Lilium: Zu schön, um wahr zu sein

Stau am Morgen, Stau nach Feierabend? Bald drohnen wir über die Autos hinweg. Oder nicht?

Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, was ist es dann? Nicht wahr, nicht wahr? Der Verdacht, es handle sich um alternative Fakten, liegt zumindest nah, wenn jemand verspricht, uns lang gehegte Wunschträume zu erfüllen. Erinnern Sie sich noch an den Cargolifter? Das war ein Zeppelin, dessen Charme darin bestehen sollte, seine Runden am Himmel nicht (oder nicht als Hauptbeschäftigung) zu Werbezwecken zu ziehen, sondern um Frachten durch die Luft zu befördern, für deren Transport man sonst einen dieselnden Brummi benötigt hätte. Ach, wäre die Sache doch so seriös und solide durchgerechnet gewesen, wie die Urheber des Projekts uns glauben machten! Die rechten und mittleren Spuren der Autobahnen wären immer leerer geworden, und irgendwann hätte es kaum noch Baustellen gegeben, weil frei durch die Lüfte schwebende Trucks nun mal keine Spurrillen in den Asphalt fräsen. Außerdem hätten wir auf der staufreien Urlaubsfahrt in den Süden die Klimaanlage drosseln können, weil die Luftschiffkolonnen über der A3, A7 oder A8 uns kostenlos Schatten gespendet hätten. Wenn ich mich nicht irre, scheiterte das Ganze daran, dass die Planer keinen Plan hatten, wie Luftbrücken aussehen könnten, mit denen Toll Collect weiterhin Maut kassieren kann. Oder so ähnlich.

Als Luftschloss erwies sich auch der elektrische Kleinwagen „Lekkermobil“, der ein paar Jahre später von München nach Berlin surrte, ohne unterwegs die Batterien aufzuladen. Rainer Brüderle, damals Wirtschaftsminister, hatte sich so gefreut, zeigen zu können, dass hiesige Gründer mit vergleichsweise lächerlichen Subventionen etwas hinkriegen, das der allmächtigen deutschen Autoindustrie furchtbar schwer fiel. Am Ende vererbte er seinem Nachfolger Philip Rösler ein Prestigeprojekt dritter Klasse, das sich förmlich in Luft auflöste: Das Autochen ging eines Nachts in Flammen auf, der vermeintliche Wunderakku ward nie wieder gesehen.

Wozu noch autonome Autos?

Dennoch dürfen wir in diesen Stau- und Feinstaub-geplagten Zeiten weiter von innovativen Verkehrsmitteln träumen, zum Beispiel von fliegenden Autos. Die hatten die Futuristen uns Älteren bereits in unserer Kindheit in Aussicht gestellt. Diese imaginierte Zukunft war irgendwo rund um das Jahr 2000 angesiedelt, also lange bevor die überirdische Milla Jovovich alias fünftes Element dem verdutzten Taxler Bruce Willis in seine Flugdroschke plumpst. In den vergangenen Monaten meldeten tatsächlich mehrere Tageszeitungen – und was in der Zeitung steht, ist bekanntlich alles wahr und faktengecheckt – dass uns in ganz, ganz naher Zukunft Drohnentaxis von A nach B kutschieren werden. Noch mal ganz langsam zum Mitdenken: Während sich die Autoindustrie abmüht, dem ansonsten hochgradig ausgereiften Straßenautomobil das unfallfreie autonome Fahren beizubringen, sind andere Unternehmen bereits einen Schritt weiter und lassen die Straße weg (okay, natürlich nur bis auf die Funktionen Landen und Parken).

