Tempo 30 in Kaufering: Schrödingers Ampeln

Es soll ja Wahnsinn geben, der Methode hat. Beim Rechts-vor-links-Wahn in Kaufering, der seltsamerweise unter dem Etikett „Tempo 30“ daherkommt, kann die Methode – so es denn eine geben sollte – allerdings nur darin bestehen, dass ein Unsinn den nächsten nach sich zieht. Wie es scheint, legt es die grünrotschwarze Oppositionskoalition darauf an, eine Überschreitung der Kompetenzen der Kommune dadurch zu „heilen“, dass sie Steuergeld für einen keineswegs rechtskonformen, dafür aber riskanten Umbau der bisherigen Vorfahrtsstraßen rauswirft.

Das ist eine Schrödinger-Ampel: sieht aus wie in Betrieb, kann aber laut StVO gar nicht existieren, da sie in einer Tempo-30-Zone steht.

Was geplant ist, lässt sich nur unzureichend mit dem Bild eines Pferdes beschreiben, das von hinten aufgezäumt wird. Was wir sehen, sind Reiter, die das richtig herum gesattelte Pferd entgegen der Reitrichtung besteigen und es nun – ihren Po dem Kopf des Tieres zugewandt – dazu bringen wollen, rückwärts zu galoppieren.

Es ist nämlich so:
Erstens dürfen Vorfahrtstraßen, wie sich herumgesprochen hat, nicht in Tempo-30-Zonen integriert werden. Das steht sogar im Rechtsgutachten jenes Verwaltungsrechtlers, der dem früheren Bürgermeister so gefällig war, die StVO für ir-gend-wie unbeachtlich zu erklären. Ein Freibrief nach dem Motto: Was Ihr macht, ist zwar nicht erlaubt, aber macht mal weiter, das macht doch nix.
Zweitens dürfen in neuen Tempo-30-Zonen schon seit Beginn dieses Jahrhunderts keine Ampeln mehr stehen.

Diese Ausgangslage macht die Kolpingstraße zu einem paradoxen rechtlichen Konstrukt, zu einer Art Undercover- oder Schrödinger-Vorfahrtsstraße. Der Beschilderung nach ist sie Teil einer 30er-Zone. Sie ist aber noch mit zwei lichtzeichengeregelten Fußgender-Übergängen (oder wie das in der „Wer zu Fuß geht“-StVO jetzt heißt) ausgestattet, die für die westlich der alten B17 wohnenden Kinder Teil des Schulwegs sind. Deshalb stehen die Bedarfsampeln auch in der Nähe der beiden Unterführungen.

Im Kontrast zur Vorfahrtsberechtigung der von rechts in die Kolpingstraße einmündenden Nebenstraßen, welche ausschließlich auf dem Papier besteht, existieren die dortigen Ampeln allein in der physischen Welt. In der juristischen gibt es das nicht, und was nicht sein darf, kann bekanntlich nicht sein. Wer diese Lichtzeichenanlagen bei Rot passiert, macht sich demnach eines Verkehrsverstoßes gleichzeitig schuldig und unschuldig. Es sind die Schrödinger-Ampeln in der Schrödinger-Vorfahrtstraße.
Weil selbst schildbürgerlichste Juristen und Räte dieses So-weder-als-Noch für einen untragbaren Zustand halten, sollen die Ampeln jetzt aus dem Weg geräumt werden. Unsere Ratsmehrheit schickt sich an, den Behälter zu öffnen. Dann haben endlich alle Klarheit: Die arme Versuchskatze, die eigentlich noch leben könnte, ist danach definitiv mausetot.

Lassen wir das Juristische zunächst außen vor, so wäre ein solcher „Rückbau“ dann vertretbar, wenn man keine Ampeln mehr bräuchte. Man bräuchte sie beispielsweise nicht mehr, wenn endlich alle Eltern zum Wohle der Tankstellenkonzerne und des Klimawandels ihre Kinder täglich mit dem Auto zur Schule führen (beim derzeitigen Trend dauert das sicher noch zwei Jahre). Oder wenn die Senioren für den sicheren Weg zum Lidl eine hohe Stange mit einem Warnblinklicht an ihren Rollator schraubten. Oder wenn sich – deutlich abwegiger als Letzteres – alle Autofahrer in der Kolpingstraße brav an Verkehrsschilder hielten, die für sie aus den Augen und damit aus dem Sinn sind: Die Zonen-Tafeln hängen weit weg, an den Ortseingängen und beim Edeka-Kreisverkehr.

Man bräuchte die Ampeln natürlich auch dann nicht mehr, wenn niemand mehr die Kolpingstraße für eine Vorfahrtsstraße hielte. Um dies auszuschließen, müsste man sehr viel mehr tun als nur vier Ampelmasten zu fällen. Zum Beispiel hülfe gegen die Kolonnen von links kommender Autofahrer, die sich ihre gefühlte Vorfahrt an der Einmündung der Theodor-Heuss-Straße in die Kolpingstraße gerne mal im alle Abstandsregeln missachtenden Konvoi erzwingen, allenfalls der Einbau eines Kreisverkehrs. Ein solcher hat aber in einer 30-Zone so wenig zu suchen wie eine Ampel, eine Haltelinie oder ein Zebrastreifen (außer direkt vor Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und Altenheimen).

