Minister als Web-Missionar

Werner Müller. Der Wirtschaftsminister ruft die Landbevölkerung in die Kirchen – zum Online-Dienst.

Deutschland geht online. Ganz Deutschland? Nein, an der Ostsee, im Schwarzwald und im Norden des Freistaats Sachsen widersetzen sich störrische Landbewohner der „digitalen Integration der Gesellschaft“, wie es im Wirtschaftsministerium heißt: Viele Dörfler tun laut Statistik so, als ginge sie T-Online, AOL und Ebay nichts an.

Dieser Missstand ließ Werner Müller keine Ruhe, stört er doch dessen  ehrgeizigen Plan, ‚ „Deutschland in der globalen Entwicklung zur Informationsgesellschaft an der Spitze zu positionieren“. Verbündete für seinen Kreuzzug gegen das Stadt-Land-Gefälle beim E-Business fand der parteilose Politiker in den Kirchen. So klappert jetzt ein Tross von Internet-Spezialisten die Gemeindehäuser von 60 Ortschaften ab, um den Web-Agnostikern mit Beistand des Pfarrers die Angst vor den Abgründen des Netzes zu nehmen. Motto der Müller-Road-Show: Mission Internet.

An jeweils drei Aktionstagen sollen sich Hausfrauen, Senioren und arbeitslose Jugendliche ein Bild von den Vorzügen des WWW machen. Finden sich lokale Sponsoren, ist geplant, das kostenlose „Internet für alle“ zur Dauereinrichtung zu machen.
An Deutschlands „Digital Divide“ wird Müllers Werbekampagne für die Online-Dienste jedoch wenig ändern: Für schnelle ADSL-Zugänge mit ihren billigen Flatrates fehlt es in dünn besiedelten Regionen vielfach an den technischen Voraussetzungen. UJF

D-DIVIDE Nach Ansicht von Soziologen teilt eine „digitale Wasserscheide“ (D-Divide) die Menschheit: Nur eine privilegierte Minderheit hat billigen Zugang zu allen Informationen.

Erschienen in BIZZ 10/2001

Menschen unter Strom

Wehrhafte Deutsche machen mobil. Die Feinde stehen im eigenen Land. Von Geldgier getrieben überziehen sie Stadt und Dorf mit der Pest des 21. Jahrhunderts. Sie bringen mittels flächendeckender Mikrowellenstrahlung Krankheit, Tod und Verderben über Mensch und Vieh.

Weit über 50 Millionen Mitbürger sind schon hereingefallen auf die Propaganda der Missetäter und ihrer Komplizen in den Behörden – und fördern durch Benutzung eines digitalen Funktelefons das gemeingefährliche Treiben von Telekom und Vodafone, E-Plus und Viag Interkom. So weit die Propaganda der Rebellen.

Der Konflikt zwischen Mobilfunkgegnern und Netzbetreibern trägt längst Züge eines Glaubenskrieges – ein Handy-Dschihad, mit hohem Adrenalinpegel, ausgetragen in Bürgersälen, auf Leserbriefseiten und im Netz. Zum Einsatz kommen alle Waffen der modernen psychologischen Kriegsführung: Demagogie, Desinformation, elektronische Pranger für mutmaßliche Verdächtige, lokale Wirtschaftsembargos, Public-Relations, Werbung, Sponsoring. In manchen Gemeinden, speziell in Süddeutschland, fehlt mittlerweile zum echten Bürgerkrieg nur noch die physische Gewalt: Geschäftsleute, die Dächer oder Grundstücke als Standorte für Basisstationen an Telefonfirmen verpachten wollen, werden mit Boykottaufrufen zur Räson gebracht. Wer schon unterschrieben hat, wird massiv bedrängt, den Pachtvertrag anzufechten. Die in die Defensive gedrängten Firmen reagieren, indem sie sich auf baugenehmigungsfreie Standorte konzentrieren, in aller Heimlichkeit verhandeln und ihre Sendeantennen mit erstaunlicher Raffinesse vor den Blicken der Handygegner tarnen – was ihnen wiederum den wenig überraschenden Vorwurf der arglistigen Täuschung einträgt. „Menschen unter Strom“ weiterlesen

Stördaten gegen Hobby-Piraten

Musikindustrie. Mit ihrem Kampf gegen Raubkopierer bestrafen die Platten-Labels ihre ehrliche Kundschaft.

 

Der Multimedia-PC ist eine geniale Erfindung: Computer, Fernseher und CD-Player in einem. Wer sein Notebook auf Reisen mitnimmt, kann den Walkman daheim lassen; ein Kopfhörer genügt.

Aus und vorbei. Ausgerechnet die Musikindustrie dreht das Rad des Fortschritts zurück: Schiebt der Musikfreund heute eine brandneue Silberscheibe ins PC-Laufwerk, hört er entweder gar nichts oder ein ohrenbetäubendes Rauschen. Der Grund: Die Musik-Labels beginnen, auf ihren CDs Stördaten unter die Songs zu mischen – Bit-Folgen, die in einem normalen Audio-Player unhörbar sind, aber CD-ROM-Laufwerke aller Art aus dem Rhythmus bringen.