Abheben vom Boden der Tatsachen

Beispielsweise schaffte es ein Startup aus Münchens berühmtem Aerospace-Vorort Oberpfaffenhofen mit einem vollelektrischen Fliewatüüt Made in Germany in die Presse, das schneller vorankommt als ein Cargolifter und bessere Kraftpakete als ein Lekkermobil an Bord haben muss. Mit einer Akkuladung soll die Superdrohne zwei Personen bei Tempo 300 (keine Null zuviel!) über eine Distanz von 300 Kilometern (auch keine Null zuviel) chauffieren und sicher auf dem Boden der Tatsachen absetzen. Konstruiert ist der Miniflieger als Senkrechtstarter mit 36 Rotoren. Auf der Website des aufstrebenden Unternehmens ist der mutmaßliche Prototyp beim Start, einer kleinen Runde über vermutlich oberbayerischer Landschaft sowie der Landung zu bewundern. Wenn nicht alles täuscht, existiert also zumindest ein schickes flugfähiges Gerät, das ohne Passagiere an Bord die Schwerkraft überwindet und ein paar Hundert Meter gemächlich dahingleitet wie ein Motorsegler.

Nun sah aber auch bei Bruce Willis und Milla Jovovich alles ziemlich echt aus. Deshalb mag man sich als gewissenhafter Journalist selbst ein Bild von dem Ding machen. Es einmal in echt aufsteigen und beschleunigen sehen. Mal hören, wie laut die drei Dutzend Propeller sind, denn auf dem angeblichen Jungfernflug-Video, das potentielle Investoren beeindrucken soll, ist der Ton abgestellt. Nicht, dass die Drohne furchtbar dröhnt. Ach, man möchte Fragen stellen, von denen sich mehr aufdrängen, als in diese Kolumne passen – nicht nur nach dem Businessplan, dem Rettungsfallschirm oder den Chancen, dass so etwas hierzulande zugelassen wird.

Probeflug bitte noch vor der BERöffnung

Tja… Angucken ist nicht, und die Dame, die den Posten innehat, den man früher Pressesprecherin nannte, lässt kein Sterbenswörtchen raus. Auf journalistische Neugier reagiert sie empört. So, wie kritische Berichte in gewissen Ländern als Terrorimus gelten, werten manche Firmen knifflige Fragen wohl als versuchte Industriespionage. Dabei würde ich so gerne glauben, dass die netten jungen Leute in dem Video den Mund nicht zu voll nehmen. Ja, ich kann es kaum erwarten, mitfliegen zu dürfen. Deshalb buche ich hiermit bereits heute einen Platz beim ersten regulären Flug – und hoffe inständig, dass er vor der Eröffnung von BER stattfindet.

Diese Kolumne ist bei meinem Auftraggeber nicht mehr online zu finden, deshalb habe ich sie jetzt hier gepostet. Anlass dafür, den gut zwei Jahre alten Text wieder ans Licht zu ziehen, ist der Versuch des Aerokuriers, von Lilium sinnvolle Anworten auf einige auf der Hand liegende Fragen zu bekommen.  ujf/22.1.2020

Was hatte ich doch für einen Riecher, dass ich Lilium und das Lekkermobil in einem Kontext dachte, und was gibt es für Zufälle? Ein paar Wochen nach dem obigen Postscriptum hat doch einer der beiden Prototypen des Flugtaxis das gleiche Schicksal erlitten wie der Audi der Berliner Batterie-Angeber. Der Aerokurier hat mittlerweile ein ganzes Dossier über Lilium angelegt. Es trägt den Titel „Hoffnungsträger oder Hochstapler?“. Übrigens war die Kolumne, wie einige andere, nur auf der Website meines Kunden umgezogen. Sie ist noch abrufbar; ich habe die Links auf der Seite „Ulfs Welt“ aktualisiert. ujf/6.12.2020

Vor ein paar Wochen hat das US-Magazin Forbes Lilium unter die Lupe genommen, der Aerokurier legte mit einem Beitrag über das „System Lilium“ nach. Hier noch ein Text aus dem Spiegel von 2020. ujf/5.5.2021

 

 

Professor Schuh und sein EGo-Bus(-ter)