Nun zurück zum Juristischen. Wer zuerst (halb) vollendete Tatsache schafft und auf die normative Kraft des Faktischen setzt, respektiert nicht, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Natürlich kann man einen Schwarzbau in die Landschaft stellen und darauf hoffen, dass die zuständigen Amtspersonen beide Augen zudrücken und die Baugenehmigung rückwirkend erteilen. Das soll auch in Kaufering schon geklappt haben. Natürlich kann man als Bundesinnenminister einen verdächtigen Tunesier husch-husch ausliefern und dabei ignorieren, dass ein Gericht das für (noch) nicht für zulässig erklärt hat und dass die Unschuldsvermutung ungeachtet der Nationalität eines Widerlings nur von einem Gericht (dem „rechtmäßigen Richter“) widerlegt werden kann. Aber dann offenbart man das Rechtsempfinden eines erwischten Einbrechers, der anbietet, die eingeschlagene Fensterscheibe mit Tesafilm zu flicken und seine Beute zum Zeitwert zu bezahlen.

Wenn man also wirklich meint, die Kommune müsse an bisherigen Vorfahrtstraßen „rechts vor links“ einführen, weil eine Aufhebung der illegalen Regelung zugleich die schöne Wertsteigerung der anliegenden Häuser („in einer Tempo-30-Zone“ = „ruhige Wohnlage“ = hoher Wohnwert) zunichte machen würde und dies nicht zumutbar sei, muss man die Reihenfolge einhalten.

Hier ein 10-Punkte-Plan, bei dessen Annahme niemand die Abkürzung durch den rechtsfreien Raum nehmen würde:
Schritt 1: rechtmäßigen Zustand wiederherstellen (Vorfahrtstraßen aus der Zone herausnehmen und Vorfahrtschilder wieder aufhängen)
Schritt 2: Verkehrsströme analysieren, insbesondere auf den Wegen zum Bahnhof, den Supermärkten und den Gewerbezonen, etwa vom Kreisverkehr Nord zur Hauswiesenstraße
Schritt 3: auf Basis der Analyse ein Verkehrskonzept erstellen, das a) sicherstellt, dass Feuerwehr und Notarzt nicht wertvolle Zeit verlieren und auch nicht – wie derzeit – gezwungen sind, überall mit Martinshorn zu fahren, b) den ÖPNV nicht als Alibiveranstaltung begreift und c) die Bedürfnisse der Radfahrer berücksichtigt, wobei die selbsternannten Lobbyisten vom ADFC komplett außen vor bleiben müssen, da diese keinerlei Legitimation haben, für „die“ Radler zu sprechen
Schritt 4: bauliche Situation in denjenigen Vorfahrtsstraßen evaluieren, die wirklich keine sein müssen, und den Handlungsbedarf ermitteln – also mögliche Fahrbahnverengungen (die nicht die Rettungsdienste behindern dürfen), Umbauten von Einmündungen oder Kreuzungen sowie das Abholzen oder radikale Zurückschneiden von Bäumen und Hecken, die Straßeneinmündungen verdecken
Schritt 5: erneut prüfen, ob jetzt die Vorfahrtregelung aufgehoben werden kann
Schritt 6: wenn die Prüfung positiv ausfällt, Kosten veranschlagen
Schritt 7: Akzeptanz der Bevölkerung für die Asphalt-Umbauten und Botanik-Kahlschläge eruieren
Schritt 8: ggf. Budget beschließen und Maßnahmen umsetzen
Schritt 9: Vorfahrtregelung aufheben
Schritt 10: Tempo-30-Zone beschließen und umsetzen

Ja, ich weiß, das klingt abschreckend. Wer Lokalpolitik nach dem Floriansprinzip will – Autofahren ja, aber nicht vor meinem Haus – muss da durch.

P.S.: Ich möchte nichts mehr von einem Gewinn für die Verkehrssicherheit durch die Zonenregelung hören oder lesen. Kein einziger Unfall in fünf Jahren hatte laut Polizeistatistik mit einem zu schnell fahrenden Auto zu tun.
P.P.S.: Liebe Frau A. aus der Dr.-Gerbl-Straße, die Sie hier nicht öffentlich kommentieren möchten: Sie glauben, auf dem „Radweg“ an der Kolpingstraße sei es schon immer lebensgefährlich gewesen. Tja, seit es die Supermärkte gibt, hat es dort noch nie einen Radweg gegeben, sondern nur einen Fußweg, auf dem Radfahrer so „schnell“ radeln dürfen, wie sie das Rad schieben könnten. Also Schritttempo. Das nennt sich dann „Fahrrad frei“, was natürlich ein dummer Witz ist und einer Tempo-30-Zone auch nichts zu suchen hat. Aber es ist Tatsache, dass Sie und ich bei unserer normalen Geschwindigkeit die Fahrbahn benutzen müssen (was in einer 30er-Zone übrigens eh die Grundregel ist). Ich wäre dafür, bei Wiederherstellung der Vorfahrt in der Kolpingstraße den Rad-„freien“ Gehweg zu dem umzuwidmen, als was ihn fast alle Radler die ganze Zeit über verstanden haben: in einen kombinierten Rad-Fuß-Weg, der für die Radler benutzungspflichtig ist (Sie kennen das Schild: oben Fußgänger, darunter ein Fahrrad). Nur dann tragen Radfahrer, die an den Ausfahrten von unachtsamen Autofahrern verletzt werden, keinen erheblichen Anteil am Verschulden mehr. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners wird bei der jetzigen Regelung immer versuchen, einem schnellen Radfahrer die Hauptschuld anzulasten, eben weil er seeeehr laaaangsaaaam hätte fahren müssen.

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