Sitzen Sie bequem? Nein? Entspannen Sie sich lieber. Es könnte richtig schön ungemütlich werden auf den nächsten 157 Zeilen, da sollte man sich nicht auch noch verkrampfen. Wir haben uns nämlich entschlossen, Ihnen ein paar Zähne zu ziehen, Ihre billigen Illusionen kaputt zu machen, Ihnen die Hölle wenn nicht geothermisch heiß zu machen, so doch wenigstens einmal prophylaktisch vor Augen zu führen, lieber Herr Westerwelle!
Dass Sie da jetzt durch müssen (und mit Ihnen all jene, die Ihnen spontan applaudiert haben wie Haus + Grund und Mieterbund), verdanken Sie jener Äußerung, mit der Sie Ende März eine ganz andere Zukunft der Energie entworfen haben, als nicht nur wir sie sehen, sondern auch als all die Experten, auf deren Sachverstand wir zählen. Oder als andere Leute, die einfach noch die Grundrechenarten beherrschen. Es war eine Äußerung, die uns zunächst vermuten ließ, Sie wollten sich einen Spaß machen, wollten uns auf den Arm nehmen. Nur eben – wie es sich für einen bekennenden Avantgardisten, Oppositionellen und Marketingprofi geziemt – rechtzeitig vor dem 1. April, an dem man auch mit dem hanebüchensten Unsinn nicht weiter auffiele.
Leider sprechen die Indizien dafür, dass Sie es diesmal tierisch ernst meinten, als Sie nicht nur sagten, „bezahlbare“ Energie sei ein „Grundbedürfnis“ des Menschen, sondern daraus quasi noch eine Art Grundrecht der Deutschen ableiteten, auf Gas, Strom und Öl zwölf Prozentpunkte weniger Mehrwertsteuer bezahlen müssen zu dürfen als auf Apfelsaft, Stützstrümpfe oder Insulin.
Da es sich beim Benzinpreis oder Gastarif um den „Brotpreis des 21. Jahrhunderts“ handele, soll also der traditionell beim Bäcker geltende Steuersatz von sieben Prozent auch an der Tankstelle und im Heizungskeller zur Anwendung kommen. Aber nicht bei Tiernahrung: „Dass man fürs Heizen 19 Prozent zahlen muss, für Hundefutter aber sieben Prozent, das ist doch nicht gerecht.“
Ob das ungerecht ist, lieber Herr Abgeordneter, wird ein Pudelzüchter im Passivhaus gewiss ganz anders bewerten als ein haustierloser Kakteenzüchter im unrenovierten Altbau. Außerdem wollten wir ja heute mit Ihnen in erster Linie über Politik, genauer: über Energiepolitik reden. Und nicht so sehr über Gerechtigkeit. Darum schenken wir uns auch erst einmal die Frage, wem Sie denn die grob geschätzten 20 Milliarden Euro wegzunehmen gedächten, die dem Fiskus nach Ihrer grandiosen, fast schon lafontainesken Steuerreform entgehen würden.
Weitaus mehr bewegt uns die Sorge, dass die Dichte an Feinstaubpartikeln, die hochbesteuertes Diesel schon ohne Ihr Zutun in der Berliner Luft hinterlässt, den Insassen des Regierungsviertels den Blick auf die Wirklichkeit trübt in diesen Zeiten abschmelzender Gletscher, für „Bio“-Sprit abgeholzter Regenwälder und umgepflügter Ölsandwüsten. Oder hat womöglich die globale Erwärmung eine tropische Fiebermücke im Spreebogen heimisch werden lassen? Jedenfalls behauptet eine Hauptstadtzeitung, Sie hätten gesagt, „der Mensch wolle nicht nur essen und trinken, er wolle auch nicht frieren in seiner Wohnung“. Und weiter: „Zur Arbeit zu fahren und im Winter die Heizung aufzudrehen, dürfe kein Luxusgut werden.“
GUIDO W. UND DIE MARKTWIRTSCHAFT
Nehmen wir zu Gunsten unserer Protokoll führenden Kollegen von der Tagespresse einfach mal an, Sie hätten das im Vollbesitz Ihrer Kräfte alles genau so gesagt und damit die Forderung nach Senkung des Steuersatzes auf Energie begründet. Nun gut, frieren wollen wir alle so ungern wie hungern. Aber was, glauben Sie Aachener Ordensritter denn, wird wohl passieren, wenn der Sprit und der Strom und das Gas und das Heizöl und die Fernwärme und die Nahwärme und die Holzpellets … ähem! … wenn also jedwede Energie billiger wird? Wird ganz Deutschland das Ersparte in die Bäckerei tragen und sich endlich wieder gescheit satt essen von den 500 Euro Steuerbonus pro Durchschnittshaushalt?
Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft, die einem FDP-Chef ja hinlänglich bekannt sein dürften, sind Preissenkungen ein probates Mittel zum Ankurbeln der Nachfrage nach überteuerten Produkten. Nun verhält es sich beim Kraftstoff aber eher umgekehrt: Er ist immer teurer geworden, weil Sprit aus Europas Raffinerien sogar in den USA regelmäßig reißenden Absatz findet. Wäre er ein Ladenhüter, wäre die von Ihnen geforderte staatliche Intervention erst recht sinnlos, denn die Mineralölkonzerne würden ganz von selbst die Preisschraube lockern. Und wie würde die neue Zielgruppe reagieren, die Sie mit Ihrem überraschend fürsorglichen Vorstoß beglücken wollten (die Stammwähler Ihrer Partei gehören ja eher nicht zu der Sorte Pendler, die sich den Sprit für die Fahrt zur Maloche vom Munde absparen muss)? Wäre es nicht so, dass diese Bürger nicht mehr so verbissen auf die Tankanzeige schauen und sich mal wieder die eine oder andere Spritztour am Volant gönnen würden, statt einen ökologisch korrekten Ausflug auf dem Veloziped oder mit dem DB-Länderticket zu machen? Der Anreiz, das Auto nicht stehen zu lassen, ist nicht ohne: Ihre Idee liefe immerhin auf eine zehnprozentige Senkung des Bruttopreises hinaus: Statt 1,449 kostete der Liter Super dann nur noch 1,299, Diesel 1,169 statt 1,299.
