Online-Dienste: Total blockiert

Das Internet stellt den Erfolg der neuen Angebote schon jetzt in Frage. Denn: Wer will freiwillig die Gebühren zahlen?

WirtschaftsWoche Nr. 42/1995

Der Ort der Party war mit Bedacht gewählt. Nirgendwo hätte Apple den Neustart seines bislang glücklosen Online-Dienstes eWorld besser zelebrieren können als im Cybersmith Café, dem trendigen Treffpunkt computerbesessener Harvard-Studenten. Doch wer erwartet hatte, der kalifornische Computerkonzern werde an diesem Abend in Cambridge ein Füllhorn raffinierter Interaktiv-Dienste öffnen, sah sich getäuscht. Marketingvorstand Daniel Eilers hält es nämlich für sinnvoller, dem Publikum den bislang ziemlich steinigen Weg ins World Wide Web (WWW), den wichtigsten Dienst im Internet, zu ebnen, als sich selbst mit der aufwendigen Entwicklung von Inhalten abzumühen: „In einem Jahr wird der Name Apple ein Synonym fürs Internet sein.“

An solchen Synonymen wird es im kommenden Jahr gewiß nicht mangeln. Ohne Internet-Zugang traut sich nämlich kein Online-Dienst mehr auf den Markt. Weil dieses Netz mit weitem Abstand die meisten Nutzer hat. Die beiden Hauptrivalen auf dem internationalen Parkett, America Online (AOL) und Compuserve, machten den Anfang: Sie bieten ihren jeweils etwa dreieinhalb Millionen Mitgliedern seit ein paar Monaten kostenlosen Zutritt zum WWW.

Vor wenigen Wochen zog die Deutsche Telekom nach: Eine Million CD-ROMs mit der neuen, internet-tauglichen T-Online-Decodersoftware (T-Online ist der neue Name für Datex-J, ehemals Btx-Bildschirmtext) will das Staatsunternehmen allein in Deutschland unter die Leute bringen. Auch bei den Newcomern Microsoft Network und Europe Online sind WWW-Zubringer in Vorbereitung.

Ob diese Strategie den Anbietern wirklich mehr nützt als schadet, ist noch keineswegs sicher. Immerhin signalisieren sie mit der Öffnung ins Internet, daß nicht einmal sie selbst die eigenen Angebote für genügend attraktiv halten. Derzeit ist diese versteckte Botschaft bei den Nutzern allerdings noch nicht angekommen. Die Nutzungsrate bei den drei etablierten Diensten ist so groß, daß aus den Modems zu Spitzenzeiten immer öfter das Besetztzeichen tutet.

Eigentlich dürfte das struppige, schwer zu erschließende Datendickicht des Internet für einen klar gegliederten, professionell auf Nutzwert getrimmten Dienst überhaupt keine Konkurrenz darstellen. Doch weit gefehlt: Am Streit über die Frage einer Öffnung zum Internet droht die luxemburgische Holding Europe Online S.A. (EO) zu zerbrechen. Arnaud Lagardère, Generaldirektor des französischen Teilhabers Matra-Hachette-Multimedia, hatte sich schon Anfang des Jahres auf der Medienmesse Milia in Cannes als Internet-Enthusiast geoutet. Jetzt gestand er dem Wirtschaftsblatt „Les Echos“, daß er das Joint Venture seines Hauses mit dem deutschen Burda-Verlag im nachhinein für eine Schnapsidee hält: „Es ist töricht, einen geschlossenen Online-Dienst aufzubauen.“ Lieber heute als morgen würde der Unternehmer, Sproß des Pariser Rüstungsmagnaten Jean-Luc Lagardère, seinen Anteil an EO wieder loswerden. Arnauds neuestes Projekt ist ein eigenes Netz von Internet-Einwählknoten in Frankreich.

Auch der britische Partner bei Europe Online sucht das Weite. Die Verlagsgruppe Pearson Plc., zu der unter anderem die „Financial Times“, der Buchverlag Penguin und diverse Fernsehanteile gehören, kündigte jetzt eine „plattformneutrale“ Entwicklung ihrer multimedialen Inhalte an. Im Klartext heißt das: Die geplante interaktive Ausgabe der „Financial Times“ wird auch im Microsoft Network und im Internet vertreten sein. Ableger Penguin tut ein übriges und baut in England ein Netz von Internet-Zugängen, sogenannten Points of Presence, auf. Damit ist die ursprüngliche Idee, mit Europe Online ein multikulturelles Netz mit exklusiven Inhalten zu etablieren, endgültig gestorben.

