Eine Träne fürs Altheimer Eck

Foto: DJS

Früher war nicht alles besser, ich geb’s ja zu. Und es gibt durchaus Häuser, die man abreißen sollte, weil es um sie nicht schade ist.

Architektonisch ist auch das Rückgebäude am Altheimer Eck 3 in München, das bald (wie das Vorderhaus) dem Abrissbagger anheim fallen soll, gewiss keine Perle, für die sich ein Denkmalschutzbeauftragter ins Zeug legen würde.

ABER…

…dieses schmale Haus hat einen emotionalen Wert, den man der Bausubstanz nicht ansieht. Es ist in all seiner Fünfzigerjahrehässlichkeit  ein liebenswürdiges Unikum, dessen Charakter kein Immobiliensachverständiger mit den Kriterien seines Berufs ermessen kann. „Das Altheimer Eck“, wie Journalisten das Haus leicht verfälschend nennen, verfügt über einen Genius loci, wie ihn auch der Prachtbau an der Sendlinger Straße 80 verströmte, in dem bis vor drei Jahren die Süddeutsche Zeitung residierte. Generationen von Print-, Rundfunk- und Onlinejournalisten lernten in diesem für andere Zwecke kaum vermietbaren Handtuchgebäude ihr Handwerk.

Als Gehäuse der Deutschen Journalistenschule war der Bau ideal. Eine Insel, ein Schneckenhaus, ein irgendwie warmer, kuscheliger Ort, der durch seine Enge Nähe entstehen ließ. Mitten in der Stadt gelegen, aber ruhig und abgeschlossen. Wer die Kosmetikschule Schöner und den altväterlichen Herrenausstatterladen von Horst Popig passiert hatte, überschritt eine für Muggel unsichtbare Grenze wie Harry Potter und seine Freunde im Bahnhof. Hätte ich damals etwas von Hogwarts geahnt, wäre das wohl ein hübscher Vergleich gewesen.

Verließ man das DJS-Domizil in Richtung Hofstatt, stand man wieder mittendrin im prallen Großstadtleben: rechts der Schwarze Block (offiziell: „Schwarzes Haus“) der Süddeutschen am Färbergraben, links die Personal- und Lieferanteneingänge der Fußgängerzone, in der Nachbarschaft auch die Hundskugel, Münchens ältestes Wirtshaus. Es war das Revier von Blasius alias Siegfried „Sigi“ Sommer, dem kolumnierenden „Spaziergänger“ der Abendzeitung (die wie die DJS von Werner Friedmann gegründet wurde).

Der Schwarze Block

Tempi passati. Die SZ ist weg, die einst fürs Stadtleben wichtige AZ auch, die Fußgängerzone nur noch eine Ansammlung von Flagshipstores und Filialen omnipräsenter Feldwaldundwiesenketten. Unser winziges Hogwarts weicht Wohnungen für Besserverdiener, die ihre Konsumbedürfnisse bevorzugt dort decken sollen, wo früher die Zeitungen geschrieben und ganz früher sogar noch gedruckt wurden. Bald hat der Kommerz in der Medienstadt München den Journalismus vollständig aus seiner privilegierten 1B-Lage verdrängt.

Die SZ an der Sendlinger Straße
Werner Friedmanns Abendzeitung, ohne die es "Kir Royal" nie gegeben hätte

Es mag altmodisch klingen, aber gerade in einer Zeit, in der sich der Journalismus zu einer Tätigkeit wandelt, die schon aus Kostengründen vornehmlich in der virtuellen Welt stattfindet, braucht die DJS ein Quartier, das sie in der realen Welt verankert, im richtigen Leben. Hoffentlich gibt es so etwas in München noch zu einer bezahlbaren Miete.

Falls Sie einen netten Vermieter kennen, der ein passendes Objekt günstig der DJS überlassen mag: Schulleiter Jörg Sadrozinski ist noch auf der Suche.

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Eine Antwort auf „Eine Träne fürs Altheimer Eck“

  1. Tja, so wie schon vor Jahren Franzis aus der Karlstraße wegzog, das Gebäude abgerissen wurde, um neue Büros teurer zu vermieten, die dann keiner wollte.

    Die Abrißbilder haben viele Kollegen angesehen…

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