Online-Dienste brauchen Werbeeinnahmen, um Profit zu machen. Noch fehlen Konzepte, die die Verbraucher akzeptieren.
McDonald’s war dabei. Bei der Premiere des Microsoft Network (MSN) prangte das Logo des Hamburger-Konzerns auf jeder Newsseite. Damit profitierte der Klopsebrater indirekt von dem gewaltigen Marketingrummel, den Microsoft um seine Software Windows 95 und den Online-Dienst MSN inszenierte.
Was der Reklamegag gekostet hat, wird streng geheimgehalten. Es war so etwas wie ein Testlauf. Eine Preisliste für Annoncen gibt es im Microsoft-Netz noch nicht. Auch die dazugehörige Software Blackbird, die eine genaue Selektion der Zielgruppen möglich machen soll, kommt erst zum Jahresende heraus.
Werbung in Online-Diensten steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei ist sie langfristig von größter Bedeutung. „Die Aboerlöse werden in den Hintergrund treten“, erwartet Berthold Stukenbröker, Partner der Consulting Trust in Ratingen bei Düsseldorf. „Die Online-Dienste“, sekundiert eine Studie der MGM Media Gruppe München, „werden nur über Werbung finanzierbar sein.“
Auch die Diensteanbieter, die sich zunehmend auf dem Internet tummeln, brauchten die zusätzlichen Geldquellen – vor allem um die Anlaufverluste möglichst gering zu halten. Wer etwa unter der Adresse http://nytimesfax.com die vor wenigen Wochen installierte Kurzausgabe der „New York Times“ aufruft, erblickt zuerst ein Logo des Hardwareanbieters Insight.
Beim Microsoft-Dienst sind Einnahmen aus Werbung und Marketing von Anfang an fest eingeplant. Fachverlage wie IDG („PC-Welt“) oder Vogel („Chip“) können, wenn sie demnächst mit Online-Ausgaben ihrer gedruckten Titel auf den Markt gehen, Teile ihrer Bildschirmseiten an ihre Inserenten vermieten. MSN, eine 80prozentige Tochter der Microsoft Corp., hat Anspruch auf 20 Prozent der Erlöse. An Reisen, die via PC und Modem gebucht werden, will Multimilliardär Bill Gates ebenso mitverdienen wie am Versandhandel im Cyberspace. Für jedes Geschäft, das über seine Datenleitungen läuft, kassiert MSN eine Provision von mindestens fünf Prozent. Vorteil für den Verbraucher: Dank dieser Mischfinanzierung halten sich die Kosten für die Nutzung des MSN mit einer Pauschale von 14
Mark pro Monat für maximal zwei Stunden Netzsurfen in Grenzen.
Damit ist automatisch der Kalkulationsrahmen für die Nachzügler festgezurrt. Denn Microsoft hält im Grand Prix der neuen Online-Dienste die Poleposition. In der kommenden Weihnachtssaison wird MSN für neun von zehn Computerkäufern das einzige Datennetz sein, dessen Zugangssoftware sie fix und fertig installiert auf der Festplatte vorfinden werden. MSN ist Bestandteil von Windows 95. Die Herausforderer Bertelsmann und Europe Online, die demnächst an den Start gehen, müssen ihr Publikum dagegen erst einmal motivieren, die für die Nutzung dieser Dienste nötigen Kommunikationsprogramme eigenhändig auf die Festplatte zu kopieren.
Daher dürfte es für die Nachzügler schwer werden, die ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Bertelsmann-Vorstandsmitglied Thomas Middelhoff beispielsweise hatte noch im Frühjahr getönt, das Joint Venture mit dem US-Marktführer America Online (AOL) werde zur Jahrtausendwende mit über einer Million Mitgliedern mehr als eine Milliarde Mark Umsatz erwirtschaften – eine Rechnung, die nicht einmal ansatzweise aufgeht, wenn nicht Werbekunden oder Sponsoren den Löwenanteil der Kosten tragen. Doch genau da tut sich der Mediengigant aus Gütersloh schwer: Die kritischen deutschen Kunden dürften nicht mit aufdringlicher Reklame verschreckt werden, heißt es.