Während Burdas New-Media-Manager Oskar ((Prinz)) von Preußen im Schulterschluß mit dem Axel Springer Verlag versucht, Europe Online als rein deutschen Dienst zu retten, kämpft das amerikanische Vorbild derzeit mit Problemen ganz anderer Art. America Online, dessen deutsche Version der Medienmulti Bertelsmann rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft präsentieren will, muß sich des Vorwurfs erwehren, ein Tummelplatz für Sittenstrolche zu sein. Seit das FBI ein Dutzend AOL-Teilnehmer unter dem Vorwurf verhaftet hat, online Kinderpornos verbreitet und Sex mit Minderjährigen vermittelt zu haben, tobt in den USA ein erbitterter Meinungsstreit darüber, ob der Betreiber eines Datennetzes für solche kriminellen Machenschaften seiner Kunden geradestehen muß.

Setzen sich die Hardliner durch, müßte AOL die digitalen Nachrichten seiner Mitglieder lückenlos überwachen, den heute üblichen Gebrauch von Pseudonymen verbieten und jedem die Leitung kappen, der Schweinkram durchs Modem schickt – dazu müßte allerdings ein Zensurgremium eingeführt werden.

Der scheinbar skurrile Konflikt könnte ernste wirtschaftliche Konsequenzen haben. Wenn die Kunden  nicht mehr unerkannt und ungestraft ihre Meinung über Gott und die Welt verbreiten können, ist das AOL-Netz für viele nicht mehr interessant. Chairman Steve Case beruft sich deshalb wacker auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Wenn die Post einen Erpresserbrief befördere, ließ er verbreiten, werde ja auch nicht der Postminister verhaftet.

Angesichts solcher Streßfaktoren kommen die Online-Manager kaum noch zu ihrer wichtigsten Aufgabe: ihrem jeweiligen Dienst ein unverwechselbares Profil zu verschaffen. Wenn die Inhalte austauschbar werden und auch ein billiger Internet-Zugang zum normalen Lieferumfang gehört, bleibt zur Differenzierung nur noch das Instrumentarium der Waschmittelwerber: Nicht der Beste gewinnt, sondern derjenige, der bei seiner Zielgruppe das beste Image aufbaut – und der seine Ware am auffälligsten anpreist.

Spätestens zur Weihnachtszeit dürfte die Werbeschlacht um neue Online-Kunden voll losbrechen. Die Telekom nutzt die Zeit bis dahin aus, um ihren Vorsprung auszubauen: Die angriffslustige Marketingagentur 1&1 Direkt GmbH aus Montabaur soll T-Online jetzt als Internet-Zugang für jedermann anpreisen. Ab acht Mark im Monat ist er zu haben.

Als einziger Dienste-Anbieter kann sich die Deutsche Telekom eine solche Niedrigpreispolitik leisten, denn bei jedem Ausflug ins Netz läuft der Telefongebührenzähler mit. Und damit sich das Geschäft noch mehr lohnt, wird der Ortstarif zum 1. Januar an die neuen Anforderungen angepaßt. Wer nur kurz telefoniert, zahlt ebensoviel wie heute. Wer dagegen, wie es üblich ist, länger durch das Netz der Telekom oder anderer Anbieter surft, wird dann kräftig zur Kasse gebeten. Ein einstündiger Ausflug, heute für höchstens 2,30 Mark zu haben, kann dann bis zu 4,80 Mark kosten.

Ulf J. Froitzheim

Lange Leitung

Für Technikfreaks ist sie der letzte Schrei: die Do-it-yourself-Buchung am eigenen PC. Für eilige Geschäftsreisende sind die meisten Online-Offerten allerdings eine zeitraubende Zumutung.

Wenn ein Ressort der Deutschen Bahn AG den Firmenslogan „Unternehmen Zukunft“ wirklich verinnerlicht hat, dann der Geschäftsbereich Vertriebssysteme. Zu einer Zeit, da selbst absolute Computerlaien die Modeworte Online, Internet und Cyberspace mit Innovation gleichsetzen, verlegen die Frankfurter Eisenbahner zu jedem erreichbaren PC einen virtuellen Gleisanschluß. „Lange Leitung“ weiterlesen

Dreißig Kanäle voll

Redaktion und Druckerei sind örtlich entzerrt. Doch der Datentransfer hat noch Tücken.

