damit Europa in deutschen Medien ein Gesicht bekommt, vermittelt Händel Hintergrundgespräche mit dem Leiter der deutschen Vertretung, Gerhard Sabathil, und mit angereisten EU-Kommissaren. Oder er platziert und redigiert Gastbeiträge aus Brüssel.
Aufklären
Dabei versucht der Pressestellenleiter in seiner gesamten Informationspolitik, ein Europa der Ergebnisse zu vermitteln und im Kleinen den Mehrwert für die Bürger zu verdeutlichen. Was bei Verbraucherthemen wie der Billigfliegerei oder Telekommunikation noch naheliegend ist, fällt schon schwerer bei angstbesetzten Themen wie der EU-Erweiterung oder bei komplexen Zusammenhängen wie Beschäftigung und Wachstum. Erschwerend kommt hinzu, dass laut Umfrage „Eurobarometer“ die Menschen in der Regel weniger über die EU wissen als sie meinen. Auch bei Journalisten muss Händel immer wieder mit Fakten gegen Mythen antreten. Die von aufgebrachten Medienvertretern gerne kolportierte Verordnung zum Krümmungsgrad der Gurken sei eben nicht im Brüsseler Bürokratiebunker entstanden, sondern als Reaktion auf die Bitte des Handels, den Platz in den Kartons optimaler nutzen zu können. Viereckige Orangen zu züchten, so Händel mit Augenzwinkern, sei übrigens auch für die EU nicht vorstellbar.
Aus „Profile“, dem Kundenmagazin von Observer Argus Media (heute Cision); Ausgabe 4 • 2/2006
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Lese diesen Artikel nach vielen Jahren. Da stimmt alles – z.T. leider immer noch. Sehr gute Recherche / sehr guter Journalismus!