Die Anarcho-Währung Bitcoin galt einmal als Frontalangriff auf die Banken. Nachdem der Hype verpufft ist, experimentieren Finanzprofis selbst mit dem Prinzip der „Blockkette“. Die Institute könnten so agiler und konkurrenzfähiger werden.
In Printmedien reicht manchmal der Platz hinten und vorne nicht, um eine aufwendig recherchierte Geschichte vollständig zu erzählen. Dann muss gekürzt werden, und das schmerzt Autoren und Redakteure. Aber es gibt ja das Netz. Dieser Text, in dem ich schildere, wie die Technik hinter der Kryptowährung Bitcoin – die Blockchain – sich von ebendieser emanzipiert, ist die teilweise aktualisierte Langfassung meiner für die Technology Review 10/2015 geschriebenen Titelgeschichte. Weitere Langfassungen sind in Planung.
Die Revoluzzer in der realen Welt dingfest zu machen, in der man seine Miete und sein Essen noch in Euro, Dollar, Pfund oder Franken bezahlt, ist ein Job für Spürnasen. Das hat nichts damit zu tun, dass die bekennenden Geldveränderer ständig zwischen San Francisco und Zürich oder London und Nairobi hin und her düsen, um mit neuartigen Softwarekonzepten eine verkrustete Weltwirtschaft aufzumischen. Man findet schon die Büros ihrer Firmen nicht. Während Gründer anderer Branchen alles tun, um Interessenten zu sich zu lotsen, machen die Vordenker eines „Internets des Geldes“ oft ein Geheimnis daraus, wo sie ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Es könnte mitten im Silicon Valley liegen, irgendwo in den Weiten Kanadas, in der Zentralschweiz oder auch im Kosovo. So hat das Startup Blockstream voriges Jahr zwar opulente 21 Millionen Dollar Startkapital bei Großinvestoren eingesammelt, unter ihnen IT-Prominenz wie Max Levchin, Reid Hoffman, Vinod Khosla, Eric Schmidt, Jerry Yang und Ray Ozzie sowie der ehemalige Karstadt-Abenteurer Nicolas Berggruen. Angaben zum Firmensitz fehlen indes nicht nur auf der Website. Sogar in den Whois-Datenbanken sind sie gesperrt. Spuren im Netz führen nach Montreal. Im dortigen Handelsregister sind zu Blockstream gleich zwei Adressen hinterlegt: An der einen residiert eine große Anwaltskanzlei, an der anderen eine Filiale von UPS Canada, die ihren Kunden Briefe, Pakete und Faxe weiterleitet. Wohin, ist Betriebsgeheimnis.
Blockstream gehört unter den Newcomern nicht einmal zu denen, die das Versteckspiel auf die Spitze treiben. Die maßgeblichen Experten und Manager zeigen auf der Website immerhin ihr Gesicht und verraten ihren vollen Namen. Sie sind auch keine Unbekannten, jedenfalls nicht in der Kryptogeld-Szene, die seit sechs Jahren im Dunstkreis der digitalen Anarcho-Währung Bitcoin gedeiht. Andere Akteure verstecken sich schon mal hinter ihren Reddit- oder Twitter-Nicknames samt Fotos furchterregender Fernsehserien-Aliens, wenn sie denn überhaupt eine Datenspur zu ihrer Person legen. Es gibt auch völlig menschenleere Sites, auf denen ein einschlägiges Open-Source-Projekt im wahrsten Sinn des Wortes für sich spricht.
Vertrauen in Algorithmen statt in Institutionen
Derlei konspiratives Auftreten mag vorsichtige Nutzer abschrecken, passt aber ins Bild. Schon die Person hinter dem Phantom „Satoshi Nakamoto“, das mitten in der Aufregung um die Bankenrettungen nach der Lehman-Pleite die bitcoins auf die Welt brachte, hat sich wohl nie aus der Deckung der Pseudonymität gewagt; „Unverhoffte Ketten-Reaktion“ weiterlesen