Im traditionsreichen Münchner Pressehaus Bayerstraße, einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt, ging unlängst eine Ära zu Ende. Eine Abbruchkolonne rückte an, um die alten Rotationsmaschinen abzuwracken, auf denen jahrzehntelang der „Münchner Merkur“ und das Boulevardblatt „tz“ gedruckt worden waren. Jetzt bekommen die Käufer und Abonnenten ihre Morgenlektüre aus einer modernen Druckerei im Norden der Stadt. Wie bei den Konkurrenzblättern „Süddeutsche Zeitung“ und „Abendzeitung“, die bereits seit Mitte der achtziger Jahre am Stadtrand produziert werden, dürfen Journalisten und Anzeigenverkäufer in der City bleiben.

Die Auslagerung der Druckereien von teuren Innenstadtlagen in verkehrsgünstig gelegene Gewerbegebiete ist bei Großstadtzeitungen mittlerweile fast die Regel. Die räumliche Nähe zur Produktion ist unnötig geworden, weil die Druckerei ohnehin keinen nennenswerten Einfluß mehr auf das Endprodukt hat: Die Zeitungsseiten entstehen komplett am Redaktionscomputer und werden per Datenleitung, Richtfunk oder Satellit druckfertig an die Rotation gebeamt.

Nur auf diese Weise konnte jetzt etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ mit einer aktuellen internationalen Ausgabe ein Replacement in Deutschland starten. Die fertigen Seiten werden abends per Satellit von Zürich nach Passau übertragen, gedruckt und versandt. Auch der Heidelberger Springer Verlag hat seine Produktion per Satellit entkoppelt: Satzarbeiten für die meisten Bücher und Zeitschriften erledigen Niedriglohnarbeiter im indischen Bangalore, die erfaßten Texte landen auf dem Umweg übers Weltall zur Weiterbearbeitung in den Springer-Rechnern.

Die vergleichsweise preiswerte ISDN-Technik, das in Europa bevorzugte Übertragungsmedium für digitale Daten, hat allerdings ihre Tücken. So ist das Digitalnetz, das die Telekom auf herkömmlichen Telefonleitungen betreibt, mit seiner Bandbreite von 64 Kilobit pro Sekunde den Datenmengen des Verlagsgewerbes kaum gewachsen. Ohne Kunstgriffe würde das Senden einer durchschnittlich bebilderten Zeitungsseite – etwa fünf Megabyte – über zehn Minuten dauern, und das lediglich in Schwarzweiß. Eine üppig illustrierte Vierfarbseite wäre mehr als eine Stunde unterwegs.

Um die Übermittlungszeit zu reduzieren, komprimieren die Verlage ihre Dateien für den Versand. Im Idealfall läßt sich damit die Transferzeit um 85 bis 90 Prozent verkürzen. Zusätzlich Tempo gewinnen die digitalisierten Seiten durch die Parallelschaltung mehrerer ISDN-Kanäle. Wer sich von der Telekom einen sogenannten Primärmultiplex-Anschluß mit 32 Kanälen installieren lässt, kann auf dieser Datenautobahn die Breite der Fahrspuren nach Gusto variieren – also beispielsweise vier Datenpakete auf je acht Kanäle aufteilen und simultan verschicken.

Der Axel Springer Verlag AG reicht selbst das noch nicht. Weil Telefonnetze manchmal überlastet sind und sehr viel Geld auf dem Spiel steht, verläßt sich der Hamburger Medienkonzern lieber auf eine Kombination aus dem neuen Telekom-Dienst Datex-M und fest angemieteten Transponder-Kapazitäten auf dem Fernmeldesatelliten Kopernikus. „ISDN“, so Ono Grudzinski, bei Springer zuständig für die technische Planung im Bereich Druckvorstufe, „ist für uns sekundär.“