Was Computerfreunde als unfreundlichen Akt werten – sie zahlen den gleichen Preis für die Ware, haben aber weniger Nutzen davon – ist aus Sicht der Platten-Labels unabwendbare Notwehr. Die Branche leidet unter dramatisch zunehmender Schwarzbrennerei. Mehr als 15 Millionen Deutsche, so eine Studie der GfK Marktforschung in Nürnberg, nutzen Computer mit CD-Writer. Das mit Abstand beliebteste Einsatzgebiet der Geräte: Kopieren von Musik.

CDs nach Hausmacher-Art sind in Deutschland viel populärer als Internet-Tauschbörsen, die bisherigen Hauptfeinde der Plattenbosse. Im vergangenen Jahr luden sich zwar vier Millionen PC-Besitzer bei Napster & Co. Hits aus dem Netz. Aber 13 Millionen Digitalheimwerker füllten mehr als 130 Millionen CD-Rohlinge zum Stückpreis von nur zwei Mark mit Musik. Damit sparten sie mehr als drei Milliarden Mark im Vergleich zum Kauf von Original-CDs im Laden, „Stördaten gegen Hobby-Piraten“ weiterlesen

Porträt: Der Bär von Redmond

Microsoft-Chef Steve Ballmer macht sich nie wichtig. Warum auch? Seit 20 Jahren ist er unersetzlich beim Software-Weltmarktführer.

Connie Ballmer hätte allen Grund zur Eifersucht. Steve, ihr Göttergatte, liebt nicht nur sie und ihre drei Söhne. Er hat noch eine Flamme nebenher. Seit die Kinder auf der Welt sind, verbringt er zwar ein Drittel weniger Zeit bei dieser – so etwa 60 Stunden pro Woche. Aber bis er 50 wird, also 2006, hat Steve Ballmer keinerlei Absicht, an dieser intensiven Liaison etwas zu ändern. Steves Gefühle sind so stark, dass er sie manchmal vor versammelter Mannschaft, sprich: vor seinen Untergebenen bei Microsoft, hinausposaunt: „Ich liebe diese Firma!!!!“ Wobei vier Ausrufezeichen nötig sind, um nur ansatzweise einen Eindruck von der Stimmgewalt zu vermitteln, die diesem massigen Gefühlspaket von einem Mann zu Eigen ist.

Beklagen kann sich Mrs. Ballmer wegen ihrer Konkurrentin nicht. Als frühere PR-Expertin bei Microsoft musste Sie schon von Berufs wegen wissen, worauf sie sich – abgesehen von einer ultimativen finanziellen Sicherheit – einließ, als ihr der Top-Manager und drittgrößte Aktionär des mächtigsten IT-Unternehmens der Welt die Ehe antrug. „Porträt: Der Bär von Redmond“ weiterlesen

Porträt: Dr. Sommers Beisitzer

Thomas Holtrop leitet ganz leise Europas größten Internet-Provider T-Online.

Neun mal „klick!“. Nicht mal ein Film. Nach zwei Minuten hat das Motiv vom Posieren genug. Ohne weiter auf den Mann hinter der Kamera zu achten, macht sich Thomas Holtrop aus dem Staub. Hält sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln auf. Schert sich nicht um den ungläubig staunenden Fotografen, den verdatterten Kameraassistenten, den verdutzten Reporter oder um seine eigene, vor Verlegenheit rosarot anlaufende Pressesprecherin. Eilt zurück in den Festsaal von Kastens Hotel Luisenhof in Hannover, wo sein Boss Ron Sommer gerade die letzten Journalisten abschüttelt, und reiht sich in den Hofstaat ein.

„So etwas ist mir noch nie untergekommen“, entfährt es dem unerwartet arbeitslosen Fotomann, der im Foyer eigens eine Studioblitzanlage aufgebaut hatte, um den Vorstandsvorsitzenden von T-Online nach der Cebit-Pressekonferenz ins rechte Licht zu rücken. Auf den Schreck einen Espresso in der Hotelbar. „Das war die kürzeste Session in meiner ganzen Karriere.“ Zweifellos. Wenn Konzernbosse sich ablichten lassen, bringen sie sonst ein Mindestmaß an Zeit und Geduld mit. Damit nachher auch garantiert ein Schuss auf der Rolle ist, auf dem sie so rüberkommen, wie sie sich selbst am liebsten sehen: vorteilhaft, souverän, entspannt. Die Augen offen, die Mundwinkel nicht verkrampft. Unter 36 Bildern klappt das selten.

Nicht so bei Holtrop. Als der Film entwickelt ist, beruhigt sich der Fotograf wieder. Guckt der Kerl dem Betrachter doch derart professionell ins Gesicht, als hätte er nie in seinem Leben etwas anderes gemacht. Perfekte Pose, freundliches Pokerface. Adrett im dezenten Anzug. Würde bei einem Casting in entsprechender Kleidung ebenso gut als Ex-Boxer oder gereifter Fitnesstrainer durchgehen. Leicht melancholische Hundeaugen kompensieren das Harte an seinem kantigen Schädel. Wo hat er den Blick bloß gelernt? „Porträt: Dr. Sommers Beisitzer“ weiterlesen