19 PROZENT AUF ALLES, AUCH AUFS SOLARDACH
Dieser Anschlag auf den deutschen Versuch, das Kyoto-Ziel zu erreichen, ist nicht einmal das Schlimmste an Ihrem Vorschlag. Denken wir ihn einfach mal gemeinsam zu Ende: Sie wollen Energie von fossilen Brennstoffen bis zum Atomstrom um ein Zehntel „bezahlbarer“ machen, also die Schwelle, ab der es sich rentiert, über Investitionen in energiesparende Technik nachzudenken, um zehn Prozent höher legen – auf dass das sinnlose Verplempern wertvoller Wärme kein Luxus mehr sein möge, sondern des Deutschen gutes Recht. Sie kommen aber nicht auf die Idee, den gleicher Steuervorteil all jenen angedeihen zu lassen, die am Wirtschaftsstandort Deutschland in zukunftsweisende Umwelttechnik investieren, in erneuerbare Energien und Wärmedämmung. So würden Lkw-Flotten und Armeen von TDIs zum Brotsteuersatz die Straßen verstopfen, während sich die Solargemeinde im stolzen Bewusstsein zu sonnen hätte, mit der 19-prozentigen Luxussteuer auf Sonnenkollektoren, Photovoltaikpanels, Wärmepumpen und Tanks neben der Umwelt auch dem Staatshaushalt einen Dienst zu erweisen. Welch ein motivierendes Signal!
Nun ist es natürlich gar nicht sicher, dass das Benzin bei einem Steuersatz von sieben statt 19 Prozent tatsächlich im gleichen Umfang billiger würde. In der freien Marktwirtschaft gilt es als ausgemacht, dass Anbieter die sogenannte Preiselastizität nach Möglichkeit ausschöpfen – also die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft. Bedanken für Ihre Wohltat würde sich also nicht zuletzt auch die Petroleum-Industrie, während der Finanzminister nach Wegen suchen würde, den Bürgern das hier verlorengehende Geld aus einer anderen Tasche zu ziehen. Wollte er Ihre Steuerreform konsequent weiterführen, läge es nahe, die Subventionen für erneuerbare Energien zu streichen.
Selbst wenn die Ölkonzerne sich nicht trauen sollten, allzu ungeniert die Windfall Profits abzugreifen, wie sinnigerweise die unerhofft einem Unternehmen zufallenden Zusatzgewinne im Jargon der Ökonomen heißen: Ein anziehender Spritkonsum in Deutschland wäre Wasser auf die Mühlen der gerade erst zurechtgestutzten Bioethanol-Protagonisten mit ihrem pseudoökologischen Motorkiller. Treibt die deutsche Nachfrage nach Fossilbenzin dessen Weltmarktpreis, verbessert sich automatisch die Rendite der Geschäftemacher, die auf gerodeten Latifundien oder ehemaligen Äckern nachwachsenden Autotreibstoff anpflanzen. So bekommt Ihr Spruch vom Brotpreis des 21. Jahrhunderts einen besonders zynischen Hautgout: Damit der Deutsche sich in seinem Konsumverhalten nicht einschränken muss, werden in den Schwellenländern die Tortilla und der Reis teurer.
STEUERREVOLUTION VS. ENERGIEHÖLLE
Wenn Sie wirklich dem politischen Fegefeuer entgehen und sich als ernsthafter energiepolitischer Vordenker hervortun möchten, warum schlagen Sie nicht eine echte Steuerrevolution vor, die zu einer marktliberalen Partei wirklich passen und sogar die Grünen als zaghaft dastehen lassen würde?
Wie wir uns das vorstellen? Zum Beispiel so: Wir ersetzen die Einkommen- und Mehrwertsteuer komplett durch eine Steuer auf den Verbrauch an nicht erneuerbarer Energie. Der Steuersatz auf die einzelnen Energieträger orientiert sich am jeweiligen Ausstoß an klimaschädlichen Gasen. Das müsste Ihnen eigentlich sympathisch sein: Nicht mehr die Arbeit oder der Konsum wird vom Staat bestraft, sondern Ressourcenvergeudung. Steuern würden wieder steuern. Natürlich wird das hart für Pendler, die ihr Passivhaus auf billigem Dorfgrund im Grünen gebaut haben und das gesparte Erdöl lieber auf der täglichen Autofahrt in die Stadt verjuckeln. Wenn aber jeder Energiekonsument die gesamten Systemkosten zu schultern hätte, die sein Verbrauchsverhalten heute noch der Allgemeinheit aufbürdet, würde die Wettbewerbsfähigkeit öffentlicher Verkehrsmittel schlagartig anwachsen. Ganz nebenbei wären auch keine Zuschüsse mehr nötig, um Investitionen in Wärmedämmung, Solartechnik, Windkraft und Wärmepumpen zu stimulieren.
Ja, wir hören schon Ihren Protest: Wie soll das gehen? Wir leben in einer globalisierten Welt, und solange die anderen Länder nicht mitmachen, funktioniert das nicht. Aber bedeutet dieser Einwand nicht lediglich, dass es sich um ein dickeres Brett handelt, als Politiker wie Sie zu bohren gewohnt sind?
Erschienen im TECHNOLOGY REVIEW-Sonderheft 1/2008 „Zukunft der Energie“
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