RWTH-Professor Günther Schuh schafft es immer wieder, zu überraschen. Statt des EGo Boosters, eines großen Bruders des gegenüber den ursprünglichen Plänen kräftig aufgespeckten E-Kleinwagens EGo Life, präsentiert der Aachener plötzlich einen EGo-Bus, den EGo Mover. Erinnert an den Olli, hat aber erstmal einen Fahrer an Bord. Das Ding fasst 15 Passagiere und kostet 60000 Euro netto – wenn Schuh (auf dem Bild in der Mitte*) sich nicht wieder verkalkuliert hat wie beim Life. Ich bin gespannt, was draus wird. Nächstes Jahr sollen Vorserienexemplare auf die Straßen kommen, 2021 eine autonome Version.  *Die beiden Herren neben ihm sind Manager bei den Industriepartnern ZF und Nvidia.

Das Schuh-Auto ist da: schwerer, teurer, konventioneller

Wenn man für Magazine schreibt, die nur alle ein oder zwei Monaten erscheinen und einen gewissen Produktionsvorlauf haben, wird man manchmal von der Realität überholt.

PR-Foto: E.GO Mobile AG

Als ich im Herbst mit Günther Schuh sprach, hatte der RWTH-Professor und Elektroauto-Unternehmer bereits angedeutet, dass sein Team dank neuer Methoden (Scrum, Industrie 4.0) in der Lage sei, ein Produkt sehr schnell zu verändern und zu verbessern. Dennoch war ich schwer überrascht, als ich heute das (möglicherweise) endgültige Design des Kleinwagens e.GO Life sah und die technischen Daten las. Ja: Ich erkenne das Fahrzeug nicht wieder. Sein technisches Innenleben mag gleich sein, von außen ist es etwas vollkommen anderes.

Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, den ich in der Technology Review und im Design Report vorgestellt hatte, ist das Wägelchen deutlich schwerer und teurer, etwas langsamer und in der Erscheinung insgesamt konventioneller geworden. Statt 13.000 Euro soll es jetzt (ohne Berücksichtigung von E-Auto-Subventionen) fast 16.000 Euro kosten. Dafür bekommt der Käufer aber kein Ultraleichtauto der Klasse L7e (angekündigt war weniger als eine halbe Tonne ohne Akku), sondern ein M1-Kompaktauto mit 650 Kilo Eigengewicht (ebenfalls ohne Akku). Insofern ist der in Hannover präsentierte Vorserien-Life ein Mittelding aus dem ursprünglichen Life-Konzept und dem für ein Jahr später angekündigten Ego Booster. Weil er aufgespeckt hat, braucht der Stadtflitzer statt 3,9 nun 4,9 Sekunden, um auf Tempo 50 zu kommen. Dafür traut sich Schuh jetzt, nicht nur 80, sondern 100 Kilometer Reichweite in der Grundversion zu versprechen.

Foto: Ulf J. Froitzheim

Das markante bis eigenwillige Äußere, mit dem Designer Stefan H. Frey dem Life ein Gesicht in der Menge geben wollte, ist einem konventionellen japanisch-französischen Look gewichen. Keine Nashornschnauze mehr, keine raschen Vortrieb suggerierende „Lavalle-Düse“ mehr als Verbindung zwischen Scheinwerfer und A-Säule. Kurzum: Ein Auto ohne Ecken und Kanten, das näher am Massengeschmack ist, aber die Chance verspielt, Blicke auf sich zu ziehen und so für die Elektromobilität zu werben. Enttäuschend finde ich auch den Preis – gemessen an den Erwartungen, die Günther Schuh geweckt hat. Aber ich verstehe schon, dass die Investoren vielleicht einen kleinen Gewinn sehen wollen. Autos zu bauen ist nun mal keine Non-Profit-Tätigkeit – oder sollte keine sein.