Dabei ist das schnelle Datex-M, die deutsche Adaption der „Metropolitan Area Network“-Technologie mit maximal 140 Megabit pro Sekunde, den Regionalredaktionen der „Bild-Zeitung“ vorbehalten, die schon den elektronischen Ganzseitenumbruch eingeführt haben. Seiten mit großflächigen Inseraten funken die Hamburger als Faksimile per Satellit an die verschiedenen Druckorte. ISDN spielt im Springerschen Datenübertragungskonzept nur die Rolle der Rückversicherung: Sollte Kopernikus versagen oder ein Bagger ein Datex-M-Kabel zerfetzen, stellt das digitale Telefonnetz sicher, daß des Deutschen liebste Kaufzeitung doch noch an die Kioske kommt. Allein für diese Backup-Lösung hat sich Springer vom Berliner Systemhaus Teles GmbH vier Multiplex-Anlagen mit je 30 Nutzkanälen installieren lassen. Dennoch lassen diese 120 Datengleise, die ursprünglich für Videokonferenzen vorgesehen waren, insgesamt nur etwa 6,4 Megabit Daten pro Sekunde passieren.

Die Anbieter von ISDN-Lösungen für das Verlagswesen sehen trotz solcher technischen Beschränkungen optimistisch in die Zukunft. Denn die Aufrüstung auf die schnelle Glasfasertechnik ATM (asynchroner Transfermodus) ist Experten zu folge kein Problem. „Schmalband-ISDN mit 64 Kilobit ist lediglich der Anfang“, weiß Hansjörg Troebner, Geschäftsführer des Softwarehauses High Soft Tech (HST) aus Bremerhaven, „es kann künftig nahtlos in Datenautobahnen wie Breitband-ISDN auf ATM-Basis integriert werden.“

Zudem werden über kurz oder lang auch die Anzeigen nicht mehr als Filmvorlage, sondern elektronisch angeliefert werden. „Von der volldigitalen Zeitschriftenproduktion“, glaubt Karl-Heinz Stehle, technischer Leiter beim Systemhaus Audiocom GmbH in Augsburg, sind wir nur noch ein Jahr entfernt.“

Hinzu kommt eine europaweite Verzahnung der Verlags- und Druckindustrie. Druckaufträge für Zeitschriften, Kataloge und Broschüren werden schon heute grenzüberschreitend vergeben. Konzerne wie Burda, Bauer oder Gruner & Jahr lassen längst nicht mehr alle Objekte in Deutschland drucken. Speziell in Holland und Frankreich läuft viel deutschsprachige Ware durch die Druckmaschinen. Und wenn schon das Fertigprodukt über weite Strecken mit dem Lkw transportiert werden muß, reduziert der Druckdatenversand per ISDN wenigstens die Vorlaufzeit. Die entspricht nämlich bei so manchem Hochglanzmonatstitel noch längst nicht den Maßstäben der multimedialen lnformationsgesellschaft: Vom Anzeigen- und Redaktionsschluß bis zum Erscheinen vergehen mitunter noch sechs Wochen.

Ulf J. Froitzheim

aus der WirtschaftsWoche 19/1995

Digitales Kino: Brillante Bilder

Computer verdrängen das Zelluloid. Verleiher schicken Filme per Glasfaser.

WirtschaftsWoche 42/1994

Hollywood mutet seinen Schauspielern oft eine Menge zu. Mal müssen sie sich spindeldürr hungern, dann sollen sie sich einen Wanst anfressen oder eine Glatze scheren lassen. Der Darsteller Gary Sinise mußte sich für den Film „Forrest Gump“ sogar ein Bein amputieren lassen. Zumindest erscheint es dem Zuschauer so. Die Operation wurde freilich nicht von Chirurgen ausgeführt, sondern von Special-Effect-Virtuosen bei Industrial Light & Magic (ILM), einem Unternehmen der Lucasfilm-Gruppe.

Den Lorbeer für diesen neuen Coup teilt sich ILM mit dem Computerhersteller Silicon Graphics Inc. (SGI), der dem Trickstudio stets die neuesten Grafikrechner liefert. Seit ihrer Zusammenarbeit bei der Produktion des Kassenschlagers „Jurassic Park“ arbeiten beide Unternehmen im Team – im Rahmen des Entwicklungsprojekts „Joint Environment for Digital Imaging“ (Jedi). Dabei digitalisiert ein schneller, hochauflösender Scanner Filmsequenzen, die auf normalem Negativmaterial gedreht sind; wenn die Bilder am Computermonitor fertig manipuliert, kombiniert und retuschiert sind, belichtet sie die Maschine direkt auf eine Negativfilmrolle, die dann ganz konventionell ins Kopierwerk geschickt wird.

