Eine gute Zeitung ist klar strukturiert. Sie besteht aus mehreren „Büchern“, so der Fachausdruck: Man kann den Politik-, Kultur-, Wirtschafts-, Sport- und Lokalteil mit einem Griff herausnehmen. Der Mann zieht sich mit dem Sportteil aufs Örtchen zurück, während seine Frau die politischen Seiten liest.
Bislang konnte man sich, wenn nicht gerade Streik war, auch bei der Süddeutschen Zeitung auf diese Ordnung verlassen. Heute morgen war das anders: Wo sonst die Wirtschaft beginnt, also auf der ersten Seite des dritten Buchs, sprang den Lesern ein ganzseitiges Inserat von Microsoft ins Auge. Hatte die SZ die Aufmacherseite an den Werbekunden verscherbelt? Im Ergebnis ja, aber ob das Absicht war, ist nicht ganz klar. Fakt ist, dass die Aufmacherseite der Wirtschaft dort hin gerutscht war, wo man die Medienseite erwartet, nämlich auf die vorletzte Seite von Buch 2, also ins Feuilleton. Medien und Wissen fanden sich wiederum davor. Die Reihenfolge stimmte, nur der angestammte Platz nicht.
Warum das nicht unbedingt Absicht gewesen sein muss? Weil sich das gleiche Phänomen weiter hinten im Blatt noch einmal wiederholt, und zwar ganz ohne Not: Auch das Buch mit den Gast-Seiten der New York Times ist zerrissen und beginnt mit einer dritten statt der ersten Seite. Die Seiten 1 und 2 bilden den Schluss des „Mobilen Lebens“, also der Auto- und Gadget-Seiten. Dafür hingen je eine Seite „Kinder- und Jugendsachbuch“ und Fernsehprogramm wie ein Wurmfortsatz an der NYT. Hätte man die ans Mobile Leben geflanscht, hätte der Leser die amerikanischen Seiten am Stück bekommen. Es gab schlichtweg keinen Inserenten, dem die Redaktion mit dieser seltsamen Aktion einen Gefallen hätte tun können.
Aber bei der SZ wundert mich eh nichts mehr. Wenn der prominente Foto-Platz auf Seite 1 inzwischen nicht mehr dem aktuellen Nachrichten-Aufmacher vorbehalten ist, sondern beliebig mit Schmuckbildern gefüllt wird – bis hin zu einem Teaser für eine Asterix-Sonderseite im Panorama – dann weiß man, dass die Boulevardisierung der Tagespresse nicht mehr zu stoppen ist. Gegen dieses Infotainment, für das Relevanz kein Kriterium mehr zu sein scheint, ist die Zerstörung der klaren Buchstruktur ein kleiner Schönheitsfehler.
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