 

Freude am Wandel

Verstopfte Straßen, Abgaslimits, eine automüde Jugend: Deutschlands wichtigster Industriezweig müsste sein Produkt eigentlich neu erfinden. Die Autokonzerne haben aber viel zu verlieren. In diesem Spannungsfeld sieht Benoît Jacob den Reiz seines Jobs. Als Designchef der Elektro-Submarke „i“ Bei BMW darf er die Grenzen des Machbaren ausloten.

Daimler, VW und BMW sind in einer kniffligen Lage. Ähnlich wie zur Jahrtausendwende die Fotobranche und die Musikwirtschaft oder ein paar Jahre später die Hersteller von Handys und Glühlampen leben die Autokonzerne nicht schlecht von dem, was sie schon immer gemacht haben. Doch das Neue ist in der Welt, und es könnte ihr auf Diesel- und Ottomotoren fixiertes Geschäftsmodell schon bald ins Wanken bringen. Womöglich geht es aber auch noch sehr lange weiter wie gehabt. Schließlich beäugt das Publikum Elektroautos bis dato mit einer Mischung aus Faszination und Skepsis: Wo soll man sie aufladen? Wann wächst ihre Reichweite? Wann sinken die Preise? Wie schnell verschleißen die teuren Akkus? Keine 1.000 Käufer im Monat trauen sich deshalb an ein batteriebetriebenes Modell heran. Selbst Erdgasautos sind Bestseller im Vergleich zu den 20.000 Stromern, die im Land herumfahren. Auch in den USA, Heimat des Elektropioniers Tesla, sind aufladbare Autos Nischenprodukte. Alle Anbieter zusammen verkaufen dort pro Monat weniger als 10.000 Akku-Vehikel – die Teilzeit-elektrischen Plug-in-Hybride schon eingeschlossen.

Sollte es allerdings einem Anbieter gelingen, eine kritische Masse an Kunden für abgasfreie Mobilität zu begeistern, drohen der Branche erdrutschartige Verwerfungen. Jede neu entwickelte Generation eines Benziners könnte die letzte sein. Die Disruption träfe nicht nur die Produzenten hart, die ohnehin daran knabbern, dass die junge Generation sich nur noch schwer dafür begeistern lässt, viel Geld in ein eigenes Auto zu investieren. Auch für Werkstätten, Tankstellen und den Gebrauchtwagenmarkt hätte eine Elektrifizierung des Individualverkehrs dramatische Folgen.

Man könnte den Autodesigner Benoît Jacob also als Verteidiger sehen, der mit seinen Teamkollegen BMW den Rücken freihalten soll, falls es Tesla und möglichen anderen Angreifern wirklich gelingt, die alten Spielregeln der automobilen Champions League außer Kraft zu setzen. Der ehemalige Renault-Nachwuchsstar, der vor elf Jahren zu den Bayern wechselte, fühlt sich als Chefdesigner der i-Modelle aber überhaupt nicht in der Rolle des Defensivspielers. »Disruption ist eine Chance«, sagt Jacob mit einem Funkeln in den Augen. »Extrem ausgedrückt: Es ist der Beginn eines goldenen Zeitalters. Für uns Designer wird es nicht härter, sondern cooler.«

Nierenattrappe bedient Sehgewohnheiten

Markenchef Steven Althaus, der im Restaurant der BMW-Welt mit am Tisch sitzt, hat da schon rhetorisch vorgelegt: Seine ganze Branche sei konfrontiert mit einem »Iconic Change, einem nachhaltigen, dramatischen Wandel« der Einstellungen zum Auto, der sich keineswegs auf die Antriebsart beschränke. BMW habe sich jedoch »schon immer als Wegbereiter für die Mobilität der Zukunft verstanden« – beispielsweise im Projekt Drive Now, dem gemeinsam mit Sixt betriebenen Ad-hoc-Mietservice, der die Zielgruppe der Carsharing-Fans abzuschöpfen und auf die Fahrzeuge des Hauses einzuschwören versucht.