Auch der Burda-Dienst tastet sich vorsichtig an die neuen Werbemöglichkeiten heran. Am Fuß jeder Bildschirmseite ist Platz für einen kleinen Hinweis auf Werbung an anderer Stelle. Informationsanbieter (und damit vor allem die an Europe Online beteiligten Medienkonzerne) können diese Fußleistenanzeigen an ihre Werbekunden vermieten – ein Verfahren, das nicht neu ist. In Bildschirmtext wird es seit Jahren praktiziert, etwa bei der Telefonauskunft der Detemedien oder bei der Düsseldorfer BBDO-Interactive-Tochter Infoplus.
Doch das ist schon alles. Mit eingeblendeten Grafiken, Bildern oder Logos, über die man bestenfalls zu mehr Informationen oder einem interaktiven Spielchen gelangt, erschöpft sich die Phantasie der Online-Werber. „Alles erinnert an die Printmedien“, findet Consultant Stukenbröker. Pech für die inserenten: „Noch bevor die Werbebotschaft auf dem Bildschirm erscheint, haben die Netzsurfer das Bild weggeklickt“, sagt Ingo Hamm, Leiter des virtuellen Forschungsinstituts
Netvertising (http://www.bwl.uni-mannheim.de/Hamm).
Ein denkbarer Ausweg aus der Werbemisere wäre, den Anwender mit einem konkreten Nutzwert zu locken. So wäre es technisch überhaupt kein Problem, eine regionale Gebrauchtwagen-Datenbank einzurichten, in der man sein Wunschfahrzeug suchen kann – etwa einen grünen Passat Variant Diesel ab Baujahr 1990 mit Schiebedach, der höchstens 15000 Mark kostet. Fast alles, was die Tagespresse in unübersichtlichen Rubriken abdruckt, könnte gleichzeitig in einer komfortablen Online-Version verbreitet werden: von der Hobby-Fundgrube über Wohnungsinserate bis zum Stellenmarkt. Und das, bei Bedarf, multimedial aufbereitet.
Wie so etwas geht, zeigt der New Yorker Online-Dienst Metroconnect Inc. in New York, der Anfang des Jahres seinen Probedienst aufgenommen hat. Zu den Tricks, die Metroconnect beherrscht, gehört etwa die automatische Buchführung über Anfragen und Bestellungen. Ist beispielsweise ein beworbenes Kontingent an Theaterkarten ausverkauft, nimmt der Computer das Inserat automatisch aus dem Netz. Für Bertelsmann-Vorstand Middelhoff sind solche virtuellen Anzeigenblätter jedoch nicht mehr als eine „Vision am Horizont“, obwohl regionale Tageszeitungen am deutschen AOL-Dienst beteiligt werden sollen. Und auch Burda, aus dessen Hause Metroconnect stammt, zog einen Test in New York vor, wohl weil der deutsche Markt dafür noch nicht reif erscheint.
So wird der deutsche Netzsurfer noch länger wenig profihaft gemachte Werbebotschaften ertragen müssen. Selbst renommierten Unternehmen sind dilettantische Auftritte etwa in Telekom-(T-)Online, dem mit über 800.000 Nutzern größten Dienst in Deutschland, anscheinend nicht peinlich. Da quält Mercedes-Benz sein Publikum mit einem grobkörnigen Bildchen der neuen E-Klasse, dessen Aufbau zwei Minuten dauert und das im Vergleich zu einem guten Fernseh-Werbespot so aufregend ist wie eine Klinikpackung Schlaftabletten. Insgesamt ist der Informationsinhalt dürftiger als in jeder Zeitungsanzeige.
Auch Volkswagen hat noch Mühe mit dem neuen Medium. Einsendeschluß des interaktiven Preisausschreibens, mit dem die Wolfsburger im September in T-Online auf sich aufmerksam machen wollten, war der 31. März 1995.
Ulf J. Froitzheim
aus der WirtschaftsWoche 42/1995