Energiespar-Ente

Ich schätze eigentlich die Süddeutsche Zeitung sehr, aber gelegentlich rutscht der Redaktion ein kapitales Federvieh durch. So war es am Dienstag dieser Woche, also bei der Produktion der Mittwochsausgabe, genauer: Es war der Aufmacher auf Seite 1. „Geräte-Tests schönen Stromverbrauch“, lautete die Schlagzeile, und im Text ging es um eine „aktuelle Studie mehrerer europäischer Umweltschutzorganisationen, die der Süddeutschen Zeitung vorlag“. Dazu ist zunächst anzumerken, dass 1.) besagte Studie jedem vorliegt, der auf diesen Link klickt, weshalb es verwundert, dass der Autor die Vergangenheitsform wählte und uns irgendeine Exklusivität vorraunt, und dass 2.) die vier Urheber der Studie mit „europäische Umweltschutzorganisationen“ – freundlich gesagt – unkorrekt beschrieben sind (s.u.*).

Aber zur Sache: Richtig stutzig wurde ich in der zweiten Spalte, wo es reißerisch heißt, „jeder Haushalt könne jährlich fast 500 Euro“ an Energiekosten sparen, wenn strengere Effizienzregeln gälten – und das bereits bis 2020. Nanu? Hieß es nicht gerade, es gehe darum, „den Energieverbrauch in Europa um fast ein Zehntel zu senken“? Verbraucht ein Durchschnittshaushalt denn etwa Strom im Wert von 5000 Euro? Schließlich dreht sich die Studie ausschließlich um Elektrogeräte.

Natürlich ist die Zahl so eklatant neben der Kappe, dass es jedem auffallen müsste, der seine Stromrechnung nicht vom Hausverwalter seiner 20-Zimmer-Villa überweisen lässt. „Energiespar-Ente“ weiterlesen

BGE-Freunde können nicht rechnen

„Weltgrößter BGE-Versuch in Kenia“, titelt das Social-Business-Magazin Enorm, „26.000 Menschen, 300 Dörfer, 12 Jahre, 0,75 Dollar am Tag – das sind die Eckpunkte des größten Experiments, das bislang zum bedingungslosen Grundeinkommen stattfinden soll.“ Tja, das stimmt schon mal nicht, denn das Budget des Experiments beträgt nur 30 Millionen Dollar. Wenn 26.000 Menschen je 75 Cent pro Tag erhielten, wären das 19.500 Dollar am Tag, binnen 12 Jahren oder 4383 Tagen also 85.468.500 Dollar.

Liest man weiter, erfährt man, dass weder 300 Dörfer Geld bekommen noch 26.000 Menschen 12 Jahre lang. Das fängt damit an, dass 100 Dörfer als Kontrollgruppe definiert sind; dort bekommt niemand auch nur einen Cent dafür, dass er sich der Neugier amerikanischer Möchtegern-Sozialwissenschaftler stellt, die sich damit brüsten, das größte Experiment der Weltgeschichte zu veranstalten

We’re running the largest experiment in history.“

Bleiben 200 Dörfer. In 160 von ihnen, also 80 Prozent, ist nicht nach zwölf, sondern schon nach zwei Jahren Schluss. Diese Gruppe mit 20.000 Teilnehmern wird noch einmal geteilt. Eine Hälfte bekommt monatlich ein Pro-Kopf-Grundeinkommen von 22,81 Dollar ausbezahlt, die andere Hälfte einen Einmalbetrag von 547,50 Euro. Nur die restlichen 40 Dörfer mit zusammen 6000 Bürgern nehmen an der Langzeitstudie teil. Bedingungslos, wie die enorm-Redaktion ausweislich ihrer Headline glaubt, ist das Grundeinkommen übrigens selbst dann nicht, wenn man die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dorfgemeinschaft alternative-facts-technisch zur Nichtbedingung schönredet: Man muss erwachsen sein. Kinder gehen leer aus, und die Eltern bekommen das Grundeinkommen auch nicht als Kindergeld anvertraut.

Noch mal nachgerechnet:

20.000 mal 547,50 sind knapp elf Millionen Dollar. Die 6.000 Langzeitprobanden erhalten zusammen knapp 20 Millionen Dollar. Wenn die nötigen 31 Millionen zusammenkommen, wird man etwa anno 2030 einen Abschlussbericht erwarten können. Solange hat das Experiment also schon einmal keinen wissenschaftlichen Nutzen.

Ob es ihn je haben wird? Die Dörfer haben – zuzüglich Kinder und Jugendliche – eine durchschnittliche Einwohnerzahl von 125 (Zwei-Jahres-Probanden) beziehungsweise 150 (Zwölf-Jahres-Gruppe), also geschätzt 300 Einwohner. Ich kenne die Siedlungsstruktur nicht, aber die Spreizung dürfte so ausfallen, dass 1000 Einwohner schon den oberen Rand bilden. Das heißt: Das gesamte Experiment beschränkt sich auf Gemeinden, in denen jeder jeden kennt. Das dörfliche Sozialverhalten auf dem Land dürfte sich von dem in einer Großstadt wie Nairobi signifikant unterscheiden.

