Sind wir ferngesteuert?

Die Energieprobleme der Menschheit sind gelöst. Alles, was wir brauchen, sind Nickel und ein bisschen Hokuspokus.

Ach, vielleicht sollte ich mich nicht so oft im Internet herumtreiben. Da kommentiere ich arglos irgendeine Äußerung irgendeines Bekannten bei Google+, prompt knallt mir ein anderer Bekannter meines Bekannten den Satz vor den Latz: „Dann glaubst Du wohl auch, dass Lee Harvey Oswald John F. Kennedy erschossen hat?“ Tja, gut geraten, Mann! Bis heute habe ich noch keine überzeugendere Theorie zu Kennedys Tod gelesen.

Jetzt bin ich bei dem Bekanntenbekannten natürlich untendurch. Er hatte es schon nicht fassen können, dass ich ernst haft davon ausgehe, dass am 11. September 2001 eine von Al-Qaida entführte Boeing ins Pentagon geflogen ist. Dummerweise glaube ich auch ganz fest an die Mondlandung, aber nicht an die Vergiftung der Menschheit durch als Kondensstreifen getarnte „Chemtrails“. Zudem kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass die Antennen des High-Frequency Active Auroral Research Program (HAARP) der Amerikaner eine Apparatur zur Gedankensteuerung durch eine geheime Weltregierung sind, hinter der wiederum die Illuminaten stehen, jene Rokoko-Gutmenschen aus Ingolstadt. Könnten die über 250 Jahre alten Erleuchteten lenken, was wir denken, würden sie dann nicht als allererstes die Hirne dieser lästigen Verschwörungstheoretiker umprogrammieren, von denen es da draußen gefühlte fünf Millionen gibt? Andererseits … Es kann doch kein Zufall sein, wenn derart viele Menschen dieses krude Verschwörungszeug glauben, oder?

Wir werden das Rätsel wohl nicht lösen, aber immerhin können wir ein bisschen darüber spekulieren. Andrea Rossi zum Beispiel könnte dahinterstecken, ein italienischer Unternehmer mit undurchsichtiger akademischer Vergangenheit. Der Dottore hat eine Apparatur konstruiert, die ihn in eine Reihe stellt mit den Alchimisten des späten Mittelalters. Blei in Gold verwandeln kann auch er nicht. Sein offizielles Ziel ist die Transmutation von Nickel in Kupfer, ein der „kalten Kernfusion“ ähnlicher Vorgang, deutlich wärmer als jene, aber saukalt verglichen mit der klassischen Variante, die unsere Sonne leuchten lässt.

Bei dieser quasi lauwarmen Fusion eines Wasserstoff- und eines Nickelatoms sollen in Rossis putzig kleinem Reaktorkesselchen ein bisschen Kupfer und eine Menge Wasserdampf entstehen, aber weder Radioaktivität noch Atommüll. Mit diesem Dampf könnten wir Häuser heizen und Turbinen antreiben, sagt er, es wäre der Schlüssel zu unerschöpflicher Energie, ein Öko-Kernreaktor für den Heizungskeller.

Rossi leidet im Moment noch darunter, dass ihn mehr Leute für einen Scharlatan halten als für ein Genie, das die westlich-industrielle Zivilisation und das Weltklima retten will. Aber auch ernsthafte Fans hat der Mann jede Menge, und das muss einen Grund haben. Nicht dass er wirklich ein strahlenfreies Blockheiz-AKW gebaut hätte. Seine vermeintliche Dampfmaschin’ ist in Wahrheit ein Wirklichkeitsverzerrer – ein Gerät, dessen Wirkprinzip mir als Apple-User wohlvertraut ist. Steve Jobs war berühmt für die „Reality Distortion Fields“ (RDF), die er damit erzeugte. Wer in den Strahlungsbereich geriet, fand alles toll, was Jobs toll fand. RDF 2.0 funktionierte sogar übers Internet. Aber der Meister hat das Ding sein Lebtag niemandem gezeigt, seit seinem Tod gilt es als verschollen.

Noch ist Rossis Nachbau des RDF-Generators nur ein Prototyp, aber er funktioniert sogar unter Windows und Linux. Erste Experimente an ein paar Bloggern, Verschwörungstheoretikern – „Die Ölkonzerne sabotieren Rossis Kupferkraftwerk“ – und sogar an Fachjournalisten für erneuerbare Energien verliefen erfolgversprechend, bei Investoren hingegen lässt die Wirkung wohl noch zu schnell nach. Eines Tages wird der Mann nach der Weltherrschaft greifen, wird via Internet unsere Gedanken fernsteuern. Und wer die Menschheit vor ihm warnt, wird als Verschwörungstheoretiker gelten.

ULF J. FROITZHEIM, freier Journalist, hat sich immer bemüht, zur nüchternen Meinungsbildung seiner Leser beizutragen. Er probiert es weiter.

Sie sind der oder die 3154. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert