Dass den Tageszeitungen die Leser wegsterben, ist sicherlich etwas drastisch ausgedrückt. Bevor die Altabonnenten dahinscheiden, werden viele von ihnen pflegebedürftig. Manche machen eine Phase durch, in der sie nichts mehr mit einer Zeitung anfangen können. Die einen werden senil oder dement und vergessen sofort wieder, was sie gelesen haben – sofern sie es überhaupt noch begreifen. Andere bekommen Parkinson, können die Zeitung nicht mehr ruhig halten, das Umblättern gelingt nicht mehr. Oder ihre Sehkraft lässt so sehr nach, dass es einfach zu anstrengend wird, die vielen kleinen Buchstaben unter die Lupe zu nehmen.
Ein Zeitungsverlag könnte sich, wenn ein alter Kunde zum Pflegefall wird, für dessen langjährige Treue bedanken und mit Anstand die Geschäftsbeziehung als beendet betrachten. Nicht so die Essener Mediengruppe Funke, die unter anderem die WAZ und die NRZ verlegt. Die Geschäftsleitung dieses Hauses pocht lieber auf das, was sie für ihr Gewohnheitsrecht hält, nämlich jeden Monat knapp 30 Euro abzubuchen, aber mindestens bis zum Quartalsende. Bei Funkes herrscht nämlich das Prinzip vor, der Kunde habe dem Lieferanten zu dienen und nicht etwa umgekehrt. Die Drücker Servicemitarbeiter lassen keine Sekunde Zweifel daran aufkommen, dass ihnen neumodischer Kram wie Kundenorientierung strikt untersagt ist. Der Abonnent ist verpflichtet, sich gefälligst verlagsorientiert zu verhalten. Es regiert nicht König Kunde, sondern König Funke.
Wenn Sie das für üble Polemik halten, muss ich Sie enttäuschen. Es ist tatsächlich so, dass Funke Medien sich Auskunftsbefugnisse einer Behörde oder eines Arbeitgebers anmaßt. Kündigungen vor Quartalsende durch bevollmächtigte Angehörige akzeptiert der „Leserservice“ grundsätzlich nicht, es sei denn, man legt ihm ein ärztliches Attest oder den Pflegeheimvertrag vor. Man darf wohl davon ausgehen, dass beim Tod des Abonnenten die Zeitungsabnahmeverpflichtung vererbt wird, sofern der Erbe das Ableben des Erblassers nicht mit beglaubigtem Totenschein nachweist.
Der Haken an der Sache ist, dass in den üblichen Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber einem Zeitungsverlag aus gutem Grund nicht vorgesehen ist. Die Diagnose eines Krankheitsbildes, aufgrund dessen der Abonnent nicht mehr zur Rezeption des printmedialen Contents in der Lage ist, geht den Verlag nicht einmal einen feuchten Kehrricht an, sondern gar nichts. Sobald ein Arzt der WAZ ohne ausdrückliche vorherige Verfügung seines Patienten schriftlich gibt, dass bzw. wodurch dieser körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage ist, Zeitung zu lesen, bricht er seine Schweigepflicht. Ein Angehöriger, der ein solches Attest (übrigens keine Kassenleistung!) in Auftrag gibt, würde sich der Anstiftung zu diesem Vergehen schuldig machen. Aber auch der Pflegeheimvertrag gehört zur Privatsphäre. Darin herumzuschnüffeln, steht den Funkes nicht zu.
Dass den Angehörigen, die ganz andere Sorgen haben, durch die Blume vorgeworfen wird, sie wollten einen laufenden Vertrag ungerechtfertigt kündigen und so den Funke-Clan um sein sauer verdientes Geld prellen, ist einfach nur peinlich und stillos – damit allerdings nicht überraschend bei einem Verlag, der schon durch seine Kahlschläge in den Redaktionen hinreichend bewiesen hat, dass ihm an einer guten Reputation nichts liegt.