Porträt: Der Gute-Laune-Kapitalist

Alt-Hippie Richard Branson schuf mit Virgin die bekannteste Marke Großbritanniens. Verhebt sich der Milliardär und Musikfan nun an Eisenbahn, Lotterie und dem Internet?

 

Ruhm hat seinen Preis. Gewöhnliche Promis zahlen ihn, indem sie Quälgeister ertragen: Autogrammjäger, Bettelbriefschreiber, Paparazzi. Mitglieder des britischen Geldadels müssen dagegen sogar fürchten, ins Visier eines gierigen Biografen wie Tom Bower zu geraten – besonders wenn sie ab und zu Geschäfte betreiben, die für Außenstehende schwer nachvollziehbar sind. Der auf Bestseller-Stoff erpichte Bower schrieb erst genüsslich den rücksichtslosen Zeitungsverleger Robert Maxwell in Grund und Boden, dann stellte er den Harrod’s-Boss und verhinderten Lady-Di-Schwiegervater Mohamed Al-Fayed als Blender bloß.

Jetzt hat Bowers Feder die ultimative öffentliche Person der Insel erwischt, die sämtliche Promi-Kollegen an Prominenz, Popularität, Ausstrahlung und damit an Auflagenpotential bei weitem übertrifft: Sir Richard Branson, Schöpfer des legendenumwaberten Mischkonzerns Virgin, Großbritanniens Volksheld und Vorzeigeunternehmer. Branson ist ein bunter Hund: Hippie-Milliardär und Abenteurer, Rebell und Patriot, Musik-Freak und Gelegenheitstransvestit. Am Morgen des 5. Oktober, einem Donnerstag, startet in England der Verkauf seiner 320 Seiten dicken Lebensgeschichte – und der Marketing-Profi kann nicht verhindern, dass die Werbekampagne für das Bower-Buch in jeder Beziehung zu seinen Lasten geht. Dass es sich um einen unautorisierten Text handelt, in dem der Porträtierte nach allen Regeln der Kunst abgemeiert wird, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Der Titel ist unverfänglich, er besteht nur aus sieben Buchstaben: Branson. Stutzig macht allenfalls,dass der Erfinder des Gute-Laune-Kapitalismus auf dem
Cover in ausgesprochen unfröhlicher Miene hinter seinem Namen hervorlugt.

Doch auch ohne sein notorisches Grinsen macht Sir Richards Antlitz wieder einmal das, wofür es die Nation kennt: Reklame.
Nur tut es das erstmals wider Willen, für ein Produkt, dessen Erscheinen er am liebsten verhindert hätte. Denn zweifelsohne werden viele seiner Fans reflexartig zugreifen, wenn sie Bowers Werk im Buchladen sehen. Sensationelle Neuigkeiten werden sie allerdings kaum erfahren. Nicht, dass es schwer wäre, an dem 50-Jährigen etwas auszusetzen. Branson ist zum Beispiel prominentes Mitglied der Initiative „Eltern gegen Tabak“, aber er raucht heimlich Zigaretten. Sein Sohn darf kiffen, nur Nikotin ist tabu. Branson ist zudem angeblich Mitarbeiterinnen zu nahe getreten. Der Vollbartfan, der immer und immer wieder mit schönen, spärlich bekleideten Blondinen posiert, hat eine Angestellte gestreichelt und lässt sich gelegentlich zu anzüglichen Bemerkungen hinreißen, heißt es. Das war zu erwarten: Der 50-Jährige, der als Jugendlicher die Hippie-Ära mit viel Spaß durchlebte, hat bekanntermaßen zu Sexualität und Verbalerotik ein lockereres Verhältnis als manche der Nachgeborenen.

Echte Enthüllungen sind ohnehin schwer vorstellbar bei einem Mann, der sein Leben weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit führt. Der sich immer wieder Aufgaben stellt, die andere für aussichtslos halten – etwa mit einem Heißluftballon die Erde zu umrunden oder eine marode Eisenbahngesellschaft zu sanieren (beides ist ihm bisher misslungen). Und der einen so großen Drang hat, sich der Welt mitzuteilen, dass er mitten im Berufsleben seine Memoiren schreibt, obwohl er die Verantwortung für geschätzte 25.000 Beschäftigte in einem für ihn selbst nicht mehr durchschaubaren Netzwerk aus meist winzigen Firmen trägt.

