Kampf der Konzepte

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tun sich schwer, langfristig und vernetzt zu denken. Daran führt aber kein Weg mehr vorbei: Die Klimaziele des Energiekonzepts für Deutschland sind bis 2050 nur zu erreichen, wenn alles ineinandergreift – und die Strom konzerne sich neu erfinden.

Jean-Rémy von Matt hatte das Agressionspotenzial unterschätzt, das der kleine Trickfilm „Der Energieriese“ freisetzen würde. Der von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt für den RWE-Konzern gedrehte Image-Spot, der im Kino wie auch im TV und im Web lief, enthielt die gleichen harmlosen Zutaten wie ein „Shrek“-Film: idyllische Landschaftskulissen, eingängige Musik und ein liebenswertes Monster, eben der Energieriese.

httpv://youtu.be/OKZ9vswrmjw

Ein paar Monate später, im November 2009, brannte das Auto des prominenten Unternehmers. Angezündet hatten es die selben Leute, die in jener Nacht mit schwarzer Farbe gefüllte Gläser gegen die Fassade des Hauses von Fritz Vahrenholt schmetterten, dem RWE-Manager für Erneuerbare Energien. Ein Bekennerbrief ließ keinen Zweifel aufkommen, dass die Täter dem Agenturchef und dem Ex-Umweltsenator einen Denkzettel verpassen wollten, weil diese sich für etwas hergegeben hätten, das in Umweltschützerkreisen als „Greenwashing“ bekannt ist. Grünfärberei.

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Bremsklotz für Innovationen

Das Europäische Patentamt sollte innovative Unternehmen fördern, nicht behindern. Im Moment hat es aber vor allem mit sich selbst zu tun.

Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund, wenn auch beim zweiten Versuch nichts gelingt. Kommt jemand allerdings beim vierten Anlauf immer noch nicht zu Potte, ist die Grenze zur Peinlichkeit überschritten. Vor diesem Punkt steht gerade das Europäische Patentamt (EPA). Dessen Verwaltungs rat ist seit Oktober 2009 mit nichts anderem beschäftigt, als einen Nachfolger für die derzeitige Präsidentin Alison Brimelow zu wählen. Dreimal gingen die nationalen Emissäre in Klausur, dreimal gab es keinen Sieger, und nur eine verwegene Zockernatur würde viel Geld darauf wetten, dass es beim nächsten Treffen am 1. März besser läuft.

Unterläge das Epa den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, wäre das Problem längst gelöst – sei es per relativer Mehrheit oder per Stichwahl. Doch das Zeremoniell folgt, warum auch immer, katholisch-feudaler Tradition. Wie im Vatikan gucken die Eminenzen ihren neuen Primus bevorzugt „inter pares“ aus, dringt kein Mucks nach draußen, schaut kein Rechnungshof auf die Kosten. „Bremsklotz für Innovationen“ weiterlesen

Seid verschlungen, Millionen

Das deutsche System zur Förderung von Forschung und Entwicklung produziert Masse – und übersieht Klasse.

Deutschlands Keynesianer sind frustriert. Jahrzehntelang kamen sie nicht an gegen den Mainstream der Marktliberalisten. Jetzt hört man ihnen zu, doch es ist zu spät. „Wir könnten heute schlauer sein, wenn Forschungsgelder in der Vergangenheit anders verteilt worden wären“, empörte sich der Hamburger Volkswirtschaftsprofessor Arne Heise kürzlich in den „VDI Nachrichten“. Die Verantwortung sieht Heise bei den Peers – den Wissenschaftler-Kollegen, die als Gutachter und Gremienmitglieder bestimmen, wer Forschungszuschüsse aus der Staatskasse erhält: „Die achten darauf, dass die Gelder nicht an marginalisierte keynesianisch orientierte Ökonomen gehen.“

Ob die Volkswirte-Minorität, die eine stärkere Rolle des Staates propagiert, mithilfe generöser Projekt-Etats tatsächlich ein Patentrezept zur Rettung des Finanzsystems zuwege gebracht hätte, weiß niemand. Wer jedoch solche Vorwürfe als beleidigtes Nachtreten abtut, macht es sich zu einfach. Heise spricht aus, was im Wissenschaftsbetrieb kaum jemand zugibt: Das mehr als 300 Jahre alte Prinzip anonymisierter Peer Reviews ist seinem Anspruch, die Qualität der Forschung durch ein System kollegialer Selbstkontrolle zu gewährleisten, längst nicht mehr gewachsen.

