Schon wahr, Duisburg ist nicht unbedingt eine Reise wert. Aber die Stadt völlig unter den Tisch fallen zu lassen, weil sie kein Prestige hat, ist auch nicht fair. Wenn ich erzähle, dass Henri Nannen mit seinem „Stern“ auch mal in Duisburg saß, schaut mich jeder an, als sei ich Baron Münchhausens Inkarnation. Davon steht nix in der Wikipedia, in Pressearchiven und auf Online-Seiten zum Thema Stern-Geschichte ebenfalls nicht, selbst in Sir Henris eigenen Erinnerungen kommt die Revier-Metropole nicht vor. Immer liest es sich so, als sei die Redaktion von Hannover, wo sie 1948 gegründet wurde, schnurstracks nach Hamburg gezogen, wo sich Nannen von Gerd Bucerius abzocken ließ.
Darum sei die Website „Ostfriesische Landschaft“ gepriesen. Dort kommt, in einem Text von Hermann Schreiber, der Name „Duisburg“ zumindest in einem Halbsatz vor.
Nach einem Intermezzo mit Geldgebern in Duisburg stieg der Zeit-Verlag in Hamburg bei Nannen ein…
Wer es genauer wissen will, findet es bei Ralf Dahrendorf:
Der „Stern“ erschien zunächst in der Hannoverschen Verlagsgesellschaft. Als deren der FDP nahestehende Lizenzzeitung dem Blättersterben anheimfiel, vermittelte Vizekanzler und FDP-Chef Franz Blücher eine rettende Verbindung zu dem Duisburger Kaufmann Walter Heise, der neben seinem Elektrohandel eine Grundstücksgesellschaft besaß. Als Nannen Auflagenbeschränkungen der Besatzungsmacht durch eigene, aber teure Papierkäufe zu umgehen sucht, muss er indes einen Kredit bei der Essener Nationalbank aufnehmen, der ihn zunehmend belastet; daher die Suche nach neuen Partnern. Am 19. Mai 1949, Bucerius 43. Geburtstag, erwarben er und Ewald Schmidt di Simoni 50 Prozent des Nannen-Verlages; die anderen 50 Prozent verblieben zunächst in den Händen von Nannen und seinem Geschäftspartner Walter Heise. Noch im Laufe des Jahres siedelte der „Stern“ von Duisburg nach Hamburg über…
aus dem Buch: „Liberal und unabhängig: Gerd Bucerius und seine Zeit“ von Ralf Dahrendorf
Vielleicht sollte ich noch verraten, wie ich auf dieses Thema komme: Ich bin mit der Story vom Stern in Duisburg aufgewachsen. Meine Mutter hatte als 19-Jährige just während dieses Intermezzos einen Job als Redaktionssekretärin und war so fasziniert von Nannen und der Atmosphäre, dass sie liebend gerne nach Hamburg mitgegangen wäre.
Das wusste mein Opa – ein Mann mit unverrückbaren Vorurteilen über den hanseatischen Sündenpfuhl – leicht zu verhindern, 1949 war man mit 19 noch nicht mündig.
Das war nicht fair von ihm, aber ich bin ihm dankbar. Ohne seine Angst, sein Töchterlein gerate auf die schiefe Reeperbahn, hätte meine Mutter wohl nie meinen Vater kennengelernt.
Ohne Walter Heises Wagniskapital für Nannen wiederum hätte meine Mutter nie diese prägende Erfahrung gemacht, der ich verdanke, dass ich als Kind im „Stern“ blättern durfte, mit Loriots Comic vom Nashorn Reinhold, mit Fotos und Reportagen. Ob ich mich ohne die mütterliche Mundpropaganda für den Journalismus à la Henri wohl anno 1976 derart Hals über Kopf in den Stern-Ableger GEO verguckt hätte, dass ich fortan um jeden Preis Journalist werden wollte?
Ich vermute mal: Ohne das Duisburger Intermezzo des Stern hätten Sie jetzt nicht meine Wortpresse auf dem Monitor, sondern eine 404-Fehlermeldung.
Nachtrag Juni 2011: Auch die WAZ hat die Episode inzwischen erwähnt – in einem kleinen Stück über den leitenden Redakteur Heinrich Hauser, einen von Nannens ersten Mitarbeitern.
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