Die Methoden der Jedi-Ritter erobern weltweit das Filmgewerbe. Zunehmend entdeckt die Branche die Vorteile der Digitalisierung. Die Bits und Pixels, in die der Film fast schon routinemäßig zerlegt wird, sind nämlich als Rohmaterial wesentlich vielseitiger einsetzbar als altmodisches Zelluloid. Erfolgsregisseur Steven Spielberg beispielsweise ließ sich die „Jurassic Park“-Sequenzen mit den computergenerierten Sauriern von der kalifornischen Telefongesellschaft Pacific Bell (PacBell) elektronisch an die europäischen Drehorte von „Schindlers Liste“ nachsenden. Am Bildschirm konnte der Regisseur prüfen, ob seine Anweisungen richtig umgesetzt worden waren.

Seit wenigen Monaten haben auch Europas Filmproduzenten Zugriff auf die neue Bearbeitungstechnik. Die Kinotechnik-Gruppe Arnold & Richter (Arri) in München hat als erster Dienstleister einen „Cineon“-Rechner von Kodak angeschafft. Dabei handelt es sich um die konsequente Weiterentwicklung des digitalen Bildverarbeitungssystems „Premier“ von Kodak, das vor vier Jahren erstmals manipulierte Standbilder als Pseudo-Originale auf 35-Millimeter-Film ausgeben konnte.

Der Computer setzt sich auch im Kino durch. Die texanische Spectradyne Inc., die weltweit über 700.000 Hotelzimmer mit Spielfilmen versorgt, schafft derzeit in Amerika die Videokassette ab. Bei dem Projekt, an dem auch der Dienstleistungsmulti EDS Electronic Data Systems Corp. beteiligt ist, werden die Hollywood-Streifen zentral in Plano bei Dallas digitalisiert, komprimiert, archiviert und per Satellit an die Vertragshotels von Spectradyne übertragen. Dort entschlüsseln schnelle Silicon-Graphics-Computer die Signale und speichern die Filme auf großvolumigen Festplatten.

Vorteil der Digitaltechnik: Der Gast kann sein Programm individuell starten. Das System stürzt auch dann nicht ab, wenn 32 Hotelgäste gleichzeitig denselben Kinohit abrufen. Damit erspart sich Spectradyne das zeitraubende Kopieren und Ausliefern unzähliger Videobänder sowie die Wartung der Recorder. Außerdem können die Hoteliers eine größere Auswahl bieten und schneller auf eine veränderte Nachfrage reagieren.

Künftig könnte auch noch die Digitalisierung bei EDS entfallen, wenn das Material dort bereits mit 45 Megabit pro Sekunde als Datenstrom einträfe. PacBell bastelt gemeinsam mit dem französischen Elektronikkonzern Alcatel am „Kino der Zukunft“, wie das Projekt offiziell heißt. Die Basistechnik stammt aus der Fernsehbranche: das hochauflösende Fernsehen HDTV. Während sich Medienexperten in Europa, Amerika und Japan endlose Debatten um künftige Ausstrahlungsnormen liefern, hat PacBell mit einem HDTV-Prototyp bereits die Grenzen des Heimempfängers überschritten und die neueste Version des Films „Dracula“ in ein Kino übertragen. Dort projizierte ein hochauflösender TV-Projektor („Beamer“) den Gruselfilm auf eine große Leinwand.

Die Belieferung der Lichtspielhäuser per Glasfaserkabel soll in wenigen Jahren das Kopieren von Filmrollen überflüssig machen. Zudem würde der fortgeschrittene Videoverteildienst ABVS (Advanced Broadcast Video Service) jeden Kinobesitzer in die Lage versetzen, sein Programm beliebig oft zu wechseln oder bei Bedarf auch Musik- und Sportereignisse live in Großprojektion zu zeigen. Projektmanager Rich Mizer jubelt über die Vorzüge von ABVS: Normale Filme wären schon nach ein paar Vorführungen mit Kratzern, Fingerabdrücke oder Cola-Spritzern übersät. Sein verschleißfreies „digitales Zelluloid“ hingegen liefere stets „brillante Bilder und kristallklaren Ton“.