Dass die Art, wie Peer Review in Deutschland praktiziert wird, einem strukturellen Konservativismus Vorschub leistet, ist kein neuer Befund. Gutachter werden danach ausgewählt, dass sie viel vom Fachgebiet des Antragstellers verstehen. Das geht meist nur so lange gut, wie die Ziele des Antragstellers nicht mit der Lehrmeinung des Gutachters kollidieren. Die naheliegende Lösung, eine Berufungsinstanz zu schaffen, ist bei den Professoren unpopulär: Diese Hintertür stünde nicht nur verkannten Querdenkern offen, sondern auch der Masse von Mittelmäßigen, deren minderwertige Anträge zu Recht ausgesiebt wurden. Und noch mehr Arbeit mit dem ehrenamtlichen Job der Peer Review ist das Letzte, was die Hochschullehrer brauchen können. Der Zeitaufwand, den ihnen Förderanträge der Kollegen bescheren, ist in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen eskaliert, dass ihre eigene Arbeit massiv darunter leidet. Parallel dazu wächst das Aufkommen an wissenschaftlichen Publikationen, die irgendwer prüfen muss. Kein namhafter Forscher kann sich der  Verpflichtung entziehen, als Mitglied des Herausgeberbeirats eines renommierten Zunftblattes fremde Forschungsberichte durchzuackern.

Vollends absurd wird das System dadurch, dass für die Forschungsevaluation auf dem Campus viel strengere Maßstäbe gelten als außerhalb. Während die in „Exzellenz“-Wettläufe gezwungenen Unis ihre besten Leute in wahren Evaluationsorgien verschleißen, fließen unter viel laxeren Bedingungen ungleich höhere Summen in die F&E-Abteilungen der Industrie. So sponsert das Bundeswirtschaftsministerium in einem „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ derzeit „technologieoffen“ alle möglichen Projekte, die irgendwie nach Fortschritt klingen. Hauptsache, der Antragsteller trägt zwei Drittel der Kosten selbst. Das Bundesforschungsministerium wiederum delegiert die Verteilung seiner Fördermilliarden traditionell an Projektträger, deren Sachbearbeiter einen großen Entscheidungsspielraum genießen. Und auch beim industriefreundlichen 7. Forschungs-Rahmenprograrnm der EU geht es lockerer zu als im deutschen Wissenschaftsbetrieb: Als Evaluator kann sich jeder Europäer bei der Kommission bewerben; die von den Brüsseler Beamten für kompetent und proporzkonform befundenen Experten erhalten im Gegensatz zu den ehrenamtlichen Peers der Deutschen Forschungsgemeinschaft sogar eine Aufwandspauschale von 450 Euro pro Tag.

In Deutschland gilt eine Bezahlung der Reviewer-Jobs als nicht finanzierbar. Das Selbstverständnis der Peers verlangt aber ohnehin nach einer anderen Entlohnung: Respekt, Reputation und frei verfügbare Zeit sind den Wissenschaftlern wichtiger. Vielleicht liegt der Schlüssel in einer Öffnung der hermetischen Forscherwelt, wie sie das Open -Access-Lager forciert. Bei der „Collaborative Peer Review“ stellen Forscher ihre Ergebnisse im Internet zur Diskussion. Eine junge Avantgarde hofft, so die Zwänge des Publish-or-perish-Prinzips – publizieren oder untergehen – zu überwinden: Gutachter dürfen aus der Anonymität heraustreten und mit konstruktiven Kommentaren Renommeepunkte sammeln. Überflüssigen Alibi-Publikationen mit marginalem Erkenntnisgewinn, die sowohl Autoren als auch Reviewern Zeit stehlen, würde der Boden  entzogen. Zugleich hätten etablierte Platzhirsche weniger Macht, neues Denken auszubremsen.

Der Charme dieser Idee reicht weit über die professoralen Ranking-Rituale hinaus, bei denen heute Omnipräsenz vor Kompetenz kommt. Wenn sich die Forscherelite nicht mehr im Leerlauf aufreiben muss, hat sie die Köpfe frei, um sich auf neue Ideen einzulassen – und über wirklich innovative Projektvorschläge der Hochschulkollegen mit der gebotenen Gründlichkeit und Unvoreingenommenheit nachzudenken. Vielleicht kommen unsere Akademiker bei der Gelegenheit sogar auf den ketzerischen Gedanken, dass die Verpflichtung zur Drittmittelakquise sie in fatale Abhängigkeiten geführt hat. Womöglich wäre es ja umgekehrt sinnvoll, künftig die aus Steuermitteln bezahlten Experten zu Rate zu ziehen, bevor der Staat der Industrie Milliarden für angeblich zukunftsweisende Technologie-Vorhaben zuschießt. Dass die Wirtschaft ihr Kapital nicht immer weise investiert, haben wir schließlich erlebt.