Aus Sicht von Ex-Werbeagentur-Chef Althaus, der seit zwei Jahren die BMW-Markenfamilie verantwortet, gehört der proaktive Umgang mit neuen Entwicklungen und Trends zur Unternehmenskultur: »Wir sind in uns selbst disruptiv.« Das ist freilich nicht so zu verstehen, dass BMW zugunsten einer schöpferisch zerstörerischen Innovation etwa die Dreier-Baureihe aufs Spiel setzen würde. Zumindest packen die Münchner aber das Thema Elektromotor deutlich offensiver an als die Rivalen in Stuttgart, Wolfsburg und Ingolstadt. Die zu Versuchszwecken gebauten Elektroversionen des Mini und des Einsers waren kaum auf der Straße, da entschloss sich der Vorstand unter Norbert Reithofer schon, nicht verschämt mit umgerüsteten Serienprodukten auf den Markt zu gehen. Während e-Golf, e-Up, Audi A3 e-tron oder B-Klasse Electric Drive allesamt Ableger braver Volumenmodelle sind, die ihre Andersartigkeit nur dezent dem Connaisseur offenbaren, brauchte das i-Team um Projektleiter Ulrich Kranz weder beim Hybrid-Sportcoupe i8 noch beim Pendlervehikel i3 in den Konzernbaukasten zu greifen. »Eine separate Marke zu führen und ihr eine eigenständige Struktur zu geben, ist ganz wichtig«, betont Althaus, »es ging ja darum, entlang der ganzen Wertschöpfungskette alles radikal neu zu denken – von der Entwicklung über die Produktion bis zur Marktbearbeitung.« Einzige Bedingung: Die Batteriefahrzeuge mussten bei aller sonstigen Autonomie als BMWs erkennbar bleiben. Deshalb fahren sie am Bug funktionslose Deko-Elemente in markentypischer Nierenform spazieren. Benoît Jacob steht zu diesen Kühlergrillattrappen, die als markantes Statement die aerodynamische Ideallinie brechen, und beteuert: »Wir sind frei von Dogmen.«

Imagetransfer statt Abgrenzung

Diese KlarsteIlung ist dem Chefdesigner vielleicht auch deshalb wichtig, weil die i-Sparte formalrechtlich keine autarke Einheit ist. Während der Tuning-Ableger BMW M als GmbH einen eigenen Geschäftsführer und ein separates Rechnungswesen hat, handelt es sich bei Ulrich Kranz‘ Team nur um eine Abteilung mit dem Privileg, ein Eigenleben führen zu dürfen. Anders als beim Macho-Veredler M GmbH oder der femininen Flitzer-Tochter Mini zählt letzten Endes weniger der Ergebnisbeitrag in der Bilanz der Mutter als vielmehr die Verzinsung auf deren Imagekonto. In der Sprache der Markenmanager bekam die Submarke i als Startkapital einen Reputationsvorschuss der Hauptmarke BMW mit auf den Weg, darauf spekulierend, dass sie später kräftig auf deren Wert einzahlt.

Der bereits durch die Apple-Produktnomenklatur mit Assoziationen aufgeladene Kleinbuchstabe soll Großes symbolisieren: i wie inspirierend, i wie innovativ, i wie intelligent. Das Design soll diesen Anspruch anschaulich machen – als Gegenpol zum unverfälschten Freude-am-Fahren-Mythos, für den das große M steht. Ein Flop würde indes unmittelbar dem Stammhaus wehtun. Daimler und die VW-Gruppe riskieren weniger: Verpatzt einer von deren Elektro-Ablegern sein Marktdebüt, brauchen sie lediglich eine von vielen Modellvarianten aus dem Katalog zu streichen. Der Preis für dieses Flachhalten des Balls ist freilich, dass es im Erfolgsfall kaum einem Verkehrsteilnehmer auffallen wird, wie viele Golfs bereits elektrisch fahren. Die nötige PR kostet die Hersteller also extra. Bei BMWs i-Modellen ist sie (genau wie bei den E-Autos von Benoît Jacobs Ex-Arbeitgeber Renault) ab Werk eingebaut. Ab einer gewissen Mindestpräsenz dieser Fahrzeuge in der Öffentlichkeit transportiert das selbstbewusste Design die Botschaft – jeder Fahrer wird automatisch zum Evangelisten der Elektromobilität.