Davon sind deutsche Cineasten noch nicht überzeugt. Detlef Roßmann, Chef des Oldenburger „Casablanca“-Filmtheaters und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kino in Hamburg, rechnet nicht damit, „daß innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre Praxisreife erzielt werden kann“. HDTV sei „in der Auflösung immer noch schlechter als ein sehr guter Kinofilm“. Handliche Kameras liefern allerdings schon die ersten digitalen Signale. Auf der Photokina in Köln zeigte die Eastman Kodak Co. soeben ihre Fotokamera DCS 460, eine digitale Version der Nikon-Spiegelreflex F-90, die auf kompakten Notebook-Speicherelementen die Bilddaten sammelt (Wirtschaftswoche 39/1994). Beim Tempo, das die Computertechnik derzeit vorlegt, rücken auch Bewegtbilder im vollen 35-Millimeter-Format in greifbare Nähe. Schon bisher liegen Fotografie und Filmerei technisch sehr nah beieinander: Seit der Ur-„Leica“ verwenden beide dasselbe Filmformat.

Ulf J. Froitzheim

Büroräume: Nur noch Container

Traditionell gestaltete Gebäude sind nicht mehr gefragt. Neue Konzepte mit üppigen Gemeinschaftsräumen fördern die Kommunikation und sparen dennoch Platz.

Wir kennen es alle: langer Korridor in der Mitte, links und rechts Einzel- oder Doppelzimmer. „Die Büros von heute sind meist von gestern“, so der Münchner Architekt Wolfram Fuchs, „hierarchisch, unbeweglich, unwirtschaftlich.“ Der Teilhaber der Congena Gesellschaft für Planung, Training und Organisation GmbH in München trifft meist auf überforderte Makler, wenn er für Klienten maßgeschneiderte Büroräume anmieten will. Nicht vertraut mit innovativen Ideen – etwa dem skandinavischen Kombibüro, bei dem großzügige Gemeinschaftsflächen von kleinen, raumhoch verglasten Einzelzellen umgeben sind – böten die Vermittler „teilweise wahllos“ ungeeignete Objekte an. Hätten sie endlich kapiert, was gewünscht wird, müßten sie mangels Masse meist passen.

WirtschaftsWoche 24/1994

Dieter Lorenz, Professor für Arbeitswissenschaft und Betriebslehre an der Fachhochschule Gießen, findet die gängigen Bürozellengebäude schlicht kommunikationsfeindlich. Sie böten „kaum eine Chance, neue Konzepte zu realisieren“.

Immer mehr Unternehmen sehen das offenbar ähnlich. Bauen sie neu, versuchen sie, ihre Gebäude als Katalysatoren für den betriebsinternen Gedankenaustausch zu gestalten. Seit die Kommunikationswissenschaft festgestellt hat, daß einem die besten Einfälle kaum im stillen Kämmerlein kommen, sondern eher beim Dialog mit anderen, gilt der Plausch unter Kollegen nicht mehr als vertane Arbeitszeit. Im Gegenteil, er wird sogar gefördert – durch einladende Sitzgruppen oder Espressobars. „Kommunikation“, definiert der Münchner Architekt Gunter Henn das neue Zauberwort der Baumeister, „ist der Austausch von Informationen, von denen man vorher nicht wußte, daß es sie gibt.“

Um dieses Potential zu erschließen, inszenierte Henn schon 1990 im Forschungs- und Ingenieurzentrum der BMW AG einen „geistigen Materialfluß“: Die an der Autoentwicklung beteiligten Arbeitsgruppen wurden so über das Gebäude verteilt, daß gerade diejenigen sich besonders oft über den Weg laufen, die sonst zu wenig miteinander reden. Wo er den Hebel ansetzen muß, ermittelt Henn anhand von Kommunikationszählungen, die per Computer visualisiert werden. Das Exempel BMW macht Schule: Inzwischen läuft eine Kommunikationszählung bei der Volkswagen AG in Wolfsburg.