Erschienen in Technology Review 5/2009

Wir lieben teuer

Sitzen Sie bequem? Nein? Entspannen Sie sich lieber. Es könnte richtig schön ungemütlich werden auf den nächsten 157 Zeilen, da sollte man sich nicht auch noch verkrampfen. Wir haben uns nämlich entschlossen, Ihnen ein paar Zähne zu ziehen, Ihre billigen Illusionen kaputt zu machen, Ihnen die Hölle wenn nicht geothermisch heiß zu machen, so doch wenigstens einmal prophylaktisch vor Augen zu führen, lieber Herr Westerwelle!

Zeichung: Erik Liebermann

Dass Sie da jetzt durch müssen (und mit Ihnen all jene, die Ihnen spontan applaudiert haben wie Haus + Grund und Mieterbund), verdanken Sie jener Äußerung, mit der Sie Ende März eine ganz andere Zukunft der Energie entworfen haben, als nicht nur wir sie sehen, sondern auch als all die Experten, auf deren Sachverstand wir zählen. Oder als andere Leute, die einfach noch die Grundrechenarten beherrschen. Es war eine Äußerung, die uns zunächst vermuten ließ, Sie wollten sich einen Spaß machen, wollten uns auf den Arm nehmen. Nur eben – wie es sich für einen bekennenden Avantgardisten, Oppositionellen und Marketingprofi geziemt – rechtzeitig vor dem 1. April, an dem man auch mit dem hanebüchensten Unsinn nicht weiter auffiele.

Leider sprechen die Indizien dafür, dass Sie es diesmal tierisch ernst meinten, als Sie nicht nur sagten, „bezahlbare“ Energie sei ein „Grundbedürfnis“ des Menschen, sondern daraus quasi noch eine Art Grundrecht der Deutschen ableiteten, auf Gas, Strom und Öl zwölf Prozentpunkte weniger Mehrwertsteuer bezahlen müssen zu dürfen als auf Apfelsaft, Stützstrümpfe oder Insulin.

Da es sich beim Benzinpreis oder Gastarif um den „Brotpreis des 21. Jahrhunderts“ handele, soll also der traditionell beim Bäcker geltende Steuersatz von sieben Prozent auch an der Tankstelle und im Heizungskeller zur Anwendung kommen. „Wir lieben teuer“ weiterlesen

Alle Augen auf GERD

Die Bundesregierung möchte deutlich mehr Geld für die Forschungsförderung ausgeben. Wichtiger wäre aber eine Reform der Vergabepraxis: Das aktuelle System ist kaum zu durchschauen und begünstigt die Großunternehmen

Hagen Vogel hat dem Gros der deutschen Mittelständler etwas voraus: Sein Unternehmen bekommt Geld aus einem Fördertopf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Warum auch nicht, schließlich leistet er laut der offiziellen Statistik einen Beitrag zur „Forschung und Entwicklung zur Daseinsvorsorge“. Konkret besteht Vogels Aufgabe darin, die Teilnehmer von bildungspolitischen Sitzungen mit belegten Brötchen zu versorgen. Dafür sind für den Inhaber der „Berliner Backstuben“ im Rahmen des „Pakts für Hochschulen“ Fördermittel von 575 Euro über zwei Jahre vorgesehen.

Vogel hat nach eigenem Bekunden keine Ahnung, wie er in den Augen des Ministeriums vom Schrippenlieferanten zum Zukunftssicherer werden konnte. Damit ist er einerseits völlig untypisch – normalerweise müssen sich Förderwillige höchst bewusst durch Formulare arbeiten, bevor sie auf Geld vom Staat hoffen können. Andererseits ist Vogels Beispiel zwar extrem, aber durchaus reprasentativ für die deutsche Förderlandschaft: Wer sich näher mit ihr beschäftigt, stößt auf zweifelhafte Projekte und Mogelpackungen. „Alle Augen auf GERD“ weiterlesen