Kein Wort ohne Tasten

Telefonieren ist out, nicht nur bei Handyfans. Wir reden jetzt schriftlich miteinander – und vertrödeln so unser Leben.

Warum haben die Leute Angst vor mir? Wieso will keiner mit mir reden? Ich bin doch ein umgänglicher Mensch, verhökere keine Staubsauger oder Finanzprodukte und gebe mich auch nie als Marktforscher aus. Ja, ich nenne am Telefon sogar meinen Namen! Meine furchterregendste Angewohnheit ist die, dass ich Fernmelde-Endgeräte benutze, um anderen Menschen Informationen zu entlocken. Wenn ich etwas wissen will von einem, befiehlt mir eine innere Stimme: „Ruf‘ doch mal an!“

Natürlich weiß ich, dass sich mein Betragen nicht mehr ziemt. Seine Mitmenschen mit Anrufen zu stören, etwa beim meditativen Überfliegen ihrer Facebook-Nachrichten, verursacht nicht nur Stress, sondern ist „so was von Achtzigerjahre“. Meine Tochter zum Beispiel benutzt ihr Telefon nur noch dazu, ihr Zimmer mit dem ihres Freundes per Freisprecher zu einem innigen Klangraum zu vernetzen, in dem beide derselben Musik lauschen. Flatrate macht’s möglich. Wenn sie ihm etwas Liebes sagen will, SMSt sie ihm das. Solche Kurzbotschaften fordern keine spontane Reaktion, sie verfliegen nicht wie ein paar gehauchte Worte, sie haben Bestand – vielleicht nicht ewig, bei je 160 Zeichen und vier 32 Gigabyte Handyspeicher aber doch länger als die meisten Ehen.

Aber zurück zu mir und den Menschen, die ich mit meinen archaischen Anrufen in Aufruhr versetze. Da wäre zum Beispiel die Sprecherin (!) einer Telekommunikationsfirma (!!), die nie im Haus ist, wenn man nach ihr fragt, aber der Telefonzentrale strikt verboten hat, Journalisten ihre Durchwahlnummer zu verraten. Was nicht bedeuten muss, dass sie zugeknöpft ist. Über Facebook, Xing oder Twitter verrät sie wahrscheinlich gern, wohin sie in Urlaub fährt und welchen Film sie zuletzt gesehen hat. Sie mag nur nicht telefonieren. Ebenso wenig wie die Verwaltungsangestellte einer bedeutenden Universität, die bei kleinsten Anfragen die Schriftform verlangt: „Schicken Sie uns doch eine Mail.“ Am Telefon wäre die Unklarheit in zwei Minuten erledigt, auf dem GROSSEN DIGITALEN DIENSTWEG dauert es zwei Tage. Denn beide Seiten wägen ihre Worte, bis gerichtsfeste Formulierungen von der Goldwaage kullern. Dabei habe ich gar nicht vor, die Uni zu verklagen.

Den größten gegenseitigen Kulturschock erlebte ich allerdings mit der Telefonistin eines Berliner Online-Fotolabors, das mit seiner neuesten Software unseren diesjährigen Enkelkalender für die Oma farblich verhunzt hatte. Ich wollte höflich anfragen, wie ich meine Bilder denn bitte künftig bearbeiten solle, damit uns nächstes Weihnachten so eine Bescherung erspart bleibt. Die Dame dachte aber gar nicht daran, mich zur Fachabteilung durchzustellen – so fassungslos war sie, dass ich mich erdreistet hatte, die Festnetznummer ihrer Firma zu recherchieren, statt mich brav unter 01805 in die Warteschlange einzureihen. Ob es denn nicht Sinn und Zweck einer Telefonzentrale sei, Anrufer mit Mitarbeitern zu verbinden, fragte ich naiv. Ihre Reaktion machte mir klar, dass ihr diese Möglichkeit fremd war: Ich könne ja das Kontaktformular auf der Website ausfüllen, riet sie. So ist das heute: Beschwerden werden nur noch per Eingabemaske angenommen, aber natürlich nicht als E-Mail, sonst hätte der Kunde ja einen Nachweis, dass, wann und wie er sich beschwert hat.

Manche dieser digitalen Klagemauern geben sogar Feedback. Eine Software-Firma, deren widerborstiges Produkt ich Mitte Januar mangels Informatikdiplom nicht hatte installieren können, wünschte mir als Antwort auf meine Beschwerde postwendend eine „besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch“ – und bat der Feiertage wegen um Geduld. Kaum drei Tage später mailte bereits ein leibhaftiger Support-Mann seine Antwort. Tja: Es war derart wirres Zeug, dass ich dann doch sehr froh war, nicht mit ihm geplaudert zu haben –  für 36 Euro pro Stunde auf der 0900-Hotline.

 

ULF J. FROITZHEIM, Journalist und Kunde, wünscht sich sehnlichst, dass es sie irgendwo noch gibt: die Wissenden, die ihr Wissen gern auch am Hörer mit ihm teilen würden.

TECHNOLOGY REVIEW | MÄRZ 2011

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