Während die Unternehmen bereits umdenken, betonieren Deutschlands Baulöwen unbeirrt am Bedarf vorbei – ein Phänomen, das der Praktiker Fuchs auf Betriebsblindheit zurückführt: „Jahrzehntelang konnten die bauen, was sie wollten, die Makler brauchten nur das knappe Angebot zu verteilen.“ So manche der phantasielos hochgezogenen Büroburgen wird daher wohl bald zur Investitionsruine werden, denn auch als Mieter werden die Unternehmen wählerischer. Immer öfter stellen sie Ansprüche, die ein Objekt nach Baumuster 08/15 nicht erfüllen kann. Als das Freiburger Medizintechnikunternehmen PPG Hellige vor drei Jahren seinen Plan umsetzen wollte, zehn Geschäftsstellen als Kombibüros einzurichten, bekamen die Vermieter den Zuschlag, die bereit waren, ihre Baupläne zu ändern oder bereits bestehende Räume entsprechend umzubauen. Solche Arbeiten können die Mieteinnahmen von mehreren Jahren verschlingen: Experten veranschlagen für neue Zwischenwände und Installationen bis zu 1000 Mark pro Quadratmeter.

Die wohl gefährlichste Entwicklung für Immobilieninvestoren liegt allerdings darin, daß viele Finanzvorstände sündhaft teure Innenstadtquadratmeter nicht mehr hinnehmen wollen. Als besonders unproduktive Flächen haben die Kostenrechner die endlosen Flure konventioneller Bürohäuser entlarvt, auf denen aus Brandschutzgründen nicht einmal ein Fotokopierer stehen darf. Auch die geringe zeitliche Nutzung der Schreibstuben ist den Sparkommissaren ein Dorn im Auge – übers Jahr gerechnet, ist der Bürostuhl selbst bei reinen Innendienstjobs zu mehr als 80 Prozent der Zeit unbesetzt. Damit steigt zwangsläufig das Interesse an Alternativen: Fast alle neuen Raumnutzungskonzepte haben einen geringeren Platzbedarf als die konventionelle Lösung.

Flächenökonomie war auch die Triebfeder für den Umbau eines Gebäudes, das zuvor an IBM vermietet war. Derzeit wird es von Josef Schörghubers KG Bayerische Hausbau GmbH & Co. in München mit einem neuen Innenleben versehen, weil der neue Mieter die vorhandene Struktur mit Mittelkorridoren und Zellenbüros nicht akzeptierte. Er wünschte Kombibüros, bei denen großzügige Gemeinschaftsflächen von kleinen, verglasten Einzelabteilen umgeben sind, in die sich zurückziehen kann, wer konzentriert arbeiten muß. Bei der ursprünglichen Raumaufteilung hätte der neue Mieter pro Arbeitsplatz 24,1 Bruttoquadratmeter verbraucht. Nach dem Umbau genügen 19,2 Quadratmeter pro Kopf.

Nicht nur die Kaufleute freuen sich, auch die Belegschaft profitiert. Trotz der dichteren Belegung erhalten zwei von drei Beschäftigten ein Einzelbüro – ein größerer Anteil als früher.

Der besondere Reiz des verglasten Kombiabteils besteht in seiner Transparenz zur zentralen Gemeinschaftsfläche hin. Selbst wenn die Tür zu ist – was nach Aussagen von Kombibüro-Insassen nur selten vorkommt – , ist niemand isoliert. Außerdem dringt durch die Scheiben angenehmes Tageslicht in den Innenbereich. Womit dieser Zwischenraum gefüllt wird, bleibt der Phantasie des Managements überlassen, sofern es nur Kollegen zusammenführt: mit gemütlichen Sitzgruppen, Handbibliotheken, Konferenztischen, Bistros oder Poststationen mit Fax und Drucker. Manche Mitarbeiter schätzen den großen Durchblick jedoch nicht. „Die haben Angst, ständig überwacht zu werden“, weiß Fuchs.

Doch der Wandel der Bürolandschaft ist nicht aufzuhalten. Während das in Skandinavien schon seit vielen Jahren bekannte Kombibüro in Deutschland erst jetzt allmählich angenommen wird, sind die Schweden schon wieder einen Schritt weiter: Im Stockholmer Distrikt Sundbyberg testen die Elektronikfirmen Ericsson Radio Systems und Digital Equipment ein sogenanntes Lean Office, bei dem die Mitarbeiter keinen eigenen Schreibtisch mehr haben, sondern nur noch einen persönlichen Container. Wie im Hotel wird bei Bedarf ein Raum gebucht. Das reduziert den Flächenbedarf von Abteilungen, deren Mitarbeiter viel unterwegs sind, glatt um die Hälfte.

Ulf J. Froitzheim