Die SZ widmet der Jahrestagung des Nettzwergs Netzwerks Recherche (NR) großen Raum. Festredner Günter Grass bekam die ganze erste Feuilleton-Seite, die Medienseite wird beherrscht von einem Bericht über den Abgang des Vorsitzenden Thomas Leif aufgrund eines Eklats um ungerechtfertigt beantragte Subventionen der Bundeszentrale für Polititsche Bildung. An diesem Text verblüffete mich ein erschütternd naiver Satz:
„Bis Freitag schien auch Thomas Leif über jeden Zweifel erhaben.“
„Ein Vorbild in Erklärungsnot“, SZ vom 4. Juli 2011 (Medienseite)
Erschütternd deshalb, weil es explizit um Recherche geht – also auch darum, wie sehr sich der Reporter in die Materie eingearbeitet hat. Bei einer (zumindest in Journalistenkreisen) derart exponierten Figur wie Leif nicht zu wissen, wie umstritten dieser berühmte Kollege vom SWR-Fernsehen seit mindestens fünf Jahren ist, weil er als Wasserprediger („Journalisten machen keine PR“) wiederholt in der Nähe von Weinfässern (Firmen-Events) gesichtet wurde, wäre peinlich genug.
Dieses Nichtwissen muss man dann aber wirklich nicht auch noch dokumentieren: Wer für Medienseiten schreibt, kann und sollte zum Beispiel mitbekommen haben, welche Zweifel das Online-Medienklatschblatt V.i.S.d.P. (bei dem ein „Leif der Woche“ zeitweise als Running Gag lief) oder der frühere Handelsblatt-Blogger Thomas Knüwer an der Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit des ach so tapferen Ober-Investigators geäußert haben. Man könnte sogar wissen, dass sich NR-Repräsentanten – als erster 2006 Leif persönlich – vor den PR-Karren einer Organisation haben spannen lassen, deren Gründer denkbar weit entfernt waren von den hehren Zielen in Leifs Netzwerk-Codex, nämlich des längst als Aktiengesellschaft gutes Geld verdienenden Fachjournalisten-„Verbandes“ DFJV. Mit einem Minimum an Recherche hätten die Netzwerker feststellen können, dass die beiden Vereine absolut nicht zusammenpassen.
Man kann den Standpunkt vertreten, dass der sich als PR-Gegner gerierende Leif das Netzwerk gerne als PR-Instrument in eigener Sache genutzt hat. Wenn dann so ist, dann wäre es ein dicker Hund, wenn er als alleinvertretungsberechtigter Vorsitzender hierfür den Steuerzahler in Anspruch zu nehmen versucht hätte. Immerhin: Vize Hans Leyendecker hat selbstkritisch zugegeben, dass der NR e.V. sich die Verschlossene Auster, seinen Negativ-Preis für Unternehmen oder Behörden mit mangelnder Transparenz, selbst verdient hätte.
So gesehen, ist dieser in zweifacher Hinsicht, nun ja, interessante Satz in der SZ fast eine Petitesse:
„Leif, dessen autoritärer Führungsstil ihm schon den Spitznamen ‚Godfather‘ eingebracht hat, erfuhr überraschend Rückendeckung von den nur unzureichend informierten Mitgliedern.“
Das liest sich nämlich ad 1), als habe Leif sich aufgeführt wie Gottvater (oder Gott Vater) persönlich, also die anbetungswürdige erste Person der Heiligsten Dreifaltigkeit. Godfather hat im Englischen aber eine andere Bedeutung. Es ist das Wort für den meist harmlosen Patenonkel. Nur Cineasten deuten den Begriff anders und damit vielleicht so, wie er auch gemeint sein könnte – als Synonym für Don Vito Corleone. Dann aber wäre das Netzwerk quasi verunglimpft als Ehrenwerte Gesellschaft, als der Omertà unterworfene kriminelle Vereinigung. Was ad 2) den Mitgliedern, den (lassen Sie sich das Folgende noch mal auf der Zunge zergehen:) „unzureichend informierten“ (!!) Recherchespezialisten (!!!), mit Sicherheit Unrecht täte.
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„Persönliche Tragik oder strukturelle Blindheit?“ fragt Wolfgang Michal (5. Juli 2011).
„Die Yellowpress-ähnliche Berichterstattung zur verunglückten Zehn-Jahres-Feier des Netzwerks Recherche zeigt, wie sehr oberflächliche Personalisierung die Analyse von Strukturen verdrängt.“
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