Schlankes Team für leichte Autos

Hätte der BMW-Vorstand die i-Modelle innerhalb der gewachsenen Strukturen entwickeln und gestalten lassen, wäre der Ende 2013 lancierte i3 wohl bis heute noch nicht zu kaufen. »Wir sind ein kleines Startup in der großen Firma«, sagt Jacob und lobt diplomatisch die fast 100-jährige Geschichte seines Arbeitgebers, bei dem sich natürlich Best Practices entwickelt hätten, also als ideal definierte Strategien, Regeln und Prozesse, die niemand einfach ignorieren kann. Trotz der Hommage an die Tradition lässt der Franzose, der bisweilen in Sekundenbruchteilen zwischen drei Sprachen hin- und herschaltet, keinen Zweifel daran, dass ihm der normale Rhythmus der Autoindustrie zu behäbig ist: »Heritage and History können auch ein Hindernis sein.« Die Entwicklung des i8 habe nur 38 Monate gedauert. Das ist etwa die Hälfte des branchenüblichen Produktzyklus bei Benzinern.

»Wir waren sehr, sehr frei«, schwärmt Jacob von der Chance, Autos kompromisslos neu zu konzipieren – rnutige Entwürfe, die nicht als handgefertigte Concept Cars von der Autoshow direkt ins Firmenmuseum wandern, sondern in Serie gehen. Schncll wird aber klar, dass er übertreibt, dass ihm und seincn Kollegen eben doch große Disziplin abverlangt wurde. Eine der Grenzen der Gestaltungsfreiheit heißt bei BMWs Elektrikern »Design to Weight«. Je schwerer das Auto wird, desto schneller sind die Batterien leer. Deshalb rangen die Designer des i3 und des i8 in ihren wöchentlichen Meetings mit den Konstrukteuren um »alles über 20 Gramm«. Wie in der Flugzeugindustrie wurde vor jeder Änderung eines Details an Karosserie und Ausstattung akribisch durchkalkuliert, wie sich dies aufs Gewicht des Wagens auswirken würde.

Hätte Projektleiter Uli Kranz beim i8 alle Wünsche von Jacobs Team kompensationsfrei durchgehen lassen, schleppte der muskulöse Sportwagen 300 Gramm mehr Speck mit sich herum – nicht zuletzt deshalb, weil dem Chefdesigner die Pfeilung des Bugs noch nicht gefiel. Nach dem kosmetischen Eingriff am Claymodell war die Nase gerade einmal zehn Millimeter länger, doch der Computer befand, das zusätzlich nötige Material bringe 150 Gramm auf die Waage. »Das geht natürlich schlecht, wenn die Techniker schauen müssen, wo sie 20 Gramm einsparen können«, gibt Jacob zu. Die salomonische Lösung aus der Chefetage sah dann so aus, dass die Designer ihren Willen bekommen sollten, wenn sie die Gewichtszunahme durch Verschlankungen an anderen Stellen kompensieren konnten. Fündig wurden sie unter anderem beim Leder.