Die Schwächen des Richard Branson liegen tatsächlich offen zu Tage. Der Engländer, der sich selbst als Abenteuerkapitalist definiert, investiert Hals über Kopf in neue Geschäftsideen, nur weil sie von Menschen an ihn herangetragen werden, die einen kompetenten Eindruck auf ihn machen. Er steckt spontan Millionen in Märkte, von deren er keinerlei Ahnung hat – beispielsweise den Vertrieb von Wein oder Autos über das Internet.

Die Virgin-Gruppe ist denn auch kein Konzern im herkömmlichen Sinn, sondern ein amorphes Gebilde aus Unternehmen, an denen Branson direkt oder indirekt die Mehrheit oder Minderheit hält. Es gibt keine zentrale Steuerung, keine straffe Organisation oder gemeinsame Datenverarbeitung, keine Manager-Meetings, keine offizielle Beteiligungsübersicht. Der Chef weiß selber nicht, wieviele Firmen zu Virgin gehören, es scheint ihn nicht einmal zu interessieren. Eine konventionelle Aktiengesellschaft mit ihren Zwängen und Formalitäten könnte Branson nie leiten, das weiß er seit einem unerfreulichen Ausflug seines Virgin-Musiklabels an die Börse in den 80erJahren. 1988 kaufte er die Aktien zurück und braucht sich seither bei keinem Außenstehenden mehr dafür zu rechtfertigen, wenn er Betriebe durchschleppt, die noch nie schwarze Zahlen geschrieben haben. Wie viele seiner Firmen (die ihren offiziellen Sitz überwiegend in Steuerparadiesen wie den Kanalinseln oder passenderweise den British Virgin Islands haben) überhaupt mit Gewinn arbeiten, spekuliert die britische Wirtschaftspresse immer wieder. Ähnlich wie der deutsche Fernsehunternehmer Leo Kirch hat Branson noch in jeder Finanzkrise das nötige Geld aufgetrieben.

So viel wie anno 2000 hat sich der Unternehmer allerdings noch nie aufgehalst. Für die 600 Millionen Britischen Pfund, die ihm der Verkauf von 49 Prozent seiner Fluglinie Virgin Atlantic an Singapore Airlines einbrachte, wollte der Computeranalphabet ein Web-Portal errichten, in dem alle Produkte und Dienstleistungen der Virgin-Ableger erhältlich sind, sowie die Handysparte Virgin Mobile stärken. Gleichzeitig muss er seine marode Bahnlinie Virgin Rail flottmachen. Über die Unpünktlichkeit seiner Züge lästert er selber – wenn er damit auch seiner Marke Virgin alles andere als einen Gefallen tut. Außerdem kämpft er um die Konzession für Englands staatliche Lotterie, obwohl er damit angeblich kein Geld verdienen will.

Die Londoner Presse geht inzwischen merklich auf Distanz zum langjährigen Publikumsliebling, der, obwohl er einst den bösen Punksong „God Save the Queen“ von den Sex Pistols vermarktet hatte, im März von Prinz Charles den Ritterschlag erhielt. Als mache die Anrede Sir aus einem freundlichen, aber schillernden Hallodri einen kopfgesteuerten Menschen, haben ihm die Medien seinen traditionellen Nonkonformisten-Bonus gestrichen.

Doch Branson wird sich nicht ändern. Dass er so ist, wie er ist, hängt mit einem neurologischen Phänomen zusammen, das ihm schon in der Schule zu schaffen machte. Sir Richard leidet an Dyslexie, einer Wahrnehmungsstörung, die mit Legasthenie und Aufmerksamkeitsschwäche verwandt ist.

Lerntherapeuten glauben, dass diese Patienten, die gedruckten Texten nur m ühsam folgen können und zerstreut wirken, anders denken als gesunde Menschen. Sie sind sensibel, kreativ, ungeduldig, oft Trendsetter, können motivieren. Sie können als Unternehmer Erfolg haben, wie John Chambers, Walt Disney und Bill Gates, wenn sie sich mit guten Organisatoren zusammentun. Nur darum hat der Hasardeur Sir Richard bisher alles überlebt.

Erschienen in BIZZ 10/2000.

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