Welche Rückschlüsse man aus den Daten dann erst auf die Auswirkungen eines Grundeinkommens in, sagen wir, New York City oder dem Freistaat Bayern ziehen können soll, bleibt das Geheimnis der Empirie-Genies aus Amerika – und der deutschen Redaktionen, die unkritisch über solche „Studien“ berichten, bei denen Menschen in fernen Ländern in neokolonialer Manier zu Studienobjekten degradiert und für ihre Teilnahme mit einem Almosen abgespeist werden, das nicht einmal alle erhalten.

 

 

 

Das Märchen vom Geldverdienen mit Online-Essen

Mehr als 15 Jahre ist es her, dass ich das erste Mal über den LEOH geschrieben habe, den Lebensmittel-Onlinehandel. Schon damals konnte man haltbare Spezialitäten – etwa Kaffee, Tee, Gewürze – im Internet bestellen. Was nie richtig ans Laufen kam, waren Vollsortiments-Angebote. Wer sich im LEH (Lebensmittel-Einzelhandel) auch nur ein bisschen auskennt, weiß: Im Netz lässt sich ein normaler Supermarkt nicht mit vertretbarem Aufwand 1:1 abbilden. Das Sortiment an industriell konfektionierten Markenartikeln mag zwar leicht zu handhaben sein, der USP jedes guten Ladens ist jedoch seine abwechslungsreiche Auswahl an frischen Produkten, die entweder nach Marktlage zu Tagespreisen eingekauft werden wie Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, oder den regionalen Vorlieben angepasst sein müssen wie das Käsesortiment oder Brot und Kuchen von regionalen Bäckereien. Selbst wenn diese nur 20 Prozent des Umsatzes beisteuern, verursachen sie gewiss mehr als 80 Prozent des Aufwands für die Pflege der Produktdatenbank.

Vor allem ist bei Frischware Out-of-Stock keine Seltenheit: Wenn Kopfsalat aus ist oder nur noch ein paar welke Exemplare in der Kiste gammeln, kommt frühestens am nächsten Morgen Nachschub. Der Präsenzkunde greift in so einem Fall vielleicht zur Endivie oder zum Eisbergsalat, achtet aber auch dabei auf Frische, Größe und Preis. Der Onlinekunde kann nicht wissen, ob er überhaupt den Salat bekommt, den ihm der Markt mit einem perfekten Symbolfoto schmackhaft gemacht hat. Das Warenwirtschaftssystem, das zwischen ihm und der Ware vermittelt, kennt nun einmal nicht den Zustand der noch nicht abverkauften Salatköpfe und sieht nicht, ob die Bananen grasgrün, schön gelb oder braungesprenkelt sind. Kommt die Lieferung nicht aus einem Logistikzentrum, sondern aus einem normalen Supermarkt mit Publikumsverkehr, kann auch jedes abgepackte Frischprodukt vergriffen sein. Welche der acht Sorten Milch oder 30 Sorten Jogurt soll es dann sein?

Aus diesem Grund begnügen sich Supermärkte – auch dann, wenn sie so tun, als böten sie ein Vollsortiment an – im Netz grundsätzlich mit einer geringeren Sortimentsbreite und -tiefe als in ihren Filialen. Nur lagerfähige Schnelldreher, die das Kernsortiment bilden und deshalb ständig hinreichend bevorratet sind, dürfen in den Onlineshop.

Das erkläre man mal meinen Kollegen, die zwar über diese Thematik schreiben, sich ihr Branchenwissen aber nicht als mitdenkende Verbraucher oder mittels eigener Handelserfahrung angeeignet haben, sondern in Gesprächen mit Managern und Unternehmensberatern. Sprich: die wiedergeben, was jene sich am grünen Tisch ausgedacht haben, um den LEOH endlich aus der Nische zu holen.  „Das Märchen vom Geldverdienen mit Online-Essen“ weiterlesen

Niggemeier nicht unschuldig an VG-Wort-Abstimmungsdesaster

Stefan Niggemeier gibt auf Uebermedien.de im Disclaimer unter einem Beitrag beiläufig zu, dass er das darin beschriebene Abstimmungsdesaster auf der heutigen Mitgliederversammlung mitverschuldet hat.

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„Niggemeier nicht unschuldig an VG-Wort-Abstimmungsdesaster“ weiterlesen

ZDF verrechnet sich gewaltig

Warum macht das ZDF den Händler Amazon größer und mächtiger, als er ist? Die Sendung „Die Macht von Amazon“ (Mittwoch abend) wird heute so beworben:

„Schon heute organisiert der US-amerikanische Online-Versandhändler mit Sitz in Seattle etwa ein Viertel des gesamten deutschen Handels. …

2014 hat der US-Konzern in Deutschland einen Umsatz von 11,9 Milliarden Dollar erzielt – 1,5 Milliarden mehr als im Vorjahr.“

Zur Einordnung: Der deutsche Einzelhandel setzt mehr als 450 Milliarden Euro pro Jahr um. Anders gesagt: 2,6 Prozent sind kein Viertel. Da ist wohl das Komma um eine Stelle verrutscht.