Fahrendes Statement mit digitalen Extras

In der Rückschau auf die Entwicklung der bei den ersten elektrischen Serien-BMWs bewertet Jacob die Sachzwänge, die ihm Grenzen setzten, positiv – quasi als Freude am Umfahren von Hindernissen: »Es gibt kein gutes Design ohne gute Vorgabcn.« Die zweite große Herausforderung neben der Gewichtsoptimierung bestand darin, das Auto nachhaltigcr herzustellen, also vor allem den Energieeinsatz und den CO2-Ausstoß während der Produktion zu minimieren. Beide Ziele zwangen Kreative und Ingenieure zu ungewohnt enger – und damit fruchtbarer – Zusammenarbeit. Letztlich saßen beide Gruppen in einem Boot: Alle waren motiviert, zu beweisen, dass das Inhouse-Startup so etwas hinkriegt. Die Konstellation als Task Force außerhalb der angestammten Hierarchie ließ den Ressortegoismen und Eitelkeiten, die in jedem Großunternehmen zu Reibungsverlusten führen, wenig Raum und Zeit.

Und was hat das Projekt i dem Konzern bisher gebracht? Neukunden, sagt Steven Althaus; die i-Modelle machten BMW auch interessant für Stammkunden anderer Marken, die sich noch nicht zum Einstieg in die Elektrik durchringen könnten. Beim i3 selbst kämen 80 Prozent der Käufer von anderen Marken. Es handle sich typischerweise um Menschen, die sich nichts beweisen müssten, assistiert Jacob, der selbst jede Gelegenheit nutzt, mit Kunden zu reden. Da dieser Klientel das Auto selbst Statement genug ist, legt sie wenig Wert auf eine lange Ausstattungsliste, zumal physische Extras dem Leichtbauziel zuwiderlaufen. So hat BMW im Projekt gelernt, dass Individualisierung via Software nicht nur beim Smartphone funktionieren kann, sondern auch bei Autos – eine wichtige Erkenntnis angesichts der zentralen Rolle der Extras im Geschäftsmodell der Branche.

Auch wenn nicht klar ist, ob wirklich bald die große elektrische Disruption die Branche erschüttert, sieht Althaus die bisherigen Erfahrungen durchweg positiv. »Wir sind dadurch auch für viele Mitarbeiter interessanter geworden«, sagt der Markenchef, »ob in Design, Engineering oder Marketing und Kommunikation.« Die Frage ist nur, ob ein agilerer Autokonzern wirklich mehr Fachkräfte braucht, weil er in kürzerem Takt neue Modelle bringt – oder ob die eigentliche Lehre darin besteht, dass auch viel kleinere Teams gute Autos bauen können.

Erschienen im design report 1/2015.

Der pressw0rds-Kolibri schlägt wieder mit den Flügeln

Als ich die brandeins-Story „Kurzschluss“ über die obskure Batteriefirma DBM Energy recherchierte, war eine der zu beobachtenden Quellen ein anonym geführtes Blog namens pressw0rds. Von dort erhalte ich nach wie vor eine E-Mail, wenn ein neue Beitrag gepostet wird.

Gestern kamen zwei Nachrichten:

1.     Kolibri Akku und Raywaver

Die Firma Raywaver International bietet den Kolibri Akku in Kombination mit Ihrer Raywaver Vertikal-Kleinwindkraftanlage an (deutsch /english)…

Demnach wäre der rätselhafte Akku aus dem abgefackelten Audi A2 electric jetzt als Zubehör eines alternativen Energieprodukts lieferbar. Raywaver sagte mir nichts, aber ich schaute auf der Website nach – und entdeckte nichts zu dem Akku. Google meldet eine im Januar 2013 erstellte PDF als einzigen Treffer für die Kombination Kolibri und Raywaver. Das Dokument findet sich bei einem deutschen Unternehmer namens Dieter Müller, dessen spanische Firma mit kleinen deutschen Beteiligungsgesellschaften verbandelt ist, die auch keiner kennt, die auch schon lange keine Bilanzen mehr an den elektronischen Bundesanzeiger geschickt haben und zuletzt offenbar von einem Berliner Rechtsanwalt treuhänderisch geführt wurden.  „Der pressw0rds-Kolibri schlägt wieder mit den Flügeln“ weiterlesen